Expert:innen diskutieren Ansätze zur verbesserten Umsetzung neuer Formen der Gesundheitsversorgung im Praxisalltag
„Darüber hinaus gelingt der Transfer wichtiger medizinischer Neuerungen in die Praxis nur, wenn der jeweilige Versorgungskontext berücksichtigt wird“, so Pfaff. Der Versorgungsforschung komme in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe zu. Sie kann zum einen die nötigen theoretischen Grundlagen liefern, um den Versorgungskontext besser zu verstehen und für den Praxistransfer gut gerüstet zu sein. Zum anderen kann sie den Praxistransfer mit empirischer Forschung begleiten und so zum besseren Verständnis beitragen.
Beispiele aus der COVID-19-Pandemieforschung machen dieses Potenzial der Versorgungsforschung deutlich. Im Verbundprojekt EgePan Unimed kooperieren die Universitätskliniken Dresden, Augsburg, Münster, Frankfurt sowie die Charité Berlin, allesamt Mitglieder des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM), um eine bedarfsgerechte stationäre Versorgung von COVID-19-Patient*innen in der Pandemie sicherzustellen. Die Partner setzten ein Leitstellenkonzept mit Netzwerkstruktur, Kapazitätstransparenz und gemeinsam verantworteter Patientensteuerung um, das auf der regionalen Abstimmung zwischen Kliniken und dem öffentlichen Gesundheitsdienst sowie auf mathematischen Bedarfsvorhersagen beruht. Zu den besonderen Herausforderungen dieses Projekts zählten die Unterschiede in der Datenlage, nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern auch auf Landkreisebene. Die Lösung bestand in der Etablierung lokaler Lösungen für Datenflüsse und für die regionale Patientensteuerung. So entstand in Sachsen das DISPENSE-Modul, das ein zeitaktuelles und kleinräumiges Monitoring des COVID-19-Infektions- und klinischen Geschehens auf Landkreis- und Krankenhausebene bereitstellt. Eine ähnliche Umsetzung wurde für Hessen etabliert. Die gesammelten Daten ermöglichen außerdem eine aufwandsarme Unterstützung von Studien und Registern für die Forschung.
„Regional koordinierte Versorgungslösungen auf der Basis einer datengestützten Steuerung haben in der COVID-19-Pandemie ihre Nagelprobe bestanden“, kommentiert Prof. Dr. Jochen Schmitt, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung, diesen Ansatz. „Eine One-size-fits-all-Lösung ohne Anpassung an den regionalen Kontext wäre hier nicht zielführend gewesen.“
Versorgungsnahe Daten sind aber nicht nur in der COVID-Pandemie eine wichtige Grundlage für eine bessere Versorgung der Patient:innen. Es gibt mittlerweile gute Beispiele dafür, dass registerbasierte Studien mit versorgungsnahen Daten Wissenslücken in medizinischen Leitlinien schließen können und so zum Beispiel zu einer besseren Versorgung beim Darmkrebs beizutragen. „Das ist eine gute Botschaft. Denn Leitlinienempfehlungen bündeln zwar das aktuell verfügbare medizinische Wissen, indem sie auf randomisiert-kontrollierte klinische Studien, sogenannte RCTs zurückgreifen. Für zahlreiche Situationen im Versorgungsalltag existiert jedoch keine ausreichende Evidenz aus RCTs. Hier können Registerstudien mit versorgungsnahen Daten möglicherweise sehr hilfreich sein“, erklärt Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung.
Das methodische Vorgehen bei der Auswertung von Registerdaten sei bislang allerdings noch immer unzureichend aufbereitet. „Am Anfang eines jeden registerbasierten Forschungsvorhaben steht immer die Frage nach der Registereignung. Zu fordern ist eine geeignete Registerqualität, ebenso wie standardisierte Datensätze, und gezielte Datenschutzkonzepte“, so Klinkhammer-Schalke. Eine Ad-hoc-Kommission des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung arbeitet derzeit an einem mehrteiligen Manual für die Nutzung versorgungsnaher Daten. Klinkhammer-Schalke: „Auf dem DKVF 2021 werden wir intensiv über die verschiedenen Aspekte der Nutzung versorgungsnaher Daten diskutieren.“