Eine Krankheit zwingt zum Umdenken
Frontotemporale Demenzen, bei denen besonders der Stirn- und Schläfenlappen des Gehirns von krankhaften Veränderungen betroffen sind, treten, anders als die Alzheimer-Krankheit, häufig bereits vor dem 60. Lebensjahr auf, erläuterte Dr. Janine Diehl-Schmid, Oberärztin am Zentrum für Kognitive Störungen im Klinikum rechts der Isar in München. Die Familien ständen damit vor der Situation, dass die Erkrankten vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden müssen und oft noch Kinder haben, die sich in der Schule oder Ausbildung befinden. Im Vordergrund der Krankheit, mit der leider auch viele Ärzte nicht vertraut sind, stehen zunächst keine Gedächtnisstörungen sondern Persönlichkeitsveränderungen und Verhaltensstörungen, die das Zusammenleben sehr schwierig machen können. Geeignete Unterstützungsangebote sind bisher kaum zu finden. „Was uns wirklich weiterbringt ist die Vernetzung“, sagte Prof. Markus Otto von der Neurologischen Universitätsklinik in Ulm. Von einer Frontotemporalen Demenz sind in Deutschland nur rund 30.000 Menschen betroffen, deshalb sähen die Ärzte in den einzelnen Unikliniken jeweils nur eine kleine Zahl von Patienten pro Jahr, die an diesem Krankheitsbild leiden. Das „FTLD-Konsortium“, ein bundesweites Projekt zur Vernetzung von Forschungseinrichtungen, das seit 2009 existiert, führt jetzt die Erkenntnisse der einzelnen Wissenschaftler zusammen, um Ansätze für eine medikamentöse Therapie zu entwickeln. Menschen mit einer FTD sind oft wesentlich jünger als andere Demenzkranke und passen schon deshalb nicht in die Pflege- und Betreuungseinrichtungen der Altenhilfe. Deshalb müssen neue und innovative Formen der ambulanten Betreuung entwickelt werden. Dieter Bunn, Diplom-Kaufmann und Diplom Sozialwirt aus Hamburg, der seit 2006 Sozialhilfeträger im Bereich der Behindertenhilfe berät, erläuterte, dass es im Rahmen der bestehenden Gesetze durchaus Finanzierungsmöglichkeiten gibt – zum Beispiel über das persönliche Budget oder die Eingliederungshilfe für Behinderte. Es brauche aber ein Umdenken, um passende Angebote zu schaffen. Ein Angehöriger berichtete von seiner Frau: „Sie hat aufgrund der FTD keinerlei Interesse mehr an den Dingen und Menschen, die sie umgeben. Nicht einmal mehr an den Kindern. Eigentlich will sie nur noch ihre Ruhe. Wir besuchen sie regelmäßig aber jedes Mal nur kurz. Über die Süßigkeiten, die wir ihr mitbringen, freut sie sich. Wir wissen aber inzwischen, dass wir von ihr darüber hinaus keine Reaktionen erwarten können, und haben uns – mit therapeutischer Unterstützung – darauf eingestellt.“ Die Frau lebt mittlerweile in einer Wohngruppe für Menschen mit Demenz. Sonja Brandtner und Annette Arand vom Verein Wohlbedacht e.V., der diese WG ins Leben gerufen hat, stellten ihr Konzept vor: Oberstes Gebot sei es, ganz individuell auf die Bedürfnisse der Bewohner zu reagieren und beispielsweise einen Menschen, der einen großen Bewegungsdrang hat, eher 10 Stunden am Tag auf seinen Spaziergängen zu begleiten als die Tür abzuschließen. „Einfach ist es nicht, aber wir probieren immer wieder neue Wege aus, wie wir auf schwierige Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz reagieren können. Oft reduziert sich das schwierige Verhalten dann nach einer Weile, ohne dass Medikamente eingesetzt werden müssten.“ Helga Schneider-Schelte, die den Tag für die Deutsche Alzheimer Gesellschaft moderierte, fasste zusammen: „Die Tagung hat eindrucksvoll gezeigt, wie groß die Herausforderung ist, vor die Frontotemporale Demenzen Angehörige und das Sozialsystem stellen. Wichtig ist es jetzt, dass mehr Betreuungsangebote wie die WG in München entwickelt werden, die den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit FTD entsprechen und für die Angehörigen eine Entlastung bringen. Dafür müssen alle Beteiligten bereit sein umzudenken und neue Wege auszuprobieren!“