Interessenkonflikte in der Medizin: Glaubwürdigkeit durch Transparenz
Interessenkonflikte gehören zwangsläufig zum Arztberuf dazu. Es beginnt schon mit der Tatsache, dass jeder Arzt sich zwar ethisch verpflichtet hat, das Wohl des Patienten an erste Stelle zu setzen, gleichwohl aber auch mit der Medizin seinen Lebensunterhalt verdienen muss, wie Humayun Chaudhry, Präsident der US-amerikanischen Vereinigung aller „State Medical Boards“ hervorhob.
Interessenkonflikte sind auch deswegen so häufig, weil gewinnorientierte Geldgeber (wie etwa die Pharma- oder Medizingeräteindustrie) heute nicht nur in der Forschung, sondern auch in der ärztlichen Fortbildung aktiv sind. Sie entstehen deshalb so leicht, weil sie zumeist Folge des psychologischen Phänomens der Reziprozität sind, einer Art unbewusst ablaufenden „Dankbarkeitsreflexes“: Der Betroffene empfindet sich als völlig objektiv, während Dritte seine Aussagen durchaus als tendenziös einstufen würden.
„Der Umgang mit Interessenkonflikten ist ein Schlüssel für die Glaubwürdigkeit der ärztlichen Fortbildung“, betonte ECSF-Vorsitzender Prof. Dr. med. Reinhard Griebenow, der zugleich die Akkreditierungsstelle für internationale Fortbildungsangebote in der Kardiologie (European Board for Accreditation in Cardiology, EBAC) berät. Da sich die meisten Interessenkonflikte nicht auflösen ließen, müssten sie zumindest offengelegt werden.
Als Konsequenz für die Praxis von Erklärungen von Interessenkonflikten ergibt sich daraus, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Geldquellen aktiv abgefragt werden muss. Da allerdings nicht vorhersehbar ist, welcher der denkbaren Interessenkonflikte zu einer Verzerrung von Aussagen (bias) führen wird, müssen die Erklärungen ausführlich an die Teilnehmer von Fortbildung kommuniziert werden. Dies führt nicht selten zu umfangreichen und auch die Privatsphäre berührenden Darstellungen von Interessenkonflikten. Während etwa renommierte Fachzeitschriften die Publikation eines Artikels davon abhängig machen, dass die Autoren einer Veröffentlichung ihrer Interessenkonflikte (im Artikel selbst oder im Internet) zustimmen, ist dies für den Bereich der Fortbildung bisher nicht im Detail geregelt. Die ausführliche Veröffentlichung könnte auch zu Kollisionen mit bestehenden Datenschutzvorschriften führen, wie Peter Hustinx, der oberste Datenschützer der EU (European Data Protection Supervisor), ausführte.
Der zweite Tag des Kongresses widmete sich dann ganz der aktuellen Praxis in der Erhebung und im Umgang mit Interessenkonflikten. Zunächst stellten eine Reihe von Institutionen, die Fortbildungsangebote zertifizieren, ihre Anforderungen an Erklärungen von Interessenkonflikten vor. Dazu gehörten das Accreditation Council for CME (ACCME) der USA, das Royal College of Physicians and Surgeons aus Kanada und das von der europäischen Facharztvereinigung UEMS betriebene European Accreditation Council for CME (EACCME). Ihnen folgten Referenten der europäischen Arzneimittel-Zulassungsbehörde (European Medicines Agency, EMA) sowie von mehreren renommierten Fachzeitschriften und Fachgesellschaften.
Bei allen Differenzen im Detail zeigte sich dabei eine große grundsätzliche Übereinstimmung in Konzept und Praxis bei der Dokumentation und Publikation von Interessenkonflikten. Allerdings waren sich die Konferenzteilnehmer auch einig, dass Handlungsbedarf hinsichtlich aktuell noch vorhandener bedeutsamer „weißer Flecken“ besteht, so etwa bei der Erfassung nicht-finanzieller Interessen. Gesucht wird ferner ein Verfahren, dass eine sinnvolle Darstellung von Interessenkonflikten auch dann ermöglicht, wenn der Zeitrahmen eng ist wie zum Beispiel bei Vorträgen auf großen Kongressen. Das hier in den letzten Jahren propagierte „first-slide“-Konzept, die Darstellung der Interessenkonflikte auf der ersten Abbildung nach der Titelfolie, hat sich in der Praxis als unbrauchbar erwiesen.