Gesamtkonzept für digitale Flüchtlingshilfe gefordert
In einem Anfang April veröffentlichten Impulspapier „Gesundheitsversorgung im Krisenmodus“ führt der Wissenschaftliche Beirat für digitale Transformation der AOK Nordost aus, an welchen Stellen die Ukrainekrieg Rückstände in der Digitalisierung offengelegt hat.
„Auch im Hinblick auf zukünftige Krisen in einer sich schnell verändernden Welt müssen wir diese Dinge rasch in den Griff kriegen, ohne bloß noch mehr Bürokratie zu bauen“, sagt die in der Ukraine geborene Diplom-Psychologin Marina Weisband, die im Beirat Mitglied ist. So gelte es, vollständig elektronische Verwaltungsverfahren anzubieten. Sie könnten Geflüchteten zum Beispiel ermöglichen, schnell eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen oder ihren Wohnsitz anzumelden. Auch die Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit privaten Initiativen müsse verbessert werden.
„Die Wohnraumvermittlung über die Kommunen stockt sehr und muss über private Netzwerke kompensiert werden. Digitale Plattformen könnten hier viel Entlastung bringen. Und zwar nicht solche, die exklusiv von Ämtern befüllt werden - sondern solche, die Menschen in direkten Austausch bringen“, sagt Marina Weisband.
So haben sich auf der gemeinnützigen Website unterkunft-ukraine.de bereits rund 163.000 Privatpersonen registriert, die ukrainischen Kriegsflüchtlingen Schlafplätze anbieten. Auch die Website jobkraftwerk.com oder die Sachspenden-App „waswohin“ zeigten laut dem Beirat, welchen unmittelbaren Nutzen digitale Tools für die Schutzsuchenden stiften.
Defizite – und Chancen digitaler Gesundheitsversorgung
Auch bei der gesundheitlichen Versorgung der Kriegsflüchtlinge räche sich nun fehlende Digitalisierung. Mit einer funktionierenden Telematikinfrastruktur und international standardisierten Schnittstellen wäre das Gesundheitssystem viel besser in der Lage, bis zu einer Million potenziell zusätzlich zu behandelnde Menschen entsprechend zu versorgen. Überdies ließe sich von Deutschland aus die Patientenversorgung direkt im Kriegsgebiet verbessern – wenn es telemedizinische, mit den Systemen der Ukraine interoperable Instrumente geben würde. Auch digitale Angebote zur psychosozialen Unterstützung im Rahmen der Krisenintervention seien in Deutschland unterrepräsentiert. „Wichtig ist, eine gute psychologische Versorgung sicher zu stellen, denn es kommen traumatisierte Erwachsene und Kinder in unser Land, die von sich aus nicht gut in der Lage sind, psychologische Angebote zu suchen. Es braucht mehr Kassensitze für Psycholog:innen“, fordert Marina Weisband.
Gesundheitsminister Lauterbach muss Digitalisierung voranbringen
Gesundheitsminister Karl Lauterbrach (SPD) hat vor kurzem angekündigt, dass er die weitere Digitalisierung im Gesundheitswesen zur Chefsache machen will. Er müsse dieses Thema nun mit hoher Priorität vorantreiben, fordert der Beirat. Digitalisierung bringe Transparenz, Zugänglichkeit, Ordnung und Planbarkeit in ein ohnehin aufgewühltes Leben und helfe den Schutzsuchenden aus der Ukraine bei den nächsten Schritten – die Sprache zu lernen, den Bildungsweg fortzusetzen und eine Arbeit zu finden. Das sei alles im Sinne des Sozialsystems, das davon profitieren werde, wenn die Schutzsuchenden schnell in einen Alltag finden könnten.
Der im November 2016 gegründete Wissenschaftliche Beirat für Digitale Transformation der AOK Nordost berät die Gesundheitskasse kritisch und unabhängig bei Fragen der digitalen Transformationen im Gesundheitswesen. Mehrere Mitglieder des Beirats beraten in anderen Funktionen auch die Bundesregierung zu diesen Fragen.
Mitglieder des Beirats sind:
- Prof. Dr. Dirk Heckmann (Geschäftsführer)
- Dipl.-Pol. Inga Bergen (Sprecherin)
- Prof. Dr. Wilfried Bernhardt
- Prof. Dr. Dr. Walter Blocher
- Prof. Dr. Stefan Heinemann
- Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Jähnichen
- Prof. Dr. Anne Paschke
- Dipl.-Psych. Marina Weisband