Stellungnahme der AWMF zu Interessenkonflikten
In einer kürzlich erschienenen, gemeinsamen Stellungnahme von Leitlinienwatch, Transparency International und MEZIS wird den Fachgesellschaften vorgeworfen, Interessenkonflikte in Bezug auf Kooperationsformen der Zusammenarbeit von Wissenschaft und kommerziellen Unternehmen der Gesundheitswirtschaft zu verharmlosen1. Dabei wird Bezug genommen auf die grundlegende Positionierung der AWMF2, die nicht kritisiert wird, sowie aktuelle Stellungnahmen zur Umsetzung konkreter Handlungsempfehlungen3,4.
In ihrer Stellungnahme anerkennen die unterzeichnenden Organisationen, dass eine Kooperation zwischen Angehörigen medizinischer Berufe und Industrie bei der Entwicklung neuer Behandlungsverfahren erforderlich ist. Dies generiert in unvermeidbarer Weise Interessenkonflikte auf Seiten der involvierten Personen. Ein interessenkonfliktfreier Zustand an dieser Grenzfläche könnte nur hergestellt werden, wenn auf jede Berührung oder Austausch verzichtet würde. Im Sinne der Weiterentwicklung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten ist dies kein erstrebenswerter Zustand, so dass es folglich darum gehen muss, die Sichtbarkeit von sekundären Interessen und den Umgang mit Interessenkonflikten durch ein verbindliches Regelwerk transparent zu machen. Dabei verkennen jedoch die drei unterzeichnenden Organisationen, dass Interessenkonflikte sich nicht nur durch Kooperationen mit der pharmazeutischen Industrie ergeben können. Die AWMF unterscheidet in Einklang mit internationalen Positionen zwischen direkten, finanziellen und indirekten Interessenkonflikten5.
Interessenkonflikte von Angehörigen medizinischer Berufe können im Bereich der Fortbildung, Kongressen und der Leitlinienarbeit sowie in Forschung und Entwicklung auftreten. Aufgabe der AWMF ist es, die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften dabei zu unterstützen, dort wo sich Interessenkonflikte nicht vermeiden lassen, diese transparent sichtbar zu machen und verbindliche Regeln im Umgang damit zu definieren.
Im Bereich der Fortbildung werden vor allem Kofinanzierungen von Kongressen durch die Veranstaltung von begleitenden Industrieausstellungen als potenziell Interessenkonfliktträchtig angesehen. Der von verschiedenen Seiten geforderte konsequente Verzicht auf diese Kofinanzierung wird nicht in jedem Fall gelingen. Daher existieren für viele der veranstaltenden wissenschaftlichen Gesellschaften, die die AWMF vertritt, mindestens auf mittlere Sicht kaum vermeidbare Interessenkonflikte, die einen offenen und klar geregelten Umgang zur Sicherung der wissenschaftlichen Neutralität erfordern. Hierfür hat die AWMF im Februar dieses Jahres in Abstimmung mit der Bundesärztekammer stringente Regeln zur Sicherung einer inhaltlich von Sponsoren unabhängigen Durchführung von Kongressen veröffentlicht: durch Offenlegung aller sekundären Interessen der Beteiligten und eine klare Trennung von Marketing und wissenschaftlichen Inhalten4.
Im Bereich der Leitlinienarbeit hat die AWMF bereits 2017 umfangreiche, verbindliche Regelungen etabliert6. Dabei erfolgt die Erklärung von sekundären Interessen sowie der Umgang mit Interessenkonflikten bei der Leitlinienerstellung nach einem klaren Regelwerk, das von der AWMF vorgegeben ist. Zudem hat die AWMF ein online-Portal etabliert, in welchem Wissenschaftler*innen ihre Interessenerklärungen verwalten sowie deren Bewertung und daraus folgende Konsequenzen dokumentiert werden können7. Dies ist international vorbildlich.
Im Bereich der Forschung und Entwicklung ergibt sich die Gefahr von Interessenkonflikten unvermeidbar durch die Zusammenarbeit zwischen forschender Medizin und forschender Industrie. Die vielfach monierte Tatsache der industriedominierten Studienprotokolle und Datenverwertungen wird auch von der AWMF kritisiert; sie wird sich langfristig nur durch einen niederschwelligeren Zugang zu öffentlicher Finanzierung von klinischer Forschung korrigieren lassen. Die existierenden Programme öffentlicher Fördergeber sind derzeit nicht ausreichend, um den Bedarf an IITs (investigator initiated trials) zu finanzieren. Auch hier hilft daher derzeit nur ein transparenter Umgang mit den Interessenkonflikten, die sich angesichts der aktuellen Förderlandschaft mittelfristig kaum vermeiden lassen. Ergänzend sind unbedingt Initiativen zu unterstützen, welche die Vermeidung von potentiellen Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die Durchführung klinischer Studien und die Verfügbarkeit von Studienergebnissen verfolgen8.
Fazit: Interessenkonflikte zwischen wissenschaftlicher Medizin und Industrie sind im Sinne der Weiterentwicklung der medizinischen Therapien nicht immer vermeidbar. Die AWMF sieht ihre Aufgabe darin, Regelwerke für die Schaffung von Transparenz in Bezug auf das Vorliegen sekundärer (direkter finanzieller und indirekter) Interessen und den Umgang mit existierenden Interessenkonflikten zu definieren. Maximalforderungen oder gar eine unterschwellige Kriminalisierung helfen dabei nicht, da sie dort, wo eine Kooperation zwischen Medizin und Industrie notwendig ist, eine offene Kontaktnahme behindern. Dabei gilt, dass der Umgang mit Interessenkonflikten immer wieder neu beleuchtet und gegebenenfalls gesellschaftlichen Veränderungen angepasst werden muss. Die AWMF arbeitet daher stets an einer kontinuierlichen Weiterentwicklung ihrer Empfehlungen und Regelungen im Austausch mit nicht-kommerziellen Akteuren im Gesundheitswesen. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Nutzen für die Patientinnen und Patienten auf Basis der evidenzbasierten Medizin.
[1] Transparency International Deutschland e.V.: Deutsche medizinische Fachgesellschaften verharmlosen Interessenkonflikte. Gemeinsame Stellungnahme von MEZIS, Leitlinienwatch und Transparency Deutschland. Verfügbar: https://www.transparency.de/fileadmin/Redaktion/Aktuelles/2022/22-03-02_Stellungnahme_und_Hintergrund_zu_AWMF_MEZIS-TI-LLW__1_.pdf
2 Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Aktivitäten wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften –Fassung vom 10. November 2017.Verfügbar: https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/AWMF-Publikationen/20171110_AWMF_Empfehlungen_zu_Interessenkonflikten__V2.2_f.pdf
3 AWMF: Die Kooperation Medizinischer Wissenschaften und Industrie. Verfügbar: https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Stellungnahmen/Resolution_Forderungen/202111_Papier_Industrie-Kooperation.pdf
4 Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
(AWMF e.V.) zur Qualitätssicherung wissenschaftlich basierter Fortbildungen und Transparenz
möglicher Interessenkonflikte sowie Sicherung einer von Sponsoren unabhängigen
Durchführung von Kongressen. Verfügbar: https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Stellungnahmen/Resolution_Forderungen/202202_AWMF_Papier_Sponsoring_final.pdf
5 Guidelines International Network: Principles for Disclosure of Interests and Management of Conflicts in Guidelines. Ann Intern Med 2015, 163(7):548-53. Verfügbar: https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/M14-1885?articleid=2450219
6 Siehe https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/AWMF-Regelwerk/02_20180117_AWMF-Regel_Interessenkonflikte_V2.4.pdf
7 Siehe https://www.awmf.org/leitlinien/interessenerklaerung-online.html
8 Müller W. AWMF unterzeichnet Petition "All Trials Registered - All Results Reported". GMS Mitt AWMF. 2013;10:Doc16. DOI: 10.3205/awmf000289, URN: urn:nbn:de:0183-awmf0002890. Verfügbar: http://www.egms.de/en/journals/awmf/2013-10/awmf000289.shtml. Siehe auch Website der Initiative: https://www.alltrials.net/