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Adhoc-Rückkopplung in die Praxis

06.12.2017 14:00
Versorgungsforschungs-Institute können allerlei Wissenschaftsrichtungen entstammen oder angebunden sein – ob der Ökonomie, Soziologie, Epidemiologie oder aus der Public Health; und einige wenige sind an medizinische Fakultäten angebunden. Ziemlich selten indes ist es, dass ein Versorgungsforschungs-Institut – in einem klinischen Umfeld geboren – sich zum Versorgungslabor und zur Entwicklungsplattform im klinischen Setting entwickelt, so wie es beim Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) der Fall ist. Dessen Leiter ist Prof. Dr. Matthias Augustin, der zudem als Universitätsprofessor für Gesundheitsökonomie und Lebensqualitätsforschung am Universitäts-Klinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) unterrichtet, seit 2005 Gründer und Leiter der Competenzzentren für dermatologische Forschung (CeDeF) sowie Co-Direktor des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) des UKE und der Hamburger Universität sowie Vorstandsmitglied des Center for Health Care Research (CHCR) am UKE ist.

>> Die „Wahrnehmung durch Versorgung“
könnte ein Stichpunkt sein, mit dem man das Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen, kurz IVDP, wohl am treffensten umschreiben kann. Jeder, der im IVDP arbeitet, hat als theoreti-scher Versorgungsforscher gleichzeitig auch die Brille des versorgenden Healthcare-Pro-fessionals auf: Das gilt für Study Nurses ebenso wie für Ärzte, die ihre weißen Kittel regelmäßig alleine deshalb anziehen, weil sie eben jeden Tag Patienten sehen. „Wir leben in einer permanenten Arzt-Patienten-Interaktion und nehmen unsere Patienten in all ihren Facetten ernst“, erklärt Augustin, der genau aus diesem Grunde der Auffassung ist, dass in seinem Institut – mehr als in so manch anderen – patientennähere Themen beforscht werden, denn, so der erfahrende Dermatologe, „wenn man einen ganzen Tag lang Sprechstunde hat, dann kommen einem ganz von alleine viele Ideen, was man eigentlich noch versorgungswirksam beforschen“ müsste.  
Nur dass in der Martinistraße beim UKE in Hamburg-Eppendorf aus dem im Gesundheitswesen so oft gebrauchten „sollte“, „hätte“, „könnte“ oder „würde“ schnell und oft ein „machen“ wird. Hunderte von Publikationen, viele davon in angesehenen internationalen Journals, reichen zurück bis zum Gründungsjahr der Competenzzentren für dermatologische Forschung (CeDeF) im Jahr 2005, indem immerhin schon 15 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht wurden. Die Zahl stieg stetig an, machte aber dann von 2009 – noch mit 26 Arbeiten – einen großen Sprung auf 76 Arbeiten in 2010, dem Jahr, in dem das Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) gegründet wurde. Seitdem wurden 599 wissenschaftliche Publikationen geschrieben, im Schnitt 100 pro Jahr, also etwa jeden 3. bis 4.Tag eine.
Nun könnte man vermuten, dass das alleine an der schieren Zahl an Mitarbeitern (aktuell 124) am IVDP liegt – davon alleine 30 wissenschaftliche, 13 Pflegekräfte und 9 Ärzte. Dazu kommt noch 1 Germanist, der mit Hilfe von 2 Mitarbeitern in einer eigenen Abteilung für das Publikations-Management zuständig ist; etwas, wovon die meisten anderen Institute nur träumen können.
Diese Abteilung ist ausschließlich dafür da, den forschenden und publikationswilligen Wissenschaftlern und Behandlern unnötige und damit belastende Arbeit abzunehmen, indem sich um die Einreichungen bei vorwiegend internationalen Fachzeitschriften gekümmert wird, die Texte an die jeweiligen Vorgaben der Journale angepasst, zudem die Bildrechte eingeholt werden, die Literatur aufgearbeitet und alles zum passenden Zeitpunkt abgeliefert wird. „Alleine dadurch haben wir 30 bis 40 Prozent mehr Publikationen als früher“, sagt Augustin und kann schon stolz darauf sein, dass in seinem Institut auch wissenschaftliches Pub-
lizieren höchsten Effektivitätsnormen gehorcht.
Zwar ist das IVDP von der reinen Haushaltstellen-Situation her das kleinste Institut am UKE, doch ist es aufgrund der hier vereinten wissenschaftlichen Expertise, aber auch der Art des Publizierens in der publizistischen Außenwahrnehmung viel größer als alle UKE-Kliniken zusammen. Und da das IVDP und die Hautklinik, an die es angeschlossen ist, im Prinzip ein großes Ganzes ist, haben beide etwas davon; was nach Augustin eines ganz deutlich zeigt: „Auch mit Versorgungsforschung kann man tatsächlich ökonomisch erfolgreich sein!“
Denn neben der Außenwahrnehmung und
dem damit gewonnenen wissenschaftlichen Renommee haben die hier betreuten Patien-ten den großen Vorteil, dass über das Institut eine relativ starke Rückbindung von Versorgungsforschungs-Ergebnissen in die Praxis stattfindet. Augustin: „All das, was wir in der Versorgungsforschung herausfinden, wird so schnell wie möglich wieder in die Versorgung zurückgeführt.“ Zwar vornehmlich zuerst nur in den Mikrokosmos der Hauptklinik am UKE, aber auch, indem das IVDP und die Hautklinik als eine Art Versorgungslabor fungieren, indem neue Konzepte entstehen und erprobt werden – quasi als Art Entwicklungsplattform für alle, die bessere Versorgung in der Dermatologie wollen.
Ein positives Beispiel dieser Art ist das Entlassmanagement von Patienten mit chro-
nischen Wunden. Diese werden in der Hautklinik gut eingestellt und versorgt, aber kommen – kaum in die häusliche Umgebung und in die Basisversorgung zurückgekehrt – innerhalb von drei Monaten zu gut einem Drittel wieder in die Klinik zurück: oft auch noch in einem schlimmeren Zustand als vor der Ersteinlieferung.
Worin dieser starke Drehtüreffekt bei chronischen Wunden begründet ist? Augustins Antwort: „Am mangelnden Entlassmanagement und einer ungenügenden Translation über die Sektorengrenzen hinweg.“ Das Problem nun ausschließlich dem ambulanten Sektor aufzubürden, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Denn im Gegensatz zum klinischen Setting mit seinen täglichen Visiten sieht ein normaler Hausarzt seinen Patienten viel-leicht einmal in der Woche, ein Facharzt
circa alle zwei Monate, womit „die Intensität und Qualität unserer dichten Versorgung und auch des geschulten Blickes“ schon alleine  systembedingt zusammenbricht. Deswegen kämpft Augustin für einen systematischen Sektorübergang, nicht nur für bei der Versorgung chronischer Wunden, sondern im Prinzip für alle komplexen Entitäten, zu denen dann auch alle chronische Krankheiten zählen. „Letztlich brauchen wir für solche Patienten ein neues, anderes Disease Management“, fordert Augustin, der von den derzeitigen, nahezu rudimentären und unzureichend ausgestatteten DMP recht wenig hält. Denn: „Man muss die Führung eines komplex Erkrankten bei den Spezialisten ansiedeln.“ Im Fall von Hautkrankheiten beispielsweise eben an einer spezialisierten Einrichtung wie dem an der UKE, die weit über die Hamburger Grenzen hinaus als eine Art Referenzzentrum angesehen ist.
Außerhalb solcher Einrichtungen würden
Patienten, wenn sie denn Glück haben, „wohlwollend oder mit guten Absichten behandelt, aber eigentlich nur chronisch gepflegt, aber nicht geheilt“. Dabei wäre durch innovative Medikation – wie zum Beispiel bei der Psoriasis – heutzutage annähernd Heilung, sprich „weitgehende Erscheinungsfreiheit“ (siehe MVF 06/17) möglich. Das Problem dabei: „Die Pflege kann noch so gut sein, doch wenn man nicht stringent kausal therapiert, beginnt die Chronifizierung.“
Aus diesem Grund hat das IVDP gemeinsam mit dem PsoNetz in Hamburg sechs Außenstellen unter dem Titel „Comprehensive Wound Center“, geschaffen, in denen UKE-Pflegekräfte und -Ärzte – natürlich auch Augustin selbst – regelmäßig präsent sind, um vor Ort Unterstützung bieten zu können. „Da kommen Leute ohne Strümpfe in Gummistiefeln, zum Teil kilometerweit per Fuß, weil sie sich kein Taxi oder Busticket leisten können“, sagt Augustin, und setzt dazu: „Und dennoch müssen sie zum Teil die nötigen Antiseptika selbst bezahlen, weil das meiste nicht mehr erstattungsfähig ist.“ Und was geschieht mit diesen Patienten? „Im Wesentlichen landen die aus ihrer sozialen Not heraus bald irgendwo stationär.“ Was dem sowieso unnötigen wie daher ungewünschten Drehtüreffekt eine hohe Kostendynamik hinzufügt.
Die in den Außenstellenden vorstelligen Patienten werden dabei nicht einmal stationär aufgenommen, sondern ambulant behandelt, zudem werden hier alle notwendigen Disziplinen vorgehalten und können damit am Patienten am gleichen Tag tätig werden: „Damit bekommen wir innerhalb von wenigen Stunden eine Komplettabklärung, die ambulant ein halbes Jahr bis zu einem ganzen Jahr dauern kann“, sagt Augustin alleine mit einem Blick auf die vollen Terminkalender der niedergelassenen Fachärzte. In den „Comprehensive Wound Centers“ bekommen die Patienten hingegen an nur einem Tag einen kompletten Therapieplan erstellt, der obendrein auf freiwilliger Basis telemedizinisch betreut wird. DAK-Versicherte erhalten von der Kasse sogar auch noch ein Smartphone gestellt, so sie denn keines haben, um damit selbst – oder der Hausarzt, ein betreuender Angehöriger und das ambulante Pflegepersonal – steuern zu können, ob die mit diesem Smartphone gemachten digitalen Befunde übermittelt werden sollen.
Alleine damit werden Patienten zum Gatekeeper ihrer Daten, einhergehend mit dem positiven Effekt der Selbstwirksamkeit, durch den der Patient zum Akteur wird, was wiederum zu mehr Adherence führt. Der Nebeneffekt: Mit diesem telemedizinischen Sys-
tem sehen die Spezialisten im UKE jede Woche Fotos von den Wunden – doch, um diese zu machen, muss vorher zwingend der Verband abgenommen und anschließend neu angelegt werden, was im Zweifel sonst vielleicht nicht unbedingt passiert. Die Bilder werden dann geschützt zum UKE gemailt und automatisch in der Patientenakte gespeichert. Zudem werden die Befunde durch eine Leitstelle, die pro Woche zweimal besetzt ist, gelesen und Rückmeldungen gegeben. Der Effekt: Egal, wer die Wunde versorgt, steht damit unter Observation und alle sind darum sehr beflissen, ihre Sachen richtig zu machen, weil sie ganz genau wissen, dass einmal in der Woche der Befund nicht nur rausgeht, sondern auch bewertet wird. Augustins Meinung: „Dieser Effekt ist tatsächlich der stärkste, weil durch ihn eine Stringenz der Versorgungsqualität entsteht, die wir sonst häufig nicht erzeugen können.“
Die niedergelassenen Ärzte haben gegen dieses Angebot übrigens überhaupt nichts einzuwenden, weil die Patienten, um die es hier geht, für sie sehr aufwendig zu betreuen sind und der zeitliche Aufwand seitens der Kassen zu gering honoriert wird. Augustin: „Insofern entlasten wir die niedergelassenen Ärzte durch dieses Angebot sogar.“ Was aber auch gut sei, denn man müsse mit den Hausärzten als Partner zusammenarbeiten, weil dieses Patientenkollektiv häufig polymorbid sei. <<
von: MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier

Ausgabe 01 / 2018

Editorial

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Roski

 

 

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