Digitalisierung als Versorgungs-Garant
> Demenz ist nur eine der Herausforderungen die mit der älter werdenden Gesellschaft zusammenhängen. Durch eine höhere Lebenserwartung steigt die Anzahl der demenzkranken Bevölkerung. So wird nach einer Untersuchung des Berlin-Institutes aus dem Jahr 2011 erwartet, dass bis 2025 die Zahl der Demenzkranken auf ca. 2 Mio. angestiegen sein wird, im Vergleich zu 2008 sind das knapp 800.000 mehr Demenzfälle.1 Es gibt aktuellere Studien. Ich habe bewusst diese Studie gewählt, um deutlich zu machen: Wir haben schon fast die Hälfte der Strecke von der Veröffentlichung der Studie und ihrem Prognosehorizont zurückgelegt. Das soll zeigen: Uns zerrinnt die Zeit unter den Fingern, ohne dass wir die notwendigen Maßnahmen auf den Weg gebracht haben.
Besonders kritisch daran ist die regionale Verteilung der Neuerkrankungen. Dort wo es bereits heute wenige junge Erwerbstätige gibt, wird die Prävalenz um bis zu 70 Prozent steigen. Betroffen sind besonders Regionen in Mecklenburg-Vorpommern, um Berlin und in Teilen Baden-Württembergs.
Neben den hohen Behandlungskosten, die durch Demenz entstehen, ist die personalintensive Betreuung mit ein Hauptproblem. Bereits heute wird der Personalmangel in der Altenpflege auf 30.000 Stellen beziffert, bis 2025 sollen es 200.000 sein.
Demenz als besonders mit dem Alter zusammenhängende Krankheit steht damit exemplarisch für Herausforderungen, die allgemein mit einer älter werdenden Gesellschaft zusammenhängen. Für diese Herausforderungen müssen wir Lösungen für die Zukunft finden.
Digitalisierung: eine Antwort auf die Herausforderungen der Demographie
Sicher ist Digitalisierung nicht die allein seligmachende Antwort auf die zukünftigen Herausforderungen, jedoch wird in Zukunft ohne proaktive Digitalisierung kaum die Gewährleistung der Versorgung möglich sein.
So kann im Bereich der Pflege das Personal durch Implementierung von vernetzten Betreuungssystemen erheblich entlastet werden und hat so mehr Zeit für die Patienten.
Außerdem können durch die Digitalisierung weitere Rationalisierungsreserven ausgeschöpft werden. Experten schätzen, dass dadurch bis zu 20 Prozent ressourcenaufwendige Routinekontakte mit Patienten vermieden werden.2 Das bedeutet weniger Bürokratie, mehr Konzentration auf die Patientinnen und Patienten, die wirklich einen Arzt persönlich sehen müssen: Das ist das Versprechen der Digitalisierung.
Möglich wird dies durch Vernetzung der notwendigen Informationen sowie den Einsatz zahlreicher Apps und Expertensysteme. Wichtig ist, dass der Patient entscheiden kann, welche seiner personalisierten Daten wer lesen darf. Wir brauchen aber einen gesellschaftlichen Diskurs darüber, welche Daten unter welchen Voraussetzungen pseudonymisiert oder anonymisiert für Forschungszwecke und Experten-systeme genutzt werden dürfen, die Ärzte dabei unterstützen, Diagnosen zu erstellen und Therapien auszuwählen. Datenschutz ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein absolutes, höchstes Gut, sondern bedarf der Güterabwägung mit anderen Grundrechten. Diese Güterabwägung müssen wir heute anders diskutieren als im Jahr 1983, als das Urteil zur informationellen Selbstbestimmung gesprochen wurde.3
Grundsätzlich sollte der Datenschutz so auszugestalten sein, dass er dem Menschen dient, die Frage der Datennutzung also abgewogen wird mit den Chancen zu helfen und zu heilen.
Auch bei der Telemedizin gibt es bereits heute ein großes Potential, um in ländlichen Gebieten die Versorgung sicherzustellen. Fernab der Städte gibt es viele ältere Menschen, die Probleme beim Zugang zur medizinischen Versorgung haben. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die Berufsordnungen der Landesärztekammern jetzt auch eine Lockerung der Vorschriften zur Fernbehandlung vorsehen. Die kluge Verbindung von Telemedizin und die Ergänzung ärztlicher Leistungen durch Pfleger und Krankenschwestern ist ein Potential, dessen Möglichkeiten wir in Deutschland gerade erst entdecken.
Durch die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung wird sich allgemein das Bild des Arztes weiter verändern. Besonders durch den routinemäßigen Einsatz von Expertensystemen ist zu erwarten, dass der Arzt verstärkt auch zum Vermittler und Berater der Patienten wird. Auf jeden Fall wird der Patient mehr in den Fokus rücken.
Digitalisierung muss mit dem Patienten gehen
Damit die Möglichkeiten der Digitalisierung überhaupt Anwendung finden können, müssen diese von den Patienten eingesetzt werden. Dies betrifft in besonderem Maße Ältere, denen fremdeln mit der Digitalisierung oft unterstellt wird. Jedoch zeigt eine Untersuchung der TK, dass bereits knapp die Hälfte der 60 bis 70 Jährigen ein Smartphone besitzt (Abb. 1) – Tendenz steigend. Außerdem sind einer anderen Studie zufolge 85% der über 65-Jährigen bereit, selbst einen Beitrag zu leisten um eine gute Qualität ihrer medizinischen Versorgung zu erreichen (Abb. 2).
Die Bereitschaft ist also vorhanden, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Dabei scheiterten Apps bei Senioren oft an der für sie fehlenden Bedienbarkeit. Um Handyapplikationen immer einfacher und intuitiver zu gestalten, arbeiten viele Entwickler eng mit den Zielgruppen zusammen, so dass abgewogen werden kann, ob Sprachsteuerung oder das Arbeiten mit Bilder und Touchscreen sinnvoller ist.
Zukunft der Pflege
Wie Digitalisierung die Pflege auf vielfältige Art verändern wird, kann in Japan beobachtet werden. Bezüglich des Pflegemangels und einer älter werdenden Gesellschaft kann Japan als Zukunftsbild Deutschlands gesehen werden. Vor allem ist das Potential von Robotern zur Entlastung der Pflegerinnen und Pfleger hervorzuheben. Auch in Deutschland wird inzwischen erforscht, wie Roboter bei Aufgaben der Pflege unterstützen können. Bisher stößt der Gedanke bei vielen Deutschen zwar eher auf Wiederstand, jedoch wird sich der spätestens dann legen, wenn der Leidensdruck durch das fehlende Fachpersonal steigt. Nicht zu vernachlässigen ist ebenfalls die Tatsache, dass durch den Einsatz von Robotern die körperliche Belastung des Pflegepersonals deutlich reduziert wird. Insgesamt kann der Einsatz von Robotern und Digitalisierung den Pflegerinnen und Pflegern wieder mehr Zeit für ihre Patienten geben, insgesamt kann so der Beruf wieder attraktiver werden.
Durch die Digitalisierung wird sich also nicht nur das Berufsbild des Arztes wandeln, sondern auch das der Pfleger, darauf muss in der Ausbildung des Pflegepersonals eingegangen werden um zu vermeiden, dass die positiven Effekte der Digitalisierung konterkariert werden. Denn klar ist auch: Roboter werden auf Sicht den einfühlsamen Pfleger nicht ersetzen können.
Versorgungsforschung wird wichtiger
Um alle Möglichkeiten der Digitalisierung, gerade im Blick auf die Demographie, optimal nutzen zu können, wird Versorgungsforschung immer wichtiger. Die Forschung ist Voraussetzung, um bedarfsgerechte, innovative Versorgung entwickeln zu können. Durch Versorgungsforschung wird ebenfalls verhindert, dass ggf. innovative Konzepte entworfen werden, die in der Entwicklung und Implementierung viel Geld kosten, dann aber gänzlich an den Bedürfnissen der Patienten und des Personals vorbei gehen. Deshalb brauchen wir auch eine Verstetigung der finanziellen Unterstützung für die Versorgungsforschung nach dem Auslaufen der Förderung durch den Innovationsfonds.
Gefahr bei zu wenig Digitalisierung
Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, die wir aktiv nutzen müssen. Sollten wir dies nicht tun, besteht ein erhebliches Risiko für eine Zwei-Klassen-Pflege. Denn verschärft sich der Pflegenotstand weiter, wird das dazu führen, dass alle, die es sich leisten können, aus der öffentlich organisierten Pflege aussteigen und sich privat versorgen lassen. Alle anderen hingegen werden die Folgen des sich verschärfenden Pflegenotstandes im öffentlich finanzierten Bereich tragen. Der Verzicht auf Digitalisierung ist deshalb unsozial.
Um das zu verhindern, ist die Digitalisierung proaktiv voranzutreiben. So kann die Gesundheits- und Pflegeversorgung für alle gewährleistet werden. <<
von: Maurice Gesser und Dr. Andreas Meusch*
Zitationshinweis : Gesser, M., Meusch, A.: „Digitalisierung als Versorgungs-Garant“, in „Monitor Versorgungs-forschung“ (01/18), S. 28-29; doi: 10.24945/MVF.01.18.1866-0533.2067