Raus aus dem Diskussionsmodus
>> Warum Regensburg? Hier kommen zwei Faktoren zusammen: zum einen der private. Die berufliche Veränderung ihres Mannes hat sie mit ihrer Familie letztendlich nach Regensburg geführt, mit dem kleinen Nebeneffekt, dass ihre beiden Kinder jetzt bayerisch sprechen, was für die in Münster geborene Medizinerin und Theologin durchaus und immer noch manchmal befremdlich klingt. Aber sie hat sich damit ganz gut arrangiert, denn Regensburg ist nun einmal eine wirklich schöne Stadt mit hoher Lebensqualität und obendrein auch eine Region, die sich medizinisch durch eine starke Netzwerkstruktur zwischen städtischen und ländlichen Bereichen auszeichnet. Will heißen: Neue Ideen und Strategien fallen hier auf fruchtbaren Boden.
Exakt eine solche neue Idee war und ist das schon 1991, also vor immerhin 27 Jahren, als eingetragener Verein gegründete Tumorzentrum. Dabei handelte es sich anfänglich um ein Modellprojekt, das zunächst für nur zwei Jahre vom Bundesgesundheitsministerium zur Verbesserung der onkologischen Versorgung von Tumorpatienten in der Oberpfalz gegründet und gefördert wurde. Doch im Anschluss daran wurde die Finanzierung durch die Krankenkassen, das Klinikum der Universität Regensburg sowie das Bayerische Ministerium für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz übernommen. Im Dezember 2015 wurde das Tumorzentrum Regensburg als Institut für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität Regensburg.
Seit dem Jahr 1998 leitet Monika Klinkhammer-Schalke, die damals seit bereits fünf Jahren als Ärztin an der Universitätsfrauenklinik Würzburg tätig war, das Tumorzentrum anfangs als Geschäftsführerin und heute als Direktorin. „Mein Wunsch als Ärztin war es schon immer zu wissen, ob das, was ich tue ausreichend genug ist, um Leben zu verbessern und zu erhalten“, erklärt sie rück-
blickend ihre Entscheidung aus der Realversorgung in die Forschung zu wechseln. Dazu noch in eine damals sehr junge: Die Versorgungsforschung steckte damals noch in den Kinderschuhen und viele Ärzte konnten mit diesem Begriff wenig bis überhaupt nichts anfangen. Das änderte sich mit der Zeit, als sich nach einer Aufbauphase zuerst das klinische und epidemiologische Krebsregister und später das Institut für Versorgungsforschung an der Universität Regensburg zu etablieren begann.
Damit waren die besten Grundlagen für translations-orientierte Versorgungsforschung geschaffen. Auf der einen Seite ein wertvoller Datenschatz: Seit 1991 sind über 550.000 onkologische Patienten* von der Diagnose bis zur Nachsorge im Tumorzentrum Regensburg dokumentiert. Auf der anderen Seite das Institut, das Versorgungsanalysen für einzelne Tumorentitäten darstellt und Rückmeldungen an die Ärzte, sowohl für die Versorgung innerhalb der gesamten Oberpfalz und Niederbayerns, als auch für ihre eigenen Patienten gibt. Und dazwischen: 50 regionale Krankenhäuser, unter ihnen auch das Universitätsklinikum Regensburg, sowie circa 1.500 niedergelassene Ärzte in der Oberpfalz und in Niederbayern. Dazu Monika Klinkhammer-Schalke: „Durch die stän-
dige Zusammenarbeit mit behandelnden Ärz-
ten aus unterschiedlichen Fachbereichen – so-
wohl stationär, als auch ambulant – konnten
viele, für an Krebs erkrankte Menschen wichtige und versorgungsrelevante Fragestellungen gemeinsam analysiert werden.“ Die so mögliche Transparenz sei in der Lage, nicht nur die Behandlungsrealität aufzuzeigen, son-
dern auch Defizite sichtbar zu machen, die dann gemeinsam verbessert werden können.
Genau das ist die Zielsetzung des Tumorzentrums: Durch leitliniengerechte Therapie und Umsetzung neuer Therapieoptionen das Überleben von onkologischen Patienten zu verbessern. Dies geschieht zum einen durch die strukturierte Erhebung und Auswertung von Erkrankungsdaten nach Vorgaben des Krebsregistergesetzes und den kontinuierlichen Austausch mit den behandelnden Ärzten. Zum anderen wird die bestehende Netzwerkstruktur behandelnder Ärzte in hohem Maße durch gemeinsame Qualitätszirkel, Projektgruppen und Symposien zur Qualitätsverbesserung genutzt, was sich wiederum außerordentlich für Studien der Versorgungsforschung eignet. Dies spiegelt sich wider in wissenschaftlichen Arbeiten von mehr als 20 Doktoranden, die gemeinsam mit Klinikern spezifische Fragestellungen zur Versorgungssituation onkologischer Patienten, aber auch zum Outcome neuer Therapieoptionen bearbeiten.
Mit Erfolg? Durchaus: Beispielhaft konnte die Gabe der indizierten Chemotherapie bei Darmkrebspatienten von 45 auf 80 Prozent gesteigert werden, nachdem Barrierenanalysen gezeigt haben, dass die Informationen zu dieser weiterführenden und notwendigen Therapie aus dem stationären Bereich nicht kontinuierlich an die ambulant behandelnden Ärzte weitergegeben wurden. Nachdem dies kommuniziert und die notwendigen Informationen routinemäßig in den Arztbrief einflossen, bekamen alle Patienten diese Therapie, die seitdem ein mehr als 10 Prozent besseres Überleben zur Folge hat.
Seit dem Jahr 2003 existiert darüber hinaus im Tumorzentrum die Studienzentrale für Lebensqualitätsdiagnostik und ‑therapie, die mit klassischen Verfahren der Implementierung (outreach visits, interactive continuous medical education und opinion leaders) eingerichtet wurde. Das Vorhaben wurde von 2003 bis 2007 durch das Programm „Gesund. Leben. Bayern.“ des Bayerischen Gesundheits-
ministeriums unterstützt, ebenso wurden weitere Studien zur Prüfung der Wirksamkeit von Lebensqualitätsdiagnostik und -therapie von der Deutschen Krebshilfe e.V. und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Das Institut arbeitet darüber hinaus in der AG Versorgungsforschung des Comprehensive Cancer Center Ostbayern (CCCO); das mit dem erklärten Ziel, die einzelnen Kliniken und Institute und deren laufende Projekte stärker miteinander zu vernetzen und gemeinsame Studien im Bereich Versorgungsforschung in multidisziplinärer Zusammenarbeit auf den Weg zu bringen. Versorgungsforschung, wenn sie denn in die Versorgungsrealität überführt wird, hat eben durchaus die Kraft, Leben zu schützen!
Von daher war es für das Team des Tumorzentrums ein wichtiger Erfolg, dass die Entwicklung einer Intervention zur systematischen Diagnostik und gezielten Therapie der Lebensqualität von onkologischen Patienten im Rahmen einer komplexen Intervention abgeschlossen werden konnte. Deren Wirksamkeit wurde in zwei randomisierten Studien, einerseits für Patienten mit Brustkrebs, andererseits mit Darmkrebs überprüft und nachgewiesen. „Das langfristige Ziel ist die dauerhafte und nachhaltige Implementierung der Intervention in die ambulante und stationäre Routineversorgung onkologischer Patienten“, erklärt Monika Klinkhammer-Schalke.
Abgedeckt werden vom Regensburger Tumor-
zentrum und damit vom Institut für Versor-
gungsforschung diverse, sich ergänzende Arbeitsbereiche:
• flächendeckende, sektorenübergreifende und bevölkerungsbezogene Dokumentation und Auswertung der Verläufe von Tumorerkrankungen in der Oberpfalz/in Niederbayern
• Dokumentation von Tumorerkrankungen für das epidemiologische und klinische Krebsregister
• Durchführung von Projekten der onkologischen Versorgungsforschung und der Lebensqualitätsforschung
• Fortbildung der niedergelassenen Ärzte in Qualitätszirkeln (7 Qualitätszirkel führen in den Landkreisen der Oberpfalz regelmäßig Fortbildungen und Fallkonsile durch)
• externe Qualitätssicherung in der onkologischen Versorgung
• Zertifizierungsbegleitung von onkologi-schen Organkrebszentren (z.B. Brustkrebs-, Darmkrebs-, Prostatakrebs-, Lungenkrebs-, Hautkrebszentren)
• kontinuierlicher Informationstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis in der Onkologie
Und was liegt Monika Klinkhammer-Schalke ganz persönlich am Herzen? Das ist zum einen die Beachtung und Einführung der Lebensqualität von Patienten in die medizinische Routineversorgung. „Wir reden viel über dieses Thema, doch die flächendeckende Implementierung scheitert zumeist an methodischer Vielfalt von Fragebögen, nicht bekannter oder vorhandener Fachexperten im Gesundheitsbereich und – wie ich finde – auch an Entschlossenheit.“ Dabei gebe es randomisierte Studien in diesem Bereich, die signifikante Verbesserungen zeigen, die Empfehlungen geben und doch – so ihre Kritik – „verweilen wir im Diskussionsmodus“. Ihr persönliches Ziel ist die Verwendung eines, maximal zweier Fragebögen zu Erfassung und Aufbau von regionalen Netzwerken, deren Experten Menschen mit verminderter Lebensqualität zur Verfügung stehen. <<
Dr. med. Brunhilde Steinger
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
>> Warum arbeiten Sie im „Institut für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg“?
Nach meiner Facharztausbildung zur Ärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und einer mehr als zehnjährigen praktischen Tätigkeit auf diesem Gebiet in der Klinik, bin ich seit mehreren Jahren am Institut für Versorgungsforschung tätig. Die interdisziplinäre Ausrichtung des Instituts ist für mich sehr wertvoll, da ich hier meine Expertise aus dem praktisch-klinischen Bereich in unterschiedliche Projekte einbringen kann.
Was zeichnet in Ihren Augen das Regensburger Institut aus?
Die Zusammenarbeit mit ärztlichen Kollegen in Praxis und Kliniken, wissenschaftlich forschenden Ärzten sowie mit Therapeuten auf dem Gebiet der Onkologie und vor allem auch die Verbindung zu den betroffenen Patienten und Angehörigen sind hier in einem Umfeld mit wirklich motivierender Direktorin gegeben. Andere Forschungsprojekte des Instituts werden z.B. mit zertifizierten Organkrebszentren oder onkologischen Zentren durchgeführt. Oder auch spannende Projekte, in denen wir Doktoranden beschäftigen z.B. bevölkerungsbezogene Analysen zu Fragen von Operationsverfahren bei spezifischen Karzinomen und hier der Vergleich mit durchgeführten prospektiven randomisierten Studien.
Mit welchen Thematiken und Fragestellungen sind Sie derzeit beschäftigt?
Besonders liegt mir die Lebensqualitätsforschung bei Patienten mit onkologischen Erkrankungen am Herzen. Aktuell liegt mein Forschungsschwerpunkt in den Bereichen Lebensqualität von Patientinnen mit Mammakarzinom und Lebensqualität von Patienten mit kolorektalem Karzinom.
Was möchten Sie ganz persönlich mit Versorgungsforschung erreichen?
Ich hoffe durch unsere Forschungsarbeiten und Ergebnisse einen Beitrag zur (schnelleren) Verbesserung krankhafter Lebensqualität bei Patienten mit onkologischen Er-
krankungen, durch spezifische therapeutische Maßnahmen, nicht nur in unserer Region, sondern bundesweit, leisten zu können. <<
Dr. phil. Patricia Lindberg
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Warum arbeiten Sie im „Institut für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg“?
Seit dem Abschluss meines Psychologiestudiums arbeite ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Tumorzentrum Regensburg. Für den thematischen Schwerpunkt Lebensqualitätsforschung konnte ich mich sofort begeistern, insbesondere auch aufgrund des konkreten Bezugs zur Verbesserung der Versorgung von onkologischen PatientInnen. Aufgrund der vielseitigen und spannenden Tätigkeit, aber auch der kollegialen Zusammenarbeit und der sehr engagierten und motivierenden Leitung, bin ich auch nach Abschluss meiner Promotion weiterhin im Tumorzentrum tätig. Die wissenschaftliche Arbeit bietet für mich einen wertvollen Ausgleich zu meiner parallelen Weiterbildung zur psychologischen Psychotherapeutin.
Was zeichnet in Ihren Augen das Institut, an dem Sie tätig sind, aus?
Das Institut zeichnet sich durch seine Nähe zu den behandelnden Ärzten im stationären und ambulanten Bereich in der Region auch deshalb besonders aus, da ein klinisches Krebsregister integriert ist. Dies eröffnet einen direkten, praktischen Bezug zur Versorgungsrealität und erleichtert zudem die Durchführung von Studien.
Mit welchen Thematiken und Fragestellungen sind Sie derzeit beschäftigt?
Nach dem Wirksamkeitsnachweis der Lebensqualitätsintervention für Patientinnen mit Brustkrebs überprüfen wir aktuell in einer weiteren randomisierten Studie die Generalisierbarkeit der Ergebnisse für PatientInnen mit anderen Tumorerkrankungen, beispielhaft für PatientInnen mit Darmkrebs. Die Studienergebnisse werden derzeit ausgewertet. Darüber hinaus prüfen wir momentan die Umsetzung einer digitalen Form der Lebensqualitätsmessung im stationären und insbesondere im ambulanten Bereich mittels Tablet und digitaler Faxauswertung für Patienten mit Brustkrebs.
Was möchten Sie ganz persönlich mit Versorgungsforschung erreichen?
Ich hoffe, dass durch unsere Forschung die Lebensqualität von onkologischen PatientInnen in allen Phasen der Behandlung noch stärker in den Fokus gerückt wird, sodass sie in der Regelversorgung die notwendige Beachtung und Behandlung zum Wohl der Patienten erfährt. <<