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„Eine absolut unreale Fiktion“

03.04.2017 14:00
Kommentar von Diplom-Volkswirt Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)

> Es braucht wenig, um zu beweisen, dass Wissenschaft bzw. Pseudowissenschaft manchmal im Elfenbeinturm ist und nichts von Wirklichkeit mitbekommt. Oder aber, dass Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm hinabgestiegen ist und sich als willfähriger Helfer für platte Kampagnen verdingt.
Nun bleibt zu fragen, welches dieser beiden Motive das Zentralinstitut (Zi) für die kassenärztliche Versorgung bewogen hat, mit einer Rechnung an die Öffentlichkeit zu gehen, die zwar den mathematischen Fertigkeiten eines Drittklässlers genüge trägt und auch korrekt ist, aber in ihrer Aussagekraft so überflüssig und wichtig ist, wie der berühmte Reissack in China.
Unterausgelastet seien die Notfallambulanzen, denn rein statistisch gäbe es nur einen Fall pro Krankenhaus und Stunde. Zwangsläufig seien sie deshalb defizitär. Man sollte Bereitschaftspraxis und Notfallambulanz kombinieren, wie schon praktiziert, denn käme man auf rund sechs Fälle pro Stunde.
Zu wenige Patienten kommen also nach Auffassung des Zi in die Notfallambulanzen. Komisch, dass Patienten, Ärzte und Pflegepersonal dieses nicht so empfinden. Insbesondere Patienten, wenn sie in der Realität eine Notfallambulanz aufsuchen müssen, weil die niedergelassenen Kollegen am Mittwochnachmittag lieber keine Praxis öffnen oder der ärztliche Bereitschaftsdienst sie in das Krankenhaus weitergeschickt hat. Wirklichkeit trifft Taschenrechner.
Je verkrampfter das Zi glaubt, die stationären Nicht-Bedarfe errechnen zu können, umso deutlicher wird, dass die Ansiedlung der ambulanten fachärztlichen Versorgung an den Krankenhäusern in der überwiegenden Zahl der europäischen Länder das logischere Versorgungsmodell ist. Denn Daseinsvorsorge, wie sie durch Krankenhäuser sichergestellt wird, kann niemals zur Disposition stehen – die doppelte Facharztschiene sehr wohl.
Die gesamte Berechnung ist schlicht und ergreifend eine Chimäre, eine absolut unreale Fiktion. Es wäre sinnvoller, sich mit der Versorgung von Patienten auseinanderzusetzen, als Wirklichkeit negieren zu wollen. Die Patienten stimmen  mit den Füßen ab. Und damit muss man sich auseinandersetzen. Dies also dadurch ausblenden zu wollen, dass man die Unterdeckung der Notfallambulanzen durch eine angebliche Nicht-Inanspruchnahme der Ambulanzen begründet sieht, ist unredlich und auch widersinnig.   
Und diese Unterdeckung ergibt sich, dass sollte auch KV-Wissenschaftlern klar sein, aus den Vorhaltekosten und den zu geringen Abrechnungsmöglichkeiten. Ein Krankenhaus ist schlicht und ergreifend nicht mit einer Arztpraxis zu vergleichen. Weder in seiner Struktur noch im Leistungsangebot.
Was wir aber doch zum jetzigen Zeitpunkt brauchen, sind nicht überflüssige und polemische Zuspitzungen oder rechnerische Taschenspielertricks.
Feststeht: Die KVen kommen ihrem Sicherstellungsauftrag für die ambulante Notfallversorgung nicht flächendeckend nach.
Feststeht ebenfalls: Die Notfallambulanzen sind überlastet. Dies kann jeder überprüfen, wenn er eine Ambulanz aufsucht oder mit einem Mitarbeiter spricht.
Und zudem steht fest: Die Vergütung für ambulante Notfälle reichte schon in der bisherigen Form nicht aus, und nach dem 01.04.2017 wird es noch schlechter.
Es ist also dringend geboten, zum einen die Ist-Strukturen an die Versorgungsrealität anzupassen. Nur weil KVen ambulant vor stationär sagen, hat kein Patient einen Termin beim niedergelassenen Arzt.
Wir müssen zum anderen als Krankenhäuser die Vergütung selber und direkt mit den Krankenkassen vereinbaren und abrechnen können. Die Ausgliederung der Mittel für die ambulanten Notfälle in den Krankenhäusern aus der KV-Zuständigkeit ist überfällig und wie Hochschulambulanzen und ASV zeigen leicht machbar. Bis zur Umsetzung muss die Politik die provokative Skandalvergütung im EBM für Krankenhäuser mit gesetzlich verfügten Zuschlägen so ergänzen, dass eine sachgerechte Vergütung der ambulanten Leistungen der Krankenhäuser möglich wird. <<

Ausgabe 02 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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