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Pharma und ihre soziale Verantwortung

07.03.2008 11:25
Grundlegende Betrachtungen zur sozialen Verantwortung der Pharmaindustrie / 6. CSR- Newsletter / Beitrag der Universität Kassel

Gemäß der UN-Menschenrechtsdeklaration (Art. 25,1) zählt das Recht auf Gesundheit zu den universellen Menschenrechten. In der gängigen Interpretation meint dies den höchsten jeweils erreichbaren Standard an körperlicher und geistiger Gesundheit und beinhaltet u. a. das Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung. Körperliches Wohlbefinden und Gesundheit sind eine der wesentlichen Voraussetzungen, um an anderen Menschen- und
Freiheitsrechten teilhaben zu können. Obwohl es keinerlei ernstzunehmende Zweifel an diesen Normen gibt, stellt sich in der Praxis die Frage, wer genau der Adressat dieses „Rechts auf Gesundheit“ ist. Entgegen der landläufigen Ansicht wendet sich die UN-Menschenrechtsdeklaration keineswegs ausschließlich an die Völkergemeinschaft, sondern auch an den Einzelnen und an alle Organe der Gesellschaft (Präambel).
Dieser Appell an die Organe der Gesellschaft, die Menschenrechte nicht nur zu achten sondern auch zu fördern, schließt die aktive Umsetzung der Menschenrechte durch wirtschaftliche Akteure mit ein. Dass diese Sichtweise von den Vertretern der Vereinten Nationen durchaus geteilt wird, beweist nicht zuletzt der vom vormaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ins Leben gerufene Global Compact. In diesem Sinne liegt es nahe, auch die Pharmaindustrie als
Adressaten des Menschenrechts auf Gesundheit zu betrachten. Entsprechend sehen es zahlreiche Menschenrechtsorganisationen als Aufgabe der Pharmaindustrie, einen aktiven Beitrag zur Gesundheitsversorgung in den wirtschaftlich benachteiligten Ländern zu leisten. Dabei betreffen die Forderungen der NGOs vor allem drei Bereiche:

(1) Zum einen entzündet sich ihre Kritik an der Preis- und Marktpolitik der Pharmaunternehmen. Diese seien oft nicht bereit, Märkte mit Medikamenten zu versorgen, die aufgrund mangelnder Kaufkraft der Bevölkerung unrentabel erscheinen. Zum einen würden bereits vorhandene und benötigte Medikamente
nicht zu günstigeren Preisen an die entsprechenden Länder abgegeben. Zum anderen würden trotz steigendenBedarfs Medikamente für zahlreiche „Armutskrankheiten“ überhaupt nicht entwickelt, da es den Bedürftigen an nachfragewirksamer Kaufkraft fehlt.1

(2) Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Produktpolitik der Pharmaunternehmen,
die Neuentwicklungen rigoros durch Patente schützten und sich weigerten, einer auch für ärmere Länder tragbaren Lizenzpolitik zuzustimmen. So gaben zahlreiche NGOs in einer gemeinsamen „Berliner Erklärung“ vom 09.05.2007 ihrer Befürchtung Ausdruck, dass die von der WTO geplante Ergänzung des TRIPS-Abkommens2 diese Problemlage verschärfen würde. Medikamente, so ihre Argumentation, seien als „Öffentliches Gut“ zu betrachten; entsprechend
gelte es mindestens, durch kostengünstige Lizenzvergaben die Produktion der benötigten Medikamente in den Entwicklungsländern selbst zu ermöglichen3.

(3) Ein dritter Vorwurf bezieht sich auf die so genannte „Bio-Piraterie“. Hier steht insbesondere die 9. Naturschutzkonferenz der UN vom 19.-30. Mai 2008 in Bonn im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zwar ist es ein Beratungspunkt der geplanten Konferenz, zu klären, wie die biologischen Ressourcen stärker als bisher auch den Ursprungsländern zugute kommen können. Unklar ist jedoch, wie sich derartige Regelungen verbindlich im Völkerrecht verankern lassen. Kritiker befürchten, dass die künftigen Regelungen eher den Interessen der Pharmaindustrie Rechnung tragen werden als den Rechten der lokalen
Bevölkerung, und planen einen eigenen Gegengipfel (u.a. BUKO)4. Trotz der augenfälligen Plausibilität der Argumente scheint es schwierig, hieraus Handlungsempfehlungen für die Übernahme einer sozialen Verantwortung abzuleiten. So lässt sich zwar die Verantwortungszuweisung an die Unternehmen nachvollziehen, aber nur schwer begründen. Zudem scheint es fraglich, wie weit innerhalb eines marktwirtschaftlichen Systems die hier geforderten finanziellen Verpflichtungen reichen dürfen.

Prinzipiell sehen sich Unternehmen nur bedingt als Adressaten der UN-Menschenrechtsdeklaration. Während die Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder der Schutz der Umwelt als Aufgaben für viele Unternehmen unmittelbar einsichtig sind, werden Menschenrechte zumeist als Abwehrrechte verstanden. Allenfalls sei es Aufgabe der Untenehmen, Menschenrechtsverletzungen innerhalb ihrer Einflusssphäre zu vermeiden. Übersehen wird dabei, dass die UN-Menschenrechtsdeklaration auch kulturelle, ökonomische und soziale Anspruchsrechte beinhaltet.5 In diesem Sinne
lassen sich mindestens mittelbare Mitwirkungspflichten zur Umsetzung des Rechts auf Gesundheit für die Pharmaindustrie ableiten. Dies lässt sich auch philosophisch im Sinne der kantischen „unvollkommenen Pflichten“ begründen.6 Zum Wesen der unvollkommenen Pflichten gehört es, dass sie zwar ausgeübt werden müssen, die Form der Ausübung dabei jedoch gewisse Freiheitsgrade
offen lässt. Unternehmen müssen entscheiden, auf welche Weise und in welchen Bereichen sie tätig werden wollen und können. Dies bedeutet kein Wahlrecht des „ob oder ob nicht“, sondern bezieht sich auf die Entscheidungsfreiheit des Unternehmens, die nach Maßgabe der eigenen Ressourcen und Kompetenzen geeigneten Maßnahmen zu ergreifen.
Stellen sich Unternehmen glaubwürdig dieser Verantwortung, lassen sich so auch unbillige Forderungen seitens der NGOs zurückzuweisen. Die generelle Pflicht, einen positiven Beitrag zu erbringen, bleibt davon jedoch unberührt und kann – zumindest moralisch – eingefordert werden. Allerdings bedeutet die Pflicht des einen zur Hilfeleistung nicht per se auch ein Recht eines jeden
anderen auf diese Hilfe. In diesem Punkt unterscheidet sich das philosophische Argument von der Argumentation der Menschenrechtserklärung. Dass Unternehmen der Pharmaindustrie derartige Verpflichtungen faktisch anerkennen, belegen zahlreiche Beispiele. Als einer der Vorreiter bei der Übernahme sozialer Verantwortung darf hier wohl das US-amerikanische Unternehmen Merck Sharpe & Dohme (MSD) gelten: Als Forscher des Unternehmens 1978 den Wirkstoff Ivermectin entdeckten, ergab sich für das Unternehmen ein moralisches Dilemma: Einerseits versprach der Wirkstoff Heilung von der vor allem in Afrika auftretenden „Flussblindheit“ (Onchozerkose); andererseits stand nicht zu erwarten, dass sich eine millionenschwere Investition in diesem Bereich bezahlt machen würde. Dennoch entschied sich MSD für die Fortführung der Forschung und brachte 1987 das Medikament Mectizan auf den Markt. Seit 1987 liefert MSD das Medikament kostenlos an die Patienten aus. Bisher wurden von MSD gemeinsam mit Partnern wie der WHO, UNICEF, der Weltbank oder der Christoffel
Blindenmission 1,8 Mrd. Dosen Mectizan im Gegenwert von 2,7 Mrd. USD verteilt.7

Ähnlich sieht sich auch das Schweizer Unternehmen Novartis zur Entwicklung nicht marktfähiger Medikamente verpflichtet. Allerdings geht das Unternehmen einen Schritt weiter: Novartis verpflichtete sich im Rahmen des Global Compact explizit auf die Förderung des Rechts auf Gesundheit und betrachtet es als seine Aufgabe, die Gesundheitsversorgung in den ärmeren Ländern auch durch Gesundheitsprojekte zu unterstützen. Ein Beispiel ist der Aufbau einer „Krankenversicherung“ in Mali. Für zwei USD p.a. erhalten Versicherte Schutzimpfung, ambulante medizinische Versorgung und Kostenermäßigung bei Medikamenten. Ziel ist es, auch die Eigenverantwortung und das Bewusstsein für Gesundheitsrisiken zu stärken.8
Auch bei der Begegnung des Vorwurfs der „Bio-Piraterie“ erwies sich MSD als Vorreiter: 1991 schloss das Unternehmen einen Vertrag mit INBio, einem Privatinstitut in Costa Rica zum Erhalt des Regenwalds; Merck zahlt fünf Prozent der Einnahmen aus allen Produkten, die aus Pflanzen und Tieren von Costa Rica gewonnen werden, an INBio und eine Mio. USD für das Recht, auf Costa Rica forschen zu dürfen. Trotz aller Kritik (fehlende Zustimmung der Bevölkerung, Eigentumsfragen etc.) stellt dies einen ersten Versuch zur Kompensation von Eigentumsrechten dar, der über die rein rechtlichen Bestimmungen hinausgeht.9
In wie weit dieses Engagement jedoch ausreicht, um vor den Augen einer kritischen Öffentlichkeit als glaubwürdige Übernahme sozialer Verantwortung zu bestehen, bleibt offen. Jedoch belegt die faktische Anerkennung des Rechts auf Gesundheit oder der mittelbaren Eigentumsrechte an potenziellen Nutzpflanzen, dass die Übernahme sozialer Verantwortung nicht nur seitens der Öffentlichkeit erwartet wird, sondern zumindest in Teilbereichen seitens der Pharmaunternehmen praktiziert wird.

Ansprechpartner:
Universität Kassel
Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensethik
Prof. Dr. Michael Aßländer / Rigo Seidel
Telefon +49 (561) 804 3857
asslaender@uni-kassel.de
Quellen:
1 Vgl. Gebauer, Thomas (2007): „Warum Patente krank machen“. In: Pharmazeitung 2007, medico international, Frankfurt a, M., http://www.medico-international.de/kampagne/gesundheit/
downloads/pharmazeitung2007.pdf, Abruf 2008-01-12.
2 1994 im Rahmen der Uruguay-Runde den GATT-Bestimmungen hinzugefügt: Agreement on Trade-Related
Aspects of Intellectual Property Rights.
3 Vgl. medico international. http://www.medico-international.de/kampagne/gesundheit/erklaerung.asp,
Abruf 2008-01-17.
4 Vgl. BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie. http://www.biopiraterie.de/index.php?id=348, Abruf 2008-01-07.
5 Vgl. Leisinger, Klaus M. (2006): One business’ commitment to society, in The McKinsey Quarterly, 3/2006,
S. 104.
6 Vgl. Kant, Immanuel (1991): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. In: Werkausgabe in 12 Bdn., Bd. 7,
Frankfurt a. M., BA 57.
7 Vgl. MSD homepage. http://www.msd.de/uebermsd/vera/arch/nl_071126_00020.html,
Abruf 2008-01-17.
8 Vgl. u.a. Schulze, Alexander: Die Zugangsinitiative in Mali, http://www.novartisstiftung.org/mandant/apps/
publication/detail.asp?MenuID=148&ID=218&Menu=2&Item=5.3&pub=128, Abruf 2008-01-19.
9 Richard T. De George (1995): Business Ethics. Englewood Cliffs 1990, S. 534 ff. Kritisch hierzu:
Knirsch, Jürgen: Business und Biodiversität – Costa Rica und die Morgenröte der Biotechnologie.
In: Lateinamerika Nachrichten Nr. 281/1997, http://www.lateinamerikanachrichten.de/?/artikel/ 2386.html.

abgelegt unter:
Editorial

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Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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