Die Gretchenfrage in der Alzheimer-Forschung
Die Alzheimer-Krankheit ist charakterisiert durch schädliche Protein-Ablagerungen, sogenannte Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen. Sie spielen eine Rolle beim Absterben von Nervenzellen im Gehirn, die bei der Alzheimer-Krankheit zu Gedächtnisverlust und Orientierungslosigkeit führen. Das ist in der Forschung unstrittig. Uneins ist man sich jedoch, ob insbesondere Amyloid-Ablagerungen ursächlich für die Erkrankung sind und ein passendes Ziel für eine medikamentöse Therapie darstellen.
Keine Zulassung für Alzheimer-Medikament in Europa
Diese Frage wird nicht erst seit der Zulassung von Aduhelm in den USA in Fachkreisen heftig diskutiert. Denn Aduhelm beseitigt zwar die schädlichen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn. Die Gedächtnisleistung der Patientinnen und Patienten wird dadurch aber nicht verbessert. Wegen dieses fehlenden Wirkungsnachweises hatte die europäische Arzneimittelzulassungsbehörde EMA im Dezember 2021 einer Zulassung von Aduhelm in Europa und damit auch in Deutschland nicht zugestimmt.
"Ich finde diese Entscheidung absolut nachvollziehbar", kommentiert Prof. Stefan Teipel, Leiter der Klinischen Forschung am Standort Rostock/Greifswald des Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). "So richtig überzeugend waren die Studienergebnisse einfach nicht bezogen auf die Verbesserung der Kognition."
Die Amyloid-Hypothese hatte in den letzten Jahrzehnten einen großen Stellenwert in der Alzheimer-Forschung weltweit und viele Pharma-Unternehmen haben auf unterschiedliche Amyloid-Antikörper gesetzt. Zurzeit werden fünf Wirkstoffe in fortgeschrittenen Phase-III-Studien für die Behandlung der Alzheimer-Krankheit getestet. Für Donanemab und Lecanemab, zwei von diesen Antikörpern, werden im Herbst entscheidende Studienergebnisse erwartet. Studien mit ähnlich funktionierenden Wirkstoffen waren in der Vergangenheit gescheitert.
Warum verbessern Amyloid-Antikörper nicht die Kognition?
Warum die Antikörper zwar die schädlichen Proteine entfernen, aber trotzdem die Kognition der Erkrankten nicht verbessern, wissen die Forscherinnen und Forscher nicht. Ein Grund könnte sein, dass die Wirkstoffe zu spät im Krankheitsverlauf verabreicht werden und die Veränderungen im Gehirn zu dem Zeitpunkt schon zu weit fortgeschritten sind. Diskutiert wird auch, dass der Zeitraum, in dem die Wirkstoffe bisher eingenommen wurden, zu kurz war, um einen positiven Effekt auf die Kognition der Probandinnen und Probanden zu entfalten. Es werden weitere Studien und Forschungsprojekte gebraucht, um Antworten auf diese Fragen zu finden.
Im Forschungsfeld werden immer mehr Stimmen laut, die darauf hinweisen, dass es nicht reicht, nur auf die Beseitigung von Amyloid zu setzen. "Die Amyloid-Hypothese war lange Zeit forschungsbestimmend. Ein solcher Ansatz ist aber meiner Einschätzung nach zu eindimensional und beantwortet nicht die Frage, wo das Amyloid herkommt und was die eigentlichen Ursachen der Erkrankung sind", sagt Prof. Thomas Arendt, Leiter des Paul-Flechsig-Instituts für Hirnforschung der Universität Leipzig und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der AFI.
Die Ursachen der Alzheimer-Krankheit sind noch unklar
Die Suche nach einem passenden Wirkstoff ist deshalb so schwierig, weil die Entstehung der Alzheimer-Krankheit noch nicht abschließend verstanden ist. Die Krankheit beginnt mit ersten Veränderungen im Gehirn schon bis zu zwanzig Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome. Die Ablagerungen von Amyloid und Tau gehören zu einer Reihe von Prozessen im Gehirn, die sich nachfolgend bedingen. Wie diese unterschiedlichen Krankheitsmechanismen entstehen und über Jahrzehnte hinweg ineinandergreifen, kann rückwirkend nicht mehr ohne Weiteres nachvollzogen werden. "Bei einer Krankheitsdauer von bis zu 30 Jahren ist es unwahrscheinlich, dass man die Ursachen sieht, man sieht nur die Folgen. Wenn ein Haus abbrennt, kann man in der Asche des Hauses auch nicht ablesen, warum es abgebrannt ist", erklärt Arendt.
Deshalb ist es wichtig, mit Amyloid-Ablagerungen nicht nur einen Krankheitsmechanismus im Blick zu haben, sondern auch weitere charakteristische Merkmale und mögliche Krankheitsursachen einzubeziehen, wie beispielsweise Entzündungsprozesse, Stoffwechsel- oder Durchblutungsstörungen, Umwelteinflüsse und genetische Faktoren. Es setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass es nicht das eine Medikament geben wird, das Alzheimer bei jeder Patientin und jedem Patienten in jeder Krankheitsphase heilen wird. Eine zukünftige Alzheimer-Therapie wird verschiedene Ansätze kombinieren, um die individuell unterschiedlichen Krankheitsprozesse je nach Krankheitsstadium möglichst effektiv zu stoppen. Entsprechend wird zunehmend an Kombinationstherapien geforscht, die gleichzeitig an unterschiedlichen Krankheitsmechanismen ansetzen.
Warum ist das Haus abgebrannt? Oder: Wie geht es weiter mit der Amyloid-Hypothese?
Und wie geht es weiter mit der Amyloid-Hypothese? Teipel, der auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der AFI ist, setzt auf einen kombinierten Behandlungsansatz, der nicht nur auf Amyloid-, sondern auch auf Tau-Ablagerungen zielt: "Ohne Amyloid ist Tau wahrscheinlich kein größeres Problem und umgekehrt ist Tau ohne Amyloid vermutlich nicht problematisch. In Kombination begünstigt Amyloid aber, dass sich Tau im gesamten Hirn ausbreiten kann. Deshalb halte ich eine Kombinationstherapie für vielversprechend, die an Tau und Amyloid gleichzeitig ansetzt." Von den ausstehenden Studienergebnissen zu den Amyloid-Antikörpern Lecanemab und Donanemab erwartet der Alzheimer-Forscher keinen grundlegenden Durchbruch, aber zumindest positive Signale, die den Ansatz einer solchen Kombinationstherapie untermauern.
Wir wissen also noch nicht, warum das Haus abgebrannt ist. Die Alzheimer Forschung Initiative tritt an, um durch unabhängige Förderung von Grundlagenforschung, möglichst viele Antworten auf die noch offenen Fragen zu finden. "Die AFI leistet einen wichtigen Beitrag zur Forschung, weil sie interdisziplinär aufgestellt ist, die Patientinnen und Patienten im Blick hat und auch Projekte abseits des Forschungsmainstreams finanziert, die vielleicht etwas risikoreicher sind, aber zugleich sehr wichtig für grundlegende Erkenntnisgewinne sind", betont Teipel.