forsa-Umfrage für Westfalen-Lippe: Weniger Menschen zufrieden mit medizinischer Versorgung
Außerdem meinen nur noch 29 Prozent, dass sich die dezentrale Organisation des Krisenmanagements während der Pandemie bewährt habe. Aus Sicht der Menschen in Westfalen-Lippe besteht im Gesundheitswesen für die neue Bundesregierung jedenfalls ein großer Handlungsbedarf. Das sind die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage bei 400 Bürgerinnen und Bürger in Westfalen-Lippe durch das Meinungsforschungsinstitut forsa, die die AOK NordWest im Rahmen ihrer Initiative ‚Stadt.Land.Gesund‘ in Auftrag gegeben hat. „Unsere Befragung zeigt eindrucksvoll, wie wichtig den Menschen die Gesundheitsversorgung ist. Längst überfällige und im Koalitionsvertrag bereits definierte Reformen müssen von der Bundesregierung nun endlich angegangen und im Sinne einer besseren Patientenversorgung rasch umgesetzt werden“, sagt Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender der AOK NordWest.
Nach den aktuellen Umfrage-Ergebnissen sind unter den verschiedenen Infrastruktureinrichtungen vor Ort für 97 Prozent der Befragten die Hausärzte nach wie vor am wichtigsten. Dahinter folgen die Internetversorgung (88 Prozent), Schulen und Bildungseinrichtungen (87 Prozent) sowie Krankenhäuser (86 Prozent). Auch bei der Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung vor Ort zeigen sich weiterhin robuste Werte: 71 Prozent der Befragten sind mit den Hausärzten zufrieden. Bei der letzten Befragung in 2020 waren es noch 80 Prozent. Bei den Krankenhäusern liegt die Zufriedenheit bei 75 Prozent (79 Prozent in 2020). Die Zufriedenheit mit den Fachärzten liegt derzeit bei 53 Prozent (65 Prozent), bei ambulanten Pflegeangeboten liegen die Werte unverändert bei 56 Prozent und bei den stationären Pflegeangeboten bei 48 Prozent (54 Prozent). „Hier machen sich offenbar verstärkt die Erfahrungen aus der zweiten bis vierten Corona-Welle bemerkbar“, so Ackermann. In der Wahrnehmung der Befragten lagen die Hauptprobleme während der Corona-Pandemie in erster Linie bei den verschobenen Krankenhaus-Behandlungen und überforderten Gesundheitsämtern. Auch die Mehrbelastung für pflegende Angehörige durch das Wegbrechen von Hilfestrukturen und Dienstleistungen werden genannt.
Vulnerable Gruppen nicht abhängen
AOK-Chef Ackermann mahnt vor diesem Hintergrund, stärker auf Belange von vulnerablen Gruppen im Gesundheitswesen zu achten. „Viele Menschen haben weiterhin große Probleme, verständliche Informationen für eine gesicherte und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung zu bekommen und diese zu bewerten“, so Ackermann. Dafür brauche es unbedingt einen niederschwelligen Zugang zu verständlichen Informationen in verschiedenen Sprachen. Auch strukturelle Zugangshürden führen im Gesundheitswesen weiterhin zu schlechteren Gesundheitschancen. „Die Menschen erwarten einen schnellen und barrierefreien Zugang zu guter Gesundheitsversorgung – unabhängig von Alter, Geschlecht, Sprache, Erkrankung, Wohnort oder sozialem Status“, so Ackermann. Um gesundheitliche Teilhabe insbesondere in strukturschwachen Gebieten oder sozialen Brennpunkten zu verbessern, brauche es einen verlässlichen Rahmen für die Zusammenarbeit der Akteurinnen und Akteure vor Ort. Gemeinsam mit den Kommunen gelte es, neuartige Angebote wie Gesundheitszentren oder Gesundheitskioske zu schaffen, so Ackermann. Entsprechende Vorhaben der Ampel im Koalitionsvertrag werden von der AOK ausdrücklich unterstützt.
Erfahrungen aus der Corona-Pandemie
Eine deutliche Verschiebung gegenüber der letzten Befragung in 2020 zeigt sich bei den Angaben zu möglichen Lehren aus der Pandemie. So finden nur noch 29 Prozent, dass sich das dezentrale Krisenmanagement bewährt habe. In 2020 waren es noch 44 Prozent. Hohe Zustimmungswerte gibt es weiterhin dafür, dass Pflegeangebote aufrechtzuerhalten sind (99 Prozent), es eine flächendeckende gute Versorgung auch in ländlichen Regionen brauche (98 Prozent) und Gesundheitsberufe mehr Wertschätzung verdienen (98 Prozent).
Behandlungsqualität wichtiger als schnelle Erreichbarkeit
„Die Corona-Effekte spiegeln sich in fast allen Ergebnissen dieser Befragung wider“, so Ackermann. Gefragt nach den Themen, die aktuell wichtig sind und worum sich die Bundesregierung kümmern sollte, liegt die „Stärkung des Gesundheitssystems“ mit 82 Prozent auf Platz zwei, gleich hinter „Investitionen in Schule, Bildung und Kinderbetreuung (86 Prozent). Mit Abstand am häufigsten nennen 89 Prozent der Befragten den Fachkräftemangel als derzeit größtes Problem für das deutsche Gesundheitswesen, noch vor den fehlenden finanziellen Mitteln (57 Prozent) und der mangelnden Koordination der beteiligten Akteure (56 Prozent). „Das sollten alle Akteure als Auftrag verstehen und sie motivieren, das deutsche Gesundheitswesen für die Menschen noch leistungsfähiger und gerechter zu gestalten“, so Ackermann. Dabei ergab die forsa-Umfrage, dass der Bevölkerung bei der Arzt- oder Krankenhauswahl eine gute Behandlungsqualität deutlich wichtiger als eine schnelle Erreichbarkeit ist.
Digitale Lösungen
AOK-Chef Ackermann kündigte an, sich weiterhin für innovative Versorgungsformen im Land einzusetzen. Ein gutes Beispiel sieht der AOK-Chef vor allem in Videosprechstunden als Ergänzung zum Praxisbesuch. Etwa zwei Drittel (68 Prozent) der Menschen in Westfalen-Lippe können sich inzwischen vorstellen, sich mit Fragen zu ihrer Gesundheit per Videosprechstunde an einen Arzt oder Ärztin zu wenden. Allein mit Versicherten der AOK NordWest wurden in 2021 insgesamt 49.641 Videosprechstunde durchgeführt, vor der Pandemie in 2019 waren es gerade einmal 227. Dabei zeigten sich 94 Prozent der Befragten mit dem Angebot zufrieden oder sehr zufrieden. „Die Videosprechstunden haben sich weiter etabliert. Wir sehen Telemedizin als eine sinnvolle Ergänzung zum persönlichen Kontakt zwischen Patient und Arzt. Nicht nur auf dem Land, wo die Wege zur Praxis weiter sein können, machen digitale Lösungen wie die Videosprechstunde Sinn“, so der AOK-Chef.
Gesundheit vernetzt denken
Nach Worten von Ackermann habe die Corona-Pandemie gezeigt, wie dringend solche digitalen Lösungen im Gesundheitswesen benötigt werden. „An allen Ecken und Enden offenbart sich, was digitale Vernetzung leisten könne. Gerade die telemedizinischen Services wie die digitale Fernuntersuchung, -diagnose und -überwachung können mit dazu beitragen, die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum sicherzustellen. So stehen zum Beispiel einer sinkenden Anzahl verfügbarer Pflegefachkräfte steigende Bedarfe unserer älter werdenden Gesellschaft gegenüber. Vernetzung, Telemedizin und sektorenübergreifende Versorgung tragen dazu bei, dieser Herausforderung zu begegnen. Dabei wollen wir eine intelligente und qualitativ hochwertige telemedizinische Struktur in Westfalen-Lippe mit aufbauen und mit innovativen auch digitalen Projekten Versorgung aktiv mitgestalten. Wir brauchen ein Versorgungsmanagement aus einer Hand“, so Ackermann.
Telenotarzt und Virtuelles Krankenhaus
Wie vorbildlich solche Projekte in der Praxis in NRW funktionieren, beweisen das virtuelle Krankenhaus (VKh.NRW) und der Telenotarzt. Was als Modellprojekt in Aachen begann, hat sich inzwischen in vielen anderen Städten in NRW etabliert. „Wir unterstützen von Beginn an den Telenotarzt als zukunftsweisendes System. Inzwischen haben alle Kreise und kreisfreien Städte in NRW die Möglichkeit, sich an einen Telenotarztstandort anzubinden. Diese Chance sollte konsequent für eine bessere Patientenversorgung genutzt werden“, so Ackermann.
Das VKh.NRW hingegen bietet für den ärztlichen Austausch eine unabhängige digitale Vermittlungs- und Serviceplattform an. „Das sektorenübergreifende Netzwerk ermöglicht eine zeitnahe Beratung mit den Experten und Expertinnen aus unterschiedlichen Fachbereichen. Das kann die Behandlung und Prognose gerade auch bei schwer erkrankten Patientinnen und Patienten deutlich verbessern. Solche innovativen Angebote sollten weiter ausgebaut und vorangebracht werden“, so Ackermann.
Medizinische Versorgung flexibel koordinieren
Die Corona-Pandemie habe deutlich gemacht, dass die medizinische Versorgung bislang zwar gut funktioniert habe, sie künftig aber noch viel stärker sektorenübergreifend organisiert und flexibel koordiniert werden müsse. Das empfinden auch die Menschen in Westfalen-Lippe so. Nur 43 Prozent der Befragten findet, dass die Abstimmung zwischen medizinischen Einrichtungen während einer Behandlung gut oder sehr gut funktioniert. Als Gründe werden zu wenig Zeit (81 Prozent), zu wenig fachlicher Austausch (66 Prozent) oder eine fehlende digitale Vernetzung (65 Prozent) gesehen. „Ohne entsprechende Reformen ist davon auszugehen, dass wir auch nach der Pandemie zum alten Auslastungsrad mit unnötigen Doppel- und Mehrfachuntersuchungen, unwirtschaftlichen Strukturen, zu viel Krankenhausbetten und Defizite in der Notdienst- und Notfallversorgung zurückkehren werden. Denn die Corona-Ereignisse haben weder die Verhältnisse noch das Verhalten von Patienten nachhaltig verändert“, so Ackermann. Als positives Beispiel nannte der AOK-Chef die Anstrengungen der Akteure in NRW bei der Umsetzung der neuen Krankenhausplanung. „Gemeinsam sollten jetzt alle Beteiligten die Chance nutzen, eine zukunftsfähige, qualitäts- und patientenorientierte Krankenhausstruktur im Land zu entwickeln. Durch Spezialisierung und Leistungskonzentration wird die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten gestärkt und der Ressourceneinsatz optimiert.“