CED-Patient:innen im interdiszipilinären Team versorgen
Die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sind komplexe, chronische Krankheitsbilder. „Für die optimale Versorgung ist eine intensive Zusammenarbeit eines multidisziplinären Teams – aus Ärzt:innen verschiedener Fachrichtungen und geschulten medizinischen Fachassistenzen – mit den Patient:innen erforderlich“, so Prof. Andreas Sturm, Berlin.
Das Empowerment der Patient*innen gelingt am besten im Team
Zu den ärztlichen Aufgaben gehören Sturm zufolge unter anderem die Diagnosestellung, Endoskopien, das Erstellen eines Therapieplans und das Rezeptieren der Medikamente. „Fachassistenzen kümmern sich beispielsweise um die Organisation von Kontrollterminen, informieren die Patient:innen, applizieren Arzneimittel, erkennen frühzeitig eventuelle unerwünschte Ereignisse und vermitteln die Kontakte zu den Therapeut:innen“, so Sturm. Aus der guten Zusammenarbeit von Ärzt:innen und MFA resultierten laut Sturm unter anderem eine bessere Therapietreue und eine verbesserte Lebensqualität der Patient*innen – gleichzeitig könnten Anzahl und Dauer der Arztkontakte reduziert werden. „Außerdem profitieren die Patient:innen von der multidisziplinären Versorgung beispielsweise mit weniger bzw. kürzeren Krankenhausaufenthalten“, betonte Sturm.1
Unterschiedliche Wirkansätze bei der CED-Therapie – selektive vs. systemische Wirksamkeit
„CED sind im klinischen Alltag sehr heterogene Erkrankungen, bei denen das Ausmaß der Entzündung
sowie das Auftreten von Stenosen und/oder Fisteln sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann“, unterstrich Prof. Markus Neurath, Erlangen, und begrüßte deshalb die wachsende Anzahl an verfügbaren Therapieprinzipien. „Zur CED-Behandlung stehen heute unter anderem Tumornekrosefaktor-alpha (TNFα)-Antagonisten zur Verfügung. „Sie reduzieren das entzündliche Geschehen durch die Hemmung von TNFα im Darm, haben aber auch systemische Effekte durch die Zirkulation im Körper“, so Neurath und ergänzte: „Darüber hinaus scheint die Selektion von Zellen, die gegen TNFα hochresistent sind, möglich. Dieser neue Immunphänotyp spricht dann nicht mehr auf eine Anti-TNFα-Therapie an.“2 Im Gegensatz zu TNFα-Antagonisten modulieren Januskinase (JAK)-Inhibitoren die Signaltransduktion einer ganzen Reihe an Zytokinen gleichzeitig. Die positiven und die negativen Effekte der einzelnen JAK-Inhibitoren würden durch die Selektivität des Wirkstoffs für die vier verschiedenen Januskinasen – JAK1, JAK2, JAK3 und TYK2 – bestimmt, erläuterte Neurath.3,4
Vedolizumab – ein darmselektiv wirkender α4β7-Integrin-Antagonist
Eine selektive Wirkung im Gastrointestinaltrakt hat der humanisierte monoklonale IgG1-Antikörper Vedolizumab (Entyvio®). Die Hemmung der Interaktion von α4β7 mit MAdCAM-1 durch Vedolizumab verhindert die Migration von in den Darm einwandernden T-Lymphozyten und reguliert so die Entzündungsreaktion.5
Dass Vedolizumab keine systemische immunsuppressive Aktivität aufweist, machte Neurath beispielhaft an aktuellen Daten zum Impfansprechen auf eine Corona-Vakzine bei CED-Patienten deutlich: Patient:innen unter Infliximab zeigten deutlich niedrigere Serokonversionsraten als jene unter Vedolizumab – unabhängig vom verwendeten Impfstoff und unabhängig davon, ob gleichzeitig weitere Immunmodulatoren zum Einsatz kamen.6
Drei Aspekte für die Therapieentscheidung – Evidenz, Präferenz und Eminenz
Prof. Axel Dignaß, Frankfurt/Main, hob hervor, dass zur Therapie von Colitis ulcerosa und Morbus Crohn eine Reihe an Leitlinien verfügbar sind – darunter jene der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) und der Europäischen Crohn‘s and Colitis Organisation (ECCO).7-10 „Leider werden die Leitlinien häufig nur unzureichend umgesetzt. So werden beispielsweise orale Kortikosteroide vielfach noch zu lange eingesetzt.“11 Als mögliche Hintergründe nannte Dignaß die teilweise mangelnde Aktualität und Implementation der Leitlinien in den Praxisalltag sowie die fehlende Evidenz und Empfehlungen für spezielle Situationen bzw. Patientengruppen wie z. B. alte oder multimorbide Patient:innen. „Verbesserungen kann hier beispielsweise das Pilotprojekt der ‚Living Guidelines‘ der DGVS und der AWMF bringen. Dabei erfolgt alle fünf Jahre ein komplettes Update der Leitlinie und zusätzlich eine jährliche Evaluation und falls notwendig eine Anpassung bei klinisch relevanten Neuerungen“, erklärte Dignaß. „Für gute Therapie-
entscheidungen sind daher nicht nur die vorhandene Evidenz und die Empfehlungen der jeweiligen Leitlinien relevant, sondern auch die Expertise des Behandelnden. Eine wichtige Rolle für die Therapieentscheidung spielt außerdem die Patientenpräferenz“, ergänzte er. Diagnostische und therapeutische Entscheidungen sollten deshalb gemeinsam mit dem Patienten regelmäßig hinterfragt werden, so die Empfehlung von Dignaß.
Ausblick auf die CED-Therapie der Zukunft
Abschließend gab Prof. Stefan Schreiber, Kiel, einen Ausblick auf die CED-Therapie der Zukunft und machte deutlich, dass neben Biologika und Small Molecules künftig zahlreiche weitere Therapieansätze denkbar seien – beispielsweise eine Modulation des Mikrobioms und Ernährungsinterventionen als neue Basis- oder Zusatztherapien, epigenetische Ansätze, Gentherapie sowie den Immunmetabolismus als Therapieziel anzugehen. „Einige dieser Ansätze befinden sich bereits in der klinischen Forschung“, so Schreiber. Insgesamt werde die Effizienz der CED-Behandlung sicherlich noch gesteigert werden: nicht nur durch neue Wirkstoffe sondern auch durch Sequenztherapien und den Einsatz von Biomarkern zur besseren Steuerung des Medikamenteneinsatzes. Darüber hinaus müsste eine breitere Verfügbarkeit effektiver Therapien für die Ärzte gewährleistet bleiben und die Krankheitskontrolle als Therapieziel etabliert werden – nicht zuletzt um ein gesundes Altern auch jenseits der Darmentzündung für CED-Patient:innen erreichbar zu machen, forderte Schreiber.
„Wichtig für den therapeutischen Fortschritt sind aber auf jeden Fall direkte Vergleiche der verschiedenen Therapieoptionen, wie sie beispielsweise mit der VARSITY-Studie12 zur Verfügung stehen.“ Die multizentrische, randomisierte, doppelblinde, aktiv kontrollierte Phase-3b-Studie im Double-Dummy-Design war die erste Head-to-Head-Studie, die zwei zur Behandlung der Colitis ulcerosa zugelassene Biologika direkt miteinander verglich: den TNFα-Blocker Adalimumab s.c. und Vedolizumab i.v. Eingeschlossen waren 769 erwachsene Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver CU.12 Die Studie zeigte eine Überlegenheit von Vedolizumab gegenüber Adalimumab im Hinblick auf eine klinische Remission‡ in Woche 52 (31,3 % vs. 22,5 %; p = 0,006) sowie eine Mukosaheilung§ in Woche 52 (39,7 % vs. 27,7 %; p < 0,001).12
Quellen
1 Kemp K et al. J Crohns Colitis 2018; 12(7): 760-776
2 Atreya R, Neurath MF. Lancet Gastroenterol Hepatol 2018; 3(11): 790-802
3 O’Shea JJ et al. Ann Rheum Dis 2013; 72 Suppl 2(0 2): ii111-115
4 Jamilloux Y et al. Autoimmun Rev 2019; 18(11): 102390
5 Fachinformation Entyvio®. Stand: März 2021
6 Kennedy NA et al. Gut 2021; 70(10): 1884-1893
7 Sturm A et al. Aktualisierte S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn“ der Deutschen
Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS).
https://www.dgvs.de/wp-content/uploads/2021/08/Leitlinie-LL-MC_25.08.2031_final.pdf [letzter Zugriff
9.11.2021]
8 Kucharzik T et al. Z Gastroenterol 2018; 56(9): 1087-1169
9 Torres J et al. J Crohns Colitis 2020; 14(1): 4-22
10 Raine T et al. J Crohns Colitis 2021; jjab178. doi: 10.1093/ecco-jcc/jjab178.
11 Reddy SI et al. Am J Gastroenterol 2005; 100(6): 1357-1361
12 Sands BE et al. N Engl J Med 2019; 381: 1215–1226
13 Center for Drug Evaluation and Research (CDER) & the FDA. The Voice of the Patient/Functional
Gastrointestinal Disorder; 2016. https://www.fda.gov/media/95140/download
14 Jones R et al. Br J Gen Pract 2009; 59(563): e199-208.