"Kanada-Studie" soll erhebliche methodische Mängel ausweisen
Die Autoren sehen die bislang als am "aussagekräftigsten" gehandelte Studie als ein Beispiel, wie im vergangenen Jahrzehnt die Evidenz im Bereich des Brustkrebsscreenings systematisch verzerrt wurde. Die Analyse von Heywang-Köbrunner, Katalinic et al., kürzlich erschienen in der Fachzeitschrift European Radiology, weise auf die Notwendigkeit einer ausgewogenen wissenschaftlichen Diskussion zu Nutzen und Schaden des Mammographie-Screenings hin. Denn gerade der "Kanada-Studie" sei aufgrund der Reviews von Gøtzsche vom Nordic Cochrane Institute ein besonders hoher Wert zugeschrieben worden. Nach einer systematischen Literaturrecherche kommen Heywang-Köbrunner und Katalinic zu dem Schluss, dass die "Kanada-Studie" gravierende Defizite im Randomisierungsprozess und Testverfahren aufzeige. Bereits zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung dieser Studie in 1992 hätten Qualität, Randomisierung und Design der Studie eine große Debatte in der Wissenschaft ausgelöst. Die Autoren machen ihre Kritik an mehreren Punkten fest. Zum einen führen Heywang-Köbrunner und Katalinic mangelhafte Bildqualität, fehlendes Training und fehlende Qualitätssicherung in der mammographischen Erstellung sowie Befundung an. Die Mammographiequalität sei vom zuständigen Physiker als "weit unter damaligem Standard" bewertet worden. Während der Studie hätten die beiden radiologischen Berater der Studie wegen unüberwindbarer Qualitätsdefizite ihr Amt niedergelegt. Die Interpretation von Bildern mit den in der Literatur zu dieser Studie genannten Qualitätsmängeln sei nach Aussage der Erstautorin in Deutschland nicht zulässig, auch wenn die später eingeführte Qualitätskontrolle gegen Ende der Studie Verbesserungen gezeigt habe.
Ein weiterer Kritikpunkt sind nach Auffassung der Autoren Fehler in der Auswahl der Studienteilnehmerinnen und im Randomisierungsverfahren, die eine Zufallsverteilung zwischen Studien- und Kontrollgruppe garantieren müssten. Schon die Zusammensetzung der untersuchten Gruppen stütze den Verdacht, dass kein Screeningkollektiv untersucht wurde, sondern großenteils Frauen mit Beschwerden. Demnach seien 68 Prozent der eingeschlossenen Karzinome bereits tastbar gewesen. Die Testung dieser Frauen sei jedoch für die Nutzenbewertung eines Krebsfrüherkennungsprogramms prinzipiell ungeeignet. Auch könne das im Studienhandbuch dokumentierte Vorgehen die für eine korrekte Randomisierung unverzichtbare Blindung nicht garantieren. In der ersten Runde der Randomisierung seien dann auch 19 von 24 Karzinomen in fortgeschrittenem Stadium der Mammographie-Gruppe zugeordnet worden, jedoch nur 5 der Kontrollgruppe. Vor allem die für eine Zufallsverteilung sehr unwahrscheinliche, ungleiche Verteilung dieser weit fortgeschrittenen Stadien (Karzinome mit mehr als 4 befallenen Lymphknoten) in der Startrunde (Prävalenzrunde) der Frauen unter 50 Jahre sei signifikant. Späte Stadien von Karzinomen haben aber einen gravierenden Einfluss auf die Beurteilung der Mortalitätsreduktion und die Kalkulation von Überdiagnosen. Die Autoren betonen, dass die in der "Kanada-Studie" vorgenommene Selektion der Studienteilnehmerinnen (ca. 10% der Bevölkerung, extrem hoher Anteil an Tastbefunden) einer Screeningstudie widerspreche. Denn laufende Screening-Programme sind bevölkerungsbezogen und richten sich an asymptomatische Frauen. Aufgrund der im Design festgestellten Probleme (Randomisierung nach der klinischen Untersuchung am Studienzentrum, fehlende Garantie der Blindung bei dezentraler Randomisierung) erfülle die Studie nach Einschätzung der Autoren nicht die für eine evidenzbasierte Analyse zu fordernden Voraussetzungen.
Zusammenfassend halten die Autoren fest, dass "Äpfel mit Birnen verglichen" werden, wolle man das Setting der "Kanada-Studie" mit den modernen qualitätsgesicherten Screening-Programmen vergleichen. Denn in ihnen unterliege im Gegensatz zur "Kanada-Studie" die Ausbildung des Personals, die Bilderstellung, die Befundung und auch das Vorgehen bei der Abklärung auffälliger Befunde einer strengen Qualitätssicherung. Neue Ergebnisse aus diesen qualitätsgesicherten Screeningprogrammen berichten eine Mortalitätsreduktion um bis zu 40 Prozent. Führen Kritiker die Daten der ""Kanada-Studie"" dennoch als Argument gegen das Mammographie-Screening ins Feld, werde die tatsächliche Beweislage verzerrt. Zudem werde ein wichtiger Teil der Ergebnisse für die heutigen, mit moderner Technik und Qualitätssicherung durchgeführten Screening-Programme ignoriert. Die von Screeningkritikern vorgebrachte Alternative zum Screening, nämlich "warten bis der Krebs tastbar ist", führe zur Entdeckung in späten Stadien, verbunden mit der Notwendigkeit aggressiverer Behandlungen einschließlich Chemotherapie, häufigerer Achselhöhlenausräumung und schlussendlich zu schlechteren Überlebenschancen.
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