Mehr als nur Geburtshelfer der Plattform – Charité Versorgungsforschung
>> Beheimatet am Campus Charité Mitte und im Centrum für Human- und Gesundheitswissenschaften angesiedelt, kann das IMSR durchaus als einer der wohl ältesten Versorgungsforschungs-Standorte in Deutschland angesehen werden. Auch wenn das bei der Charité bislang niemand groß betont hat, sicher auch deshalb, weil sich das Fach der Versorgungsforschung bislang in einem Haus, das stark der Grundlagenforschung – vor allem auch rund um Themen der Neurowissenschaft – verschrieben und dafür auch weltweit anerkannt ist, eher bedeckt gehalten hat. „Es ist und war ja auch richtig, auf einen starken wissenschaftlichen Schwerpunkt zu setzen, bei dem man weltweit konkurrieren kann“, sagt Prof. Dr. phil. Adelheid Kuhlmey, die schon von 1993 bis 1996 die Kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie der Medizinischen Fakultät Charité war; und das nach Berufungen nach Neubrandenburg und Braunschweig/Wolfenbüttel seit 2002 als Direktorin ununterbrochen ist. Doch musste in der Charité das Fach der Versorgungsforschung „erst einmal eine Position erstreiten“, obwohl laut Kuhlmey Versorgungsforschung eigentlich schon immer gemacht (nur meist nicht so genannt) wurde, weil in diesem großen Haus Theoretiker, Methodiker und Praktiker seit jeher eng zusammenarbeiten.
Das Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Charité ist seit 18 Jahren, Zeit seines Bestehens, mit rund 30 bis 40 Publikationen pro Jahr dabei, genau dies zu tun. Und natürlich auch deshalb, weil die aktuellen Forschungsfragen des Instituts mit Evidenz „made by Charité“ zu hinterlegen sind; das betrifft Fragen
• der medizinischen und pflegerischen Versorgungsforschung,
• des demografischen Wandels und der Altersforschung,
• der medizinischen Ausbildungs- und Professionsforschung und
• der Rehabilitationsforschung.
All das sind wichtige, grundlegende Fragestellungen, die allesamt stark vom BMBF, seit 2017 aber auch vom Innovationsfonds adressiert werden. So lag es auf der Hand, sich auch hier um Fördergelder zu bewerben. Mit enormen Erfolg, wie sich Kuhlmey erinnert. So bewarb sich die Charité bei der Strukturausschreibung des BMBF vor fünf Jahren gleich um mehrere große Projekte. Was im Haus durchaus für Kontroversen sorgte, weil vielfach befürchtet wurde, dass es ein schlechtes Bild abgeben würde, wenn man sich schon intern nicht auf ein großes Projekt, für das man sich bewerben möchte, einigen kann. Dennoch bewarb sich die Charité selbstbewusst gleich mit drei Anträgen und bekam dann auch den Förderzuschlag für zwei Projekte in der Verbündeforschung (NAVICARE und EMANet). Auch, wenn diese Großprojekte nicht direkt vom IMSR, sondern federführend vom Institut für Public Health bzw. der Notfallmedizin beantragt und eingeworben wurden, war doch Kuhlmeys Institut immer als Konsortialpartner mit von der Partie und brachte bei diesen Verbundsforschungsprojekten erforderliches Fachwissen, zusätzliches Knowhow in Methoden und der Theorieentwicklung der Versorgungsforschung ein.
Das war – so Kuhlmeys Rückerinnerung – der erste Schritt, der erste Push, der zum Erwachen des Versorgungsforschungs-Gedankens innerhalb der Charité beigetragen hat.
Dann kam der Innovationsfonds dazu und mit ihm plötzlich gleich eine enorme Anzahl von Drittmittel-Projekten. Für den Förderzeitraum von 2017 bis 2021 schaffte es die Charité, in insgesamt 18 Projekten durch den Innovationsfonds gefördert zu werden, wobei sie immerhin bei 9 Projekten die Konsortialführerschaft inne hat. Vier der Projekte unter der Führung der Charité sind bei „Neue Versorgungsformen“ und fünf bei „Versorgungs
forschung“ angesiedelt. Das Fördervolumen aller Projekte, an denen die Charité bis dato beteiligt ist, beläuft sich auf stolze 39 Millionen Euro.
Das ist durchaus ein Betrag, bei dem auch die Chefetage eines so großen Hauses wie dem der Charité nicht nur aufmerksam, sondern auch neuen Herangehensweisen gewogen wird. So zum Beispiel der – in den letzten zwei Jahren immer weiter konkretisierten – Idee, die vom IMSR ausgehende Plattform – Charité Versorgungsforschung zu initiieren.
Das macht schon Sinn bei einem Universitätsklinikum mit mehr als 17.000 Angestellten und knapp 300 Professoren, die in 17 Zentren mit mehr als 100 Kliniken und Institute unterteilt sind. Und die alle nicht nur forschen und versorgen, sondern auch eigene Förderanträge schreiben, die – nicht immer, aber oft – mit Versorgungsforschung zu tun haben. Nur hat das bisher niemand so gesehen, bis eben mit vier Gründungsmitgliedern (neben dem IMSR sind das das Charité-Institut für Public Health, das Institut für Allgemeinmedizn und der Arbeitsbereich Notfall- und Akutmedizin) die Plattform – Charité Versorgungsforschung gegründet wurde. Und bei der Vorarbeit zum ersten großen Event dieser Plattform, dem 1. Charité-Versorgungsforschungskongress gleich weit über 100 Projekte identifiziert werden konnten, die der Versorgungsforschung zuzurechnen sind.
All das führt unter anderem dazu, dass die Charité durchaus bereit ist, in die Versorgungsforschung zu investieren. So konnte eine Professur Versorgungsforschung sowie eine weitere mit dem Schwerpunkt Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung geschaffen werden. Zudem steht das IMSR zur Zeit selbst in einer Bleibeverhandlung für eine Versorgungsforschungs-Professur.„Damit schaffen wir über Personal, Kompetenzen und die neue Art der Institutionalisierung von Versorgungsforschung an der Charité immer mehr Power“, zeigt sich Prof. Adelheid Kuhlmey überzeugt, dass ihr Haus schon jetzt mit zu den Leuchttürmen der deutschen Versorgungsforschungs-Standorte zählt und in Zukunft das erst recht tun wird.
Schon 2012, als das IMSR sein zehnjähriges Bestehen feierte, schrieb Kuhlmey im Vorwort des damals publizierten Geburtstagsbuchs: „Seit dem Neustart der Institutsarbeit vor zehn Jahren haben viele Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Praxispartner dazu beigetragen, dass wieder ein Platz für Forschung und Lehre, zuerst an den Medizinischen Fakultäten der Freien Universität und der Humboldt-Universität, später an der Charité entstanden ist. Eine Einrichtung, an der Studierende sozialwissenschaftliche Grundlagen der ärztlichen oder pflegerischen Arbeit erlernen können, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Platz für ihre Qualifikationen erhalten, gerontologische Themen der Versorgungs- sowie Ausbildungsforschung im Zentrum der wissenschaftlichen Expertise stehen und die gefragt wird, wenn es um die Einschätzung der Entwicklungen im deutschen Gesundheits- und Pflegesystem geht.“
Damit stellt sie sich ganz hinter einen der großen Namen der Charité, Rudolf Virchow, der schon 1848 sagte, dass die „Medicin eine sociale Wissenschaft“ sei und die Politik weiter nichts als „Medicin im Grossen“. <<