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Gemeinsame, sektorübergreifende Lösung gefordert

03.04.2017 14:00
Kommentar von Stefanie Stoff-Ahnis, Mitglied der Geschäftsleitung der AOK Nordost

http://doi.org/10.24945/MVF.02.17.1866-0533.2010

>> Um es mal gleich vorweg zu nehmen: Der Notfallversorgungsprozess ist komplex. Und deshalb liegt die Lösung des unbestreitbaren Problems – nämlich überlasteter Rettungsdienste und überfüllter Notaufnahmen mit allen daraus resultierenden Konsequenzen – auch nicht in einer einfachen, schnellen Maßnahme. Komplexe Probleme brauchen – selbst in Wahljahren – zumeist komplexe, innovative und mutige Lösungsansätze, die spürbare Entlastung bringen und für alle Patienten einfach zu verstehen sind.

Reden wir über vier Punkte!
Nummer eins: Notfallmedizin ist kostbar und teuer. Wir müssen sie unbedingt für die medizinischen Notfälle vorhalten, für die sie gedacht ist. Das heißt auch: Notaufnahmen sind keine Hausarztpraxen, und notfallmedizinische Kompetenzen dürfen nicht durch Bagatellfälle blockiert werden. Die logische Konsequenz liegt in der Schaffung einer weiteren Versorgungsalternative: der Portalpraxis! Dort sollte eine neutrale Instanz („Gatekeeper“) – also beispielsweise ein Mediziner oder eine erfahrene Pflegekraft – darüber entscheiden, ob tatsächlich ein medizinischer Notfall vorliegt. So werden wichtige Klinikressourcen nicht durch Bagatellfälle wie Husten, Schnupfen, Heiserkeit gebunden. In diesen nicht dringenden Fällen steuert die neutrale Instanz den Patienten in die Bereitschaftspraxis der Kassenärzte, die im Sinne einer vernünftigen Umsetzung von Portalpraxen im Idealfall in unmittelbarer räumlicher Nähe zur Notaufnahme liegen sollte, am Besten sogar im selben Gebäude.
Dies eröffnet die einfache Möglichkeit, dass auch der Bereitschaftsarzt unkompliziert auf die technische sowie medizinische Kompetenz des Klinikums zurückgreifen kann. Das setzt natürlich eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Klinikärzten voraus.

Und noch eine Anmerkung: Zur sinnvollen Patientensteuerung, rein aus medizinischen Aspekten, ist die Objektivität des „Gatekeepers“ (neutrale Instanz) in der Portalpraxis unerlässlich.
Ist dies eine Einschränkung von Patientenrechten? Ganz im Gegenteil. Hier wird den Patienten, die es bei einem schwerwiegenden medizinischen Notfall wirklich benötigen, ihr Recht garantiert: nämlich ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Leben, denn Gesundheit ist unser wertvollstes Gut.

Zweiter Punkt: Wir brauchen integrierte Leitstellen mit gut ausgebildeten Leuten für den Erstkontakt – und wir brauchen eine zentrale Rufnummer dafür. Die Erfahrungen haben gezeigt: Jedes Kind und auch Menschen unterschiedlichster Nationen kennen in Deutschland den Notruf 112. Wenn wir diesen zur zentralen Rufnummer für alle telefonischen Notfallanfragen ausbauen, kann bereits in dieser Leitstelle beim ersten Gespräch mit dem Anrufer entschieden werden, ob der Anruf an die Leitstelle des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes weitergeleitet wird oder ob ein Notfall vorliegt, und Rettungswagen oder Notarzt alarmiert werden müssen. Möglicherweise stellt sich heraus, dass ein Besuch beim Hausarzt am nächsten Morgen auch eine sinnvolle Versorgungsoption ist. Somit wird bereits beim Erstkontakt eine Patientensteuerung vorgenommen und erste Bagatellfälle von den Notaufnahmen ferngehalten.
Was uns zu Punkt drei bringt: die Stärkung und Finanzierungs-Reform der Rettungsdienste. Auch, wenn es für manche von uns schwer vorstellbar sein mag: Manche Menschen alarmieren einen Rettungswagen bedenkenlos. Um der Besatzung der Rettungswagen die Möglichkeit zu geben, den Transport wegen erkennbarer Geringfügigkeit abzulehnen oder sogar eine Vorortversorgung zu realisieren, müssen wir unter anderem die Struktur der Kostenerstattung sowie die Kostenverantwortung völlig überdenken.

Denn: Bislang darf der Einsatz des Rettungswagens nach SGB V nur durch die Krankenkassen bezahlt werden, wenn der Patient auch ins Krankenhaus transportiert wird. Damit incentivieren wir systematisch nicht nur die teuerste denkbare Versorgungsform (nämlich Nottransport mit stationärer Behandlung im Krankenhaus), sondern blockieren mit diesen Bagatellfällen auch hochspezialisierte medizinische Ressourcen – auf die Gefahr hin, dass diese dann für einen wirklich dringenden Einsatz wie einen Verkehrsunfall, Schlaganfall oder Herzinfarkt nicht zur Verfügung stehen.

Und dieser letzte Gedanke ist es auch, der den vierten und letzten Punkt des von uns als AOK Nordost vertretenen Lösungsansatzes einleitet. Die gegenwärtige Entwicklung zeigt deutlich, dass Patienten nicht immer wissen, wie und wo sie in Notfällen medizinische Hilfe erhalten können. Wir müssen den Menschen noch mehr bewusst machen, worum es in der Notfallversorgung geht. Eine gemeinsame Informationskampagne aller beteiligter Versorgungspartner sowie der Politik muss das beschriebene Maßnahmenpaket begleiten. Davon profitieren am meisten die dringenden medizinischen Notfälle!

Wie schon eingangs ausgeführt: die Lösung ist komplex. Denn sie erfordert die Zusammenarbeit von Politik, Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhausgesellschaften.

Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Konsens!

Der Weg zur Vermeidung überfüllter und unterfinanzierter Notaufnahmen und zur wirklich sinnvollen und medizinisch priorisierten Steuerung von Rettungsdiensten führt nur darüber, den Patientenpfad im Notfallversorgungsprozess nach klaren und vernünftigen Vorgaben zu steuern. Das mag auf den ersten Blick nach einer unpopulären Forderung aussehen, weil wir dem Patienten beim Eintritt in den Notfallprozess Spielräume nehmen – aber unser südlicher Nachbar Österreich hat es uns bereits erfolgreich vorgemacht. Am Ende stärken wir die Zusammenarbeit zwischen ambulantem und stationären Sektor durch eine wirklich bedarfsgerechte Steuerung. Und wir reservieren wertvolle Ressourcen für die Fälle, für die sie gedacht sind und auch von der Versichertengemeinschaft finanziert werden: wenn es im Ernstfall vielleicht sogar um Leben und Tod geht! <<

Zitationshinweis: doi:10.24945/MVF.02.17.1866-0533.2010

Ausgabe 02 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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