Ohne Case Management keine Patientenorientierung
Renommierte Vertreterinnen und Vertreter aus dem deutschen und dem internationalen gesundheitspolitischen Umfeld nahmen am ersten Kongresstag des BMC-Kongresses 2015 zum Thema Patientenorientierung Stellung. Neben Gesundheitsminister Hermann Gröhe sprachen u. a. Prof. Dr. Erika Gromnica-Ihle, Prof. Dr. Dr. Martin Härter sowie Prof. Dr. Dr. Andreas Kruse. Der ehemalige KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Köhler berichtete darüber hinaus über seine Erfahrungen als Patient im deutschen Gesundheitssystem.
Gröhe: „Der Maßstab für alle Kompromisse ist der Patient.“
In seiner Eröffnungsrede verdeutlichte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, dass der Erhalt und Ausbau unseres leistungsstarken, solidarischen Gesundheitssystems nur zwischen den beiden Polen der Kostenkontrolle einerseits und der Beitragssatzautonomie der Krankenkassen andererseits gelingen kann. Jenseits aller Interessenkonflikte der Akteure müsse das Leitmotiv des Handelns immer die Frage sein: Was nützt dem Patienten? Vor diesem Hintergrund sprach er sich für mehr Patientenbefragungen und eine Stärkung der Versorgungsforschung aus. Erhebliche Verbesserungen für Angebote der Regelversorgung verspreche er sich aus dem Innovationsfonds, so Gröhe.
Köhler konstatiert, dass der Fokus der gemeinsamen Selbstverwaltung auf den Patienten etwas unscharf geworden sei
Der durch eine schwere Erkrankung zum „Perspektivwechsel“ gezwungene ehemalige KBV-Vorstand Dr. Andreas Köhler ließ in seinem persönlichen Erfahrungsbericht auch selbstkritische Töne anklingen. Zwar stimmte er Bundesminister Hermann Gröhe zu, dass das deutsche Gesundheitswesen enorm leistungsstark sei. Gleichwohl räumte er ein, dass der Fokus der gemeinsamen Selbstverwaltung auf den Patienten etwas unscharf geworden sei. Innovativ sei das System aus seiner Sicht vor allem im Bereich des medizinischen Fortschritts. Doch wir müssten uns dringend mit dem Fortschritt der Prozesse beschäftigen, so die Einschätzung Köhlers. Im Sinne der stärkeren Patientenorientierung gehöre dazu vor allem ein sektorenübergreifendes Case Management. Zudem sieht Köhler deutliche Defizite im Bereich der Versorgungsforschung.
Das derzeitige Vergütungssystem behindert Shared Decision Making, gaben 75 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rahmen einer TED-Umfrage an
Als Ansätze für mehr Patientenorientierung wurden Shared Decision Making, Patient Empowerment und Health Literacy diskutiert. Shared Decision Making wurde dabei als wichtiges Instrument betrachtet, um Patientenpräferenzen stärker zu berücksichtigen und Patienten eine aktivere Rolle im Behandlungsprozess zu geben. Jedoch ergab eine TED-Umfrage unter rund 300 Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitswesen, dass die derzeitige Vergütung der sprechenden Medizin diese Erkenntnis nicht widerspiegelt. So hatten 75 Prozent der Anwesenden die Einschätzung, dass Shared Decision Making durch das Vergütungssystem behindert wird. (Aussage: „Das jetzige Vergütungssystem behindert Shared Decision Making und Patient Empowerment.“ Antworten: „Stimme voll zu“ (46 %), „Stimme eher zu“ (29 %), „Stimme eher nicht zu“ (8 %), „Stimme überhaupt nicht zu.“ (14 %), „Kann ich nicht beurteilen“ (1 %))
Zurückhaltende Einschätzungen zum Erfolg des Innovationsfonds
Eines der Kernthemen des Bundesverbandes Managed Care stellt der Innovationsfonds dar. Ob dieser sich als nachhaltige Erfolgsgeschichte oder lediglich als Neuauflage der Anschubfinanzierung entwickelt, hängt aus Sicht des BMC letztlich von der konkreten Ausgestaltung der Kriterien für die Antragszulassung und die Mittelvergabe ab. Dies bestätigt auch das Meinungsbild, das im Rahmen der TED-Umfrage auf dem BMC-Kongress eingeholt wurde. Auf die Frage, wie sich der Innovationsfonds auf die Versorgung auswirken wird, antworteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eher zurückhaltend. Nur vier Prozent glauben, dass der Innovationsfonds die Versorgung nachhaltig verbessern wird, während 57 Prozent der Meinung sind, der Innovationsfonds werde lediglich punktuell positive Auswirkungen haben. Mehr als ein Viertel der Befragten ist sogar der Auffassung, der Innovationsfonds werde überhaupt keine relevanten Auswirkungen haben bzw. Innovationen sogar verhindern. (Aussage: „Der Innovationsfonds in seiner jetzt diskutierten Ausprägung …“ Antworten: „Wird die Versorgung nachhaltig verbessern“ (4 %), „Wird nur punktuell positive Auswirkungen haben“ (57 %), „Wird keine relevanten Auswirkungen haben“ (20 %), „Behindert Innovationen sogar eher“ (6 %), „Kann ich nicht beurteilen“ (13 %))