Wann ist Heilung Heilung?
Die Nutzenbewertung fiel für die vier zugelassenen Anwendungsgebiete sehr unterschiedlich aus. Zudem wurde auf Basis der dargestellten Ergebnisse und unter Berücksichtigung von Endpunktkategorien und Effektgrößen das Ausmaß und die Wahrscheinlichkeit des Zusatznutzens wie folgt bewertet: "Für die Indikation therapienaive Patienten ohne Zirrhose liegt ein Hinweis auf einen Zusatznutzen (Ausmaß nicht quantifizierbar) von 'Boceprevir' + 'PegInterferon' + 'Ribavirin' gegenüber 'PegInterferon' + 'Ribavirin' vor". Aber mit der Einschränkung: "Es verblieben sowohl positive als auch negative Ergebnisse gleicher Ergebnissicherheit (Hinweis), wobei auf der Seite des Zusatznutzens das Ausmaß „nicht quantifizierbar“, auf Seiten des größeren Schadens das Ausmaß „beträchtlich“ war. Inwieweit ein etwaiges Herunterstufen des Ausmaßes auf Zusatznutzenseite sinnvoll wäre, ist aufgrund der Nichtquantifizierbarkeit des Zusatznutzens nicht abschließend zu bewerten. Es erscheint aber unangemessen, den Hinweis auf einen Zusatznutzen bezüglich der schwerwiegenden Folgekomplikation (HCC) gänzlich aufgrund des größeren Schadens durch die nicht schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse (Anämien) infrage zu stellen."
Grund für die Wertung "Ausmaß nicht quantifizierbar" ist laut IQWiG, dass der in den Studien verwandte Endpunkt "dauerhaftes virologisches Ansprechen (SVR)" zwar als ausreichend valide eingeschätzt wurde, um als Surrogat für einen patientenrelevanten, in der eingeschlossenen Studie jedoch nicht erhobenen Endpunkt (hepatozelluläres Karzinom) in der Nutzenbewertung berücksichtigt zu werden: auch hätte sich ein statistisch signifikanter Unterschied zugunsten von Boceprevir im SVR gezeigt. Doch auf der Endpunktebene sei jedoch zu berücksichtigen gewesen, dass der SVR als Surrogat nicht formal validiert sei und die Einschätzung der „ausreichenden Validität“ ausschließlich auf Daten aus Beobachtungsstudien beruhe. Dieser erhöhten Unsicherheit werde durch die Einstufung zum Ausmaß des Zusatznutzens als "nicht quantifizierbar" Rechnung getragen.
Das Institut erkenne damit nicht an, dass die Elimination des Virus einer Heilung der Hepatitis C und damit einer Verringerung von Folgeerkrankungen gleichkommt, erklärt hingegen MSD zur vorgelegten Nutzenbewertung. Und das, obwohl "international die Elimination des Hepatitis-C-Virus als Heilung" gelte, wie Hanspeter Quodt, Geschäftsführer von MSD Deutschland, betont, so hätte "Boceprevir" bereits in Nutzenbewertungen anderer Länder positive Bewertungen erhalten. Da aber eine derartige Heilung nach der Arzneimittelnutzenverordnung einen erheblichen Zusatznutzen darstelle, hoffe MSD für die Patienten in Deutschland, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die mögliche Heilung von Hepatitis C durch unser Medikament Boceprevir als erheblichen Zusatznutzen anerkennt. Wie nun der G-BA entscheidet, wird sich in den nächsten Wochen herausstellen. Dabei wird sich der G-BA genau die Kostendimension ansehen: So kostet "Boceprevir"/"Victrelis" (200 mg, 336 Tabletten, Originalpräparat) 3.986,79 Euro, während die Vergleichstherapien "PegInterferon alfa 2a" (z.B. das Originalpräparat "Pegasys" 180 μg, 12 Fertigspritzen, Originalpräparat) 3.374,77 oder "Ribavirin" (z.B. das Originalpräparat "Copegus" 200 mg, 168 Tabletten, Originalpräparat) gar nur 1.022,10 Euro kosten.
Wie hoch nun die Mehrbelastung ausfallen könnte, ist laut IQWiG aber unklar. Denn die Berechnung der Jahrestherapiekosten sei seitens des pharmazeutischen Unternehmens nicht nachvollziehbar, da der zugrunde liegende Verbrauch (z. B. Anzahl verbrauchter Packungen) nicht dargestellt werde. Weiterhin basierten die Berechnungen für das zu bewertende Arzneimittel auf dem gewichteten Mittel von Behandlungsdauern, zudem fehle eine differenzierte Darstellung für die Kombination von PegInterferon alfa 2a mit Ribavirin bzw. PegInterferon alfa 2b mit Ribavirin. Die Wertung des IQWiG: "Daher ist von einer Unterschätzung der berechneten Jahrestherapiekosten pro Patient und der Jahrestherapiekosten für die GKV insgesamt auszugehen."