„Leistungsanspruch“ auf Care- und Casemanagement
>> Das Problem ist, wie bei allen geförderten Projekten, so auch bei jenen des Innovationsfonds: Irgendwann und meist schneller als man denkt, endet die Förderung. Damit können die im Modellprojekt angestellten Mitarbeiter nicht mehr weiterbezahlt werden und das hier akkumulierte Knowhow verstreut sich und die modellhaft besser betreuten Patienten müssen wieder zurück in die Regelversorgung.
Das ist auch bei RubiN genauso, denn die Finanzierung des Care- und Casemanagements bei RubiN durch den Innovationsfonds ist nur noch bis Ende 2020 gedeckt. Dann endet die Förderung und damit auch die Unterstützung der geriatrischen Patienten – mit ernsten Konsequenzen für die betreuten Senioren, wie Dr. Andreas Rühle, Geschäftsführer des Ärztenetzes plexXon, einer der zentralen Konsortialpartner des Projekts, schildert: „Nach dem aktuellen Stand der Dinge müssen wir alle Care- und Casemanagerinnen zum Projektende entlassen.“ Damit gehen nicht nur die im Projekt aufgebaute Expertise, die zur Entwicklung einer bundesweiten Versorgungsform führen soll, die es alten Menschen ermöglicht, möglichst lange in ihrer Häuslichkeit verbleiben zu können, sondern auch die im Projekt aufgebauten und dazugehörigen Strukturen weitestgehend verloren. Darum ist Rühles Meinung nach eine möglichst „lückenlose Überführung in die Regelversorgung“ von enormer Bedeutung.
Claudia Beckmann, die Netzwerkkoordinatorin in RubiN, fügt hinzu, dass das Care- und Casemanagement, das im Projekt RubiN erbracht werde, eine echte Versorgungslücke schließen würde. Deshalb müsse diese wichtige Arbeit unbedingt fortgesetzt und verstetigt werden. Ihre Forderung: „Nachhaltig funktioniert das aber nur in der Regelversorgung, in die das Care- und Casemanagement aus diesem Grund aufgenommen werden muss.“
Um diesem noch recht fernen Ziel ein kleines Stück näherzukommen, sind die am Projekt beteiligten Ärztenetze nun auf der Suche nach Projekten und Organisationen aus dem Gesundheitswesen, die eine Etablierung des Care- und Casemanagements politisch unterstützen und haben dafür zwei Aktionen angestoßen. Zum einen haben die fünf beteiligten Ärztenetze, die das Care- und Casemanagement bei
RubiN umsetzen, ein Positionspapier1 verfasst. Darin fordern sie ganz konkret einen „Leistungsanspruch“ auf Care- und Casemanagement sowie dessen Verankerung in den Sozialgesetzbüchern, in denen beispielsweise bereits die SAPV geregelt ist. Eine vergleichbare Anerkennung als eigenständige, sektorenübergreifende Versorgungsform wollen die Ärztenetze nun auch für das Care- und Casemanagement erreichen und zwar in Form einer Neuformulierung des durch das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) geänderten §134 SGB V.
Ergänzend dazu führte das Konsortium Ende Januar einen Neujahrsempfang mit Pressekonferenz durch, bei dem Zukunftszenarien des Care- und Casemanagements thematisiert wurden. Hier berichtete Stefanie Bließ, die Projektleiterin der Modellregion Ammerland, über die „Lovestory“ nah am Patienten zu sein, während Christina Möllmann, die Projektleiterin der Modellregion Lauenburg vom „Wir“-Gefühl berichtete, welches die neue Form der analogen und digitalen Zusammenarbeit erzeugt. Vanessa Eichinger, die Projektleiterin der Modellregion Lippe, verdeutlichte hingegen die Vorteile der im Modellprojekt möglichen Orientierung im Versorgungsdschungel und wie sich damit betreute Patienten besser im Krankenhaus, Reha, Pflege & Co. zurechtfinden können. Last but not least beleuchtete schließlich Stefanie Kremer, die Projektleiterin der Modellregion Siegerland, praktische Hilfestellungen für Patienten, was eine Stärke der beteiligten Ärztenetze sei. Ein weiterer Input kam von Lysann Kasprick, der Projektleiterin der Modellregion Leipzig, die den sektorübergreifenden Trainingsansatz in Leipzig vorstellte, der unter dem Motto „Bewegung statt Pillen schlucken“ läuft.
Im wissenschaftlichen Part des Neujahrsempfangs berichtete Lukas Weiss, der Projektleiter von GeriNet e.V., wie Care- und Casemanager ausgebildet werden und wie genau das Wissen vom Curriculum in die Praxis kommt. PD Dr. Neeltje van den Berg vom Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald, das an der Evaluation von RubiN beteiligt ist, brachte patienten-orientierte Outcomes und Versorgungsverläufe auf den Punkt. Und Ann-Kathrin Klähn, M.Sc. und Felix Freigang, M.A. vom privaten Institut für angewandte Versorgungsforschung GmbH in Berlin (inav), ebenfalls Evaluationspartner im Projekt, legten schließich ihre Überlegungen zur interdisziplinären Koordination aus gesundheitsökonomischer Sicht dar und erklärten, wie Care- und Casemanagement zu bewerten ist. Dazu hilft auch eine qualitative Erhebung von Patientenerfahrungen zu Beginn der Studienteilnahme, die Dr. rer. med. Karola Mergenthal und Fabian Engler, M.A., vom Institut für Allgemeinmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt, der dritte Evaluationspartner im Projektteam, vorstellte.
Die zu erreichenden Ziele von RubiN sind durchaus hoch gesteckt. So sollen komplex erkrankte, ältere Menschen (70+) Orientierung und Sicherheit durch die kontinuierliche Betreuung von Care- und Casemanagern erfahren, die ihrerseits nach den Fachcurricula für geriatrisches Care- und Casemanagement (GeriNurse) sowie Telemedizin und Telecoaching (TeleNurse) ausgebildet sind und obendrein während des Vorhabens supervidiert und gecoacht werden. Eine bundesweite Anerkennung ihrer Arbeit durch die Ärztekammern ist in Arbeit, auch soll die Dokumentation des Ausbildungsprozesses in die Strukturevaluation einfließen.
Dieses koordinierte Case-Management mit enger Anbindung an die ambulante Versorgung soll, was natürlich in der Evaluation zu verifizieren ist, zum einen den möglichst langen Verbleib im häuslichen Umfeld sichern, zum zweiten die Lebensqualität der Patienten positiv beeinflussen und drittens die soziale Integration fördern. Ebenso soll es – was noch zu beweisen ist – die Behandlungsqualität unter Schonung knapper Personalressourcen erhöhen. Ebenso sollen durch die mögliche Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen unnötige Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte verhindert wer-
den, wodurch wiederum positive gesundheitsökonomische Effekte entstehen können. Wichtig bei diesem Ansatz ist auch, dass das geleistet wird, was vielen Ärzten heute aufgrund mangelnder Zeit und Honorierung gar nicht mehr möglich ist: Hausbesuche.
Weil aber nicht immer gleich ein Arzt nötig ist, machen das bei RubiN eben die bei den Ärztenetzen angestellten Care- und Casemanager, die wesentlich mehr Zeit für die Patienten und ihre Bedürfnisse mitbringen. Sie besuchen die von ihnen betreuten Patienten ab 70 Jahre im häuslichen Umfeld und erheben dabei auch Informationen über die gesamte Lebenssituation. Auch werden Versorgungsangebote vor Ort analysiert und katalogisiert. All die so akkumulierten Ergebnisse werden dann nicht nur in eine ganzheitliche Versorgungsplanung überführt, sondern auch rückgespielt – an die Patienten selbst und/oder auch ihre (pflegenden) Angehörigen. Es wird aber auch mit anderen Versorgungsbereichen kooperiert und der Patient bei Bedarf in deren Betreuung übergeleitet (zum Beispiel in Pflegestützpunkte). Falls es nötig sein sollte. können zudem Versorgungslücken durch eigene neue Initiativen geschlossen werden, wie etwa bei altersentsprechenden Bewegungsangeboten.
Es gibt zwar keine Zwischenevaluation, doch zeigt sich schon jetzt, dass 75% der in RubiN betreuten Patienten einen hohen Betreuungsbedarf haben, was sicher auch darauf zurückzuführen ist, dass sie im Schnitt über 80 Jahre alt sind. Die Erstbesuche dauern dann auch entsprechend: meist eine ganze Stunde. Und da die Patienten eben zuhause besucht werden, sind die 25 Casemanager ordentlich unterwegs: Die eingesetzten Fahrzeuge wiesen im ersten Halbjahr der Intervention eine durchschnittliche Fahrleistung von 15.000 Kilometern auf.
Schon zum jetzigen Zeitpunkt – ungefähr in der Mitte des Interventionszeitraums – kann eine hohe Arbeitszufriedenheit bei den Casemanagern, doch ebenso eine Arbeitsentlastung in den Arztpraxen bei Ärzten wie MFAs festgehalten werden.
Eine Besonderheit stellt in RubiN die Einbindung einer rechtlichen Expertise dar. Viele Rechtsfragen interprofessioneller Kooperationen sind nach Aussage des RubiN-Positionspapiers unter dem Eindruck neuer Gesetzgebung und Antikorruptionsaspekten ungeklärt und müssen vor der gewünschten Überführung in die Regelversorgung analysiert werden. Diese Aufgabe übernimmt ein Medizinrechtler, dessen Erkenntnisse in ein entsprechendes Gutachten münden sollen. Neben der Rechtmäßigkeit von Kooperationen und anderen Aspekten liegt der Fokus seiner Arbeit aktuell auf der konkreten Ausgestaltung der Überführung in die Regelversorgung. <<
von: Peter Stegmaier, MVF
Zitationshinweis:
Stegmaier, P.: „Leistungsanspruch auf Care- und Casemanagement“ (01/20), S. 18-19, doi: 10.24945/MVF.01.20.1866-0533.2197
Liebe m-vf-Redaktion,
der Beitrag zeigt m.E. die ganze Malaise um den Innovationsfonds und die durch ihn verstärkte Verantwortungsverweigerung in doppelter Hinsicht: Noch bevor auch nur ansatzweise belastbare positive (gesundheitsökonomische) Ergebnisse vorgelegt werden (zumindest in dem Artikel nicht dargelegt) erfolgt der Ruf nach politischer Unterstützung für die Übernahme in die Regelversorgung. Zunächst erwartbar wäre doch, dass die das IF-Vorhaben tragenden Krankenkassen, zuvorderst die Konsortialführerin, hier eine Anschlussfinanzierung sicher stellen, wenn sie denn von den positiven Wirkungen des Vorhabens überzeugt sind. Es ist nicht nachvollziehbar, warum – wie im Artikel zitiert – dies nachhaltig nur in der RV funktionieren sollte.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Graf
Fachbereichsleiter
AOK Baden-Württemberg Hauptverwaltung
Fachbereich Integriertes Leistungsmanagement
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