Patentabläufe 2020 – Biosimilars weiter auf dem Vormarsch
http://doi.org/10.24945/MVF.01.20.1866-0533.2196
>> Der Grundpatentschutz für insgesamt 18 pharmazeutische Substanzen wird in 2020 in Deutschland ablaufen (Stand Januar 2020; Quelle: Patentdatenbank SHARK, INSIGHT Health). Die Substanzen werden unter anderem zur Therapie der rheumatoiden Arthritis, der Multiplen Sklerose, in der Onkologie und der Schmerzbehandlung eingesetzt. Dies spiegelt auch Abbildung 1, in der die Substanzen auf die entsprechenden ATC1-Klassen verteilt sind, wider. Somit verlieren in der Klasse der systemischen Antiinfektiva drei Substanzen ihre Exklusivität, während es im L- und N-Markt jeweils vier sind. Damit ist der Markteintritt neuer kostengünstiger Arzneimittel in Form von Generika oder Biosimilars möglich. Wann und ob die Hersteller Nachahmer-Präparate in Deutschland in den Verkehr bringen, lässt sich allerdings nicht vorhersagen.
1,13 Mrd. Euro werden 2020
für den generischen Markt frei
Die insgesamt 18 in diesem Jahr aus dem Patentschutz laufenden pharmazeutischen Substanzen stehen im MAT (Moving Annual Total) Nov. 2019 für ein Umsatzvolumen (nach ApU, Abgabepreis pharmazeutischer Unternehmer) von rund 1,13 Mrd. Euro (Quelle: ambulant abgerechnete GKV-Rezepte für Fertigarzneimittel und Zubereitungen; INSIGHT Health). Wird dieser Umsatz nach ATC1-Klassen ge-
gliedert, zeigt sich ein deutlicher Schwerpunkt in den ATC1-Klassen L (Antineoplastika und Immunmodulatoren) sowie N (Nervensystem). Beide Klassen zusammen, hinter denen insgesamt acht Substanzen stehen, vereinen rund 70 Prozent des Umsatzvolumens auf sich. Die systemischen Antiinfektiva (ATC1-Klasse J) sind ebenfalls noch mit drei Substanzen vertreten, wobei deren Umsatzrelevanz in Relation zu vernachlässigen ist. Aus einer zusätzlichen Betrachtung der umsatzstärksten Substanzen ergibt sich ein deutlich klareres Bild (vgl. Abb. 2).
Denn in diesem Jahr werden voraussichtlich Nachahmerpräparate zu vier Biopharmazeutika zusammen mit einem zweivalenten Impfstoff gegen Humane Papillomviren (HPV) verfügbar sein. Alle vier Biologicals befinden sich nach Umsatzstärke unter den Top 5 und erzielen im MAT Nov. 2019 einen GKV-Umsatz von ca. 833 Mio. Euro (nach ApU). Das ist nahezu dreimal so viel wie die restlichen 13 nicht-gentechnisch hergestellten Substanzen zusammen. Diese eindeutige Gewichtung lässt darauf schließen, dass auch in diesem Jahr Biosimilars wieder im Mittelpunkt stehen werden. Folglich wird weiter mit Umsatzverschiebungen in der pharmazeutischen Industrie zu rechnen sein. Denn neben den klassischen Generikaherstellern eröffnet der Biosimilarmarkt auch branchenfremden Unternehmen neue Betätigungsfelder. Außerdem wurden bei diversen Originalherstellern in den letzten Jahren neue Business Units für den Markteintritt eigener Biosimilars etabliert.
Die umsatzstärksten Substanzen
Eculizumab mit dem zweithöchsten Umsatzanteil von 17,4 Prozent ist ein monoklonaler Antikörper zur Therapie der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie, einer sehr seltenen Blutkrankheit, bei der Erythrozyten durch das Immunsystem zerstört werden. Für Eculizumab wurden im MAT Nov. 2019 im ambulanten GKV-Markt mehr als 41 Tsd. Packungen maßgeblich über Internisten und Klinikambulanzen verordnet.
Der gegen den Interleukin-6-Rezeptor gerichtete monoklonale Antikörper Tocilizumab weist im gleichen Betrachtungszeitraum bei einem GKV-Verordnungsvolumen von knapp 80 Tsd. Packungen einen Umsatzanteil von 15,6 Prozent auf. Die entzündungshemmende und immunsuppressive Wirkung der Substanz wird vorwiegend zur Therapie der rheumatoiden Arthritis, auch der juvenilen Form, eingesetzt. Mit 11,3 Prozent liegt Tapentadol als einziges nicht-gentechnisch hergestelltes Arzneimittel im Top 5-Ranking. Final zu nennen ist an dieser Stelle noch Natalizumab, das für die hochaktive Form der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose sowie bei Morbus Crohn angewandt wird, und mit einem Umsatzanteil von knapp 11 Prozent noch zu den Top 5-Wirkstoffen zählt.
Bevacizumab: ab Juni mit
Biosimilarkonkurrenz
Unter den Substanzen, deren Patent in diesem Jahr abläuft, befindet sich auch das Zytostatikum Bevacizumab. Das Biological war der erste Angiogenese-Inhibitor, der über eine gezielte Hemmung des VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) die Bildung von Blutgefäßen und damit die Versorgung des Tumors mit Blut und Nährstoffen vermindert. Der monoklonale Antikörper wird in Kombination mit einer Chemotherapie bei zahlreichen Tumorerkrankungen eingesetzt: bei Mammakarzinomen, Kolon- oder Rektumkarzinomen, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen, Nierenzellkarzinomen sowie bei Ovarialkarzinomen, Eileiterkarzinomen, Zervixkarzinomen und primären Peritonealkarzinomen. Bevacizumab gehört im MAT Nov. 2019 mit einem Umsatz von mehr als 334 Mio. Euro (nach ApU) zu den Top 10-umsatzstärksten Substanzen im gesamten GKV-Markt (Quelle: ambulant abgerechnete GKV-Rezepte für Fertigarzneimittel und Zubereitungen; INSIGHT Health). Bereits Anfang 2018 wurde ein Biosimilar von Amgen und ca. ein Jahr später ein weiteres von Pfizer von der EMA (Europäischen Arzneimittel-Agentur) zugelassen. Zahlreiche weitere Hersteller stehen zum Ablauf des Patents Mitte Juni in den Startlöchern. Insbesondere da sich durch die PUMA (Paediatric Use Marketing Authorisation) von Bevacizumab der Biosimilareintritt bereits um sechs Monate verzögert hatte. So ist beispielsweise das Biosimilar von Samsung Bioepis, ein Joint Venture von Samsung Biologics und Biogen, in der Pipeline sehr weit fortgeschritten. Der Hersteller hatte bereits mit Patentablauf des TNF-alpha-Inhibitors Adalimumab im Oktober 2018 gezeigt, dass er bereit ist mit einer offensiven Preisstrategie des Biosimilars den Wettbewerb mit dem Altoriginal, aber auch mit den biosimilaren Konkurrenten, intensiv anzugehen. Ähnliches ist auch für Bevacizumab zu erwarten. Des Weiteren zeigen Erfahrungen mit den beiden Onkologika Rituximab und Trastuzumab, dass Biosimilars auch in der Onkologie schnell in der Versorgung ankommen. Für Rituximab (erstes Biosimilar im Mai 2017) liegt die Biosimilarquote basierend auf DDD (Defined Daily Dose) in Q3/2019 bereits bei 81 Prozent, für Trastuzumab (erstes Biosimilar im Mai 2018) bei 72 Prozent. Für Bevacizumab wurden mit Stand November 2019 noch keine Rabattverträge abgeschlossen. Einzig die IKK classic hat einen Open-House-Vertrag ausgeschrieben, der bisher nicht bedient wurde. Der Umsatzanteil mit Importen liegt im MAT Nov. 2019 bei gut über 2 Prozent (Quellen: GKV-Abrechnungsdaten für Fertigarzneimittel und Zubereitungen und Tender-Alert, INSIGHT Health). Dass weder Rabattverträge noch Importe den Wettbewerb in der 2. Jahreshälfte bestimmen werden, steht außer Frage. Vielmehr geht es darum, wie viele Biosimilars zu welchem Zeitpunkt in den deutschen Markt eintreten und natürlich welche Preisabschlags- und Rabattvertragsstrategien die neuen Player und nicht zuletzt der Originator verfolgen.
Tapentadol: nicht-gentechnisch hergestelltes Arzneimittel unter Top 5
Nach Umsatzanteilen an vierter Stelle der in 2020 aus dem Patent laufenden pharmazeutischen Substanzen liegt das opioidhaltige Analgetikum Tapentadol. Unter den Top 5-Substanzen ist es das einzige nicht-gentechnisch hergestellte Arzneimittel. Die aktuell noch mit einem Grundpatentschutz versehene Substanz wird gegen mäßig starke bis starke Schmerzen eingesetzt und unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz. Tapentadol war bei seiner Markteinführung Ende 2010 die erste neue Entität in diesen Anwendungsgebieten seit 25 Jahren, und ist seitdem auch die letzte geblieben. Aufgrund des heute schon generisch geprägten Wettbewerbsumfelds, bestehend u.a. aus Morphin, Oxycodon, Fentanyl und Hydromorphon, liegt die Rabattquote für Tapentadol im MAT Nov. 2019 bei rund 80 Prozent (Quelle: GKV-Abrechnungsdaten, INSIGHT Health). Der mögliche Eintritt generischer Nachahmer für die den Patentschutz verlierenden Darreichungsformen wird also weniger die Rabattquote weiter anheben, als vielmehr Druck auf den offiziellen Listenpreis als auch auf die Höhe der gewährten Rabatte ausüben. Interessant wird zu beobachten sein, ob Tapentadol, analog der drei Opioid-Analgetika Buprenorphin, Hydromorphon und Oxycodon, aufgrund geringer therapeutischer Breite in die Substitutionsausschlussliste aufgenommen wird. Dies würde ggf. den Umstellungsdruck hin zu einem Generikum verringern.
Ausblick
Der Überblick zu den Patentabläufen zeigt, dass auch in 2020 insbesondere bei den Biologicals lohnende Umsatzpotenziale für Nachahmer zu verzeichnen sind. Ähnlich wie in den Vorjahren, zusammengefasst zur sogenannten zweiten Welle, profitieren insbesondere Patienten in der Rheumatologie und Onkologie von der Marktdurchdringung mit Biosimilars. In 2021 verlieren voraussichtlich weitere fünf Biopharmazeutika ihre Marktexklusivität (bspw.Interferon beta-1a ). Zusammen mit den sechs Biologika, deren Patentschutz 2022 abläuft sind also erneut die Biologicals im Fokus. Zusammengefasst als dritte Welle der Ophthal-mologie und Immunologie dürften für die Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit Biosimilars zur Verfügung stehen, die zur Behandlung der neovaskulären altersbedingten Makuladegeneration und anderer Augenerkrankungen sowie zur anti-inflammatorischen Therapie eingesetzt werden. <<
Autoren: Kathrin Pieloth,
Esther Zöllner, Christian Luley*
* INSIGHT Health (vf@insight-health.de); Literatur bei den Verfassern
Zitationshinweis:
Pieloth, K., Zöllner, E., Luley, C.: „Patentabläufe 2020 – Biosimilars weiter im Vormarsch“, in: „Monitor Versor-gungsforschung“ (01/20), 14-15.; doi: 10.24945/MVF.01.20.1866-0533.2196