Schäfer: „Die Diskussion auf die Nutzeffekte ausrichten“
Wichtig ist aber auch, was alles nicht berücksichtigt wurde, zuvor aber in der öffentlich geführten Diskussion eine Rolle spielte:
• Eine Speicherung von Arzneimitteldaten auf der elektronischen Gesundheitskarte war bei der ersten Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zum Referentenentwurf des Gesetzes noch vorgesehen. Denn sie ist die Voraussetzung für ein effektives Medikationsmanagement, da die verschiedenen Prüfungen im Rahmen der Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Vielzahl der dabei zu verarbeitenden Informationen nur noch auf elektronischem Wege erfolgen können.
• Entsprechende IT- Lösungen sind prinzipiell für die Apothekensoftware vor ca. 15 Jahren geschaffen worden, bei der Arztsoftware wird diese Entwicklung langsam nachgeholt. Insofern ist es beim gegenwärtigen Stand der Softwareumsetzung unverständlich, dass das Medikationsmanagement bzw. die Pflege der Medikationspläne den Ärzten vorbehalten bleiben soll, die mehrheitlich noch gar nicht über die IT-technischen Voraussetzungen für entsprechende Checks zur Arzneimitteltherapiesicherheit verfügen.
• Der Medikationsplan ist zwar ein Fortschritt, da er dem Patienten Informationen über die Indikationsstellung sowie weitere Anwendungshinweise gibt. Solange er nicht mit computergestützten Checks auf Arzneimitteltherapiesicherheit (s. oben) verknüpft werden kann, ist aber kein Medikationsmanagement und damit auch keine Vermeidung nebenwirkungsbedingter Todesfälle möglich, die der Minister ausdrücklich erwähnt.
• Dass die Adhärenz eine wichtige, wenn nicht entscheidende Rolle für den angestrebten Therapieerfolg spielt, wird immer wieder betont. Aus dem Medikationsplan allein kann man aber nicht ablesen, ob Patienten ihre Arzneimittel entsprechend der ärztlichen Empfehlung anwenden. Dies erlaubt nur das Medikationsprofil, das die Arzneimittelanwendung über ein Zeitfenster von 6 Monaten abbildet und durch die Softwareprogramme zur Arzneimitteltherapiesicherheit automatisch aus den dokumentierten rezeptpflichtigen und rezeptfreien Arzneimitteln erstellt wird, und zwar über den so genannten Reichdauerausdruck. Zudem kann das Signal, das der Computer darstellt, dazu genutzt werden, mit den Patienten die Ursachen zu besprechen, die die Adhärenz ungünstig beeinflussen und sie ggf. ausräumen.
• Überhaupt nicht angesprochen ist der epidemiologische Erkenntnisgewinn, den man aus den dokumentierten Checks zur Arzneimitteltherapiesicherheit ziehen kann und der letztlich allen Patienten zugute kommt. Das betrifft die Häufigkeiten des Auftretens von unerwünschten Arzneimittelwirkungen bis hin zum Medikationsstopp, aber auch die tatsächliche Relevanz von potenziellen Interaktionen bei der gleichzeitigen Anwendung zweier interagierender Arzneimittel. Auch die Langzeitrisiken von dauerhaft anzuwendenden Arzneimitteln ließen sich mit Hilfe epidemiologischer Methoden besser beobachten.
• Arbeitszeit ist Leistungszeit und wird üblicherweise durch eine angemessene Honorierung anerkannt. Dieser allgemein gültige Grundsatz wird überraschenderweise beim Medikationsmanagement nicht angewendet. Auch hier müssen die Leistungen dort honoriert werden, wo sie zum Nutzen der Patienten und damit der Gesellschaft erbracht werden.
Statt sich rechtzeitig auch mit den potenziellen Anwendungen der im Aufbau befindlichen IT-Infrastruktur zu befassen, ist bislang eine vorrangige Fokussierung auf die damit verbundenen Datenschutzaspekte zu beobachten, die die Erprobung der eigentlichen Anwendungen quasi ausschließt und denjenigen ge-
legen kommt, die der Dokumentation von Daten in allen Sektoren des Gesundheitswesens und der damit einhergehenden Transparenz skeptisch gegenüber stehen. Das seit Jahren immer wieder ins Feld geführte Argument einer weiteren notwendigen Verbesserung der IT-Infrastruktur ver-
hindert damit, dass im Anwendungsbereich überhaupt Erfahrungen ge-
sammelt werden können. Denn auch hier sind mit Sicherheit weitere Op-
timierungen notwendig, die die Erar-
beitung von Auswertungsalgorithmen,
einschließlich ihrer Priorisierung ebenso betreffen wie die Standardisierung der in den einzelnen Sektoren vorgesehenen Systeme und App-
likationen. Denn nur ihr barrierefreier Einsatz über die Sektorengrenzen hinweg kann letztlich den erwarteten Nutzeffekt sowohl für die Heilberufler als auch für die Patienten generieren. Dem stehen aber die Partikularinteressen der Anbieter gegenüber, die in der Regel ihre eigenen Systeme weiter ausbauen. Dazu passt auch die Meldung aus der Pressemitteilung des BMG, dass auf der Basis eines Interoperabilitätsverzeichnisses die IT-Systemanbieter Standards im Gesundheitswesen transparent gemacht sollen und auf freiwilliger Basis eine stärkere Standardisierung angestrebt werden müsse. Bei der essentiellen Voraussetzung, die die Standardisierung der Prozessabläufe und ihrer IT-technischen Voraussetzungen darstellt, wären jedoch mehr Verbindlichkeit und klarere Vorgaben für die sektorübergreifende Umsetzung erforderlich, wobei auch internationale Standards Berücksichtigung finden sollten.
Allein diese Anmerkungen zeigen, wie wichtig es wäre die Diskussion um die Digitalisierung des Gesundheitswesens stärker auf anwendungsbezogene Aspekte und vor allem die Nutzeffekte zu lenken – ohne die potenziellen Datenmissbrauchsrisiken außer Acht zu lassen – statt durch immer weiter spezifizierte Sicherheitsanforderungen die Entwicklung letztlich zu blockieren. <<
von: Prof. Dr. Marion Schaefer <<
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