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Gesellschaft für Virologie zu den politisch angeordneten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung

06.11.2020 14:57
Der Vorstand der Gesellschaft für Virologie (GfV), die deutschen Beiratsmitglieder der GfV und die Unterzeichner/innen (Instituts- und Abteilungsleiter/innen sowie komm. Vertreter/innen virologischer Einrichtungen in Deutschland) halten die von der Politik aktuell angeordneten Maßnahmen zur Reduktion der Anzahl an SARS-CoV-2 Neuinfektionen in der Gesamtschau für erforderlich und notwendig. Den Unterzeichnern ist bewusst, dass diese erhebliche Einschränkungen und wirtschaftlich negative Folgen mit sich bringen und deshalb nur temporär eingesetzt werden können, in Übereinstimmung mit der Einschätzung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO Stellungnahme „COVID-19: taking stock and moving forward together[1]).

Jedoch ist die jetzige Situation in Deutschland von einer exponentiellen Zunahme der Zahl an SARS-CoV-2 Neuinfektionen geprägt, der mit einer zeitlichen Verzögerung ein Anstieg der schweren COVID-19 Verläufe folgt[2]:

  • 03. September 2020: 1.311 Neuinfektionen und 223 COVID-19 Patienten/Innen in intensivmedizinischer Behandlung
  • 01. Oktober 2020: 2.503 Neuinfektionen und 362 COVID-19 Patienten/Innen in intensivmedizinischer Behandlung
  • 30. Oktober 2020 (direkt vor dem Beschluss der Bundesregierung): 18.681 Neuinfektionen und 1.839 COVID-19 Patienten/Innen in intensivmedizinischer Behandlung
  • 05. November 2020: 19.990 Neuinfektionen und 2.653 COVID-19 Patienten/Innen in intensivmedizinischer Behandlung

 

Trotz einer Vielzahl von Appellen und Erklärungen von Seiten der Politik, der Behörden, der Gesundheitsämter und anderer Institutionen an die Bevölkerung zur Beachtung der AHA+L+A Regel (Abstand/Hygiene/Alltagsmaske + regelmäßiges Lüften + Corona Warn-App) konnte der rasante Anstieg der SARS-CoV-2 Neuinfektionen nicht verhindert werden. Deshalb bleibt zurzeit keine andere Möglichkeit als der Teil-Lockdown, um die weitere Ausbreitung durch Kontaktbeschränkungen einzudämmen. Dies ist wichtig, um das Gesundheitssystem in Deutschland leistungsfähig zu halten und damit zu gewährleisten, dass COVID-19 Erkrankte und alle anderen Patienten weiterhin eine optimale Krankenversorgung erhalten (siehe dazu auch die Stellungnahmen und Aussagen verschiedener Fachverbände wie z.B. Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e.V., Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin).

Aus unserer Sicht stimmen alle an der Bekämpfung der Pandemie Beteiligten darin überein, dass der besondere Schutz von Risikogruppen ein zentrales Anliegen ist. Es ist jedoch zu bedenken, dass ca. 30% der europäischen Bevölkerung mindestens einen bekannten Risikofaktor für einen schweren Infektionsverlauf hat. Damit wird klar, dass viele Risikopersonen nicht in Einrichtungen leben (für die ohnehin schon besondere Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden), sondern in der Mitte der Gesellschaft. Diese Personen besser zu schützen wird unserer Ansicht nach nur über die Reduktion von Infektionen in der Gesamtbevölkerung gelingen.

Außerdem ist es essentiell, durch geringere Neuinfektionszahlen die Gesundheitsämter wieder in die Lage zu versetzen, Kontaktverfolgungen durchzuführen und Infektionsketten zu unterbrechen. Das Ziel, Kontakte rasch nachzuverfolgen, darf zum jetzigen Zeitpunkt auf keinen Fall aufgegeben werden. Es ist selbstverständlich, dass dies keine alleinige Maßnahme zur Pandemiebekämpfung ist, und auch nie war, sondern ergänzend zu den AHA+L+A Empfehlungen zu sehen ist.

Die Unterzeichner/innen sind sich einig, dass uns ohne Impfstoffe eine Kontrolle der SARS-CoV-2 Pandemie aktuell nur mit wirksamer Kontaktreduzierung und der konsequenten Einhaltung der AHA+L+A Regel gelingen kann. Wir möchten dazu noch einmal auf die „Stellungnahme zu einem wissenschaftlich begründeten Vorgehen gegen die Covid-19 Pandemie“ der GfV vom 19. Oktober 2020 hinweisen, in der der Sachverhalt noch ausführlicher erläutert wird. Die Zeit zu handeln ist jetzt, bevor ein Punkt erreicht wird, an dem jede Maßnahme zu spät kommt. Die jetzigen Beschränkungen können viele Menschenleben in Deutschland retten und einen weitergehenden Lockdown mit noch mehr Schäden für die öffentliche Gesundheit und die Wirtschaft verhindern, wenn sie konsequent umgesetzt werden.

Wir distanzieren uns von der Art und Weise, wie verschiedene Vorschläge zur Pandemieeindämmung vorgebracht werden und auch von einigen Inhalten. Dazu zählt die Darstellung der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in ihrer Stellungnahme, einschließlich der dazu gehörenden Pressekonferenz vom 28. Oktober 2020. Darin wird der Anschein erweckt, dass es sich um die gesammelte Meinung von Wissenschaft und Ärzteschaft handelt. Dies gilt für die Mehrzahl der Virologen/Innen sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus ärztlicher Sicht ganz sicher nicht. Die Unterzeichner/Innen distanzieren sich darüber hinaus von den in der Pressekonferenz und dem Positionspapier der KBV geäußerten Vorschlägen zur Ablehnung Lockdown-ähnlicher Maßnahmen und der Beschränkung auf eigenverantwortliche Umsetzung der AHA+L+A Regeln. Eine alleinige Eindämmung nur durch Kontaktpersonennachverfolgung war nie Strategie der Pandemiebekämpfung. Sie war immer kombiniert mit den o.g. Verhaltensmaßnahmen, sollte aber auch zukünftig immer ein wichtiger Bestandteil der Eindämmung der Virusausbreitung sein. Der besondere Schutz von Risikogruppen war und ist ein zentraler Punkt der Pandemiebekämpfung, muss aber berücksichtigen, dass diese auch in der Mitte unserer Gesellschaft leben.

 

Der Vorstand der Gesellschaft für Virologie in alphabetischer Reihenfolge:

  • Prof. Dr. Ralf Bartenschlager, Präsident der Gesellschaft für Virologie und Ordinarius für Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg
  • Prof. Dr. med. Sandra Ciesek, Vorstandsmitglied der der Gesellschaft für Virologie und Ordinaria für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität Frankfurt
  • Prof. Dr. Ulf Dittmer, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Virologie und Ordinarius für Virologie am Universitätsklinikum Essen
  • Prof. Dr. med. Thomas Stamminger, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Virologie und Ordinarius für Virologie am Universitätsklinikum Ulm
  • Prof. Dr. med. Klaus Überla, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Virologie und Ordinarius für Virologie am Universitätsklinikum Erlangen der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

 

Unterzeichner/Innen in alphabetischer Reihenfolge:

  • Prof. Dr. med. Marcus Altfeld, Heinrich Pette Institut, Leibniz Institut für Experimentelle Virologie, Hamburg
  • Prof. Dr. Paul Becher, Ordinarius für Virologie an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
  • Prof. Dr. Stephan Becker, Ordinarius für Virologie, Philipps-Universität Marburg
  • Prof. Dr. rer. nat. Melanie Brinkmann, Beiratsmitglied der Gesellschaft für Virologie, Technische Universität Braunschweig, Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung
  • Prof. Dr. Alexander Dalpke, Direktor, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene,
  • Institut für Virologie, Med. Fakultät, Technische Universität Dresden
  • Prof. Dr. Thomas Dobner, Wissenschaftlicher Direktor, Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie, Hamburg
  • Prof. Dr. Lars Dölken, Ordinarius für Virologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
  • Prof. Dr. med. Christian Drosten, Institut für Virologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin
  • Prof. Dr. Anja Ehrhardt, Lehrstuhl für Virologie und Mikrobiologie Department für Humanmedizin, Fakultät für Gesundheit, Universität Witten/Herdecke
  • Prof. Dr. Oliver T. Fackler, Professor für Integrative Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg
  • Prof. Dr. Gülsah Gabriel, Heinrich-Pette-Institut, Leibniz Institut für Experimentelle Virologie Tierärztliche Hochschule Hannover
  • Prof. Dr. Gisa Gerold, Beiratsmitglied der Gesellschaft für Virologie und Professorin für Molekulare und Klinische Infektiologie an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
  • Prof. Dr. Joachim Hauber, Leiter der Abteilung Antivirale Strategien, Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie, Hamburg
  • Prof. Dr. med. Hartmut Hengel, ehem. Vorstand der Gesellschaft für Virologie, Institut für Virologie, Universitätsklinikum Freiburg
  • Prof. Dr. rer. nat. Thomas Iftner, Ordinarius für Virologie am Universitätsklinikum Tübingen der Eberhard-Karls Universität Tübingen
  • Prof. Dr. med. Oliver T. Keppler, Vorstand des Max von Pettenkofer-Instituts und Ordinarius für Virologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Prof. Dr. Frank Kirchhoff, Institut für Molekulare Virologie, Universitätsklinikum Ulm
  • Prof. Dr. med. Florian Klein, Ordinarius für Virologie am Universitätsklinikum Köln
  • Prof. Dr. med. Hans-Georg Kräusslich, Ordinarius für Virologie, Universität Heidelberg
  • Prof. Dr. Dirk Lindemann, Lehrstuhl für Molekulare Virologie, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden
  • Univ.-Prof. Dr. med. Bettina Löffler, Direktorin, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Universitätsklinikum Jena
  • Prof. Dr. Stephan Ludwig, Institut für Virologie (IVM), Westfaelische Wilhelms-Universität Münster
  • Prof. Dr. Jan Münch, Institut für Molekulare Virologie, Universitätsklinikum Ulm
  • Prof. Dr. Klaus Osterrieder, Beiratsmitglied der Gesellschaft für Virologie, Department of Infectious Diseases and Public Health, Jockey Club College of Veterinary Medicine, City University of Hong Kong, Kowloon Tong, Kowloon, Hong Kong
  • PD Dr. med. habil. Corinna Pietsch, Leitung (komm.) Krankenversorgung, Institut für Medinzinische Mikrobiologie und Virologie, Universitätsklinikum Leipzig
  • Prof. Dr. Thomas Pietschmann, Beiratsmitglied der Gesellschaft für Virologie und Direktor des Instituts für Experimentelle Virologie am Twincore, Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung Hannover
  • Prof. Dr. Stefan Pöhlmann, Leiter der Abteilung Infektionsbiologie, Deutsches Primatenzentrum GmbH, und Universitätsprofessor für Infektionsbiologie an der Georg-August-Universität Göttingen
  • Prof. Dr.med. Ulrike Protzer, Direktorin Institut für Virologie, Technische Universität München / Helmholtz Zentrum München
  • Univ.-Prof. Dr. Mario Schelhaas, Direktor des Instituts für zelluläre Virologie, Westfälische Wilhelms Universität Münster
  • Prof. Dr. Barbara Schmidt, Klinische Virologie und Infektionsimmunologie, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universität Regensburg
  • Prof. Dr. med. Thomas F. Schulz, Ordinarius für Medizinische Virologie an der Medizinischen Hochschule Hannover
  • Prof. Dr. med. Sigrun Smola, ehem. Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Virologie, Direktorin des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum des Saarlandes
  • Prof. Dr. rer. nat. Beate Sodeik, Beiratsmitglied der Gesellschaft für Virologie, Institut für Virologie, Medizinische Hochschule Hannover, ehem. Vorstand der Gesellschaft für Virologie
  • Prof. Eike Steinmann, Abteilung für Molekulare und Medizinische Virologie Ruhr-Universität, Bochum
  • Prof. Dr. Norbert Tautz, Ordinarius für Virologie und Zellbiologie an der Universität zu Lübeck
  • Prof. Dr. med. Jörg Timm, Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität, Institut für Virologie
  • Prof. Dr. Stephan Urban, Professor für Translationale Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg
  • Prof. Dr. Friedemann Weber, Ordinarius für Virologie am Fachbereich Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen
  • Prof. Dr. med. John Ziebuhr, Ordinarius für Medizinische Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen

 

[1] https://www.euro.who.int/en/media-centre/sections/statements/2020/statem...

[2] Stand 5. November 2020, also direkt vor dem Beschluss der Bundesregierung; Lagebericht des RKI zum jeweiligen genannten Zeitpunkt

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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