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Add-On- und Substitutionseffekte neuartiger Antidiabetika

06.12.2017 10:20
Seit einigen Jahren ist auf dem deutschen Arzneimittelmarkt eine deutliche Mengendynamik zu erkennen [1]. Zudem führen Faktoren wie der demografische Wandel, der medizinisch-technische Fortschritt und die Zunahme ambulanter Therapiemöglichkeiten zu steigenden Arzneimittelausgaben [2]. Diese fortschreitende Entwicklung hat der Gesetzgeber durch die Einführung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) im Jahr 2011 aufgegriffen. Seitdem werden neue Medikamente hinsichtlich ihres Zusatznutzens bewertet. Es zeigt sich, dass weiterhin eine Vielzahl neuer pharmazeutischer Produkte auf den deutschen Markt gelangt, deren Zusatznutzen oftmals nicht belegt werden kann oder bei denen nur ein geringer Zusatznutzen festgestellt wird [3]. Zudem wurden im Zeitraum 2013 bis Anfang 2014 bereits zugelassene Arzneimittel im Rahmen des AMNOG hinsichtlich ihres Zusatznutzens bewertet (so genannter Bestandsmarktaufruf).1 Zu der einzigen Wirkstoffgruppe, deren Verfahren abgeschlossen wurde, zählen die DPP-4-Hemmer (auch Gliptine).

http://doi.org/10.24945/MVF.01.18.1866-0533.2063

Abstract

In den letzten Jahren sind zunehmend neue Arzneimittel auf den deutschen Markt gelangt, über deren Verbreitung im Markt auch vor dem Hintergrund einer frühen Nutzenbewertung noch zu wenig Wissen existiert. Am Beispiel der Indikationsgruppe neuer oraler Antidiabetika soll die Marktentwicklung genauer betrachtet werden. Bei den untersuchten Wirkstoffen handelt es sich um Fertigarzneimittel, die der Wirkstoffgruppe der DPP-4-Hemmer (Gliptine) zugeordnet werden. Sie wurden zwischen 2007 und 2009 zur Therapie von Typ-2-Diabetes zugelassen und stehen seither unter Patentschutz. Die Grundlage der Analyse bilden Routinedaten der Techniker Krankenkasse der Jahre 2010 bis 2015. Verordnungen wurden mittels ATC-Code identifiziert, wobei auch fixe Kombinationspräparate mit Metformin Berücksichtigung fanden. Zur Abgrenzung wurde als Referenzmarkt der gesamte Antidiabetikamarkt ohne Berücksichtigung von Insulinen und Insulinanaloga herangezogen. Zentrale Untersuchungsaspekte sind die Inanspruchnahme von Arzneimittelinnovationen im Zeitablauf und eine differenzierte Betrachtung von Substitutions- und Add-On-Effekten. Das Verordnungsvolumen stieg im Untersuchungszeitraum kontinuierlich an, wobei die Kosten pro Verordnung rückläufig waren. Der Anteil der Gliptinempfänger am gesamten Antidiabetikamarkt verdoppelte sich im Zeitverlauf nahezu. Bei fast 80 % der Verordnungen wurde ein Kombinationspräparat mit einem weiteren Wirkstoff oder zusätzlich zum Gliptin ein weiteres Präparat verschrieben. Der kontinuierliche Anstieg des Antidiabetikaverbrauchs weist auf eine zunehmende Marktdurchdringung mittels der ausgewählten Gliptine hin, wobei es sich in der Mehrzahl um Add-on-Präparate handeln dürfte.

Add-on and substitution effects of novel antidiabetics in Germany
In recent years, more and more new drugs entered the German market, where knowledge about market distribution - against the background of early benefit assessment - is still insufficient. The paper analyses the indication group of antidiabetics. The reviewed DPP-4-inhibitors refer to finished dosage products. The drugs were licensed between 2007 and 2009 to treat type 2 diabetes and since then have been protected by a patent law. The basis for the analysis forms claims data of the Techniker Krankenkasse for the years 2010 to 2015. Medication orders were identified by ATC and combination products with Metformin were taken into account, too. For differentiation the whole market of antidiabetics without insulin and insulin analogues serves as a reference market. Central objects of the study are the use of drug innovations over time as well as substitution and add-on effects. The prescription volume increased continuously over time, while costs per prescription were declining. The share of gliptin recipients among whole market of antidiabetics almost doubled over time. Almost 80% of prescriptions were combinations either with another substance or as additional prescription to the gliptin. The continuous growth of consumption of antidiabetics during the investigation period points to an increasing market penetration by means of gliptins, whereby the majority of prescriptions can be classified as add-on.

Keywords
antidiabetics, drugs, market penetration, AMNOG, benefit assessment, prescription

Joana Remus, M.Sc - PD Dr. rer. pol. Udo Schneider - Dr. rer. nat. Frank Verheyen

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Zitationshinweis: Remus, J., Schneider, U., Verweyen, F.: „Add-On- und Substitutionseffekte neuartiger Antidiabetika“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ 01/18, S. 41-45, doi: 10.24945/MVF.01.18.1866-0533.2063

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Add-On- und Substitutionseffekte neuartiger Antidiabetika

Seit einigen Jahren ist auf dem deutschen Arzneimittelmarkt eine deutliche Mengendynamik zu erkennen [1]. Zudem führen Faktoren wie der demografische Wandel, der medizinisch-technische Fortschritt und die Zunahme ambulanter Therapiemöglichkeiten zu steigenden Arzneimittelausgaben [2]. Diese fortschreitende Entwicklung hat der Gesetzgeber durch die Einführung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) im Jahr 2011 aufgegriffen. Seitdem werden neue Medikamente hinsichtlich ihres Zusatznutzens bewertet. Es zeigt sich, dass weiterhin eine Vielzahl neuer pharmazeutischer Produkte auf den deutschen Markt gelangt, deren Zusatznutzen oftmals nicht belegt werden kann oder bei denen nur ein geringer Zusatznutzen festgestellt wird [3]. Zudem wurden im Zeitraum 2013 bis Anfang 2014 bereits zugelassene Arzneimittel im Rahmen des AMNOG hinsichtlich ihres Zusatznutzens bewertet (so genannter Bestandsmarktaufruf).1 Zu der einzigen Wirkstoffgruppe, deren Verfahren abgeschlossen wurde, zählen die DPP-4-Hemmer (auch Gliptine).

>> Am Beispiel dieser oralen Antidiabetika zur Therapie des Typ-2-Diabetes beleuchtet die vorliegende Analyse die Marktdiffusion neuartiger Arzneimittel. Bei den ausgewählten Wirkstoffen Sitagliptin, Vildagliptin und Saxagliptin handelt es sich um patentgeschützte Präparate, die entweder als Monopräparat oder fixes Kombinationspräparat zwischen 2007 und 2009 zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen wurden. Im Jahr 2013 wurden die betrachteten Antidiabetika im Rahmen einer Bestandsmarktbewertung hinsichtlich ihres Zusatznutzens vom G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) untersucht. Bei zwei der drei Wirkstoffe - Sitagliptin und Saxagliptin – wurde ein geringer Zusatznutzen festgestellt, während Vildalgiptin keinen Zusatznutzen aufwies [5]. Aufgrund der Befristung dieser Beschlüsse erfolgte drei Jahre später (Dezember 2016) eine erneute Nutzenbewertung für Sitagliptin und Saxagliptin sowie die entsprechenden Kombinationspräparate mit Metformin [5, 6]. Hierbei konnte lediglich für Sitagliptin ein Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen festgestellt werden, während bei Saxagliptin kein Zusatznutzen mehr vorlag. Mit Blick auf diese Beurteilung durch den G-BA und mit Fokus auf die Leitlinientherapie wird im Folgenden die Marktdynamik der betrachteten Wirkstoffe untersucht. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage, ob es sich bei den ausgewählten Antidiabetika um Add-On-Präparate handeln könnte.
Methodik
Zur Untersuchung der Marktdurchdringung wurde auf Routinedaten der Techniker Krankenkasse (TK) der Jahre 2010 bis 2015 zurückgegriffen. Die ausgewählten Wirkstoffe werden kontinuierlich zur Behandlung von Diabetes mellitus eingesetzt und ermöglichen damit eine Betrachtung über den Zeitverlauf. Die Gliptine und fixen Kombinationspräparate mit Metformin wurden mittels ATC-Code identifiziert und durch das Abgabedatum einem Kalenderjahr zugeordnet. Zur Abgrenzung wurden sämtliche Verordnungen an Antidiabetika (exkl. Insuline & Analoga) herangezogen. Es wurden Versicherte unter 18 Jahren ausgeschlossen, da die betrachteten Wirkstoffe nur zur Anwendung bei erwachsenen Typ-2-Diabetikern zugelassen sind. Zudem wurden Versicherte mit Auslandswohnsitz, ohne regionale Angaben oder fehlenden soziodemografischen Angaben ausgeschlossen. Hinsichtlich der Verordnungskosten wurde die GKV-Perspektive eingenommen, d.h. Kosten abzüglich gesetzlicher Abschläge und Zuzahlungen. Insgesamt wurden 1.172.788 Verordnungen analysiert, die 122.488 Versicherten zugerechnet werden konnten. Auf den Gesamtmarkt der Antidiabetika entfielen im gleichen Zeitraum 6.320.224 Verordnungen, bei 421.759 Versicherten (siehe Tab. 1).
In der Therapie des Typ-2-Diabetes existieren neben den Monopräparaten Sitagliptin, Vildagliptin und Saxagliptin als Therapiealternativen fixe Kombinationspräparate [7]. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, weitere Wirkstoffe wie Metformin, Sulfonylharnstoffe oder Thiazolidindione separat zu verordnen [7]. In diesem Fall findet ebenfalls eine (individuelle) Kombinationstherapie statt. Die nationale Versorgungsleitlinie zur Behandlung des Typ-2-Diabetes empfiehlt als Antidiabetikum der ersten Wahl eine Monotherapie mit Metformin. Lediglich bei einer Unverträglichkeit sollte auf Gliptine oder andere Antidiabetika ausgewichen werden. Eine Kombinationstherapie wird hingegen nur in solchen Fällen angeraten, in denen das individuelle HbA1c-Ziel nach 3 bis 6 Monaten mittels Monotherapie nicht erreicht wurde [8].
Um das gesamte Kombinationsspektrum der Gliptine zu erfassen, wurden unterschiedliche Varianten auf Grundlage des ATC-Codes, des Abgabedatums, der Abrechnungsnummer und einem 30-Tage-Intervall um den Zeitpunkt der Gliptinabgabe ermittelt. Auf dieser Grundlage wurde untersucht, inwieweit bei den ausgewählten Antidiabetika Substitutions- oder Add-On-Effekte vorliegen. Das gesamte Kombinationsspektrum der Gliptine setzt sich aus unterschiedlichen Stufen zusammen (siehe Tab. 2). Zunächst erfolgte eine Identifikation der Fertigkombinationspräparate mit Metformin, die den gesamten Gliptinverordnungen gegenübergestellt wurden (Stufe 1). Weitere Kombinationstherapien wurden identifiziert, indem eine Analyse von Verordnungen erfolgte, auf denen zeitgleich mit einem Gliptin Metformin, ein Sulfonylharnstoff oder ein Thiazolidindion vorhanden waren (Stufe 2). Im letzten Schritt wurden zusätzlich Verordnungen berücksichtigt, die unabhängig von einem Gliptin erfolgten, wobei es sich jedoch ebenfalls um eine Kombinationstherapie handeln könnte, da innerhalb eines 30-Tage-Intervalls vor bzw. nach der Gliptinabgabe eine separate Verordnung von Metformin, einem Sulfonyharnstoff oder Thiazolidindion stattfand (Stufe 3) (siehe Tab. 2).
Die Messung der Marktdurchdringung von Arzneimitteln erfolgt auf Basis der Verordnungen oder der verordneten Tagesdosen. Es liegt dabei eine Abweichung vom DDD-Konzept [9] vor, da die Marktdurchdringung anhand tatsächlich verordneter Tagesdosen und Verordnungszahlen gemessen wird. Um die Marktdurchdringung der Gliptine auf dem Antidiabetikamarkt zu messen wurde zur Marktabgrenzung auf das Substitutionskonzept nach Hajen et al. (2010) zurückgegriffen, bei welchem eine einzelne Indikationsgruppe näher untersucht wird [10].2 Hier wurde der Anteil der Gliptinverordnungen dem gesamten Antidiabetikamarkt gegenübergestellt.
Ergebnisse
Im kompletten Untersuchungszeitraum ist die Versichertenzahl sowohl auf dem gesamten Antidiabetikamarkt als auch auf dem Gliptinmarkt kontinuierlich angestiegen. Unter Berücksichtigung des Versichertenwachstums der TK hat sich der Anteil der Gliptinempfänger auf dem Gesamtmarkt von 16,5% auf 33% nahezu verdoppelt. Diese Entwicklung lässt sich auf das allgemein wachsende Verordnungsvolumen der DPP-4-Hemmer auf dem gesamten deutschen Antidiabetikamarkt zurückführen [11, 7] und weist auf eine zunehmende Marktdurchdringung der Gliptine hin. Aus Abbildung 1
geht hervor, dass die Verordnungszahlen auf dem Gliptinmarkt sowohl bei den Mono- als auch bei den Kombinationspräparaten im gesamten Untersuchungszeitraum kontinuierlich angestiegen sind. Lediglich bei Vildagliptin (A10BH02) und dem entsprechenden Kombinationspräparat mit Metformin (A10BD08) sind 2014 und 2015 rückläufige Raten zu erkennen, was auf die Marktrücknahme von Vildagliptin zum 1. Juli 2014 zurückzuführen ist [7]. Weiterhin ist zu beobachten, dass zu dem Kombinationspräparat aus Saxagliptin und Metformin (A10BD10), welches im November 2011 zugelassen wurde, erst ab dem 4. Quartal 2012 Verordnungszahlen vorliegen. Die restlichen Wirkstoffe, sowohl Mono- als auch Kombinationspräparate, unterliegen im gesamten Untersuchungszeitraum einem kontinuierlich zunehmenden Trend (Abb. 1).
Die Tagesdosen und Ausgaben (in Euro) für die Gliptine sind seit 2010 kontinuierlich angestiegen. Während die Tagesdosen im Untersuchungszeitraum von 946 auf 2.624 Einheiten zugenommen haben, unterliegen die Ausgaben bis zum Jahr 2015 einem Kostenanstieg von 1.607 auf 3.916 Euro (abweichend zu Abbildung 1 gilt hier als Bezugsgröße jeweils: pro 1.000 Versicherte). Während der Anteil der Verordnungen mit einer großen Packungsgröße (N3) auf dem Gliptinmarkt im Jahr 2010 noch bei 78,5% lag, stieg dieser bis zum Jahr 2015 auf 93,2% an, so dass ein Trend zur Verordnung und Abgabe von Großpackungen vorliegt. Dieser Trend ist gleichermaßen auf dem gesamten Arzneimittelmarkt zu erkennen [12]. Im Vergleich zum Gesamtmarkt, auf dem eine Zunahme bei Ausgaben und Tagesdosen pro Verordnung vorlag, sind die Kosten pro Verordnung bei zunehmenden Tagesdosen auf dem Gliptinmarkt seit 2010 rückläufig (vgl. Abb. 2 und 3).
Hinsichtlich der Marktdurchdringung der DPP-4-Hemmer kann Sitagliptin (A10BH01) mit einem Marktanteil von 31,9% unter den Monopräparaten den höchsten Anteil für sich beanspruchen. Bei den fixen Kombinationspräparaten weist ebenfalls die Kombination aus Sitagliptin und Metformin (A10BD07) mit 41% den höchsten Marktanteil auf. Die Marktaufteilung kann dabei auf den Zeitpunkt des Marktzugangs zurückgeführt werden, da Sitagliptin den ersten Vertreter der Wirkstoffklasse der Gliptine darstellt [13]. Hinsichtlich des Kombinationsspektrums der Gliptine konnte für Fertigkombinationspräparate mit Metformin ein Verordnungsanteil von 57,1% festgestellt werden, womit mehr Kombinations- als Monopräparate verschrieben wurden (Stufe 1).
Berücksichtigt man Verordnungen, auf denen zeitgleich mit einem Gliptin Metformin, ein Sulfonylharnstoff oder ein Thiazolidindion vorhanden waren, steigt der Anteil der Kombinationstherapien an den gesamten Gliptinverordnungen auf 66,7% an (Stufe 2). Werden zusätzlich separate Verordnungen von Metformin, einem Sulfonyharnstoff oder Thiazolidindion in einem 30-Tage-Intervall berücksichtigt, so steigt der Anteil der Verordnungen um weitere 10% auf 76,5% (Stufe 3).
Dabei ist der Anteil der Kombinationstherapien an den gesamten Gliptinverordnungen im Zeitverlauf rückläufig (vgl. Abb. 4). Während im Jahr 2010 noch 82,3% der Verordnungen auf eine Kombinationstherapie zurückgeführt werden konnten, ist dieser Anteil bis zum Jahr 2015 auf 72,4% zurückgegangen. Auch wenn im Jahr 2010 der Anteil an verordnungsgleichen und verordnungsverschiedenen Kombinationstherapien bei 24,7% lag, so sank dieser im Jahr 2015 auf 18,2%. Bei den fixen Kombinationspräparaten fand ein leichter Rückgang von 57,7% auf 54,2% statt. Gleichzeitig ist der Anteil der reinen Monotherapien von 17,7% im Jahr 2010 auf 27,6% im Jahr 2015 angestiegen.
Diskussion und Limitationen
Diskussion
Hinsichtlich der gegenläufigen Entwicklung von zunehmenden Tagesdosen zu sinkenden Kosten pro Verordnung lässt sich das Ergebnis der Erstattungsbetragsverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Pharmaherstellern heranziehen, die im Jahr 2014 abgeschlossen wurden [14]. Der hierdurch gesunkene Erstattungsbetrag auf Seiten der Krankenkassen dürfte zu den rückläufigen Ausgaben pro Verordnung beigetragen haben. Der Kostensteigerung pro Verordnung auf dem gesamten Antidiabetikamarkt liegt hingegen vermutlich die Veränderung der Strukturkomponente zugrunde. Durch die Verschreibung anderer Dosierungen oder Packungsgrößen könnte es im Zeitablauf zu einer Erhöhung der Ausgaben je Verordnung gekommen sein [15]. Zukünftig ist zu erwarten, dass, wenn sich der Trend zunehmender Gliptinverordnungen weiter fortsetzt, damit weiter steigende Arzneimittelkosten resultieren, da die DPP-4-Hemmer mit Jahrestherapiekosten von über 500 Euro die jährlichen Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Metformin) mit ca. 70 Euro deutlich übersteigen [7].
Aufgrund dessen, dass die Mehrzahl der Gliptinverordnungen im Rahmen einer Kombinationstherapie erfolgt, kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Gliptinen zum Großteil um Add-On-Präparate handeln dürfte. Hieraus folgt, dass sich die Markteinführung von Gliptinen letztlich als vorwiegend ökonomische Innovationen interpretieren lässt mit dem Ziel, in einem erfolgsversprechenden Indikationsgebiet Gewinne zu erzielen. Bei lediglich 23,5% der Verordnungen wurde ein Monopräparat verschrieben bzw. die Verordnung weiterer möglicher Kombinationswirkstoffe lag außerhalb des betrachteten 30-Tage-Intervalls. Insbesondere im Hinblick auf die mögliche Umstellung einer Arzneimitteltherapie kann allerdings nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob bereits eine Kombinationstherapie vorlag oder gerade eine Umstellung erfolgte. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die Kombinationstherapie eine Übergangslösung für die Umstellung von einem alten zu einem neuen Wirkstoff darstellen, was den abnehmenden Anteil der Kombinationstherapien im Zeitverlauf erklären könnte. Langfristig führen Add-On-Therapien, die von der leitliniengerechten Versorgung abweichen, für die Kostenträger und Versichertengemeinschaft zu zusätzlichen finanziellen Belastungen. In diesem Zusammenhang weisen der GKV-SV [16] und die Techniker Krankenkasse [3] auf die mit einer Scheininnovation einhergehenden Belastungen hin, die zu Mehrkosten und Risiken in der Patientenversorgung führen können.

Limitationen
Die den Routinedaten zugrundeliegenden Löschfristen erlauben nur einen Blick auf die Analysejahre 2010 bis 2015, so dass auf keinen längeren Untersuchungszeitraum zurückgegriffen werden konnte, der insbesondere die Jahre der Markteinführung beinhaltet. Weiterhin beinhalten Routinedaten keine Informationen über den Gesundheitszustand des Patienten bzw. den Schweregrad der Erkrankung, die Auswirkungen auf seinen Arzneimittelverbrauch haben könnten. Die Tatsache, dass die Versichertenzahlen der TK im Untersuchungszeitraum kontinuierlich angestiegen sind, wurde durch Referenzierung auf den Gesamtmarkt berücksichtigt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass bei den betrachteten Wirkstoffen bisher nur klinische Studien, jedoch keine Information bezüglich der Effectiveness (Wirkung unter Alltagsbedingungen) vorliegt.
Fazit
Die vorliegende Analyse zeigt, dass im Untersuchungszeitraum zunehmend Gliptine verordnet wurden, wobei die Kosten pro Verordnung rückläufig waren. Hinsichtlich des Antidiabetikaverbrauchs konnte dargestellt werden, dass Gliptine hauptsächlich als Add-On-Präparate eingesetzt werden und damit zusätzliche Kosten auf dem Arzneimittelmarkt verursachen. Da Add-On-Therapien zu weiteren Kostensteigerungen beitragen können ohne die qualitative Versorgung der Patienten maßgeblich zu verbessern, sollte vor dem Hintergrund eines effizienten Ressourceneinsatzes und der begrenzten finanziellen Mittel der Einsatz dieser Add-On-Medikamente kritisch hinterfragt werden. Dabei sind Überlegungen dahingehend zu führen, inwiefern neuartige Arzneimittel unter Kosten- und Nutzenaspekten erforderlich sind bzw. eine Überversorgung vermieden werden kann. Die Ergebnisse machen deutlich, dass neben der Zusatznutzenbewertung weitere Einflussfaktoren, wie akteursspezifische Interessen und rechtliche Vorgaben, bei der Marktdurchdringung neuartiger Arzneimittel ausschlaggebend sind. Insgesamt zeigt die Analyse ein Spannungsverhältnis zwischen den Empfehlungen der nationalen Versorgungsleitlinie hinsichtlich der Verordnung von Gliptinen, der Nutzenbewertung des G-BA und der vorliegenden Marktdynamik. Es bleibt festzuhalten, dass die Versorgungsrealität nicht den Leitlinienempfehlungen entspricht. Vor dem Hintergrund, dass die Kosten der neuartigen Arzneimittel die der zweckmäßigen Vergleichstherapie übersteigen, sollten künftige Forschungsarbeiten verstärkt daran ansetzen, Nutzenbewertungen und leitliniengerechte Versorgung in Einklang zu bringen. <<

Ausgabe 01 / 2018

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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