Die Transdisziplinarität ist eine Lebenshaltung
http://doi.org/10.24945/MVF.05.18.1866-0533.2096
>> Erfreut von der hohen Anzahl an Teilnehmenden begrüßte Professor Dr. Holger Pfaff, Direktor des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR) der Universität zu Köln, die anwesenden Kölner Bürgerinnen und Bürger. Die unter dem Titel „Auf einen Kaffee mit der Wissenschaft“ laufende Veranstaltung verfolgt das Ziel, die Wissenschaft aus ihrem Elfenbeinturm zu führen und direkt mit den Betroffenen aktuelle Forschungsprojekte und Ergebnisse zu diskutieren, erklärte Professor Pfaff in seiner Begrüßungsrede. Die Veranstaltung fand in einem Kölner Bürgerzentrum statt. Vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten an diesem Nachmittag in informativen und unterhaltsamen Vorträgen von je zehn Minuten ihre Forschungsprojekte vor. Durch das Programm führte Lüder Wohlenberg, ein Kölner Arzt und Kabarettist.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind es gewohnt, ihre Ergebnisse vor Fachpublikum vorzustellen und sich auf Kongressen der fachlichen Diskussion zu stellen. Eine Präsentation der Forschungsfrage wie auch der Ergebnisse vor Bürgerinnen und Bürgern ist dagegen für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neue Herausforderung. Diese Herausforderung gilt es im Sinne eines partizipativen Ansatzes anzunehmen.
Transdisziplinarität – Einbindung aller Stakeholder
Der Ausgangspunkt transdisziplinärer Forschung ist eine lebensweltliche Fragestellung, die eine gesellschaftliche Herausforderung adressiert.1 Das zentrale Merkmal von Transdisziplinarität ist die partizipative Einbeziehung wissenschaftlicher als auch nicht-wissenschaftlicher Akteurinnen und Akteuren aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft2, die im regulären Wissenschaftsbetrieb häufig nicht als aktiver Teil des Wissenschaftssystems verstanden werden.
Hieran kann der wesentliche Unterschied zu interdisziplinären Ansätzen ausgemacht werden, in denen ausschließlich Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen gemeinschaftlich forschen.
Insbesondere im Themenfeld Gesundheit und Versorgung ergibt sich eine hohe Bedeutung der Einbeziehung nicht-wissenschaftlicher Akteure z.B. von Praxisakteurinnen und Praxisakteuren sowie Bürgerinnen und Bürgern, da diese unmittelbar als Patientinnen und Patienten bzw. Angehörige (z.B. von geänderten Prozessen, Innovationen, neuen Erkenntnissen) betroffen sind. Sie sind als Wissens- und Erfahrungsträger Experten für die Bedarfe der spezifischen Zielgruppe. Diskutiert man den demographischen Wandel und die Auswirkungen auf die Versorgung, muss daher das Expertenwissen des wachsenden Bevölkerungsanteils älterer Menschen eingebunden werden.
Wissenschaft ist folglich kein isoliertes und eigenständiges System, sondern steht in Interdependenz mit Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Die Wissenschaftskommunikation gewinnt immer mehr an Bedeutung, basiert unsere Wissensgesellschaft immerhin auf Wissen und Informationen.3 Zu unterscheiden ist zwischen interner und externer Wissenschaftskommunikation, wobei sich die externe Kommunikation an nicht-wissenschaftliche Akteure richtet und somit Grundlage der transdisziplinären Arbeit ist. Wissenschaftskommunikation findet auf drei Ebenen statt: die Makroebene betrachtet die Darstellung des Wissenschaftssystems als Ganzes gegenüber der Gesellschaft, in der Wissenschaft als Instrument des Fortschritts gilt. Auf der Mesoebene kommunizieren wissenschaftliche Institutionen ihre Forschung an Politik und Wirtschaft. Schließlich entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der Mikroebene Projekte zu Forschungsthemen und kommunizieren die Ergebnisse an die Öffentlichkeit.4 Dies geschieht mittlerweile nicht mehr nur über gängige Massenmedien; neue Formate können genutzt werden, um Wissenskommunikation und den transdisziplinären Wissensaustausch zu gestalten. Beispiele für solche Formate, die sich auf der Mikroebene bewegen, sind Fokusgruppen, World Cafés, Science Slams oder ähnliche (Begegnungs-) Formate5. Diese ermöglichen die Einbindung diverser Stakeholder. Die Bedeutung der Wissenschaftskommunikation ist inzwischen auch den Bürgerinnen und Bürgern bewusst: sie erkennen an, dass Forschung und Wissenschaft wesentlich zum Wohl(-stand) der Gesellschaft beitragen.6
Zu berücksichtigen bei Formaten transdisziplinärer Wissenschaftskommunikation sind insbesondere die Einbindung der Teilnehmenden, unter anderem durch zielgruppensensible Ansprache, Schaffung eines gemeinsamen Grundverständnisses, Anpassen des Sprachgebrauchs, z.B. durch Aufbereitung fachlicher Begrifflichkeiten oder Visualisierung und anschauliche Darstellung der Inhalte. Alle Teilnehmenden sollten frei ihre Erfahrungen teilen und auf Augenhöhe kooperieren können. Praxiswissen und wissenschaftliche Erkenntnisse sollten hierbei entsprechend ihrem Erkenntniswert und ihrer Problemrelevanz eingehen. Ergebnisse aus transdisziplinären Formaten haben dann die Chance, praktikabler und stärker am Gemeinwohl orientiert zu sein.7
Science Slam als
transdisziplinäres Format
Ein konkretes Beispiel für ein transdisziplinäres und populärwissenschaftliches Format ist der Science Slam als junge Form der Wissenschaftskommunikation. Hier treten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegeneinander an und stellen in kurzen Vorträgen à zehn Minuten auf niedrigschwellige, unterhaltsame und verständliche Art und Weise ihre Forschungsprojekte interessiertem und meist fachfremdem Publikum vor. Am Ende entscheiden die Zuschauer über den/die Sieger/in. Wie die Themen vorgestellt werden, ist den Slammer-innen und Slammer überlassen. Erlaubt sind in der Regel sämtliche Requisiten und Mittel, von klassischen Powerpoint-Präsentationen bis hin zu Live-Experimenten.8
Angelehnt an dieses Konzept eines Science Slams wurde die Veranstaltung „Auf einen Kaffee mit der Wissenschaft: Gesundheitsversorgung“ ins Leben gerufen.
Science Slam:
„Auf einen Kaffee mit der Wissenschaft: Gesundheitsversorgung“
Die vier vortragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzten unterschiedliche Mittel zur Darstellung ihrer Forschungsprojekte und stellten sich der Herausforderung, die Themen in kurzer Zeit so aufzubereiten, dass sie auch für Laien verständlich waren. So wurde das Projekt „MamBo – Multimorbide Menschen in der ambulanten Betreuung: Patientenzentriertes, bedarfsorientiertes Versorgungsmanagement“ unter dem „übersetzten“ Titel „Ambulante Versorgung von Menschen mit mehreren Erkrankungen“ von Ibrahim Demirer vorgestellt. Besonderen Fokus legte er auf die Aufklärung über wissenschaftliche Forschungsmethoden, um z.B. die Bereitschaft zur Teilnahme an wissenschaftlichen Befragungen zu erhöhen und den Wert der bürgerschaftlichen Beteiligung an Studien hervorzuheben. Dem Thema „Pflege für Pflegende“ widmete sich Andreas Kocks im Projekt „empCARE“. Zur informativen sowie unterhaltsamen Darstellung der Inhalte nutzte er Schaubilder und selbsterstellte Illustrationen. Gloria Hanke, Projekt „Last year of life study Cologne“9, gelang es mittels Storytelling – hier anhand eines praxisnahen, emotionalen Einzelfalls – Lücken im System der Versorgung am Lebensende und somit die hohe gesellschaftliche Relevanz des Themas aufzuzeigen.
Im Projekt „OrgValue“ (Characteristics of value-based health and social care from organizations‘ perspectives) werden die Differenzen zwischen Patientenbedarfen aus Versorgersicht und den tatsächlichen Bedarfen aus Perspektive der Patienten untersucht. Um die angewandte qualitative Methodik anschaulich darzustellen, zitierte Kira Hower im Rahmen ihres Slams Originalaussagen der Studienteilnehmer und zeigte so positive Beispiele und Schwierigkeiten der patientenzentrierten Versorgung auf.
Das Ziel der Veranstaltung war es, mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern in den Dialog zu gehen und ihnen gesellschaftlich relevante Themen und Forschungsfragen im Bereich der Gesundheitsversorgung nahezubringen und diese zu diskutieren. Die aktive und interessierte Teilnahme des Publikums sowie die Ergebnisse der Evaluation bestätigten das Gelingen dieser Form der Wissenschaftskommunikation. Dem transdisziplinären Ansatz folgend wurde nicht lediglich über, sondern mit betroffenen Menschen gesprochen. Auch die zielgruppengerechte Moderation trug maßgeblich zum Erfolg der Veranstaltung bei, indem Raum für das Entstehen von Dialogen und Diskussionen gegeben wurde. Die Anregungen, persönlichen Erfahrungen und Rückmeldungen der interessierten Bürgerinnen und Bürger ermöglichen es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ihre weitere Forschung bedarfsorientiert auszurichten.
Das insgesamt positive Feedback zur Veranstaltung verdeutlicht das Interesse und den Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, Teil der angewandten Wissenschaft zu sein und kann Forschende ermutigen, neue Formate der Wissenschaftskommunikation auszuprobieren. <<
von: Laura Müller1, Judith Brehm2,
Hannah Muranko3 und Nadine Scholten4
1: Studentin an der Universität zu Köln; 2: Projektmanagerin beim Gesundheitsregion KölnBonn e.V. und wissenschaftliche Mitarbeiterin am gewi-Institut für Gesundheitswirtschaft e.V.; 3: Mitarbeiterin am gewi-Institut für Gesundheitswirtschaft e.V.; 4: Koordinatorin CoRe-Net am IMVR – Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft an der Universität zu Köln.
Zitationshinweis: Müller et.al: „Die Transdisziplinarität ist eine Lebenshaltung“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (05/18), 30-31.; doi: 10.24945/MVF.05.18.1866-0533.2096