6,7 Millionen Typ-2-Diabetiker
"Die öffentliche Diskussion über Diabetes hat bisher daran gelitten, dass alle mit unterschiedlichen Zahlen argumentierten. Dabei ist es angesichts weiter steigender Erkrankungsfälle und der enormen gesundheitsökonomischen Folgen des Diabetes nötig, dass alle für eine adäquate Versorgung Betroffener an
einem Strang ziehen. Die nun vorgelegten konsentierten Zahlen können dafür die Basis sein", sagt Prof. Bertram Häussler, Leiter des IGES Instituts. Die Bandbreite der bestehenden epidemiologischen Daten ist unter anderem darum so groß, weil sich die jeweiligen Studien methodisch stark unterscheiden. In der nun von Novo Nordisk initiierten Befragungsstudie werteten IGESWissenschaftler rund 50 wissenschaftliche Veröffentlichungen aus. Sie filterten dabei für Diabetes relevante Kennzahlen wie Krankheitsfälle, Häufigkeit von
Kontrolluntersuchungen oder das Vorkommen von Folgeerkrankungen heraus. Relevante extrahierte Werte wurden anschließend mit rund 30 Diabetes-Experten aus verschiedensten Versorgungsbereichen begutachtet und konsentiert – darunter Vertreter aus ärztlicher und nicht-ärztlicher Patientenversorgung, Diabetes- und Patientenorganisationen, Kostenträgern, Epidemiologie und Versorgungsforschung.
Behandlungsdefizite bestätigt
Die Studie konkretisiert auch die immer noch bestehenden Behandlungsdefizite bei Patienten mit Diabetes. So nehmen trotz des breiten Zugangs zur medizinischen Versorgung in Deutschland lediglich 41 Prozent der diagnostizierten Menschen mit Typ-2-Diabetes regelmäßig diabetesspezifische, ärztliche Leistungen
wie Langzeit-Blutzuckermessungen in Anspruch. Dabei ist die so genannte HbA1c-Messung zur Verlaufs- und Therapiekontrolle, wie sie auch in Leitlinien empfohlen wird, essenziell. Außerdem erreicht auch nur ein Drittel der Betroffenen mit einer Diabetes-Diagnose die in Behandlungsleitlinien empfohlenen Therapieziele etwa bei der Blutdruckeinstellung und den anzustrebenden Blutfettwerten. Und auch bei den Blutzuckerwerten liegt die Zielerreichung − je nach angestrebtem Wert − zwischen 34 und 63 Prozent.
Alarmierende Häufigkeit von Folgeerkrankungen
Nicht erreichte Zielwerte wiederum erhöhen das Risiko von Folgeerkrankungen wie Schlaganfällen und Herzinfarkt, die der Studie zufolge bei 44 Prozent der Menschen mit bekanntem Typ 2 Diabetes auftreten. Auch zu den gefürchteten Folgen wie Niereninsuffizienz oder Retinopathien kommt es bei jedem dritten Patienten mit Typ-2-Diabetes. Nur 41 Prozent haben weder mikro- noch makrovaskuläre Spätschäden. "Dass es immer noch bei mehr als der Hälfte der Patienten zu Folgeerkrankungen kommt, bleibt alarmierend. Endlich haben wir klare Fakten, die zeigen, wo politische und versorgungsstrategische Akteure für eine bessere Versorgungssteuerung
ansetzen müssen", sagt Hans-Holger Bleß, Studienleiter und Leiter des Bereichs Versorgungsforschung am IGES Institut.
Die Konsentierung der Diabetes-Daten erfolgte von Juni bis August 2013 nach dem sogenannten Delphi-Verfahren. Dabei handelt es sich um eine mehrstufige Befragung zur Bildung von Gruppenmeinungen: Fachleute beziehen wiederholt Stellung zu Studien und Werten und können sich dabei auch an der Gruppenantwort aus der vorherigen Runde orientieren, so dass am Ende ein von allen getragenes, fundiertes Ergebnis steht.