Kopfpauschale durch die Hintertür?
Alle Jahre wieder: Ob AOK-Chef Dr. Herbert Reichelt oder Birgit Fischer, Vorstandsvorsitzende der Barmer BEK, ob Ingo Kailuweit, Chef der KKH-Allianz, oder Doris Pfeiffer, Chefin des GKV-Spitzenverbandes, - sie alle sehen für das nächste Jahr schwarz für die Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherung: 11 Milliarden Euro fehlen. Deshalb fordern sie unisono und nachdrücklich die Politik zum sofortigen Handeln - sprich, natürlich zum Sparen auf. Was sonst?
Und so sparen sie denn wieder. "Sie" - das sind diesmal die Gesundheitspolitiker Jens Spahn (CDU) und Dr. Rolf Koschorrek (CDU). Jens Spahn hat im münsterländischen Städtchen Ahaus Abitur gemacht und eine Banklehre in Münster absolviert. Er ist gerade 30 geworden und schon gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU. Dr. Koschorrek ist immerhin gestandener Zahnarzt und Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss. Den beiden Gesundheitsexperten hatten die Spitzen der Koalition aufgetragen, vier Milliarden (!) Euro an Einsparungen im Gesundheitswesen zu identifizieren und sie dem Koalitionsausschuss vorzutragen.
Keine leichte Arbeit für die beiden, aber auch nicht allzu schwer. Man muss natürlich ein bisschen mit Millionen jonglieren können, und man muss die "Verursacher" der Ausgaben im Gesundheitswesen kennen, als da wären: die Arzneimittelindustrie, die Krankenhäuser, die Ärzte, der pharmazeutische Großhandel und die Apotheken. Dann muss man nur noch die einzusparenden vier Milliarden möglichst gleichmäßig auf alle Gruppen verteilen - fertig. Wenn alle sich beklagen, hat man es richtig gemacht.
Erinnern wir uns: Die Krankenhäuser schieben einen dringend benötigten Investitionsbedarf von mehr als 50 Milliarden Euro vor sich her, am Personal wird seit Jahren ebenso gespart wie an den Vergütungsstrukturen für die Pflegekräfte. Und nicht wenige Patienten rümpfen die Nase über einen Mangel an Sauberkeit in ihren Zimmern - auch dies sichtbarer Ausdruck von Sparmaßnahmen. Jetzt sollen die Krankenhäuser auf Vorschlag der beiden Experten noch einmal 850 Millionen im Jahr einsparen. Dabei steigen die Kosten der Kliniken zwangsläufig: Gerade erst hat man, nach Jahren der Blockade, den Krankenhausärzten endlich eine angemessenere Vergütung zugestanden. Wo da noch gespart werden soll, weiß niemand.
Doch - Jens Spahn weiß es: "In den Ballungsräumen haben wir eher zu viele als zu wenige Krankenhäuser". Das hat er in einem Interview dem "Ärzteblatt" gesagt. Wieder eine dieser vordergründig griffigen Aussagen eines Gesundheitspolitikers, doch deshalb muss sie nicht richtig sein. Wenn es denn stimmt, dass eine dramatische Überalterung der Gesellschaft vor uns liegt - und nur deshalb gibt es ja die ganzen Diskussionen um eine krisenfestere Zukunft der Sozialsysteme -, dann werden immer mehr Menschen immer älter. Und ab einem Alter von 60 Jahren steigt der Patientenanteil im Krankenhaus dramatisch an - nachzulesen in der Gesundheitsberichterstattung des Bundes auf gbe-bund.de. Weniger Krankenhäuser also? Das ist - auf die Zukunft bezogen - töricht, falsch und gefährlich.
Oder nehmen wir die niedergelassenen Ärzte: Die Hälfte ihres Einkommens haben die Mediziner in den letzten 20 Jahren inflationsbereinigt verloren. Das hat das Hamburger Institut Statista in einem umfangreichen Gehaltsreport im Auftrag der Zeitschrift "Stern" ermittelt. Die Folgen sind sichtbar: aussterbende Arztpraxen auf dem Lande, Exodus der Ärzte in Länder, die ihre Arbeit höher schätzen, und Flucht in die Industrie. Hinzu kommt die wachsende Zahl älterer Ärzte, die in Pension gehen. Der Ärztemangel in Deutschland ist also vorprogrammiert.
Doch die beiden Gesundheitsexperten schlagen vor, den gerade erst vereinbarten, dringend notwendigen Honoraranstieg zur Hälfte wieder zu kassieren. Das soll 500 Millionen einsparen. Damit löst man den Ärztemangel auf dem Lande sicher nicht auf. Wo die Ärzte bluten sollen, dürfen die Apotheker nicht fehlen. Das ist man der Gerechtigkeit schuldig. Für den enormen Mehraufwand in den Apotheken für die Verwaltung der von allen Beteiligten - außer den Krankenkassen - ungeliebten Rabattverträge für Generika hat man gerade den Apotheken einen Kostenersatz zugestanden. Den wollen die Krankenkassen jetzt wieder kassieren.
Das ist noch nicht alles: 150 000 verschiedene Arzneimittel und Gesundheitsprodukte werden in Apotheken an Patienten und Kunden abgegeben. Die kann eine Apotheke nicht alle vorrätig halten. Sie muss beim Großhandel bestellen. Der logistische Aufwand ist enorm. Apotheken bekommen für kluge und rationelle Bestellungen beim Großhandel einen Rabatt. Das ist in jedem Wirtschaftszweig üblich. Viele Apotheken können ohne diesen Rabatt nur schwer überleben. Die Gesundheitspolitiker Spahn und Koschorrek schlagen vor, diese Rabatte den Apotheken abzunehmen und sie den Gesetzlichen Kassen zu geben - ohne Gegenleistung natürlich. 400 Millionen soll das bringen.
Dass Arzneimittel Geld kosten, ist nicht neu. Neu ist, dass hochwirksame, biotechnisch entwickelte Medikamente für bestimmte Krankheiten aufgrund immenser Forschungskosten so teuer sind, dass kleine Krankenkassen pleitegehen können, wenn sie nur zwei oder drei Patienten mit einer dieser extrem seltenen Krankheiten unter ihren Versicherten haben. Unter den Medikamenten sind diese Arzneimittel denn auch die größten "Kostentreiber" - so heißen sie bei den Krankenkassen. Und Kostentreiber muss man "killen". Das weiß jeder Manager. Also plant Gesundheitsminister Rösler, dass die Arzneimittelhersteller in Zukunft über Preise für neue Arzneimittel verhandeln müssen, statt sie einfach festzulegen. Das hört sich gut an, doch wer garantiert, dass Hersteller, um den in ihren Augen "richtigen" Preis durchzusetzen, nicht vorher den Rabatt auf den Verhandlungspreis aufschlagen? Schließlich sind Arzneimittelhersteller auch Wirtschaftsunternehmen. Und wirklich innovative Arzneimittel sind einzigartig - Vergleichspreise gibt es nicht.
Doch gespart werden muss. Und so wird zum 1. August auch ein "Arzneimittel-Sparpaket" mit einem Preisstopp für Medikamente und einem Zwangsrabatt für Arzneimittelhersteller auf den Weg gebracht. Was es bringen soll? 1,2 Milliarden, 1,5 Milliarden, 2 Milliarden - so genau weiß es keiner. Zahlen sollen allerdings alle Hersteller, ganz gleich, ob sie forschen oder nicht.
Doch alles Zwangssparen reicht hinten und vorne nicht. Sieben Milliarden fehlen immer noch. Und die müssen die Versicherten wohl alleine aufbringen. Mit einer "Gesundheitsprämie", einer "Kopfpauschale" oder einem "Zusatzbeitrag". Ganz gleich, wie auch immer die Belastung heißen wird - mit 20 Euro pro Monat muss man sicher rechnen. Doch das wird erst der Anfang sein. Genaueres wird man im Juli erfahren. Übrigens - 8,9 Milliarden Euro gaben die Krankenkassen netto im Jahre 2009 für ihre Verwaltungskosten aus. Trotz aller Fusionen. Von Sparen keine Rede.
08.07.2010