Im Spannungsfeld zwischen Patientenwille und Ökonomie
Die Berufsordnung der Bundesärztekammer gibt einen Rahmen für ärztliches Handeln vor: Zu den dort genannten ärztlichen Werten zählt die Achtung des Patientenwohls und -willens ebenso wie Gerechtigkeit und Kollegialität. Der jetzt vorliegende Ethikkodex für die Augenheilkunde soll diesen Rahmen speziell für diesen Fachbereich konkretisieren. Bereits die Frage, was unter einer angemessenen Diagnostik und Therapie zu verstehen ist, stellt sich in der augenärztlichen Praxis täglich neu und muss im Gespräch mit dem Patienten oder der Patientin geklärt werden. „Der Respekt vor dem Patientenwillen und der Patientenautonomie ist die wichtigste Richtschnur augenärztlichen Handelns“, sagt Professor Dr. med. Gerd Geerling, Präsident der DOG. Von zentraler Bedeutung sei es daher, ergebnisoffen, ehrlich und transparent über diagnostische und therapeutische Möglichkeiten aufzuklären. Dabei sei es auch zu respektieren, wenn eine Behandlung nach Aufklärung über Nutzen und Risiken abgelehnt werde.
Der Patientenwille sei allerdings nicht der einzige Maßstab dafür, wo Unterversorgung einerseits und Überversorgung andererseits beginnen. Behandlungswünsche finden prinzipiell dort ihre Grenze, wo ihnen „ärztliches Gewissen oder ein Mangel an gesellschaftlichen Ressourcen entgegenstehen“, wie es im Kodex von DOG und BVA heißt. Zu diesen Ressourcen zählen auch die Behandlungskapazitäten der Augenärztinnen und Augenärzte selbst. „Aufgrund des demographischen Wandels nimmt die Zahl ophthalmologischer Patientinnen und Patienten seit Jahren zu“, sagt Dr. med. Peter Heinz, erster Vorsitzender des BVA. „Mit Blick auf die Altersstruktur ophthalmologisch tätiger Ärztinnen und Ärzte ist dagegen absehbar, dass deren Zahl in den kommenden Jahren eher abnehmen wird.“ Der Kodex ruft daher nicht nur zur eigenen kontinuierlichen Fort- und Weiterbildung, sondern auch zum Engagement in Forschung und Lehre. Nur so könne die Weiterentwicklung des Fachs gewährleistet und – über die Ausbildung des augenärztlichen Nachwuchses – die Versorgung zukünftiger Patientinnen und Patienten sichergestellt werden.
Auch ökonomische Überlegungen spielen im ärztlichen Alltag eine Rolle. Das ist im Hinblick auf die einzelne Praxis legitim, im Hinblick auf die gesellschaftlichen Kosten sogar geboten. „Patientinnen und Patienten darf aber durch eine Überbewertung ökonomischer Kriterien kein Schaden entstehen“, heißt es im Kodex. Vor diesem Hintergrund sehen DOG und BVA auch das Vordringen von primär renditeorientierten Investoren im niedergelassenen Versorgungsbereich kritisch. „Hier besteht zunehmend die Gefahr, dass den Patientinnen und Patienten vermehrt nur noch lukrative Behandlungen angeboten werden, während Basisversorgung, welche die geforderte Rendite nicht erwirtschaften kann, leidet“, so Heinz. Das widerspreche sowohl dem Gebot der Kollegialität als auch dem Gebot, die Augenheilkunde in ihrer gesamten Breite zu erhalten und am Erhalt eines qualitativ hochwertigen Gesundheitssystems mitzuwirken - auch dies Forderungen aus dem Kodex.
„Zukünftig muss auch die ökologische Nachhaltigkeit eine größere Rolle im Behandlungsalltag der Augenärztinnen und Augenärzte einnehmen“, betont Geerling. Nur, wenn die zur Verfügung stehenden Ressourcen nachhaltig und verantwortungsbewusst eingesetzt werden, können zukünftige Generationen von Augenärzten sowohl zum eigenen wie auch zum Wohl der Patienten arbeiten.
Neben der Zahl der Patientinnen und Patienten nimmt auch die Komplexität der ophthalmologischen Behandlung stetig zu: Das hochtechnisierte Fach entwickelt sich rasch weiter, und mit den augenärztlichen Möglichkeiten steigen auch die Ansprüche der Patienten. „In der Praxis haben wir es zudem mit immer älteren Patienten zu tun, die oft mehrere Begleiterkrankungen haben und eine Vielzahl von Medikamenten benötigen“, sagt DOG-Präsident Geerling. All diese Faktoren gelte es bei Therapieentscheidungen zu berücksichtigen. Schließlich werde auch in der Augenheilkunde nicht nur das Auge betreut, sondern immer der ganze Mensch.
Literatur: