Vom Populations- zum Standortbezug
>> Aktuelle Analysen zur Bevölkerungsstruktur des Mittelbereichs Templin prognostizieren bis zum Jahr 2030 einen Bevölkerungsrückgang um 21 % und gleichzeitig eine deutliche Verschiebung der Altersstruktur. Einer älter werdenden und somit häufig chronisch kranken und multimorbiden Bevölkerung steht eine sinkende Anzahl jüngerer Menschen gegenüber. Vor diesem Hintergrund und zur Veranschaulichung der Versorgungssituation erfolgte im Jahr 2013 eine detaillierte Analyse „Regionaler Versorgungsbedarf im Mittelbereich Templin“ durch die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg, das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) sowie das Unabhängige Centrum für empirische Markt- und Sozialforschung (UCEF GmbH).
Aus dieser ging hervor, dass sowohl hinsichtlich der Alters- und Geschlechtsstruktur als auch hinsichtlich des durchschnittlichen Leistungsbedarfs der Patienten die untersuchte Region die Gesundheits- und Daseinsvorsorge bereits innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre vor große Herausforderungen stellt. Aus der Analyse der Patientenströme war zu erkennen, dass die Inanspruchnahme der fachärztlichen Versorgung sehr heterogen ist. Insbesondere bei den im Ranking weit vorn stehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen erfolgt ein Großteil der medizinischen Behandlungen bei Templiner Patienten außerhalb des Planungsbereiches Uckermark oder stationär.
Hier besteht also Potenzial, die wohnortnahe Versorgung gleichzeitig zu verbessern und wirtschaftlicher zu gestalten. Im Mittelbereich Templin ist mit einer deutlichen Verschiebung der Altersstruktur der Bevölkerung zu rechnen. Eine Erhöhung des Durchschnittsalters hat einen Anstieg des erforderlichen Leistungsbedarfs pro Patient zur Folge, so dass bei einem diesbezüglichen Vergleich mit den übrigen Brandenburger Mittelbereichen der Mittelbereich Templin im oberen Drittel rangieren wird. Die Entwicklung wird darüber hinaus auch eine Veränderung der Morbiditätsstruktur verursachen. So werden Krankheiten, wie Demenz und Morbus Parkinson, welche mit zunehmendem Alter vermehrt auftreten, an Bedeutung gewinnen. Schließlich hat die gegebene zentrierte Facharztversorgung in Verbindung mit dem höheren Alter der Bevölkerung und der damit einhergehenden zunehmend eingeschränkten Mobilität zur Folge, dass die Erreichbarkeit fachärztlicher Leistungen erschwert wird.
Dies stellt umso mehr eine Herausforderung dar, als im hohen Alter auch die Multimorbidität steigt und somit unterschiedlichste fachärztliche Leistungen an unterschiedlichen Orten benötigt werden. In Zukunft ist daher insbesondere die multidisziplinäre und sektorenübergreifende Koordination ärztlicher Behandlung gefordert.
Diese Prognosen zur Bevölkerungs- und Morbiditätsentwicklung im Mittelbereich Templin und die dargestellten Auswirkungen des demografischen Wandels auf den künftigen Versorgungsbedarf gaben Anlass zum Handeln und führten so zum ersten Schritt: dem Aufbau einer ambulanten geriatrischen Versorgung im Mittelbereich Templin in Kooperation mit einer stationären Geriatrie am Krankenhaus vor Ort.
Das KV RegioMed Zentrum, welches heute bereits neben der ambulanten geriatrischen auch gastroenterologische sowie kardiologische Versorgung anbietet und seit Beginn des Jahres selektivvertraglich finanziert wird, bildet den Grundstein für die nächsten Schritte hin zu einer umfänglichen Strukturmigration der stationär-ambulanten medizinischen Versorgung in der Region.
Der Aufbau einer ambulant-stationären Brückenstruktur im Rahmen des KV RegioMed Zentrums ist allein nicht ausreichend, um die Versorgungsstrukturdefizite vor Ort gänzlich zu lösen. Vielmehr bedarf es weiterer struktureller Maßnahmen, wie es auch die AGENON Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Gesundheitswesen mbH in ihrer im Jahr 2014 verfassten Machbarkeitsstudie zu den Bedingungen für den Aufbau einer sektorenübergreifenden Versorgungskette in der Altersmedizin am Standort Templin beschreibt. Mit dem Fokus auf die Frage nach dem Existieren einer sektorenübergreifenden Versorgungskette wurde eine Bestandsanalyse vorgenommen, um anschließend entsprechende Handlungsempfehlungen geben zu können. Es wurden Beteiligte vor Ort, wie Medizinische Versorgungszentren, Hausärzte und Krankenhäuser befragt, wie sich derzeit die altersmedizinische Versorgungsstruktur in der Region darstellt bzw. an welchen Stellen Entwicklungsbedarf gesehen wird. Auch der Bereich der pflegerischen Versorgung muss in die Betrachtungen einbezogen werden, ebenso wie die Möglichkeiten ehrenamtlicher Unterstützung, kommunaler Angebote sowie moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. U. a. wurde festgestellt, dass großer Wert auf die Multiprofessionalität gelegt werden muss, um dem künftigen Versorgungsbedarf gerecht zu werden.
Vertiefend wurde letztlich in der Vorstudie mit dem Titel „Empirische Analysen zur Epidemiologie, zu Behandlungsanlässen und zur Versorgung im Mittelbereich Templin“ zum Projekt, die – im Auftrag der AOK Nordost und der BarmerGEK – ebenfalls von AGENON durchgeführt wurde, genauer die stationäre wie ambulante Inanspruchnahme hinsichtlich möglicher Ähnlichkeiten der Krankheitsbilder untersucht, um festzustellen, auf welche heutigen und zukünftigen Krankheitsbilder der Fokus bei der Weiterentwicklung der Versorgung, nach dem Grundsatz ambulant vor stationär, liegen soll. Zu diesem Zweck wurden u.a. die Wohnbevölkerung des Mittelbereichs Templin nach Alter und Geschlecht, Versicherte mit Pflegestufen, die Inanspruchnahme von Arzneimitteln sowie Wegstrecken untersucht. Die drei häufigsten Krankheitsbilder stellen sich demnach wie folgt dar: kardiovaskuläre Erkrankungen (z. B. Hypertonie), endokrine Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus) sowie Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems (z.B. Rückenschmerzen, Rheuma).
Ziel des KV RegioMed Programms – Strukturmigration im Mittelbereich Templin – ist die Gestaltung einer gleichwertigen medizinischen Versorgung für alle Bevölkerungsgruppen im Mittelbereich Templin. Die beschriebenen Veränderungen der Bevölkerung in Anzahl und Struktur werden im Bereich des Gesundheitswesens eine stark veränderte Nachfrage hinsichtlich ambulanter, stationärer, pflegerischer, sozialer und therapeutischer Leistungen erzeugen und weitreichende Anpassungsprozesse der Versorgungsangebote im Mittelbereich Templin nach sich ziehen müssen. Sinkende Zahlen niederlassungswilliger Vertragsärzte und verstärkte Probleme bei der Stellenbesetzung im stationären Sektor, aber auch im Bereich Pflege, Rehabilitation und Therapie, durch qualifiziertes Personal stellen weitere Herausforderungen dar, denen sich das Projekt stellt.
Die „Innovative Gesundheitsversorgung in Brandenburg“ – IGiB GbR, eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus der Kassenärztlicher Vereinigung Brandenburg, der AOK Nordost und der BARMER GEK nach § 219 SGB V – hat es sich zur Aufgabe gemacht, zukunftsorientierte Versorgungsstrukturen zur Sicherung und Verbesserung einer langfristigen, regionalen und flächendeckenden Gesundheitsversorgung zu entwickeln.
Zwischen den Projektträgern des Strukturmigrationsprojektes in Templin, der IGiB und der Sana Kliniken Berlin-Brandenburg GmbH (als Betreiber des Krankenhauses in Templin), besteht Einvernehmen, den Standort des heutigen Krankenhauses in Templin als ein Beispiel einer Strukturmigration der medizinischen Versorgung in einer strukturschwachen ländlichen Region weiterzuentwickeln. Im Fokus steht die Sicherung und Verbesserung der Versorgungsqualität und -effizienz durch Integration von ambulanten, stationären, haus- und fachärztlichen, rehabilitativen und pflegerischen Versorgungsangeboten interdisziplinär und fachübergreifend sowie multiprofessionell, ggf. auch unter Einschluss von sozialen und ggf. ergänzenden ehrenamtlichen Leistungen.
Insbesondere in strukturschwachen Regionen tragen das Land, die Landkreise und die Kommunen eine besondere Verantwortung: die Schaffung der Voraussetzungen für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Begleitung/Beteiligung des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie ist darüber hinaus im Kontext eines notwendigen Umbaus der vor Ort vorhandenen Krankenhausstrukturen erforderlich. Im Hinblick auf eine zu schaffende bedarfsorientierte und wirtschaftliche Angebotsstruktur ist die Einbeziehung aller vor Ort handelnden Akteure des Gesundheitswesens erforderlich. Die einzelnen Angebote und Akteure dürfen dabei nicht allein betrachtet werden, sondern sind gefordert, in einer kooperativen und abgestimmt koordinierten Prozess- und Kommunikationsstruktur zu agieren. <<
von: Lutz O. Freiberg / IGiB GbR