Potenziale der Nationalen Dekade gegen Krebs sind noch nicht ausgeschöpft
Am 4. Februar 2019, am Weltkrebstag, wurde die Nationale Dekade ausgerufen, um möglichst viele Krebsneuerkrankungen zu verhindern, Prävention und Früherkennung zu verbessern, Forschungsergebnisse schneller am Krankenbett ankommen zu lassen und die Lebensqualität von Krebspatient*innen zu verbessern. Dafür haben sich 16 Akteure aus Medizin, Forschung, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zusammengetan. Seit 2019 haben sich zudem 58 Organisationen als Unterstützer der Nationalen Dekade gegen Krebs angeschlossen. Auf dem „Brennpunkt Onkologie“ wurde über die bisherigen Ergebnisse und die noch ungenutzten Potentiale der „Dekade“ gesprochen.
Als Erfolg der vergangenen vier Jahre wurden insbesondere die bessere Vernetzung der vielen Akteure im Gesundheitswesen sowie die Forschungsförderung genannt. So wird beispielsweise das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) um bis zu vier neue Standorte erweitert und mehrere Förderrichtlinien wurden erlassen. „Am Ende ist die ‚Dekade‘ ein Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik, bei dem es nur gemeinsam funktionieren kann. Die Politik braucht Beratung. Um grundsätzlich weiterzukommen, brauchen wir aber auch Gesetzesänderungen. Die Dekade sollte einen Raum bieten, um über Fraktionen und Ressorts hinaus die Belange der Patient*innen und der Versorgung in den Blick zu nehmen und voranzubringen“, sagte Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. „Eine Dekade hat ein zeitliches Ende. Langfristig sollte daraus ein unbefristetes ‚Nationales Netzwerk gegen Krebs‘ hervorgehen, um keine Befristung zu haben und den Mut zu haben, voranzuschreiten und gemeinsam etwas zu entwickeln.“
Die NCTs sind Teil des Netzwerks der Onkologischen Spitzenzentren (CCC). Im Bereich Forschung sei die Vernetzung dort sehr gut. Schwieriger sei der Übergang von der Forschung in den Bereich der Versorgung, wie auf dem „Brennpunkt“ immer wieder deutlich wurde. „Sowohl der Transfer von Erkenntnissen aus der klinischen Forschung in die Versorgung als auch die Nutzung von Daten aus der Versorgung für die Forschung funktionieren noch nicht so gut, wie wir es uns wünschen“, sagte Prof. Dr. Olaf Ortmann, Mitglied des Strategiekreises der Nationalen Dekade gegen Krebs und Mitglied des Vorstandes der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. „Einige Hürden, vor denen wir stehen, sind die fehlenden IT-Strukturen, fehlende interoperable Datensysteme und auch die Datenschutzgesetze. Statt Patient*innen zu schützen, hindert der Datenschutz sie teilweise, die beste Versorgung zu bekommen.“ Johannes Bruns forderte zudem eine strukturierte deutschlandweite Datenanalyse, um evidenzbasiert Krankheitsverläufe besser analysieren zu können.
Ein Kritikpunkt, der im Rahmen der Diskussion auftauchte, ist die „mangelnde Berücksichtigung“ relevanter Fachrichtungen. „Die Psychoonkologie kommt zu wenig in der ‚Dekade‘ vor“, sagte PD Dr. rer. nat. Ute Goerling, Koordinatorin Psychoonkologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Über den ganzen Behandlungspfad – von der Früherkennung, bei der genetische Testungen eine Belastung für die Patient*innen sein können, über die Therapie bis hin zur Nachsorge – spielt die psychoonkologische Versorgung eine Rolle. Das bildet sich in den Aktivitäten der Dekade aber nicht ab.“
Ähnlich sieht es Prof. Michael Ghadimi, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie der Universitätsmedizin Göttingen und Präsident des Deutschen Krebskongresses 2022 – allerdings mit Blick auf die Chirurgie: „Die chirurgische Onkologie ist eine der zentralen Fachrichtungen onkologischer Therapie. Sie bietet daher einen idealen Ansatzpunkt für die Nationale Dekade gegen Krebs, um onkologische Forschung voranzubringen und möglichst viele Krebspatient*innen von ihren Erkenntnissen profitieren zu lassen. Die Aspekte der onkologischen Chirurgie müssen zukünftig bei Entscheidungsträgern mehr Gehör finden.“
Insgesamt zeigte sich aber in der Veranstaltung, dass trotz aller Herausforderungen eine große Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit vorhanden ist.