hkk-Studie: Polypharmazie und Übermedikation sind Seniorenprobleme
So stieg die Zahl der Meldungen im Zeitraum von 2004 bis 2016 nach Angaben der hkk von 2.200 auf 4.000. Insgesamt waren 35 Prozent aller hkk-Versicherten, denen 2015 Arzneimittel verschrieben wurden, betroffen. Die hkk Krankenkasse hat vor diesem Hintergrund Dr. Bernard Braun vom Bremer Institut für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung (BIAG) mit einer erneuten Untersuchung beauftragt. Dabei standen folgende Fragen im Vordergrund: Wie viele der hkk-Versicherten werden polypharmazeutisch behandelt? Welche Patienten sind überwiegend betroffen? Welchen Risiken sind die Betroffenen ausgesetzt und was kann getan werden, um diese zu verringern und unnötige Medikamenteneinnahmen zu vermeiden?
Alter und potenziell inadäquate Medikation (PIM)
Die sogenannte PRISCUS-Liste soll die Arzneimitteltherapie von älteren Patienten sicherer machen, indem sie hilft, möglicherweise ungeeignete Medikamente, Wechsel- und Nebenwirkungen zu vermeiden. Dennoch erhielten 18,6 Prozent der hkk-Versicherten ab 65 Jahre Medikamente, die demnach potenziell inadäquat sind. Bei den am häufigsten verordneten Medikamenten handele es sich um hoch wirksame, beruhigende sowie schlaffördernde oder stimmungsaufhellende Mittel, so Braun. Bei Dauereinnahme einiger dieser Arzneimittel drohten Beeinträchtigungen der Lebensqualität und Abhängigkeit. Vielen Patienten könnte beispielsweise mit natürlichen Mitteln wirksam und nebenwirkungsärmer geholfen werden.
Medikationsplan als „erster Meilenstein"
Die Sicherheit der Arzneimitteltherapie spiele insbesondere bei der Behandlung von multimorbiden Patienten noch immer eine untergeordnete Rolle. Dies müsse sich dringend ändern, fodert Dr. Christoph Vauth (Leiter des hkk-Versorgungsmanagements). „Es geht nicht nur um die Anzahl der Medikamente. Vielmehr muss für Arzt und Patient Transparenz über die Vielzahl der unterschiedlichen Medikamente geschaffen werden, damit unerwünschte Wechselwirkungen vermieden werden können. Der neue Medikationsplan, den Patienten von ihren Ärzten erhalten können, ist aber nur ein erster wichtiger Meilenstein."
Fehlendes Problembewusstsein bei Patienten
Laut dem Gesundheitsmonitor der Bertelsmann-Stiftung von 2011 sind den meisten Polypharmazie-Patienten die Gefahren und Risiken einer Multimedikation nicht bewusst. Demnach sind nur 21 Prozent der Meinung, dass Ärzte zu oft Arzneimittel verordnen - bei älteren Betroffenen waren es noch weniger. 59 Prozent hielten es sogar für überflüssig, wenn der Arzt sich bemüht, Arzneimittel zu vermeiden. 72 Prozent der Patienten glauben zudem, dass alle ihre Ärzte einen genauen Überblick darüber haben, welche Medikamente die anderen Ärzte verschrieben haben. Dies ist jedoch normalerweise nicht der Fall.
Der Nachweis über den Nutzen des Medikationsplans, seiner Vollständigkeit sowie Korrektheit und damit des erhofften Nutzens im Arzneimittelalltag steht aber noch aus. Eine weitere Studie der hkk soll dazu im Laufe des Jahres 2017 erste Erkenntnisse liefern. Vauth: "Selbst wenn der Medikationsplan erfolgreich sein wird, muss er um weitere Maßnahmen ergänzt werden."
Weiterhin können nach Meinung der hkk folgende Maßnahmen zu mehr Arzneimitteltherapiesicherheit beitragen:
- Medizinische Leitlinien zur Behandlung multimorbider Patienten. Hinzukommen sollten außerdem Leitlinien über die Nichtverordnung bestimmter Arzneimittel bei Polypharmazie, wie sie z.B. in der PRISCUS-Liste festgehalten sind.
- Diese Leitlinien sollten den Ärzten zur Verfügung gestellt werden und fester Bestandteil von Fortbildungen werden, damit sie verlässlich im Versorgungsalltag ankommen.
- Ärzte sollten Verordnungen ohne Leitlinienabsicherung regelmäßig prüfen und das Verordnungsgeschehen mit dem von Fachkollegen vergleichen (z.B. in speziellen ärztlichen Qualitätszirkeln zum Thema Polypharmazie).
- Ärzte sollten entweder ihre eigenen Dokumentationssysteme über Verordnungen nutzen, um Transparenz über ihr Polypharmaziegeschehen zu gewinnen oder Krankenkassen sollten ihnen entsprechende Übersichten im Vergleich zu allen regionalen Ärzten zur Verfügung stellen.
- Hausärzte sollten für Polypharmazie-Patienten ausreichend Zeit aufbringen, um so Anzahl und Art von Arzneimitteln auf das notwendige Maß zu reduzieren und Wechselwirkungen zu vermeiden.
- Pharmazeutische Beratung durch die Krankenkassen auf Basis der Patientenquittung über alle verschriebenen Medikamente.