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Kooperation in der Gesundheitsforschung – Diskussion möglicher Ergebnisvariablen für die Evaluation

03.04.2017 10:20
Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Veränderungen wie dem demografischen Wandel und dem Phänomen der neuen Morbidität (Thyen 2009: 14) steht das Gesundheitssystem in Deutschland vor neuen Aufgaben. Der Begriff neue Morbidität beschreibt eine Entwicklung von einem Schwerpunkt auf einfache somatische Erkrankungen in der deutschen Bevölkerung zu einem Anstieg der komplexen chronischen Gesundheitsstörungen in den letzten Dekaden. Die Entstehung ist immer multifaktoriell. Die Therapie ist aufgrund des komplexen und langfristigen Krankheitsverlaufs, der in der Regel somatische und psychische Komponenten umfasst, anspruchsvoll und lediglich von kooperierenden Versorgungsstrukturen zu bewältigen (Schlack 2009: 450). Sowohl institutionelle Rahmenbedingungen als auch therapeutische Behandlungsprogramme müssen auf die aktuellen Versorgungsbedarfe und Versorgungsbedürfnisse der Bevölkerung abgestimmt werden. Mit dieser Herausforderung konfrontiert, fordern nicht nur Leistungserbringer (Schlack 2009: 450, Bundesärztekammer 2010: 27, Ungewitter 2010: 112 ff.), sondern auch Wissenschaft (Sachverständigenrat 2009: 430) und Politik (BMG 2012:66) eine enger verzahnte Versorgungsstruktur. Leistungen sollen niedrigschwellig und bei Bedarf interdisziplinär erbracht werden (BMG 2011:10, 22, 32, 35).

http://doi.org/10.24945/MVF.02.17.1866-0533.2002

Abstract

Interprofessionelles Handeln spielt in der gesundheitlichen Versorgung eine immer bedeutendere Rolle. Vor dem Hintergrund stets komplexer werdender Behandlungsbedürfnisse und therapeutischer Möglichkeiten, sehen sich die professionellen Akteurinnen und Akteure im Gesundheitssystem vor der Herausforderung mit kooperativen Ansätzen eine adäquate Versorgung anbieten zu können. Dieser Artikel reflektiert für welche Klientel ein kooperatives Handeln tatsächlich erforderlich ist und mit Hilfe welcher Ergebnisvariablen sich der Mehrwert kooperativen Handelns messen lässt. Hierfür werden aktuelle Studienergebnisse aus den Bereichen der klinischen Forschung, der Versorgungsforschung und den Therapiewissenschaften genutzt, um exemplarisch den möglichen Mehrwert von kooperativem Handeln in Bezug auf verschiedene Variablen zu belegen. Die Ergebnisvariablen gliedern sich in patientenbezogene Ergebnisse, Ergebnisse in Bezug auf die Versorgungsqualität und den Allokationsprozess einer solidarischen Gesundheitssystemfinanzierung. Zentrale Punkte, für die bereits einige Studien einen Mehrwert von kooperativem Handeln zeigen konnten, sind die Therapiemotivation der Klientinnen und Klienten, der Therapieerfolg und die Zufriedenheit der Klientinnen und Klienten sowie der professionellen Akteurinnen und Akteure. Für etliche mögliche Variablen, wie zum Beispiel partizipative Entscheidungsfindung oder die interdisziplinäre Umsetzung von Leitlinien, gibt es bisher keine gesicherten Erkenntnisse.

Possible outcome measures for the evaluation of the context component of (interdisciplinary) cooperation in medical care
Multi professional health care plays a more and more important role in the German care system. The rising complexity of care requests and interventional possibilities challenges the professional care giver to develop complex and multi professional intervention programs. This paper reflects which clients can benefit from a cooperative care system and which out- come measurements could be used to measure the benefit of a cooperative approach.
To identify possible out-come measurements contemporary research papers will be used. Patient related, outcome related as well as cost-benefit relationship outcomes will be pointed out. For some out-come measurements there are already research results in relation to cooperative care systems, which will be mentioned in this paper. These are namely therapy motivation of the clients, success of rehabilitation interventions und satisfaction of clients and care givers. For various variables there is no knowledge yet. These are for example shared decision making, interdisciplinary development and implementation of guidelines.

Keywords
cooperation, interdisciplinary care, quality of care, efficacy, efficiency

Dr. P.H. Benigna Brandt, MPH, Ina Roosen MSc OT

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Zitationshinweis : Brandt, B., Roosen, I.: "Kooperation in der  Gesundheitsforschung – Diskussion möglicher  Ergebnisvariablen für die Evaluation", in "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 02/17, S. 46-51; doi:  10.24945/MVF.02.17.1866-0533.2002

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Plain-Text

Kooperation in der  Gesundheitsforschung – Diskussion möglicher  Ergebnisvariablen für die Evaluation

Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Veränderungen wie dem demografischen Wandel und dem Phänomen der neuen Morbidität (Thyen 2009: 14) steht das Gesundheitssystem in Deutschland vor neuen Aufgaben. Der Begriff neue Morbidität beschreibt eine Entwicklung von einem Schwerpunkt auf einfache somatische Erkrankungen in der deutschen Bevölkerung zu einem Anstieg der komplexen chronischen Gesundheitsstörungen in den letzten Dekaden. Die Entstehung ist immer multifaktoriell. Die Therapie ist aufgrund des komplexen und langfristigen Krankheitsverlaufs, der in der Regel somatische und psychische Komponenten umfasst, anspruchsvoll und lediglich von kooperierenden Versorgungsstrukturen zu bewältigen (Schlack 2009: 450). Sowohl institutionelle Rahmenbedingungen als auch therapeutische Behandlungsprogramme müssen auf die aktuellen Versorgungsbedarfe und Versorgungsbedürfnisse der Bevölkerung abgestimmt werden. Mit dieser Herausforderung konfrontiert, fordern nicht nur Leistungserbringer (Schlack 2009: 450, Bundesärztekammer 2010: 27, Ungewitter 2010: 112 ff.), sondern auch Wissenschaft (Sachverständigenrat 2009: 430) und Politik (BMG 2012:66) eine enger verzahnte Versorgungsstruktur. Leistungen sollen niedrigschwellig und bei Bedarf interdisziplinär erbracht werden (BMG 2011:10, 22, 32, 35).

 

>> Die Gesundheitspolitik in Deutschland ist nun herausgefordert, Richtungen und Ziele vorzugeben, die zum einen handlungsweisend für die Leistungserbringer sind und zum anderen den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht werden. Aktuelle Ziele der Gesundheitspolitik sind daher (Heinrich Böll Stiftung 2013: 9):
1. Eine Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung
2. Eine Verbesserung der Versorgung (Effektivität)
3. Eine Begrenzung der Versorgungsausgaben pro Kopf (Effizienz)

Der vorliegende Artikel verfolgt die Hypothese, dass diese drei Ziele lediglich mit einem auf Kooperation ausgerichteten Versorgungssystem erreicht werden können (Höppner 2011: 27; Heinrich Böll Stiftung 2013: 7; Riedel-Heller et al. 2014: 53, Bramesfelde et al. 2014: 67; Sachverständigenrat 2007: 41; Bundesärztekammer 2011:8).

Was bedeutet Kooperation in diesem Kontext?

Der Begriff Kooperation wird in der Literatur durch verschiedene Autoren und Autorinnen ähnlich, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten definiert. Santen und Seckinger sehen Kooperation als „[...] ein Verfahren, [...] bei dem im Hinblick auf geteilte oder sich überschneidende Zielsetzungen durch Abstimmung der Beteiligten eine Optimierung von Handlungsabläufen oder eine Erhöhung der Handlungsfähigkeit bzw. Problemlösungskompetenz angestrebt wird“ (Santen, Seckinger 2003: 29). Hier steht also die geregelte Zusammenarbeit im Vordergrund. Die Bundesärztekammer definiert Kooperation als die Abstimmung des eigenen Arbeitsverhaltens mit dem Arbeitsverhalten anderer unter Berücksichtigung eines gemeinsamen Ziels (Bundesärztekammer 1994: 2).
Für den Kontext dieses Artikels sind beide Sichtweisen relevant. Bei der Kooperation verschiedener Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen geht es um eine geregelte Zusammenarbeit, aber auch um die Absprache von gemeinsamen Zielen und die Ausrichtung der eigenen Arbeitsschritte in Anlehnung an ein zuvor gemeinsam definiertes Ziel. Aktuelle Publikationen betonen sowohl die Partizipation der Betroffenen, als auch eine adäquate Nutzung externer Evidenz als primär richtungsweisend für die Definition der individuellen Versorgungsziele (Körner, Wirtz 2013: 2). Die Schlüsselworte in diesem Kontext sind shared decision making, also die partizipative Entscheidungsfindung zusammen mit den Patienten in Bezug auf Diagnostik und Therapie (Quaschning 2012: 168) und Evidenz Based Practice (Tomlin, Dougherty 2014: 15).
Dies bezieht sich auf die Entwicklung und Implementierung therapeutischer Methoden auf der Basis interner und externer Evidenz. Die interne Evidenz kann durch den Behandelnden durch die Erhebung individueller Lebensumstände des Patienten generiert werden und zusammen mit externer Evidenz, also der Reflektion der fallspezifischen Einzelheiten, als Grundlage für Entscheidungsprozesse im Rahmen der Behandlung genutzt werden (Tomlin, Dougherty 2014: 14). Sind bei der Behandlung eines komplexen Falls mehrere Fachdisziplinen eingebunden (z.B. Medizin, Psychotherapie, Pflege, Gesundheitsfachberufe etc.) erfordert dies ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft, um ein ideal verzahntes Versorgungsangebot erbringen zu können (Brandt 2014: 170 ff).
Die Kooperation der verschiedenen Akteurinnen und Akteure, setzt eine Vernetzung der Versorgungsstrukturen voraus (Ungewitter et al. 2010: 113). Vernetzung bezeichnet das Ineinandergreifen von Arbeitsstrukturen, was zu einer Reduzierung der Trägerautonomie führt (Bundesärztekammer 1994: 3). Kooperation bei der Gesundheitsversorgung kann in verschiedenen Bereichen stattfinden:
• Zwischen Berufsgruppen (interdisziplinär oder interprofessionell)
• Zwischen Institutionsformen z.B. stationär, ambulant (interinstitutionell)
• Zwischen Versorgungssegmenten innerhalb einer Versorgungssäule z.B. Leistungen des SGB V (multimodal)
• Zwischen Versorgungsbereichen aus unterschiedlichen Versorgungssäulen z.B. Leistungen des SGB V, SGB XI, SGB II, SchulG (intersektoral)

Neben den fachspezifischen und institutionellen Kooperationsschnittpunkten ergeben sich auch Schnittstellen, die aufgrund von verschiedenen Finanzierungstöpfen entstehen. Professionelle Akteurinnen und Akteure, die in der gleichen Einrichtung tätig sind, können durch unterschiedliche Kostenträger finanziert werden. Die wichtigsten Kostenträger im Kontext der kooperativen Gesundheitsversorgung sind:
• Die Gesetzliche Krankenversicherung (auf Basis des SGB V)
• Die private Krankenversicherung (privatwirtschaftlich organisiert)
• Bundesagentur für Arbeit (SGB II)
• Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI)
• Träger der Kriegsopferversorgung (BVG und SVG)
• Träger der Unfallversicherung (SGB VII)
• Träger der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII)
• Träger der Sozialhilfe (SGB XII)
• Träger der Pflegeversicherung (SGB XI)
Für welche Versorgungsbereiche ist das Thema Kooperation besonders wichtig?
Welche vulnerablen Gruppen sind betroffen? Der Bedarf an Kooperationsstätigkeit steigt mit der Komplexität des Falls (Sachverständigenrat 2009: 27). Bei einfachen Versorgungsbedarfen, reicht oft auch eine monodisziplinäre Behandlung, um eine ideale Versorgungsqualität unter Berücksichtigung einer partizipativen Entscheidungsfindung zusammen mit der Klientin oder dem Klienten zu erreichen. Mehr Kooperation sollte also nicht grundsätzlich als Gießkannenprinzip gefordert werden. Ein Mehr an Kooperation ist dort notwendig, wo sich neue Versorgungsbedarfe ergeben haben, die vorwiegend durch eine Langfristigkeit der Erkrankung und durch eine Kombination von Versorgungsbedürfnissen in verschiedenen Lebensbereichen (z.B. Arbeit, Selbstversorgung, Freizeit) zu Stande kommen.
Komplexe Versorgungsfragen sind vor allem bei bekannten vulnerablen Gruppen zu erwarten. Diese sind insbesondere (Sachverständigenrat 2009: 28 ff.):
• Frühgeborene
• Kinder und Jugendliche aus Familien mit wenig personellen Ressourcen
• Kinder und Jugendliche mit multiplen Versorgungsbedarfen, insbesondere während der Transition vom Jugendalter in das Erwachsenenalter
• Menschen mit starken psychischen Erkrankungen
• Menschen mit komplexen chronischen Erkrankungen (z.B. metabolisches Syndrom)
• Multimorbide Ältere


Zwischenfazit
Um auf der Grundlage von evidenzbasierter Praxis möglichst partizipativ Handeln zu können, müssen Forschungsergebnisse deutlich den Einfluss von kooperierendem Handeln identifizieren können. Bisher wurde keine Übersichtsarbeit zu dieser Fragestellung erstellt. Ziel des Artikels ist es daher Ergebnisvariablen für die Evaluation von Kooperation bei der gesundheitlichen Versorgung aus aktueller Literatur der Forschung in den Gesundheitsberufen, aus dem Bereich Public Health und der Versorgungsforschung zusammenzuführen und hier gebündelt darzustellen.

Mögliche Ergebnisvariablen

Nachfolgend werden mit Hilfe der Systematik der drei Handlungsziele des Gesundheitswesens mögliche Ergebnisvariablen diskutiert, die für die Evaluation der jeweiligen Ziele genutzt werden könnten.

Für das erste Ziel „Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung“
Dies ist ein „patient related outcome“, also ein Ziel, dass sich auf die Ergebnisse richtet, die im Zusammenhang mit der einzelnen Patientin oder dem einzelnen Patienten stehen.
Durch objektiv messbare Kennzahlen können diese Ergebnisse teilweise operationalisiert werden. Diese Variablen gelten bisher im Rahmen von Allokationsentscheidungen als harte Fakten. Vor dem Hintergrund einer stärkeren Einbeziehung der Klientinnen und Klienten in den Versorgungsprozess erlangen auch subjektive Wahrnehmungen der Klientinnen und Klienten zunehmen mehr Gewicht für eine Bewertung der Versorgungsqualität.
Um eine Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Variable Kooperation bei der gesundheitlichen Versorgung bewerten zu können, sind die folgenden Ergebnisvariablen nutzbar: Für den Bereich der Prävention lässt sich die Ergebnisvariable Prävalenz bzw. abnehmende Prävalenz einer Erkrankung nutzen, um den positiven Effekt von kooperativem Handeln zeigen zu können. Hierbei müsste eine präventive Intervention, die kooperative Strukturen nutzt, einer präventiven Intervention ohne kooperative Strukturen in Bezug auf eine Senkung der Prävalenz überlegen sein. Für den Bereich der Prävention gilt, stärker als im Rahmen therapeutischer Interventionen, dass ein partizipatives und somit kooperatives Vorgehen präferiert wird. Zentral sind hierbei die Ansätze der Verhältnis- und der Verhaltensprävention. Fokus und Zielsetzung von Verhältnisprävention ist per Definition eine interdisziplinär geplante Maßnahme, die in einem spezifischen Setting (z.B. Schule, Wohnbezirk, etc.) geplant wird. Bei der Bewertung der präventiven Maßnahme kann der Grad der Partizipation der Zielgruppe als Qualitätsmerkmal genutzt werden (Wright 2013: 152). Auch für Maßnahmen der Verhaltensprävention gilt, dass sich hier eine starke Partizipation der Zielgruppe als Qualitätskriterium etabliert hat (Preußner 2003: 167). Kombiniert man Maßnahmen für Verhältnis- und Verhaltensprävention und beteiligt hierbei die Personen der spezifischen Zielgruppe bei der Konzeption und Durchführung der Maßnahme, so wirkt sich dies positiv auf die gewünschten Gesundheitsergebnisse aus. Als Beispiel für die berufliche Prävention konnte Treier zeigen, dass die Arbeitsfähigkeit einer Belegschaft durch ein solches Vorgehen besser erhalten werden kann, als ohne Maßnahmen der Verhältnis- und Verhaltens-prävention und eine hiermit verbundene Beteiligung der Belegschaft (Treier 2015: 36).
Vergleichbar zum präventiven Setting gilt für die Kuration, dass eine kooperative Intervention einer nicht kooperativ durchgeführten Intervention in Bezug auf die Senkung der Mortalitätsraten der betreffenden Krankheit, überlegen ist. Andere harte Ergebnisvariablen in diesem Kontext sind die Anzahl der healthy life years, sowie ein Rückgang der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder eine Rückkehr an den Arbeitsplatz nach einer Erkrankung bzw. Rehabilitation. Die MeeR Studie (Merkmale einer guten und erfolgreichen Reha-Einrichtung), die im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Bund durchgeführt wurde, konnte zeigen, dass der Erfolg eines Rehabilitationsprozesses in engem Zusammenhang steht mit der Intensität, der Kooperation innerhalb eines Reha-Teams (Stamer et al. 2014: 279). Je intensiver die verschiedenen Berufsdisziplinen während des Reha-Prozesses zusammenarbeiteten, desto erfolgreicher konnten die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden nach Abschluss der Behandlung entlassen werden (ebenda: 279).
Dies war unter anderem dadurch bedingt, dass interdisziplinär arbeitende Teams die Therapieziele klientenzentriert erarbeiteten, wodurch die Therapiemotivation stieg (ebenda: 279). Auch der im interdisziplinär gut funktionierenden Team kommunizierte Respekt für andere Berufsprofessionen und somit Kolleginnen und Kollegen, wirkte sich positiv auf die Therapiemotivation der Klientinnen und Klienten aus und steigerte somit den Therapieerfolg (ebenda: 280).
Neueste Studien nutzen zunehmend die Patientenzufriedenheit als Ergebnisvariable. Um diese subjektive Messgröße erfassen zu können, gibt es inzwischen national und auch international mehrere Instrumente, deren Validität ermittelt wurde (Quaschning 2013: 166; Schlack 2009: 20). Körner et al. konnten zeigen, dass das Instrument „Internal Participational Scale“ (IPS) sowohl für die Überprüfung der Zufriedenheit der Klientinnen und Klienten als auch der Professionellen genutzt werden kann (Körner 2013: 10). Hierüber hinaus war ein Zusammenhang zwischen dem Anstieg an Zufriedenheit (in Bezug auf die Behandlung) von Klientinnen und Klienten und Professionellen bei kooperativem Handeln zu beobachten (Körner 2014: 8; Quaschning 2013: 173).
Für die Perspektive der patientenbezogenen Ergebnisqualität spielen zwei weitere Punkte eine wichtige Rolle. Zum einen das „Shared Decision Making”, also eine partizipative Entscheidungsfindung, wobei die Klientinnen und Klienten als Partnerinnen und Partner bei der eigenen Behandlungsplanung mit einbezogen werden. Zum anderen das Thema „Health Literacy“, also das individuelle Wissen über gesundheitsrelevante Themen. Beides ist eng miteinander verwoben und aus gesundheitswissenschaftlicher Sich als best practice anzustreben. Bisher gibt es keine Erkenntnisse darüber, ob die Art und Weise oder die Intensität von kooperativem Handeln der professionellen Akteurinnen und Akteure Auswirkungen auf diese Ergebnisvariablen hat. Dies sollte in zukünftigen Studien erforscht werden.

Für das zweite Ziel „Verbesserung der Versorgung“
Dies ist ein „intervention related outcome“, also ein Ergebnis von Versorgung, das sich auf die Qualität der geleisteten Intervention bezieht. Qualität kann hier definiert werden, als die beste mögliche Passung von individuellem Versorgungsbedürfnis der Klientin oder des Klienten und der geleisteten Intervention. Die Qualität dieser zu leistenden Aufgabe kann an mehreren Stellen beurteilt werden. Um Ergebnisvariablen für diesen Kontext zu definieren, lassen sich folgende Richtfragen an den Versorgungsprozess formulieren:
• Wurde der individuelle Versorgungsbedarf adäquat erhoben? (Dies lässt sich vor allem aus der Klient/innen-Perspektive beurteilen; vergleiche hierzu den vorangegangenen Abschnitt)
• Wurde der individuelle Versorgungsbedarf, also die interne Evidenz adäquat mit externer Evidenz aus qualitativ hochwertigen wissenschaftlichen Quellen abgeglichen?
• Gibt es für die Behandlung des vorliegenden Versorgungsbedarfs eine Leitlinie? Ist diese mit Hilfe von aktueller, qualitativ hochwertiger wissenschaftlicher Literatur erarbeitet? Findet sich zudem interdisziplinäres Handeln als Leistungsbeschreibung in der Leitlinie? Wurde die Leitlinie hierfür möglichst durch ein interdisziplinäres Team von Professionellen erarbeitet?
• Ist der oder die Leistungserbringer/in nach Abschluss der Behandlung zufrieden mit seiner Leistung?
• Wie wird die Qualitäts- bzw. Patientensicherheit in den Behandlungsprozess integriert?

Zunahme von evidenzbasierter Versorgung

In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das Thema evidenzbasiertes Handeln für die medizinisch-therapeutischen Berufe erstmals aktuell. Bisher gibt es unaufhaltsam Versuche, die externe Evidenz für Behandlungsinterventionen mit Hilfe klinischer Studien zu evaluieren. Gegenwärtig wird im Spektrum der Versorgungsforschung die Passung evidenzbasierter Interventionen außerhalb des klinischen Versuchs untersucht. Ziel von Versorgungsforschung ist es also herauszufinden, wie gut Interventionen, die in klinischen Test erprobt wurden, im täglichen Versorgungssetting einsetzbar sind. In Bezug auf die Versorgungsqualität ist schließlich fundamental, ob die angewandten Interventionen nicht nur im Laborsetting, sondern auch in vivo die gewünschten positiven Erfolge verzeichnen können. Hierfür sind zwei Faktoren wichtig. Zum einen müssen den Klinikern aktuelle und sauber durchgeführte Studien, die den Faktor der Interdisziplinarität mit berücksichtigen vorliegen. Zum anderen müssen diese in der Lage sein, geeignete Evidenz zu suchen, zu bewerten und auch bei der Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten anzuwenden. Riedel-Heller et al. konstatieren hierzu, dass aktuell noch ein starker „transitional gap“ also eine Evidenz-Praxis-Lücke zu verzeichnen ist (Riedel-Heller 2014: 53). Dies deckt sich mit der Analyse von Tomlin und Dougherty, die die Nutzung von externer Evidenz durch Gesundheitsfachberufler im Rahmen einer Übersichtsarbeit beschrieben haben (Tomlin 2014: 13-19).

Interdisziplinäre Erarbeitung von Leitlinien, die kooperatives Handeln beschreiben
Medizinerinnen und Mediziner können sich in Deutschland seit den 90er Jahren bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten an medizinischen Leitlinien orientieren (Kirchner et al. 2003: 74). Diese werden auf der Basis aktueller Studienerkenntnisse formuliert und durchlaufen einen komplexen Qualitätszirkel, bis sie zum Einsatz kommen. Federführend hierbei sind die Interessenvertretungen Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenversicherungen (Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin).
Für die Erarbeitung der Leitlinien wurde 2013 ein Qualitätsstandard entwickelt, der sich an internationalen Anforderungen für Leitlinien orientiert. Es entstand das Deutsche-Leitlinien-Bewertungs-Instrument (DELBI) (ebenda). Das DELBI enthält den Aspekt der Interdisziplinarität als Qualitätskriterium. Es ist gefordert, dass alle an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen sowie betroffene Klientinnen und Klienten bei der Erarbeitung einer Leitlinie mitarbeiten. Ein kooperatives Arbeiten in Bezug auf die medizinische Versorgung ist nicht explizit gefordert (ebenda). Hier bleibt zu klären, für welche Indikationen eine kooperative Versorgung in den Leitlinien integriert sein sollte.
Da die definierten Standards für die Inklusion wissenschaftlicher Studien in die Leitliniengestaltung derzeit eher quantitative Studien bevorzugen, fließen bei der Erarbeitung von Leitlinien nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen der Versorgungsforschung, der Pflegeforschung und der Therapieforschung ein, in den sowohl quantitative als auch qualitative Studiendesigns genutzt werden, um Forschungsfragen adäquat zu klären (ebenda).
Auch für die Evaluation bestehender Leitlinien hat sich bisher keine interdisziplinäre Praxis entwickelt, vielmehr wird dieser Arbeitsbereich durch die engagierten Interessenvertreter und -vertreterinnen bisher von einem medizinischen Berufsparadigma dominiert.

Qualitäts- und Patientensicherheit

Für die Qualitäts- und Patientensicherheit steht per Definition fest, dass ein Fehlermanagement, das einen systembezogenen Fokus hat und nicht auf die Fehler einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fokussiert ist, effektiver funktioniert (Barth 2009: 15). Teamarbeit und kooperatives Handeln sind also immer ein Teil der systembezogenen Fehleranalyse zur Steigerung der Patientensicherheit (Hoffman et al. 2010: 96). Fazit ist demnach, dass eine gut funktionierende Kooperation der Teambeteiligten eine größtmögliche Qualitäts- und Patientensicherheit garantiert (ebenda). Gleichwohl gibt es bisher keine empirischen Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Art, Weise und Intensität der Kooperation der professionellen Akteurinnen und Akteure sowie der Qualitäts- und Patientensicherheit untersucht haben.

Für das dritte Ziel „Begrenzung der Versorgungsausgaben pro Kopf“
Hierbei handelt es sich um eine Entscheidung über eine gerechte Allokation der Mittel im Rahmen eines solidarisch finanzierten Gesundheitssystems. Da sich die Ausgaben in diesem Versorgungssystem nicht einzig durch Verfügbarkeit und Bedürftigkeit regulieren, muss überlegt werden, welche Parameter dazu geeignet sind, um eine gerechte Allokation der Mittel zu regeln. Pfaff et al. schreiben hierzu, dass neben der klinischen Forschung auch die Versorgungsforschung berücksichtigt werden soll, um nicht nur „efficacy“, also die Wirksamkeit einer Maßnahme unter klinischen Bedingungen, sondern auch ihre „effectiveness“, also ihre Alltagswirksamkeit zu bestimmen (Pfaff et al. 2011: 2497).
Basis einer gerechten Allokation ist auf der einen Seite eine möglichst genaue Bestimmung der Therapiebedürftigkeit der Versicherten auf der Basis evidenzbasierter Diagnoseverfahren. Auf der anderen Seite steht dem gegenüber eine Intervention mit der größtmöglichen „effectiveness“. Da die Versorgungsforschung eine noch relativ junge Disziplin ist, liegen für die Alltagswirksamkeit vieler therapeutischer Interventionen noch keine Erkenntnisse vor. Pfaff et al. weisen darauf hin, dass diese Studienergebnisse lediglich interdisziplinär, unter Einbezug aller relevanten Akteurinnen und Akteure, die bei der gesundheitlichen Versorgung eingebunden sind, erarbeitet werden können. Eine gute Versorgungsforschung ist demnach nur interdisziplinär umsetzbar, untersucht gleichzeitig interdisziplinäres Handeln und greift auf Grundlagen der jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den Bereichen der evidenzbasierten Medizin, Pflege und Therapiewissenschaften zurück.

In wie weit interdisziplinäres Handeln im Vergleich zu monodisziplinärem Handeln kostensenkend wirken kann, bleibt in zukünftigen Studien der Versorgungsforschung zu klären.

Fazit

Bei der medizinisch-therapeutischen Versorgung von Klientinnen und Klienten mit komplexen Versorgungsbedürfnissen, ist eine interdisziplinäre Arbeitsweise der professionellen Akteurinnen und Akteure sinnvoll und notwendig. Dies lässt sich an verschiedenen Messgrößen zeigen. Ist die Notwendigkeit einer interdisziplinären Behandlung gegeben, wirkt sich die Umsetzung hiervon auf sowohl das individuelle Wohlbefinden der Klientinnen und Klienten als auch auf die Zufriedenheit der Behandelnden aus. Dies konnte in diesem Artikel mit Hilfe von verschiedenen Studien gezeigt werden.
Auch die Qualität der Behandlung, gemessen z.B. an der Arbeitsfähigkeit der Klientinnen und Klienten nach Abschluss einer Reha-Maßnahme, wird positiv durch eine interdisziplinäre Arbeitsweise beeinflusst.
Für den finanziellen Nutzen für die Kostenträger einer interdisziplinär erbrachten Behandlung gilt, dass eine gute interdisziplinäre Koordination von medizinisch-therapeutischen Leistungen Doppelbehandlungen vermeidet und die Behandlungsdauer der Klientinnen und Klienten verkürzen kann. Schließlich wirkt sich die Zufriedenheit der Klientinnen und Klienten im Rahmen einer gut erbrachten, interdisziplinären Leistung auf die Heilungschancen und die Heilungsgeschwindigkeit aus. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass auch die Klientinnen und Klienten selbst im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung als Teil des Behandlungsteams einbezogen werden sollten.

Empfehlungen für die Praxis

Praktikerinnen und Praktiker der medizinisch-therapeutischen Versorgung sind weiterhin aufgefordert die Evidenz-Praxis-Lücke zu schließen. Dies bedeutet, gute, evidenzbasierte Versorgung zu etablieren. Grundlage hierfür muss umfangreiche Versorgungsforschung sein, die sowohl die monodisziplinären Versorgungsrealitäten als auch interdisziplinäres Handeln berücksichtigt. Gerade bei der Versorgung von den o.g. vulnerablen Gruppen sollte eine gute, evidenzbasierte und interdisziplinäre Versorgung in Zukunft Standard sein. Konzepte der integrierten Versorgung, Disease Management Programme und Leitlinien sollten in Zukunft nicht nur interdisziplinär umgesetzt, sondern auch interdisziplinär erarbeitet werden. Um eine adäquate Methodenkompetenz für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu erlangen, wäre eine Einbettung dieses Themas bereits in die Ausbildungs- und Studiengänge der medizinisch-therapeutischen Praktikerinnen und Praktiker sinnvoll.

Empfehlungen für weitere Studien

Kooperatives Handeln wurde in diesem Artikel eingegrenzt auf den Kontext, der 1. auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, 2. auf die Qualität der Versorgung und 3. auf die Begrenzung der Versorgungsausgaben pro Kopf zielt. Zusätzlich wurde betont, dass eine intensive Kooperation lediglich bei komplexen Versorgungsbedarfen und -bedürfnissen anzustreben ist. Das Praxisfeld für kooperatives Handeln bei der gesundheitlichen Versorgung und auch der Fokus auf das betrachtete Feld, bleibt damit jedoch so breit, dass weitere Einzeluntersuchungen und auch Übersichtsarbeiten notwendig sind, um die Frage, in wie weit Kooperation sich messbar auswirkt, abschließend klären zu können. Dieser Artikel diskutiert mögliche Ergebnisvariablen, die teilweise in einzelnen Studien genutzt wurden. Zwischen anderen Ergebnisvariablen, wie z.B. partizipative Entscheidungsfindung oder Kosteneffizienz ist bisher kein Zusammenhang zu kooperativem Handeln bei der Gesundheitsversorgung belegt. Um die formulierten gesundheitspolitischen Ziele erfolgreich zu erreichen, ist eine Verifikation des Zusammenhangs der diskutierten Variablen unbedingt erforderlich, um im weiteren Verlauf therapiewissenschaftliche Studien bzw. Untersuchungen der Versorgungsforschung durchführen zu können, die valide Variablen bei der Erforschung von Kooperation nutzen. Letztlich kann nur so ein Mehrwert von kooperativem Handeln bei der Gesundheitsversorgung auch wissenschaftlich abgebildet werden. <<

Ausgabe 02 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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