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Ein Beispiel für translationale Versorgungsforschung

30.03.2016 14:00
Eine erfolgreiche Translation von aus der Wissenschaft generierten Erkenntnissen in die Praxis ist stets erklärtes Ziel der translationalen Versorgungsforschung. Dieses Ziel konnte mit der bundesweiten Studie „Demenznetzwerke in Deutschland“ (DemNet-D) erreicht werden. Die Studienergebnisse wurden im zweiten Pflegestärkungsgesetz, im §45c Absatz 9 des Sozialgesetzbuches XI, berücksichtigt. Die neue Regelung ermöglicht es Pflegekassen und privaten Versicherungsunternehmen ab Januar 2017 regionale, selbst organisierte Gesundheitsnetzwerke mit jährlich bis zu 20.000 Euro zu unterstützen. Den bundesweit insgesamt 402 Kreisen oder kreisfreien Städte stehen dazu Mittel des Ausgleichfonds zur Verfügung, welcher sich aus den Beiträgen aus den Rentenzahlungen, den Überschüssen aus Betriebsmitteln und Rücklagen der Pflegekassen und dem vom Gesundheitsfonds überwiesenen Beiträgen der Versicherten zusammensetzt. Eine finanzielle Beteiligung der Kommune ist keine Bedingung der Förderoption. Insgesamt könnten daher ab 2017 jährlich über acht Millionen Euro in die Netzwerkversorgung fließen.

> Diese Gesundheitsnetzwerke werden dabei als integrierter Zusammenschluss von Leistungserbringern, Krankenversicherungen und kommunale Gebietskörperschaften verstanden, welche sich formal verpflichten, die Gesundheitsversorgung durch verstärkte Kooperation in der Leistungserbringung zu verbessern. Reibungsverluste in der Versorgung sollen vermieden, Konkurrenzbeziehungen zwischen den Gesundheitsakteuren minimiert und Hürden der sektoralen Gesundheitsversorgung überwunden werden (7). Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz erfolgt daher eine gezielte Zusammenführung von staatlichen, kommunalen und bürgerschaftlichen Interessen bei gleichzeitigem Einbezug einer sektorenübergreifenden Versorgung. Denn regionale Netzwerke bündeln wichtige professionelle Gesundheits- und Pflegeleistungen sowie ehrenamtliche Hilfe und ermöglichen pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen einen leichten Zugang zu diesen Angeboten, was die Versorgungssituation der Betroffenen erheblich verbessern kann.
Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung war die innerhalb der „Zukunftswerkstatt Demenz“ vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte multizentrische, interdisziplinäre und longitudinale Evaluationsstudie von Demenznetzwerken in Deutschland (DemNet-D; Förderkennung: IIA5-2512FSB031; IIA5-2512FSB032). Die großangelegte Studie füllte eine wichtige Forschungslücke, denn bislang war die deutsche Demenznetzwerklandschaft ein wenig untersuchtes Forschungsfeld und fundierte Informationen über die in den Netzwerken versorgten Menschen mit Demenz (MmD) sowie deren Versorgungssituation fehlten.
Ziel der interdisziplinären Verbundstudie, welche vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Rostock/ Greifswald koordiniert wurde, war die Evaluation regionaler Demenznetzwerke sowie die Identifikation von Determinanten erfolgreicher Demenznetzwerke. In einer vergleichenden Evaluation von insgesamt 13 in Deutschland etablierten Demenznetzwerken aus Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen sollten unter anderem Erkenntnisse über die Versorgungssituation der MmD in Demenznetzwerken sowie über die Nachhaltigkeit der Demenznetzwerke generiert werden. Neben dem DZNE Rostock/Greifswald beteiligten sich an dieser Evaluation ebenfalls das Institut für Angewandte Sozialwissenschaften der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart, die Universität Bremen und der DZNE Standort Witten.
Diese und weitere Erkenntnisse aus der DemNet-D Studie wurden anschließend in konkrete Empfehlungen und Anleitungen im Sinne eines „Werkzeugkasten Demenz“ für den Auf- und Ausbau sowie für das Betreiben eines Netzwerkes zusammengefasst und der Öffentlichkeit über ein Online-Informationsportal zugänglich gemacht (www.demenznetzwerke.de). In dieses Portal wird auf Praxisbeispiele und gesammelte Netzwerkmaterialien als Werkzeuge verwiesen. Seit der Veröffentlichung (Oktober 2015) des Werkzeugkastens konnten bislang über 4.500 Downloads von Werkzeugen verzeichnet werden (Stand 01.05.2016).
Im Rahmen der Längsschnittstudie fanden zwei Datenerhebungen statt – zur Baseline bei Aufnahme in die Studie sowie zwölf Monate später. Die Datenerhebung wurde dabei vor Ort im eigenen Wohnumfeld der MmD von qualifizierten Interviewer/innen durchgeführt. Insgesamt lagen zur Baseline Angaben von 560 MmD und deren Bezugspersonen vor, welche ein gutes Abbild der zugrundeliegenden Population in Bezug auf wesentliche soziodemografische und demenzspezifische Charakteristika darstellten (8).
Umfassende Beschreibung der
Versorgung in Demenznetzwerken
Innerhalb der Studie ist es erstmals gelungen, in umfassendem Rahmen die medizinischen Versorgung von MmD in Demenznetzwerken zu beschreiben. Die Ergebnisse zeigten, dass MmD in Demenznetzwerken gegenüber der primärärztlichen Versorgung häufiger einen Hausarzt (93,3 %)
und einen Facharzt für Neurologie oder Psychiatrie (74,2 %) konsultierten (9), häufiger Antidementiva (52,3 %) einnahmen (10) und häufiger nicht-pharmakologische Therapien (3,8 % bis 24,4 %) erhielten (11).
Im zeitlichen Verlauf konnte diese positive Versorgungssituation der Netzwerknutzer/innen aufrechterhalten bzw. sogar verbessert werden. Diese analysierten Kennzahlen zur ärztlichen, pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Therapie sind Bestandteil national sowie international Bestandteil evidenzbasierter Empfehlungen (1-3). Die Ergebnisse weisen daher insgesamt darauf hin, dass MmD in Netzwerkstrukturen häufiger eine evidenzbasierte und von Leitlinien empfohlene demenzspezifische Versorgung erhalten. Zudem deuten die Zahlen darauf hin, dass Demenznetzwerke häufiger die Nachteile der Sektoralisierung des Gesundheitssystems überwinden können. Dies kann erheblichen Einfluss auf den Krankheitsverlauf der MmD nehmen (4).
Evaluation von Determinanten einer nachhaltigen Netzwerktätigkeit
Diese leitliniengerechte Versorgung muss jedoch nachhaltig und verlässlich zur Verfügung gestellt werden. Daher wurden innerhalb der DemNet-D Studie die Determinanten einer nachhaltigen Netzwerktätigkeit und Netzwerkfinanzierung evaluiert. Die Analyse zeigte, dass verschiedene Möglichkeiten einer nachhaltigen Finanzierung von Demenznetzwerken bestehen. Insgesamt acht der 13 Demenznetzwerke schätzten sich selbst als finanziell nachhaltig ein. Mitgliedsbeiträge der vernetzten Gesundheitsakteure, Einnahmen aus speziellen Netzwerkangeboten sowie Geldleistungen verschiedener Träger oder Gebietskörperschaften gewährleisteten eine langfristige Netzwerkfinanzierung. Ein Finanzierungsvolumen von mindestens 50.000 Euro pro Jahr zur Anstellung hauptamtlicher Mitarbeiter für das Netzwerk, ein Mix aus vielen unterschiedlichen Finanzierungsquellen und eine kommunale Beteiligung an der Netzwerkarbeit waren dabei Prädiktoren einer nachhaltigen Netzwerktätigkeit. Die Ergebnisse zeigten, dass Demenznetzwerke vor allem in leistungsanbieterreichen städtischen Regionen über nachhaltige Finanzierungsstrukturen verfügten. Die Verortung eines Netzwerkes in einer ländlichen Region war hingegen ein Risikofaktor für eine strukturelle Benachteiligung (12).
Gerade in den ländlichen Regionen wäre jedoch ein Ineinandergreifen der Leistungserbringer wichtig, um den MmD eine bedarfsgerechte Versorgung ermöglichen zu können. Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz und der darin ab 2017 neu geschaffenen Fördermöglichkeit kann diesbezüglich eine Entlastung erreicht und die Nachhaltigkeit der Netzwerke gestützt werden. Vielen Netzwerken, vor allem denen in strukturschwachen Regionen, kann damit erheblich geholfen werden, was sich positiv auf die Versorgungssituation einer Vielzahl von Menschen mit Demenz sowie auch anderen pflegebedürftigen Personen auswirken wird.
Regionale Demenznetzwerke profitieren also ganz unmittelbar von den Forschungsergebnissen der DemNet-D-Studie. Sie können nicht nur den „Werkzeugkasten Demenz“ nutzen, sondern auch die neue, im zweiten Pflegestärkungsgesetz vorgesehene Finanzierung. Gesundheitsnetzwerke können damit langfristig betrieben und zur Lösung spezifischer regionaler Versorgungsprobleme beitragen. Dies sind aus der Forschung in die Praxis gebrachte wertvolle Hilfen zur Selbsthilfe für alle an der regionalen Versorgung beteiligten Akteure und ein erfolgreiches Beispiel für translationale Versorgungsforschung. <<               
von:

Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann1,2
(Korrespondenzadresse: wolfgang.hoffmann@uni-greifswald.de),
PD Dr. rer. med. Jochen René Thyrian3,
Dr. rer. medic. Bernhard Holle4,
Prof. Dr. Susanne Schäfer-Walkmann5, Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann6,
Dr. rer. pol. Bernhard Michalowsky1

 

1: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) Standort Rostock/ Greifswald, AG Translationale Versorgungsforschung, Greifswald
2: Institut für Community Medicine, Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald
3: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Standort Rostock/ Greifswald, AG Interventionelle Versorgungsforschung, Greifswald
4: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Standort Witten, AG Versorgungsstrukturen, Witten
5: Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen, Abtei-
lung 7: Pflegewissenschaftliche Versorgungsforschung, Bremen
6: Institut für angewandte Sozialwissenschaften der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart

Ausgabe 03 / 2016

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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