„Das ist kein Endpunkt, sondern ein Startpunkt“
>> Das ist „kein Endpunkt, sondern ein Startpunkt“. Mit diesem Satz fasste Prof. Maarten J. Ijzerman (PhD, University of Twente) nicht nur das Fazit seines Vortrags („Patient relevant endpoints: the use of multi-criteria decision analytic techniques and the Analytic Hierarchy Process“), sondern des gesamten Fachkongresses von Monitor Versorgungsforschung zusammen, der den Status quo der möglichen Einflussnahme von Patienten auf die ihnen wichtigen Endpunkte aufarbeitete. Ijzerman weiter: „Die Rolle der Patientenpreferenzen ist anerkannt.“ Es gehe also nicht mehr um das „ob“, sondern nur noch um das „Wie“.
Doch dieses „nur noch“ hat es in sich. Wer die Komplexität auch nur annähernd verstehen möchte, muss tief in die wissenschaftliche Methodik zweier Instrumentarien einsteigen, die auf dem MVF-Kongress vorgestellt wurden: Prof. Ijzerman erklärte den Analytic Hierarchy Process (AHP) und Prof. Dr. Axel Mühlbacher (Hochschule Neubrandenburg, IGM) die Conjoint Analyse (CA), während den Systemvergleich Dr. Charlabos-Markos Dintsios, MA, MPH (vfa HTA & Gesundheitsökonomische Evaluation, früher beim IQWIG u.a. für diese Projektvergabe zuständig) vornahm.
Das Positive: Mit beiden Instrumenten kann eine Endpunktgewichtung vorgenommen werden. Das Negative dabei: Beide haben methodische Stärken und Schwächen, wie Dintsios ausführte. So ist bei der dekompositonellen Methode der Conjoint Analyse (CA) der Bewertungsprozess ganzheitlich, dazu würden reale Entscheidungssituation simuliert. Im Gegensatz dazu wird bei der kompositionellen Methode des Analytic Hierarchy Process (AHP) lediglich eine Paarvergleichsbewertung sowie eine Komplexitätsreduktion durch Dekomposition und hierarchische Strukturierung vorgenommen.
Als methodische Schwächen nannte Dintsios bei CA die „schnelle kognitive Überforderung der Probanden bei einer Vielzahl von Eigenschaften und deren Ausprägungen“. Und bei AHP, dass die „Bewertung mittels Paarvergleichen nicht der realen Entscheidungssituation“ entspreche, was zum Teil eine mangelnde Stabilität der Ergebnisse hervorrufen könne.
Auch im Ressourcenaufwand präsentieren sich nach Dintsios beide Instrumente recht unterschiedlich: Während bei der CA die Patientenzahl bei repräsentativer Stichprobe über 50 bis 100 liege und die Studie mindestens 6 Wochen dauere, läge beim APH die Patientenzahl bei repräsentativer Stichprobe ab 25 und sei bereits in 2 bis 3 Wochen durchführbar.
Doch welches Instrument ist nun besser? Und vor allem: Welches Instrument wird jenes sein, welches das IQWIG künftig anerkennen wird?
Die Antwort gab PD Dr. med. Andreas Gerber-Grote (Leiter Ressort Gesundheitsökonomie im IQWiG), der den Vortrag „Kosten-Nutzen-Bewertung zwischen Anspruch und Datenbasis: Surrogate und patientenrelevante Endpunkte“ präsentierte, in der nachfolgenden Podiumsdiskussion. Zuallererst, so Gerber-Grote, müsse die Frage beantwortet werden, ob der G-BA derartige Studien , die auf einer der beiden Instrumente basieren, überhaupt zulässt. Gerber-Grote: „Sollte der G-BA das tun, gibt es sicherlich Kriterien, anhand derer wir deren Qualität prüfen würden.“ Nur gibt es die bislang nur für die CA, nicht aber für den AHP, wie Dintsios betonte.
Doch was soll die Industrie nun tun, zumal in einer Indikation wie der Hepatitis, in der das IQWiG beispielsweise SVR als nicht validiertes Surrogat ansieht, der G-BA - nach einer entsprechender Anhörung vor allem klinisch tätiger Wissenschaftler - aber sehr wohl. Wenn das IQWiG nun verlange, den SVR zu validieren, seien „wir alle hier wahrscheinlich verstorben, solange würde es dauern, entsprechende Studien aufzulegen. Dintsios, lange Zeit auf Seiten des IQWiG: „Manchmal gibt es Sachen, die das System verlangt, die aber hirnrissig sind. Das muss man auch klipp und klar sagen. Ich scheue mich nicht, denn ich war selber mal dort, doch sehe ich die Sachen mittlerweile sehr pragmatisch.“
Die Kernfrage lautet nun, was geschehen würde, wenn an dieser Stelle die Industrie eine AHP - oder auch CA-Analyse vorgelegt hätte. Muss man nach wie vor den Weg über die Anhörung gehen und auf eine mögliche Spontanerkenntnis des G-BA hoffen? Oder kann nicht irgendwann - so Dintsios - „das System die Erkenntnisse aus solchen Studien ziehen?“ Was erst möglich sein wird, wenn der G-BA dies auch zulässt, wofür sich allerdings IQWiG- Chef nach eigenem Bekunden (auf dem Thieme-Diskussionsforum „Market Access und Health Economics“, s. S. 30) verwenden würde, doch die Industrie gleichermaßen ermahnt, sich der auf sie damit zukommenden Mehrkosten bewusst zu sein.
Die ersten CA-Studien gibt es indes schon, wie Dr. Thomas M. Zimmermann, Health Economics von Lilly, erklärte, der in seinem Vortrag „Surrogate und Endpunkte bei Diabetes mellitus“ auf die Frage einging, wer denn nun für die Patienten (im jeweiligen Indikationsgebiet) von Dritten als relevant erachtete Endpunkte definiere: nationale Fachgesellschaften? der G-BA? das IQWiG? Oder nicht doch der Patient selbst, was grundsätzlich auch eine Förderung der Compliance/Adherence zu vermuten lasse. Seine Forderung: „Eine Gesamtbetrachtung anhand der wichtigsten medizinisch relevanten und wichtigsten Patienten-relevanten Endpunkten ist grundsätzlich notwendig. Wie eine solche Zusammenführung erfolgen kann, ist gemeinschaftlich zu diskutieren.“ <<
von: Peter Stegmaier
PDF siehe Archiv, MVF 06/12 (Zugang nur für Abonnenten)