Künstlicher Kostendruck erschwert kardiologische Versorgung
„Die Kardiologie gehört zu jenen Fächern der Medizin, die in den vergangenen Jahren die erfreulichsten Erfolge verbuchen konnten. Die Sterblichkeit nach einem Herzinfarkt ist während der letzten Jahrzehnte deutlich gesunken, neue interventionelle Verfahren wie die TAVI oder der Mitraclip ermöglichen die sichere Behandlung auch sehr kranker Patienten. Allerdings gibt es von genau diesen immer mehr“, so Prof. Dr. Stephan Felix (Greifswald), Präsident der 81. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, bei der von 8. bis 11. April in Mannheim 8.500 aktive Teilnehmer aus 25 Ländern zusammentreffen. „Das hat einerseits mit dem zunehmenden Alter der Bevölkerung zu tun, andererseits aber auch damit, dass Akutereignisse wie ein Herzinfarkt seltener zum Tod, dafür aber nicht selten zu einer bleibenden Schädigung des Herzens führen.“
Die Kardiologie bewege sich in einem besonderen Spannungsfeld zwischen Patientenversorgung, Gesundheitsökonomie sowie Forschung und Lehre, betont Prof. Felix: „Die Dimensionen sind gewaltig. Mit mehr als 2,5 Millionen Krankenhausfällen im Jahr 2012 stehen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems an erster Stelle bei den stationären Behandlungsfällen. Damit entsteht jedoch für die Kardiologie eine zwiespältige Situation. Einerseits wirkt sich der hohe Deckungsbeitrag der kardiologischen Kliniken auf die Wirtschaftsbilanz der Krankenhäuser sehr günstig aus.“ Gleichzeitig entstehe durch die Besonderheiten des deutschen Abrechnungssystems jedoch eine schwierige Lage, denn der Katalogeffekt im DRG-System bewirkt eine veränderte Bewertung identischer Leistungen.
Konkret bedeute das, so Prof. Felix: „Niedrig gehaltene Kosten der Kliniken innerhalb eines Jahres gehen im Folgejahr in die Kalkulation des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) ein und führen zwei Jahre später zu niedrigeren Pauschalen und damit höherem Kostendruck. Aufgrund rechnerischer Besonderheiten gibt es in diesem System Gewinner und Verlierer unter den Fächern. Die Kardiologie ist der größte Verlierer, sie gerät unter Druck, weil für identische oder verbesserte Leistungen im Vergleich zum Vorjahr geringere Erlöse erzielt werden.“
Verantwortlich dafür ist das System der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRGs). Dieses habe beispielsweise bei den Drug Eluting Stents, die heute für die meisten Herzinfarkt-Patienten die Therapie der Wahl darstellen, zu einem regelrechten Verfall der Vergütung geführt, rechnet Prof. Felix vor. Die Vergütung beruht auf ermittelten durchschnittlichen Kostenwerten und berücksichtigt nicht, ob es sich im Einzelfall um einen moderneren oder einen älteren Stent handelt.
Dieses Vorgehen lasse völlig außeracht, dass ständig neue Stents entwickelt werden, die oft auch nachweisbare klinische Vorteile mit sich bringen, kritisiert Prof. Felix: „Und die sind eben nicht billiger als die alten Modelle.“ Wie dramatisch sich solche Abwertungen auswirken können, zeigt zum Beispiel die Behandlung sehr schwer kranker Patienten (PCCL4) nach einem Herzinfarkt. Für die interventionelle Versorgung mit zwei Stents wurden 2014 nur mehr 53 Prozent der Summe erstattet, die 2013 für die gleiche Leistung bezahlt worden war.
Dieses System habe als Ziel, so der Experte, in Deutschland die Preise für stationäre Leistungen möglichst niedrig zu halten. Laut Daten der OECD liegt Deutschland beispielsweise bei den kaufkraftbereinigten Preisen von Koronarinterventionen auf dem vorletzten Platz der untersuchten Länder, weit hinter Österreich oder auch Portugal. Spitzenreiter bei den Preisen sind mit großem Abstand die USA.
Prof. Felix: „Die Gesundheitspolitik will den Preisverfall derzeit nicht stoppen. Die politischen Ziele heißen Marktbereinigung, Konzentration, Netzwerk- und Zentrenbildung. Kann man aber weiterhin so schnell die Produktivität steigern, wie es die Kosten-Erlös-Schere erfordert? Das bedarfsnotwendige Krankenhaus muss auch ohne Mengensteigerungen überleben können.“
Universitätskliniken in der Klemme
In einer ganz besonderen Situation befinden sich in diesem System die Hochschulkliniken, die nicht nur für Forschung und Lehre zuständig sind, sondern obendrein die Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen sowie extrem aufwändige und teure Fälle übernehmen müssen, betont Prof. Felix: „Hinzu kommt, dass der Anteil, den Hochschulkliniken an der Notfallversorgung übernehmen, überproportional ansteigt. Damit ergibt sich eine über Jahre zunehmende finanzielle Schieflage dieser Häuser. Zwar werden vom Bund erhebliche Mittel für Exzellenzuniversitäten und Gesundheitszentren zur Verfügung gestellt.“ Doch diese sind nicht für die Routineversorgung einzusetzen und deshalb keine Lösung des Problems. Die Zuführung von Bundesmitteln für die Forschung sei sehr sinnvoll. Dadurch werde das Strukturproblem der Hochschulmedizin aber nicht gelöst, betont Prof. Felix: „Es sind zusätzliche Mittel zur Finanzierung der Hochschulmedizin an allen Standorten zwingend notwendig, die zum Beispiel für Notfallmedizin, Extremkostenfälle, Hochschulambulanzen und Investitionen gebraucht werden.“ Dies sei unverzichtbar, um Hochleistungsmedizin zu erhalten, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Universitätsmedizin zu steigern und um den Druck, nicht vorgesehene Querfinanzierungen durchzuführen, zu vermeiden.“