Demografische und klinische Charakteristika der hausärztlichen Patienten, die im Frühjahr 2021 gegen Covid-19 geimpft wurden
doi: http://doi.org/10.24945/MVF.06.21.1866-0533.2349
Die Autoren untersuchten Altersstruktur sowie Komorbiditäten der in April und Mai 2021 in den hausärztlichen Praxen geimpften Personen. Die Analyse basierte auf der IQVIA Disease-Analyzer-Datenbank und umfasste 245.948 Patienten, die im April oder Mai 2021 ihre erste Covid-19-Impfung in einer der 820 Hausarzt-Praxen erhielten. Insgesamt konnten 121.032 Frauen (49,2%) und 124.926 Männer (50,8%) erfasst werden. Das Durchschnittsalter aller Impflinge lag bei 59,9 Jahren (Frauen 61,5 Jahre, Männer 58,4 Jahre). 93,6% Personen bekamen die Impfung aufgrund der allgemeinen Indikation, 6,2% aufgrund der beruflichen Indikation, und 0,2% waren Pflegeheimbewohner. Männer waren im Schnitt um 3,5 Jahre jünger als Frauen (59,2 vs. 62,7 Jahre). 54% der Frauen und 52% der Männer unter 60 Jahren wiesen mindestens eine Diagnose aus der Prioritätsliste auf. Hypertonie war die häufigste Diagnose (23,6% der Männer und 20,7% der Frauen). Bei Männern war eine chronische Diagnose wie COPD oder Asthma der zweithäufigste Befund(11,0%) während bei Frauen Depressionen (17,0%) am zweithäufigsten diagnostiziert wurden. Weitere Studien, die geimpfte und ungeimpfte Personen in Bezug auf ihre Charakteristika vergleichen, wären auch von großer epidemiologischer Relevanz.
Demographic and clinical characteristics of general practitioners who were vaccinated
against Covid-19 in spring 2021
The age distribution and comorbidities of individuals vaccinated in primary care practices in April and May 2021 was examined. The analysis was based on data from the IQVIA Disease Analyzer database and included 245,948 patients who received their first Covid-19 vaccination from one of 820 family medicine practices in April or May 2021. A total of 121,032 women (49.2%) and 124,926 men (50.8%) were enrolled. The average age of all vaccinees was 59.9 years (women 61.5 years, men 58.4 years). 93.6% of individuals received a vaccination based on general indication, 6.2% based on occupational indication, and 0.2% were nursing home residents. 54% of women and 52% of men younger than 60 years had at least one diagnosis from the priority list. Hypertension was the most common diagnosis (23.6% of men and 20.7% of women). In men, chronic respiratory diseases such as COPD or asthma were the second most common diagnosis (11.0%) while in women, depression (17.0%) was the second most common diagnosis. Further studies comparing the characteristics of vaccinated and unvaccinated individuals would also be of great epidemiological relevance. We examined the age distribution and comorbidities of individuals vaccinated in primary care practices in April and May 2021. The analysis was based on data from the IQVIA Disease Analyzer database and included 245,948 patients who received their first Covid-19 vaccination from one of 820 family medicine practices in April or May 2021. A total of 121,032 women (49.2%) and 124,926 men (50.8%) were enrolled. The average age of all vaccinees was 59.9 years (women 61.5 years, men 58.4 years). 93.6% of individuals received a vaccination based on general indication, 6.2% based on occupational indication, and 0.2% were nursing home residents. 54% of women and 52% of men younger than 60 years had at least one diagnosis.
Keywords
Covid-19-diagnosis, prevalence, associated factors, symptomatic patients, general practices
Prof. Dr. rer. med. habil. Karel Kostev / Dr. rer. nat. Philipp Beinker / Kerstin Weber / Dr. med. Dr. phil. Jens Bohlken /
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Zitationshinweis: Kostev et al.: „Demografische und klinische Charakteristika der hausärztlichen Patienten, die im Frühjahr 2021 gegen Covid-19 geimpft wurden“, in: „Online First“ und „Monitor Versorgungsforschung“ (06/21), S. 59-62. http://doi.org/10.24945/MVF.06.21.1866-0533.2349
Open Access
Plain-Text:
Demografische und klinische Charakteristika der hausärztlichen Patienten, die im Frühjahr 2021 gegen Covid-19 geimpft wurden
Ende Dezember 2020 hat Deutschland mit der Impfung der Bevölkerung gegen Covid-19 begonnen. Bis Februar 2021 wurden bereits mehrere Impfstoffe in vielen Ländern inklusive Deutschland zugelassen [1]. Bis Juni 2021 konnte die Covid-19-Impfung aufgrund der begrenzten Impfstoffverfügbarkeit jedoch nur bestimmten Personengruppen angeboten werden. Die Priorisierung erfolgte nach der Höhe des Risikos für schwere oder tödliche Verläufe einer Covid-19-Erkrankung sowie aufgrund der beruflichen Exposition oder des engen Kontaktes zu vulnerablen Personengruppen. Höchste Priorität hatten, unter anderem, über 80-Jährige sowie Mitarbeiter der medizinischen Einrichtungen oder Altersheime. Hohe Priorität hatten u.a. Über-70-Jährige sowie Personen mit definierten schweren chronischen Erkrankungen (z.B. Demenz oder geistige Behinderung). Erhöhte Priorität bekamen über 60-Jährige sowie Personen mit weiteren Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus oder Schlaganfall) [2]. Darüber hinaus mussten enge Kontaktpersonen von Pflegebedürftigen und Schwangeren priorisiert werden. Die Impfpriorisierung wurde zum 7. Juni 2021 bundesweit für alle Impfstoffe aufgehoben. Im Jahr 2021 durchgeführte Studien in Deutschland ergaben eine hohe Akzeptanzrate unter Beschäftigten des Gesundheitswesens [3] sowie unter älteren Personen [4].
Methoden
Diese Querschnittsstudie basierte auf elektronischen Patientendaten aus der Disease-Analyzer-Datenbank (IQVIA), in der Arzneimittelverordnungen, Diagnosen sowie allgemeine medizinische und demografische Daten erfasst werden, die direkt in anonymisierter Form aus den in den Praxen von Haus- und Fachärzten verwendeten Computersystemen stammen. Die Diagnosen, Verschreibungen und die Qualität der gemeldeten Daten werden von IQVIA anhand einer Reihe von Kriterien überwacht. Der Erfassungsgrad dieser Datenbank liegt bei etwa 3% aller niedergelassenen Praxen aller Bundesländer in Deutschland. Die in Deutschland zur Auswahl der Arztpraxen verwendeten Stichprobenverfahren haben sich als geeignet erwiesen, um eine bevölkerungsrepräsentative Datenbank der Primär- und Spezialversorgung zu erhalten [7].
Die Analyse umfasste Patienten, die im April oder Mai 2021 ihre erste Covid-19-Impfung von einer der 820 Hausarzt-Praxen erhielten, die routinemäßig Daten an die Disease-Analyzer-Datenbank senden. Impfungen wurden mit Hilfe der EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab)-Leistungsziffern identifiziert, die eine Zuordnung zu drei Indikationen erlauben (allgemeine Indikation, berufliche Indikation und Pflegeheimbewohner).
Die Auswertungen bezogen sich auf Indikation, Altersstruktur (bis 30, 31-40, 41-60, 61-70, 71-80, >80), Geschlecht, Ko-Diagnosen sowie Komorbidität (0, 1, 2, >2 verschiedene Erkrankungen). Diagnosen erhielten alle Krankheiten, die in den Priorisierungslisten genannt wurden, inklusive Down-Syndrom, Demenz oder schwere psychiatrische Erkrankung (Depression, Schizophrenie, bipolare Störung), chronische Lebererkrankung, Krebserkrankung, chronische Lungenerkrankung (COPD, Asthma, Mukoviszidose), Diabetes mellitus, Adipositas, chronische Nierenerkrankung, Herzerkrankungen (ischämische Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern), Autoimmunerkrankungen (multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa, Spondylitis, Lupus, Psoriasis, Morbus Hashimoto, Morbus Addison, Morbus Cushing), arterielle Hypertonie.
Bei geimpften Personen, die keine Diagnose aus der Prioritätsliste aufwiesen, wurden weitere Diagnosen (Anämien, Schilddrüsenerkrankungen, Vitamin D-Mangel, Hypercholesterinämie, Angststörung und posttraumatische Belastungsstörung, chronische Kopfschmerzen, Mono- und Polyneuropathien, Krankheiten der Venen, Allergien und chronische Rhinitis, chronische Magenerkrankungen) geprüft.
Es handelt sich um eine deskriptive Auswertung ohne komplexe statistische Analysen.
Ergebnisse
Insgesamt standen 245.948 Personen für Analysen zu Verfügung, die im April oder Mai 2021 ihre erste
Covid-19-Impfung erhielten. Insgesamt konnten 121.032 Frauen (49,2%) und 124.926 Männer (50,8%) erfasst werden. Das Durchschnittsalter aller Impflinge lag bei 59,9 Jahren (Frauen 61,5 Jahre, Männer 58,4 Jahre).
230.299 (93,6%) Personen bekamen eine Impfung aufgrund der sogenannten allgemeinen Indikation, 15.154 (6,2%) aufgrund der beruflichen Indikation, und nur 505 (0,2%) waren Pflegeheimbewohner. Abbildung 1 zeigt die Altersstruktur der Personen mit allgemeiner Indikation. Männer waren im Schnitt um 3,5 Jahre jünger als Frauen. Abbildung 2 zeigt den Anteil der Frauen und Männer unter 60 Jahren mit Diagnosen aus der Prioritätsliste. 46,3% der Frauen und 48,4% der Männer wiesen keine der Diagnosen aus der Prioritätsliste auf. Die Verteilung der Diagnosen zeigt die Abbildung 3. Hypertonie war die häufigste Diagnose (23,6% der Männer und 20,7% der Frauen). Bei Männern war eine chronische Atemwegserkrankung wie COPD oder Asthma die zweithäufigste Dia-
gnose (11,0%), während bei Frauen eine Depression (17,0%) am zweithäufigsten diagnostiziert wurde.
Eine detaillierte Analyse der Patienten ohne Diagnosen aus der Prioritätsliste hat gezeigt, dass 30,2% von ihnen mindestens eine andere chronische Erkrankung hatten. Die häufigsten Diagnosen waren eine chronische Magenkrankheit (7,5%), allergische Rhinitis oder chronische Sinusitis (7,5%) oder Schilddrüsenerkrankung (6,3%).
Eine Analyse auf Monatsbasis der Monate April und Mai 2021 ergab folgendes Bild: Im April waren 10,8% jünger als 60 Jahre und ohne relevante Diagnosen, während dieser Anteil im Mai 30,6% betrug.
Diskussion
Diese Querschnittsstudie umfasst fast 246.000 Patienten mit einer Impfung gegen Covid-19 aus 820 Hausarztpraxen in Deutschland. Die Untersuchung wurde mit Hausarztpraxen durchgeführt, da diese auch die regulären Impfungen der Bevölkerung durchführen und eine gute Repräsentativität der Patienten in Deutschland ermöglichen sollten. Die Studie ergab, dass 94% der Personen aufgrund der Allgemeinindikation geimpft waren. Es wurde auch festgestellt, dass mehr als die Hälfte dieser Personen über 60 Jahre alt waren und damit aufgrund ihres Alters geimpft werden durften. Unter den jüngeren Menschen hatte die Hälfte eine der chronischen Erkrankungen, die in der Impfprioritätsliste genannt sind. Darüber hinaus hatten mehrere Personen weitere chronische Erkrankungen. Trotzdem konnte bei einem Drittel der geimpften Patienten unter 60 Jahren keine der bekannten chronischen Erkrankungen festgestellt werden. Nach Kenntnis der Autoren ist dies die erste oder eine der ersten größten Studien, die demografische und klinische Charakteristika der von Hausärzten gegen Covid-19 geimpften Personen untersucht hat. Aus Berichten der Hausärzte ist bekannt, dass es zahlreiche Probleme in den ersten Wochen der Impfkampagne gab, z.B. Probleme mit Lieferungen der Impfstoffe (z.B. 8).
Darüber hinaus mussten die Hausärzte einen sehr großen Aufwand mit der Organisation, Aufklärung und Beratung der Patienten betreiben (9). Trotzdem, gerade dank der Hausärzte, konnten immer schneller und immer mehr Menschen geimpft werden. Unsere Daten zeigen, dass vor allem ältere und kranke Menschen im Beobachtungszeitraum von Hausärzten geimpft wurden, während z.B. Personen mit beruflicher Indikation und Pflegeheimbewohner einen kleinen Anteil ausmachten. Höchstwahrscheinlich wurden Pflegeheimbewohner zu diesem Zeitpunkt bereits von mobilen Teams direkt in Pflegeheimen geimpft, während Personen mit beruflicher Indikation direkt in den Kliniken und Impfzentren geimpft wurden.
Einen Teil der geimpften Personen konnten wir nicht einer
Prioritätsgruppe zuordnen. Für diesen Anteil kann es verschiedene Gründe geben, die gleichzeitig Limitationen unserer Studie darstellen. Erstens haben wir nur häufige Erkrankungen betrachtet.
Es gibt mehr als 100 selten vorkommende schwere Erkrankungen, die eine frühere Covid-Impfung rechtfertigten. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass das Impfgeschehen von dynamischen, teilweise sehr volatilen wissenschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen abhängig war. So änderten sich wiederholt Vorgaben, an denen sich Hausärzte orientieren sollten; relativ früh wurde die Impfpriorisierung für den Covid-19-Impfstoff von AstraZeneca aufgehoben, wodurch sofort sehr viele Menschen, die zu keiner Prioritätsgruppe gehörten, geimpft werden konnten. Eine Unterscheidung, welcher Impfstoff jeweils eingesetzt wurde, ist nicht ohne weiteres möglich und wurde in dieser Studie nicht analysiert. Drittens wurde die Impfpriorisierung insgesamt Ende Mai für den niedergelassenen Bereich größtenteils aufgehoben, was es ermöglichte, auch Patienten ohne Priorisierung zu impfen. Informationen über schwere Erkrankungen oder die Pflegebedürftigkeit von Familienmitgliedern oder Kontaktpersonen, die eine Impfindikation darstellen, fehlen leider auch. Die Analyse auf Monatsebene spiegelt die schrittweise Aufhebung der Priorisierung im niedergelassenen Bereich wider. So nahm der Anteil der Patienten, die keiner Priorisierungsgruppe zugeordnet werden konnten, von 11% im April auf 31% im Mai zu. Schließlich sind bei der Bewertung der Impfungen auch Änderungen der Einstellung in der Bevölkerung zu einzelnen Impfstoffen und der Covid-19-Impfung insgesamt zu berücksichtigen (10).
Fehlende Daten könnten in künftigen Studien über Befragungen ermittelt werden. Weitere Studien, die geimpfte und ungeimpfte Personen in Bezug auf ihre Charakteristika vergleichen, wären auch von großer epidemiologischer Relevanz. <<