Kinder, Karriere, Corona-Koller: Frauen leiden seelisch mehr
Auf Platz eins der häufigsten seelischen Leiden im ersten Corona-Jahr liegen depressive Episoden mit rund 417.000 attestierten Fehltagen bei Frauen und 212.000 Krankheitstagen bei Männern. Es folgen Anpassungsstörungen (Frauen rund 416.000 Tage, Männer rund 159.500 Tage), wiederkehrende Depressionen (Frauen rund 222.000 Tage, Männer rund 95.000 Tage) sowie chronische Erschöpfung und Burnout (Frauen rund 165.500 Tage, Männer rund 68.000 Tage).
Die durchschnittlich längste Fehlzeit pro Arbeitnehmer registriert die KKH aufgrund von Depressionen: Bei den Frauen im Schnitt 96,4 Tage, bei den Männern rund 95 Tage. Das sind mehr als 40 Prozent der Arbeitszeit, geht man abzüglich Wochenenden, Feiertagen und Urlaub durchschnittlich von 220 Arbeitstagen im Jahr aus. Tendenz steigend: Denn 2020 sind Frauen im Bundesdurchschnitt knapp vier Tage und Männer fast fünf Tage länger wegen psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig gewesen als noch im Jahr zuvor.
Der Spagat zwischen Arbeit, der Betreuung von Kindern und pflegebedürftiger Angehöriger gehören zu den Gründen, warum Frauen seit der Krise psychisch mehr beansprucht seien als Männer, erläutert KKH-Wirtschaftspsychologin Antje Judick. Zwar habe die Doppelbelastung von Familie und Beruf wegen des immer noch vorherrschenden klassischen Rollenbilds Frauen auch schon vor der Pandemie seelisch stärker gefordert. Seit Corona habe sich das Problem allerdings noch verschärft: „Kleine Kinder müssen neben der Arbeit im Homeoffice beaufsichtigt und ältere Kinder im Homeschooling betreut werden, während im Job Bestleistungen gefordert sind. Fehlende Lösungsmöglichkeiten erhöhen den Druck zusätzlich.“
Ein weiterer Faktor ist, dass mehr Frauen in sozialen Berufen etwa als Kranken- und Altenpflegerinnen sowie in Branchen mit viel Menschenkontakt beschäftigt sind, zum Beispiel im Verkauf. In diesen Bereichen ist die Belastung durch Corona besonders hoch“, sagt Antje Judick. Aber auch an den Männern geht die Krise nicht spurlos vorbei: Die Krankheitsdauer, die seit Corona deutlicher angestiegen ist als bei Frauen, deutet auf mehr langwierigere, schwerere Krankheitsfälle hin. „Die Belastung bei Männern ist aber häufig anders gelagert“, erläutert Judick. Sie stünden weniger wegen der Doppelbelastung von Familie und Beruf, sondern seit der Pandemie vor allem wegen Existenzängsten durch Insolvenz und Arbeitsplatzverlust unter Dauerstress.