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Was wäre, wenn es 1 Mrd. Corona-Impfdosen mehr gäbe?

27.01.2021 12:53
Die fünfte Folge der „LMU Corona Lectures“ (1) kann als Highlight bezeichnet werden. Nach renommierten Virologen, Soziologen, Philosophen und Ethikern kam gestern Abend im Rahmen der öffentlichen und virtuellen Ringvorlesung Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, der Präsident des ifo Instituts, zu Wort. Sein Thema „Die Corona-Pandemie: Ökonomische Folgen und wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf“. Er erklärte in seinem ebenso informativen wie spannenden Vortrag, wie sich die wirtschaftliche Bedeutung von Lockdowns tatsächlich darstellt und mit welcher Inzidenz sich die Wirtschaft trotz Corona erholen kann. Ganz besonders beschäftigte er sich indes mit der aktuellen Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen und stellte (und beantwortete) die Frage, was denn wäre, wenn in diesem Jahr 1 Milliarde Corona-Impfdosen mehr zur Verfügung stünden?

>> Die Frage ist natürlich erst einmal rein rhetorisch: Die Impfstoffverfügbarkeit der Jahrhundertkatastrophe (O-Ton Merkel) namens Corona ist, wie sie ist. Trotz massiver Vorfinanzierungen zum Beispiel beim Vakzin von Astra Zeneca durch die EU stellt das Pharmaunternehmen so viel Impfstoffdosen her, wie es eben mit den ihm zur Verfügung stehenden Produktionskapazitäten kann. Wenn es dann noch zu Lieferproblemen in der Herstellungskette oder zu nötigen Umbaumaßnahmen wie bei Biontech/Pfizer kommt, werden die zugesagten Impfmengen reduziert. Und warum ist das so? Weil sich, so Fuest in seiner Corona Lecture, die reichen Staaten darauf beschränkt haben, vom raren Gut der Corona-Impfstoffe für sich selbst so viel wie möglich zu sichern, anstatt als Staaten-Gemeinschaft in nötige Produktionskapazitäten zu investieren.
Ist es sinnvoll, der landläufig als Gewinner der Pandemie apostrophierten Pharmaindustrie auch noch Geld hinterher zu werfen, damit diese Impfstoffwerke aufbaut – sozusagen auf Kosten der Gesellschaft? Es ist sinnvoll, sogar sehr, sagt der ifo-Präsident und zitiert dabei Juan Camillo Castillo, Junior-Professor am Economics Department der Universität Pennsylvania. Jener hat in einer noch unveröffentlichten Original-Arbeit aufgezeigt, was denn zum einen die Pharma-Industrie davon hat, wenn schon in diesem Jahr 1 Milliarde Corona-Impfdosen mehr zur Verfügung stünden und was die Staaten-Gemeinschaft. Die Pharma-Industrie, so Fuest, hat relativ wenig davon: Sie bekommt ihr Geld pro Impfdose – das sind im Schnitt 15 Euro – sowieso, und egal wann geimpft wird. Wenn die Pharma-Industrie die sowieso stark nachgefragten Impfdosen mit
den vorhandenen Kapazitäten produzieren kann, ist das für sie allemal günstiger als in neue Kapazitäten investieren zu müssen. Anders sieht der Fall für die Staatengemeinschaft aus, wie ein Autorenteam, an dem Castillo beteiligt ist, in dem 2021 erschienenen Arbeitspapier mit dem Titel „Preparing for a Pandemic: Accelerating Vaccine Availability“ (2)‘
schreibt. Hier beziehen sich die Autoren auf die noch unveröffentlichte Arbeit von Castillo et. al., in der geschätzt wird, dass eine Erhöhung der im Januar 2021 verfügbaren Impfstoffkapazitäten von derzeit 2 auf 3 Milliarden Impfungen pro Jahr einen sozialen Wert von 1,75 Billionen Dollar generiert.
Die zusätzlichen Firmeneinnahmen lägen hingegen bei einem Durchschnitts-Preis von 15 Dollar pro Dosis hingegen eher bei 30 Milliarden Dollar. Die zusätzlichen Gewinne wären zudem noch geringer, schreiben die Autoren, denn eine beispiellose Beschleunigung der Produktion sei für die Industrie mit erheblichen, risikoreichen Investitionen verbunden. Deshalb bedürfe es „sorgfältig ausgearbeiteter öffentlicher Eingriffe“ und öffentlichen Intervention, um den gesellschaftlichen und privaten Nutzen in Einklang zu bringen.
Für Fuest liegt das Delta der Nutzen auf der Hand: 30 Milliarden vorgezogener (nicht zusätzlicher) Gewinn für die Pharma-Industrie stünde ein gesellschaftlicher Nutzen von 1.750 Milliarden Euro gegenüber.
Das Autorenteam rechnet aber auch rückwirkend und erklärt, was denn passiert wäre, wenn die von ihnen empfohlene Investition zur schnellen Ausweitung der Kapazitätsmenge (ab August 2020) getätigt worden wäre. Das hätte es zum Beispiel den USA als eines der stärksten von Covid-19 betroffenen Ländern – Cutler und Summers (3) schätzen die Gesamtverluste allein für die USA auf 16 Billionen US-Dollar (etwa 800 Milliarden US-Dollar pro Monat der Pandemie) ermöglicht, die Corona-Impfung bereits bis März 2021 abzuschließen, anstatt wie derzeit erwartet erst im Sommer.
Der Rest der Welt hätte dann die Impfung bis Oktober 2021 abschließen können, anstatt wie bisher prognostiziert, im Juni 2022. Unter Verwendung eines sehr viel konservativeren Maßes für den Nutzen als ihn Cutler und Summers in ihrer Arbeit mit dem Titel „The Covid-19 Pandemic and the $16 Trillion Virus“ ansetzen, schätzen die Autoren, dass die von ihr empfohlene Beschleunigung einen Nutzen von 167 Milliarden für die USA und 1,14 Billionen US-Dollar für die Welt hätte (Tab. 1) – was weit mehr sei als die dafür nötigen Investitionen. <<          
von: MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier

Originalartikel:

https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Kurzfassungen-2021/MVF-02-21/MVF0221_Impfstoffkapazitaet-erweitern

Links

1: https://bit.ly/39iEYYm
2: https://bit.ly/3qSWRms
3: https://bit.ly/3pAxAxn

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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