DMP: Herausforderung für die nächsten 15 Jahre?
>> Ebenso werden die DMP von den Patienten gut angenommen. Derzeit liegen über 7,9 Mio. DMP-Einschreibungen vor. Allein im DMP für Diabetes Typ 2 sind es mehr als 4,1 Mio. Dies bedeutet, dass mehr als 60% aller in Deutschland behandelten Diabetes-Typ-2-Patienten im Rahmen der DMP versorgt werden. Aber statistische Angaben zu Teilnehmern und zugelassenen Programmen kann man auch im „Tätigkeitsbericht“ des BVA nachlesen. Nachfolgend sollen vielmehr eine Einschätzung der DMP aus der Sicht des BVA und vielleicht auch einige kritische Anmerkungen folgen.
Rolle des BVA
Die Zuständigkeit des BVA ergibt sich aus § 137g Abs. 1 Satz 1 SGB V und bezieht sich auf alle Krankenkassen, nicht nur auf die bundesunmittelbaren. Das BVA nimmt bei der Zulassung der DMP somit eine übertragene Verwaltungsaufgabe wahr – wie auch beim Gesundheitsfonds. Das heißt, wir treten den Krankenkassen im Zulassungsverfahren auch nicht als Aufsichtsbehörde gegenüber.
Die ursprüngliche Hauptaufgabe des BVA war zunächst die Bescheidung der Zulassungsanträge. Tausende von Bescheiden waren zu erstellen und zu verschicken.
Seit der Einführung der unbefristeten Zulassung ist die Prüfung der Rechtsanpassungen der zur Umsetzung der DMP geschlossenen Verträge die Hauptaufgabe des BVA geworden. Regelmäßig aktualisiert der G-BA seine Richtlinien zu den einzelnen Indikationen und passt sie an die jeweilige medizinische Entwicklung an.
Neue Zulassungsbescheide werden wir in großem Umfang erst wieder nach der Einführung neuer DMP-Indikationen erstellen.
Von Anfang an waren die am DMP Beteilig-ten, sowie der Gesetz- und Verordnungsgeber bemüht das „verwaltungstechnische Monstrum“ DMP zu vereinfachen und zu entbürokratisieren. Dies war insbesondere wegen der Akzeptanz auf Ärzteseite erforderlich. Von diesen wurden die DMP anfangs als übertrieben bürokratisch eingestuft.
Nach und nach wurden die DMP-Dokumentationen fortwährend überarbeitet und dabei verschlankt. Seit dem 1.7.2008 erfolgt die Übermittlung der DMP-Daten nur noch elektronisch (eDMP) und zum 1.1.2012 entfiel auch die Notwendigkeit der Arztunterschrift auch unter der Erstdokumentation.
Auch die Verlängerung des ursprünglichen Zulassungszeitraums von drei Jahren, auf zunächst fünf Jahre im Jahre 2007 und dann die Einführung der unbefristeten Zulassung zum 1. Januar 2012 verringerte den Aufwand nicht nur auf Seiten der Krankenkassen, sondern auch auf Seiten des BVA.
Strukturqualitäten
Wesentlicher Teil der aktuellen Prüfungen der Vertragsanpassungen ist die in den Verträgen vereinbarte Strukturqualität der Ärzte, der Krankenhäuser und der Rehabilitationseinrichtungen. Also die Frage, welche Qualifikation muss ein Arzt mitbringen, um auf einer bestimmten Ebene der Versorgung der DMP-Teilnehmer mitwirken zu können.
Hier gibt es häufig Probleme mit der Erreichung bestimmter Niveaus. Das liegt meist daran, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen möglichst vielen ihrer Ärzte die Mitwirkung am DMP ermöglichen wollen.
Manchmal ist es auch – gerade in strukturschwachen Regionen – schwierig, die ausreichende Zahl an Ärzten zu gewinnen, um ein DMP überhaupt durchführen zu können.
So fehlten bei der Indikation Diabetes mellitus Typ 1 in der Region Saarland seit der Einführung der Indikation im Jahr 2004 mitwirkungsbereite Kinderärzte, um ein DMP DM 1 zu etablieren. Erst in diesem Jahr gelang es, entsprechende Ärzte zu gewinnen.
Manchmal ist es auch schwierig, den antragstellenden Krankenkassen zu vermitteln, dass unter Umständen eine Strukturqualität, die wir zu Beginn der Laufzeit der DMPs akzeptiert haben, um den Start der DMPs zu ermöglichen, heute, nach über zehn Jahren nicht mehr genügen kann.
Als Zulassungsbehörde befinden wir uns da immer in einem Zwiespalt. Natürlich wollen auch wir daran mitwirken, DMP für alle Indikationen möglichst in allen Regionen Deutschlands zu ermöglichen. Auch und gerade in strukturschwachen Gebieten. Andererseits ist es aber gerade Sinn und Zweck der DMP, ein bestimmtes Versorgungsniveau zu garantieren.
Dies kann unter Umständen auch bedeuten, dass ein DMP – ggf. auch vorübergehend wie im Saarland – nicht zugelassen werden kann. Ein DMP um jeden Preis kann es nicht geben. Dies würde dem hohen Anspruch der DMP auch nicht gerecht.
Bisher ist es eigentlich immer gelungen, diese Probleme bei den Strukturqualitäten im Zusammenwirken mit den Krankenkassen und diese wiederum in Verhandlungen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen zu lösen.
Evaluation
Die Evaluation war von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der DMP. Gem. § 137f Abs. 4 Satz 1 SGB V haben die Krankenkassen oder ihre Verbände eine Evaluation nach den Richtlinien des G-BA durchzuführen.
Ursprünglich lag der Fokus der Evaluation auf dem Vergleich der DMP der Krankenkassen untereinander. Das BVA erhielt regelmäßig die Evaluationsberichte der Krankenkassen und nahm in beschränktem Umfang auch Auswertungen in medizinischer und ökonomischer Hinsicht vor. Bessere Ergebnisse einzelner Krankenkassen sollten anregen darüber nachzudenken, wie die DMP anderer Krankenkassen ggf. angepasst werden könnten.
In der Praxis zeigte sich jedoch, dass es keine Programme gab, die durchweg herausragende Ergebnisse lieferten. Es zeigte sich eher ein differenziertes Bild. Da die den DMPs zugrundeliegenden Verträge überwiegend kassenartenübergreifend geschlossen wurden, gab es auch nur wenige Möglichkeiten zur unterschiedlichen Ausgestaltung der Programme.
Im Hinblick auf den einzigartigen Datenschatz, den die DMP-Evaluationsdaten nach allgemeiner Auffassung darstellen, ist festzuhalten, dass bis heute keine adäquate Auswertung dieser Daten erfolgt. Zwar hat jede Krankenkasse ihre eigenen Evaluationsdaten ausgewertet, eine kassenübergreifende Auswertung ist aber in umfassender Weise nie erfolgt.
Nachdem der Gesetzgeber durch das GKV-VStG zum 1. Januar 2012 die Zuständigkeit für die Regelung der DMP auf den G-BA übertragen hatte, regelte dieser in der einschlägigen Richtlinie die DMP-Evaluation neu.
Dem BVA werden nunmehr keine Evaluationsberichte mehr vorgelegt. Die Krankenkassen legen stattdessen für jede Indikation einen Gesamtbericht dem G-BA vor.
Das trägt dazu bei, dass auch bei Indikationen mit geringen Teilnehmerzahlen für eine Beurteilung angemessene Fallzahlen erreicht werden. Der G-BA hat sich darüber hinaus die Möglichkeit offen gehalten, im Rahmen der Evaluation den Vergleich von DMP-Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern einzuführen. Bisher ist offen, ob von dieser Option, die ja große datenschutzrechtliche Probleme aufwirft, je Gebrauch gemacht wird. Die Frage ist also: kann uns die gegenwärtige Nutzung der Dokumentationsdaten für die Evaluation zufrieden stellen?
Das kann sie nicht!
Die erhobenen Daten müssten unbedingt intensiver genutzt werden. Eine Datenerhebung ohne entsprechende Datennutzung ist unnötige Bürokratisierung. Ein Vorwurf, der den DMP ja immer gemacht wurde.
Die im Rahmen der DMP über 15 Jahre erhobenen Daten sind nach Auffassung von Fachleuten hinsichtlich Quantität und Qualität weltweit einmalig. Aber eine Nutzung dieser Daten im Rahmen der Versorgungsforschung ist nicht uneingeschränkt möglich. Ganz überwiegend werten die Krankenkassen nur ihre eigenen Daten aus. Hier sollten unbedingt Regelungen geschaffen werden! So könnten z.B. die über Jahre gesammelten Daten eine ideale Grundlage für den Aufbau eines strukturierten Diabetes-Registers sein. Jedenfalls sollte der unbestrittene „Datenschatz“ nicht in einem „Datengrab“ verschwinden!
Zur Datenaufbewahrung ist ferner anzumerken, dass die einschlägige Richtlinie des G-BA zu den Aufbewahrungsfristen eine maximale Aufbewahrungsfrist von 15 Jahren vorsieht. Im Ergebnis müssen danach ab 2019 die ersten Daten der DMP-Teilnehmer aus 2005 gelöscht werden. Hier muss unbedingt verhindert werden, dass wichtige und für die Versorgungsforschung notwendige Gesundheitsdaten, die über einen schon sehr langen Zeitraum gesammelt wurden, unwiderruflich gelöscht werden. Es bedarf entsprechender Regelungen.
Einbindung zusätzlicher Leistungserbringer
Wichtig ist zudem, dass insbesondere in der Behandlung multimorbider Patienten weitere Fachberufe aus dem medizinischen Umfeld einbezogen werden. Die Apotheker sind hier an erster Stelle zu nennen.
Die medikamentöse Behandlung Multimorbider birgt, sofern sie unkoordiniert verläuft, hohe Risiken.
Darüber hinaus ist auch hier ein hohes Einsparpotenzial vorhanden. Studien ergeben, dass Mehrfachkranke zu viele Medikamente einnehmen.
Durch eine Reduktion der Anzahl der Medikamente kann in vielen Fällen sogar ein besseres medizinisches Ergebnis erreicht werden. Eine Einbindung von Apothekern – wie dies übrigens bei der Konzeption der DMP erörtert worden war – sollte daher wieder ernsthaft diskutiert werden.
Schulungen
Die Rolle der Schulungsprogramme für die Versicherten im DMP kann nicht hoch genug geschätzt werden. DMP lebt von der Mitwirkung der Versicherten. Mitwirken kann der Versicherte jedoch nur, wenn er über seine Krankheit und was er selbst tun kann – sei es bei der Ernährung oder der Bewegung – ausreichend informiert ist.
Aus diesem Grund werden die im DMP verwandten Schulungsprogramme von uns auf ihre Verwendbarkeit im Rahmen der DMP und auf ihre Vereinbarkeit mit den rechtlichen Vorgaben geprüft.
Ein Schulungsprogramm mit einem falschen Inhalt hat wegen der Multiplikatorfunktion für die DMP-Teilnehmer unter Umständen größere negative Auswirkungen als ein falscher oder nicht aktualisierter Paragraph in einem Vertrag mit einer Kassenärztlichen Vereinigung.
Gerade weil sich alle Beteiligten über die Wichtigkeit und Bedeutung der Schulungsprogramme so einig sind, verwundert es umso mehr, dass der G-BA bei der Aktualisierung seiner Richtlinie zu COPD hinsichtlich der Schulungsprogramme zur Tabakentwöhnung ausdrücklich entschieden hat, dass diese Schulungsprogramme dem BVA weder zu benennen, noch vorzulegen sind. Das heißt, sie sind vom BVA auch nicht zu prüfen.
Schon jetzt gibt es unterschiedliche Schulungsprogramme, die Jugendliche, Erwachsene und auch Angehörige ansprechen. Eine Anregung bei den Schulungsprogrammen könnte sein, das jeweilige Patientenklientel unterschiedlich anzusprechen. Der soziale Hintergrund und auch das Alter der Patienten könnte so stärker Berücksichtigung finden.
Gab es ursprünglich diese Schulungsprogramme nur in gedruckter Form, so gibt es inzwischen – hier zeigt sich die Digitalisierung – auch Onlineschulungen. Schulungsprogramme in Form von Apps sind zu erwarten.
Medizinischer und ökonomischer Nutzen der DMP?
Eine Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt wird, lautet: Lohnt dieser ganze Aufwand der DMP? Gibt es einen medizinischen und vielleicht sogar einen ökonomischen Nutzen?
Mittlerweile liegen eine Vielzahl an Studien zu dieser Fragestellung vor. Der überwiegende Teil kommt zu einem positiven Ergebnis. Vergleichsstudien von DMP-Teilnehmern und nicht an DMP teilnehmenden Patienten zeigen, dass der Gesundheitszustand der DMP-Teilnehmer besser ist. Die Anzahl von Komplikationen und Folgeerkrankungen ist geringer und die Patienten sind besser über ihre Krankheit und die damit verbundenen Risiken informiert.
DMP setzt auf eine aktive Mitarbeit des Patienten. Der medizinische Nutzen der DMP wird nicht zuletzt darum von nahezu allen Studien positiv bewertet.
Gibt es aber auch einen ökonomischen Nutzen für die Krankenkassen und für das Gesundheitssystem als Ganzes?
In Bezug auf den ökonomischen Nutzen sind die meisten Forschungsergebnisse ebenfalls positiv, wenn auch nicht in dem gleichen Ausmaße. Forscher identifizieren zumeist leichte Kosteneinsparungen. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass in den Studien lediglich die direkten Kosten betrachtet werden.
Wird hingegen der gesamtwirtschaftliche Nutzen betrachtet, zeigt sich, dass eine erhöhte Therapie-Adhärenz, wie sie durch DMP erreicht wird, gesamtwirtschaftlich zu hohen Kosteneinsparungen führt.
Unabhängig davon möchte ich betonen: Auch eine verbesserte medizinische Versorgung bei nur leicht gesunkenen oder gar gleichbleibenden Kosten sollte gesundheitspolitisch unstrittig als Erfolg bewertet werden.
Ausblick neue Indikationen
Von Anfang an war beabsichtigt, die bestehenden sechs Indikationen, die zwischen 2002 und 2005 eingeführt worden sind, um weitere geeignete Indikationen zu ergänzen. 2009 wurde die Indikation KHK um das Modul Herzinsuffizienz erweitert. Neue Indikationen gab es seither nicht.
Wie wichtig auch der Politik neue DMP-Indikationen sind, konnte man daran ersehen, dass im Koalitionsvertrag der letzten Bundesregierung ausdrücklich die Schaffung neuer Programme „für die Behandlung von Rückenleiden und Depressionen“ vereinbart wurde. Das ist eigentlich ungewöhnlich genug, da die Zuständigkeit für neue Richtlinien auf dem Gebiet der DMP doch beim G-BA liegt.
Der Gesetzgeber hatte zudem im – am 23. Juli 2015 in Kraft getretenen – GKV-VSG den Auftrag an den G-BA aufgenommen, das Angebot der strukturieren Behandlungsprogramme zu erweitern. Der G-BA solle bis zum 31. Dezember 2016 neue geeignete Krankheiten im Rahmen der DMP festlegen und entsprechende Richtlinien erlassen.
Dies ist bisher nicht erfolgt. Dennoch ist der G-BA nicht untätig geblieben und berät seit geraumer Zeit über die Einführung von bis zu fünf neuen Indikationen.
Am weitesten fortgeschritten ist mittlerweile die Einführung der neuen Indikation Herzinsuffizienz – die aus KHK wieder herausgelöst wurde. Hier ist das Stellungnahmeverfahren gerade abgeschlossen und die Beschlussfassung im zuständigen Unterausschuss des G-BA soll im nächsten Monat erfolgen.
Unter den weiteren neuen Indikationen sollen sich dann auch Depressionen und Rückenleiden finden. Seien wir gespannt!
Fazit
Um auf die Ausgangsfrage – „Herausforderung für die nächsten 15 Jahre?“ – zurückzukommen: Herausforderungen gibt es ganz gewiss. Aber es sind Herausforderungen, die wir alle Beteiligten der DMP im Interesse der gegenwärtigen und zukünftigen potentiellen DMP-Teilnehmer gerne annehmen sollten.
Dies gilt sowohl für die Weiterentwicklung der bestehenden DMP, als auch für die Einführung und Entwicklung neuer DMP.
von: Frank Plate*
Zitationshinweis : Stegmaier, P.: „Wichtiger Partner regionaler Gesundheitspolitik““, in "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 06/17, S. 6-8; doi: 10.24945/MVF.06.17.1866-0533.2042