Impfen: wichtiger Baustein im Gesundheitsschutz
http://doi.org/10.24945/MVF.06.15.1866-0533.1929
>> Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) ist in Deutschland dafür zuständig, auf Basis wissenschaftlicher Standards die Impfempfehlungen auszusprechen. Werden die Impfungen entsprechend durchgeführt, leisten sie einen erheblichen Beitrag zur Prävention von mehr als 25 Infektionskrankheiten. Der einmal pro Jahr erscheinende Impfkalender der STIKO gibt einen schnellen Überblick, welche Impfungen für wen und zu welchem Zeitpunkt empfohlen werden. Dabei unterscheidet die STIKO zwischen Standard-, Auffrisch- und Indikationsimpfungen sowie weiteren Impfungen. Zu den Grundimmunisierungen, die im Kindesalter durchgeführt werden sollten, zählen Impfungen gegen die klassischen Kinderkrankheiten Masern, Mumps und Röteln (MMR) sowie Meningokokken C. Dazu gehören ferner Impfungen gegen Hepatitis B, Pneumokokken, Rotaviren und Varizellen sowie seit 2007 auch gegen Humane Papillom Viren (HPV) zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs. Zudem empfiehlt die STIKO eine jährliche Impfung gegen Influenza mit einer von der WHO empfohlenen Antigenkombination für Personen über 60 Jahre, Schwangere und chronisch Kranke.
Versorgung mit Impfstoffen
Seit dem 01. Juli 2008 regelt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der Schutzimpfungs-Richtlinie auf Basis der STIKO-Empfehlungen welche Schutzimpfungen von den Krankenkassen erstattet werden. Anspruch auf diese Leistung habe alle Versicherten, darin eingeschlossen sind auch die Nachholung von Impfungen und die Vervollständigung des Impfschutzes. Sogenannte private Reiseschutzimpfungen werden nicht erstattet, außer um der Einschleppung einer übertragbaren Krankheit in die Bundesrepublik Deutschland vorzubeugen (vgl. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Schutzimpfungen nach § 20d Abs. 1 SGB V vom 14. Februar 2015). Bei zahlreichen Kassen werden Schutzimpfungen in Bonusprogrammen zur Förderung der Präventionsanstrengung der Mitglieder aufgeführt und deren Durchführung mit Geld- oder Sachprämien belohnt.
Im eng oligopolisierte Markt der Impfstoffe, den sich nur wenige Hersteller teilen, wird die Versorgungssicherheit immer wieder durch Liefer-
engpässe in Frage gestellt. Auch im September dieses Jahres herrschte Knappheit, insbesondere bei Kombinationsimpfstoffen mit Pertussiskomponenten. Um Lieferengpässe bei Human-Impfstoffen jederzeit erfassen zu können, stellt das Paul-Ehrlich-Institut seit 09.10.2015 auf seinen Internetseiten eine tabellarische Übersicht inklusive möglicher Impfstoffalternativen und Handlungsempfehlungen zur Verfügung. Im gesamten Markt der Impfstoffe gibt es nur zwölf Hersteller (ohne Reimporteure), die in 2014 mehr als eine Verordnung aufweisen (in 2010 waren es 15 Hersteller). Die Top 5 Hersteller vereinen in 2014 einen Marktanteil (nach Umsatz ApU) von 81,1 Prozent auf sich (Quelle: regioMA, INSIGHT Health).
Analog zum Arzneimittelbereich werden auch Impfstoffe über Rabattverträge ausgeschrieben. Dabei veröffentlichen die Kassen nahezu ausschließlich Ausschreibungen zu saisonalen Anti-Grippe-Impfstoffen, die die Versorgung der Versicherten verschiedener Kassen in bestimmten Regionen sicherstellen sollen. Jüngst stellte der Hauptgeschäftsführer des Hausärzteverbands, Eberhard Mehl, auf dem 5. Deutschen Influenza-Kongress in Frage, „ob man in der Art und Weise bei Impfstoffen Rabattverträge schließen muss, die zu einer künstlichen Verknappung führen.“
Der Gesetzgeber hat bereits reagiert: Im GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz (FQWG), das am 05. Juni 2014 im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, müssen Krankenkassen künftig mit mindestens zwei pharmazeutischen Unternehmern je Versorgungsregion einen Vertrag abschließen. Bei den saisonalen Anti-Grippe-Impfstoffen wurden seit dem 01.01.2013 insgesamt 13 Ausschreibungen auf TED (Tenders Electronic Daily) veröffentlicht. Die Rabattquoten (nach definierten Tagestherapiedosen) bei den Influenza-Viren lagen im 2. Halbjahr 2013 bei 12,5 Prozent und fielen im Vergleichszeitraum 2014 auf 6,1 Prozent (Quelle: NVI-KT, INSIGHT Health).
Neben der Ausschreibung von Anti-Grippe-Impfstoffen gab es in 2014 eine Ausschreibung der AOK Hessen und der AOK Niedersachsen über HPV-Impfstoffe, die allerdings kürzlich aufgehoben wurde, da Hersteller die Teilnahme verweigerten. Daneben ist Baden-Württemberg das einzige Bundesland, das zusätzlich zur exklusiven Grippeschutzimpfstoffversorgung weitere Impfstoffe ausgeschrieben hatte. Allerdings unterliegen die Impfstoffe gegen FSME, Tdap-IPV (Tetanus, Diphterie, Pertussis und Polio), Tdap-IPV-Hib (mit Haemophilus influenzae Typ b), Meningokokken C, MMR und Varizellen seit Januar 2015 keinen Rabattverträgen mehr (vgl. KV Baden-Württemberg).
Guter Impfstatus bei Masern
Die GKV-Verordnungen von Masern-Impfstoffkombinationen lagen in den vergangenen fünf Jahren zwischen 1,45 Mio. und 1,65 Mio. Impfeinheiten. Es zeigt sich, dass Mehrfachimpfstoffe deutlich häufiger angewendet werden: Beispielsweise erreicht der dreifach-Impfstoff MMR in 2015 einen Verordnungsanteil von 60,8 Prozent. Auf die vierfach-Kombination, die eine Immunisierung gegen Varizellen einschließt, entfallen 38,8 Prozent. Mit lediglich 0,4 Prozent Verordnungsanteil hat der einfach-Impfstoff gegen Masern im GKV-Markt kaum noch Bedeutung.
Gemäß dem aktuellen Impfkalender der STIKO vom 24.08.2015 werden zwei Impfdosen Masern-Grundimpfung empfohlen, die zwischen dem 11. und 14. sowie zwischen dem 15. und 23. Lebensmonat zu verabreichen sind. Ausgehend von diesen Empfehlungen und verglichen mit dem tatsächlichen Verbrauch kommt eine Analyse des IGES-Instituts zu dem Schluss, dass für das Jahr 2013 „rein rechnerisch der Bedarf von Impfstoffen gegen MMR und Varizellen bei Säuglingen und Kleinkindern gedeckt“ sei (vgl. Arzneimittel-Atlas 2014). Auch die Daten, die das RKI bei Kindern zum Zeitpunkt der Einschulung erhebt, zeigen beinahe versorgungsdeckende Impfquoten. Für die erste Masern-Impfung ist ein Anstieg der Quote von 92,5 Prozent in 2003 auf 96,7 Prozent in 2013 zu verzeichnen. Wie bereits in den Vorjahren wurde in Deutschland damit das WHO-Ziel von mindestens 95 Prozent für die erste Masern-Impfung erreicht. Obwohl die Quote für die zweite Masern-Impfung im besagten Zeitraum ebenfalls anstieg, wurden hier lediglich 92,6 Prozent erzielt. Damit liegt Deutschland für die zweite Masern-Impfung noch unter den für die Elimination angestrebten 95 Prozent. Ein Anstieg der verordneten Impfdosen in den ersten drei Quartalen 2015 bringt uns dem Ziel der Elimination möglicherweise wieder näher. Zwar bewegen sich seit 2013 die durchschnittlichen GKV-Verordnungen bei einem Volumen von 442.631 Impfeinheiten im Quartal, jedoch übersteigt die Summe der Impfungen von Januar bis September bereits den Jahreswert aus 2014 (vgl. Abb. 1). Ein möglicher – wenn auch nicht monokausaler – Zusammenhang zum vermehrten Auftreten von Masern und der darauf folgenden öffentlichen Debatten könnte bestehen und einen Einfluss auf das Impfverhalten ausgeübt haben.
FSME-Impfung erreicht
Hochrisikoregionen
Unterschiede bei Impfbedarf und –empfehlung werden besonders bei der regionalen Betrachtung der FSME-Impfung deutlich. Während in Bayern und Baden-Württemberg in 2014 auf 100 GKV-Versicherte zehn FSME-Impfeinheiten entfielen, verringert sich die Abgabe in den nördlichen Bundesländern auf eine Verordnung pro 100 GKV-Versicherte (vgl. Abb. 2). Damit wird der Empfehlung des RKI entsprochen, Personen mit erhöhter Exposition in Hochrisikoregionen wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen zu impfen.
Weniger Grippe-Impfungen
Die von der STIKO empfohlene Impfung gegen Influenza sollte von Risikogruppen jährlich durchgeführt werden. Dennoch zeigt sich im Mehrjahrestrend eine rückläufige Entwicklung. Lagen die Verordnungen im Jahr 2010 noch bei 16 Mio. Impfeinheiten, so sind sie in 2014 auf 13,1 Mio. Impfeinheiten gefallen (Quelle: regioMA, INSIGHT Health). Die Zahlen spiegeln auch die Ergebnisse der Bedarfsanalyse und Versorgung mit Influenza-Impfstoffen des IGES-Instituts wider. Im Vergleich mit der Zählung der nach STIKO empfohlenen Standardimpfungen in der jeweiligen Altersgruppe ergab sich für die saisonale Influenza-Impfung in 2013 ein Bedarf von rund 20,3 Mio. Impfdosen. Die im gleichen Jahr verordneten 13,4 Mio. Impfdosen lagen hingegen deutlich unter dem errechneten Bedarf (vgl. Arzneimittel-Atlas 2014).
Neben rückläufigen Verordnungen von Influenza-Impfstoffen zeigen sich deutliche regionale Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern (vgl. Abb. 3). Um die unterschiedliche Altersstruktur der 17 KV-Regionen auszugleichen, werden die Verordnungen in Relation zu den GKV-Versicherten über 60 Jahren betrachtet, ungeachtet der Impfempfehlungen für weitere Risikogruppen. Im Jahr 2014 variieren die Werte von knapp 0,5 Impfeinheiten in Rheinland-Pfalz bis zu einer Impfeinheit in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Somit werden in einigen neuen Bundesländern doppelt so viele Einheiten an Influenza-Impfstoffen verordnet als beispielsweise in den KV-Regionen Bayern und Baden-Württemberg.
Fazit
Die Schutzimpfungs-Richtlinie des G-BA stellt sicher, dass das GKV-Leistungsspektrum die unabhängigen Empfehlungen der STIKO abdeckt, wodurch wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse direkt in die Versorgungspraxis übertragen werden. Die vorliegende Analyse zeigt zudem, dass die Impfversorgung in Deutschland auf einem stabilen und hohen Niveau liegt. Sie macht aber auch deutlich an welchen Stellen noch Nachholbedarf besteht. Neben den Herausforderungen zur Einhaltung der WHO-Eliminationsprogramme zeigen sich auch regionale Versorgungsunterschiede. Deutliche Abweichungen im Impfverhalten der Bevölkerung in den neuen und alten Bundesländern lassen auf eine unterschiedliche Impfbereitschaft schließen. Diese kann möglicherweise mit einer intensiveren Aufklärung verbessert werden. Um die Impfbereitschaft in der Bevölkerung nachhaltig zu steigern ohne die Selbstbestimmtheit der Patienten durch die Einführung einer Impfpflicht einzuschränken, wäre eine eingehendere Beratung seitens der Krankenkassen und der behandelnden Ärzte ein möglicher Weg. <<
Autorinnen:
Kathrin Pieloth, Jana Heiler
Zitationshinweis: doi: 10.24945/MVF.06.15.1866-0533.1929