Sie sind hier: Startseite Abstracts Kurzfassungen 2018 MVF 02/18 „Noch nicht am Ende der Entwicklung angelangt“
x
Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

„Noch nicht am Ende der Entwicklung angelangt“

06.12.2017 14:00
Das Bundesversicherungsamt (BVA) mit Dienstsitz in Bonn hat gegenwärtig knapp 600 Beschäftigte, die sich auf 8 Abteilungen und 47 Referate verteilen. Das BVA führt die Aufsicht über die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger und nimmt wichtige Verwaltungsaufgaben im Bereich der Sozialversicherung wahr. Im Zentrum dieses Interviews stehen die Tätigkeiten des BVA als DMP-Zulassungsbehörde sowie als Durchführungsbehörde für den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich, kurz Morbi-RSA, zu dessen Weiterentwicklung der bei BVA abgesiedelte Wissenschaftliche Beirat das erste von zwei Sondergutachten vorgelegt hat.

>> Auch nach 15 Jahren DMP kann der - in den rund 10.000 vom BVA zugelassenen Disease Management-Programmen (DMP) gesammelte und ihrer Bundesoberbehörde ja auch vorliegende – Datenschatz nur rudimentär ausgewertet und darum, wie Sie anlässlich des 15. Jahrestages der Einführung der DMP bei einer Veranstaltung der Betriebskrankenkassen (BKK) in Frankfurt erklärten, „nicht optimal für die Versorgungsforschung genutzt“ werden. Dabei könne  man es sich – wie Sie weiter ausführten – gar nicht leisten, diesen „einmaligen Datenschatz“ ungenutzt zu lassen. Was sind denn die Argumente dafür? Welche sprechen dagegen?
Der von Ihnen angesprochene „Datenschatz“ liegt dem BVA ja gerade nicht vor! Der Gesetzgeber hat die Zuständigkeit für die Eva-luation dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen, der sie 2014 neu geregelt hat. Seither erhält das BVA keine einzelnen Evaluationsberichte der Krankenkassen mehr.

Was sind die Auswirkungen?
Man muss sehen, dass sich die Zielrichtung der Evaluation grundlegend geändert hat. Bei Einführung der DMP stand der Wettbewerbsgedanke zwischen den Krankenkassen im Vordergrund. Man hat sich damals Auswertungen der Evaluationsdaten versprochen, um „gute“ und „schlechte“ Programme der Krankenkassen zu identifizieren und daraus sollte der Versicherte dann idealerweise seine Konsequenzen ziehen. Es stellte sich aber sehr schnell heraus, dass es eine solch einfache Einteilung in „gute“ und „schlechte“ DMP nicht gab: Es ergab sich ein wesentlich differenziertes Bild.

Was hat man denn nun?
2014 hat der G-BA entschieden, dass alle Daten aller Krankenkassen in einen großen gemeinsamen Bericht zusammengeführt werden, der dem G-BA vorzulegen und auch zu veröffentlichen ist. Diese Daten sollen der „Fortentwicklung der DMP“ dienen. Das heißt, der G-BA soll bei seiner regelmäßigen Aktualisierung der Anforderungen der DMP die Erkenntnisse aus den Evaluationsdaten berücksichtigen. Das BVA hat durch diese Entscheidung auch die Zuständigkeit verloren, etwa noch die „alten“ Daten von vor 2014 einer Auswertung zu unterziehen. Ich habe im Nachhinein ohnehin meine Zweifel, ob das BVA die richtige Adresse war, um diese Evaluationsdaten auszuwerten. Dazu waren und sind wir personell und sachlich nicht hinreichend ausgestattet. Dazu bedürfte es wissenschaftlicher Institute.

Sollten denn die Daten transparent ausgewertet werden können?
Der uneingeschränkten Nutzung dieser Evaluationsdaten für die Versorgungsforschung steht § 137f Abs. 3 Satz 3 SGB V entgegen. Danach können im Rahmen von DMP erhobene Daten nur im Rahmen von DMP genutzt werden. Nur darin willigt der Teilnehmer bei seiner Teilnahmeerklärung ein. Dies zu ändern, bedürfte einer Gesetzesänderung.

Dennoch kann es doch sinnvoll sein!
Wie schwierig es ist, DMP-Daten über die DMP hinaus nutzbar zu machen, zeigt die Erfahrung mit dem Krebsfrüherkennungs- und Krebsregistergesetz, das 2013 in Kraft getreten ist. Damals war beabsichtigt, die Daten der DMP-Teilnehme­rinnen der Indikation Brustkrebs auch in dieses Krebsregister zu übernehmen. Hierzu hätte es aber einer ergänzten bzw. zusätzlichen Teilnahme- und Einwilligungserklärung der DMP-Teilnehmerin bedurft. Letztlich ist die Übernahme dieser DMP-Dokumentationsdaten in das Krebsregister gescheitert.

Auch die Ausgestaltung der Schulungsprogramme für die DMP-Teilnehmer und die Quote der Teilnahme sei noch verbesserungswürdig, sagten Sie bei der bereits erwähnten BKK-Veranstaltung. Welche Probleme, vor allem aber auch Verbesserungspotenziale werden denn in Ihrem „Datenschatz“, der keiner mehr ist, sichtbar, bleiben aber bisher unangesprochen?
Die Schulungen der Patienten stellen einen elementaren Bestandteil des Versorgungskonzepts der DMP dar. Sie dienen der Patientenaktivierung, um die Patienten zu befähigen mit der chronischen Krankheit im Sinne eines Krankheitsmanagements umzugehen. Da sind sich auch alle einig. Trotzdem sind die Teilnahmequoten noch nicht zufriedenstellend. Diese Daten sind auch weitgehend bekannt und veröffentlicht. So haben an den Diabetes-Schulungen bei der Indikation Diabetes mellitus Typ 2 nur 29,2 Prozent der Patienten, an der Hypertonie-Schulung nur 9,3 Prozent aller Patienten teilgenommen – jeweils bezogen auf die Gesamtzahl aller Teilnehmer. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Ärzte einem Großteil der DMP-Teilnehmer gar keine Schulung empfehlen.

Woran liegt das?
Das weiß man nicht genau. Möglicherweise halten Ärzte die Schulungen grundsätzlich oder im Einzelfall für ihren Patienten nicht geeignet. Eventuell hat auch der Patient deutlich gemacht, dass er die Schulung – beispielsweise am Nachmittag – ohnehin nicht besuchen kann. Und der Arzt sie ihm deshalb erst gar nicht empfiehlt. Möglicherweise müssen die Schulungsprogramme auch weiter differenziert werden. Vielleicht auch, je nachdem welcher Bildungsgrad erreicht werden soll. Fremdsprachige Schulungsprogramme gibt es zum Teil bereits, auch solche, die unterschiedliche kulturelle Hintergründe berücksichtigen – nicht unwichtig zum Beispiel bei Ernährungsempfehlungen. Auch die Digitalisierung wird an den Schulungsprogrammen nicht spurlos vorbei gehen. Online-Schulungen gibt es zum Teil schon, Schulung-Apps werden folgen.

Mal Hand aufs Herz: Darf man denn eine Chroniker-Versorgung schlechter machen als man könnte, nur weil anscheinend der Daten- und Wettbewerbsschutz mehr als der Patientenschutz wert ist?
Sie sagen „nur weil … der Datenschutz“ mehr wert sei. Diese sogenannten „Zielkonflikte“ haben wir in vielen Politikbereichen. Gerade mit dem Datenschutz. Denken Sie nur an das Thema „Innere Sicherheit“. Diese Interessenabwägung muss der Gesetzgeber treffen und die hat er für DMP dahingehend getroffen, dass DMP-Daten nur im Rahmen von DMP genutzt werden dürfen. Und ich muss Ihnen nicht sagen, dass gerade die Bedeutung des Datenschutzes immer weiter zugenommen hat. Gerade im Hinblick auf Gesundheitsdaten besteht allseits eine besondere Sensibilität, ich nenne nur das Stichwort vom „gläsernen Patienten“. Und ich weiß auch nicht, ob man so weit gehen kann, zu sagen, dass die „Chroniker-Versorgung schlechter“ ist, weil die DMP-Daten nicht umfassender genutzt werden können. Eine Nutzung innerhalb des DMP-Systems ist ja möglich. Was uns fehlt ist eine adäquate Nutzung darüber hinaus!

Der Gastgeber der Veranstaltung, anlässlich der Sie über 15 Jahre DMP – „zugleich Erfolgsgeschichte und Herausforderung für die Zukunft“ sprachen – waren ausgerechnet die Betriebskrankenkassen, die sich über die Ergebnisse des ersten Sondergutachtens zur Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs, kurz M-RSA, negativ äußerten. So bemängelte Franz Knieps, Vorstand des BKK-Dachverbands, dass „das Bündel der vorgelegten Empfehlungen an den tatsächlichen Wettbewerbsverzerrungen zwischen Kassen und Kassenarten vorbeigehe“ sowie die generelle „Pfadabhängigkeit“ der Empfehlungen und das Negieren von eindeutigen Indikatoren für die seiner Meinung nach vorliegenden Wettbewerbsverzerrungen. Was entgegnen Sie?
Zunächst einmal hat mich der Zeitpunkt der Kritik am Sondergutachten vom BKK-Dachverband und dem Verband der Ersatzkassen ebenso überrascht, wie das frühzeitige Lob des AOK-Bundesverbands. Die Bewertung des Sondergutachtens zu einem Zeitpunkt, als es in der Langfassung noch gar nicht veröffentlicht worden ist, halte ich für gewagt. Allerdings ist die etwas voreilige Reaktion der Verbände vor dem Hintergrund der Interessenlagen ihrer Mitgliedskassen – und deren Erwartungen an das Sondergutachten – auch nicht gänzlich verwunderlich.

Wie argumentieren Sie?
Der Beirat hat sich ausführlich mit den Rahmenbedingungen beschäftigt, innerhalb derer der RSA funktionieren muss. Anders als vom BKK-Dachverband angenommen, hat der Beirat sehr wohl die angenommenen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen untersucht. Er stellt dabei fest, dass die derzeitigen Über- und Unterdeckungen ihren Ursprung mehrheitlich außerhalb des RSA haben und der RSA daher nicht für jede empfundene oder tatsächliche Schieflage verantwortlich gemacht werden kann. Insofern lohnt sich ein etwas aufmerksamerer Blick auf das Bündel der vorgelegten Empfehlungen.

Welche meinen Sie explizit?
Der Beirat weist beispielsweise darauf hin, dass für einen funk-
tionierenden Wettbewerb die Aufsichtsbehörden auf Bundes- und Landesebene einheitlich handeln müssen. Das BVA vertritt grundsätzlich dieselbe Auffassung, aus meiner Sicht wird dies jedoch bereits heute weitgehend realisiert. Hierfür stimmt sich das BVA als Aufsichtsbehörde regelmäßig mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Landesaufsichten ab, um unterschiedliches Aufsichtshandeln nach Möglichkeit auszuschließen. Ich stimme mit dem Beirat insbesondere auch darin überein, dass der Wettbewerb zwischen allen Krankenkassen stattfindet und nicht zwischen den Krankenkassenarten. Den analytischen Blick in erster Linie auf die Einzelkassen zu richten, wie der Beirat es getan hat, und nicht auf die Kassenarten, hat mit dem „Negieren von eindeutigen Indikatoren“ wenig zu tun.

Sie sprechen damit die angeführte Pfadabhängigkeit an.
Die von Herrn Knieps kritisierte „Pfadabhängigkeit“ kann ich nicht nachvollziehen. Da der RSA als lernendes System ausgestaltet ist, basiert die kontinuierliche Weiterentwicklung und die Evaluation auf dem bestehenden Modell, das mit der Umsetzung von Reformvorschlägen modifiziert wird. Dementsprechend ist in der Regel statt einer kompletten Revolution eine evolutionäre Entwicklung des Systems zu erwarten. Zudem konnte der Wissenschaftliche Beirat einige Fragestellungen noch nicht abschließend bearbeiten, zum Beispiel, ob die Wiedereinführung eines Risikopools empfehlenswert sei.

Knieps erwähnte in seinen Kritik-Rundumschlag auch, dass sich der Wissenschaftliche Beirat des BVA (was ja auch sein Auftrag war) mit „technischen Kennziffern zur Prognosequalität und Zielge-nauigkeit“ befasse, anstatt die Wettbewerbsbedingungen insgesamt auf den Prüfstand zu stellen und auch prinzipielle Alternativen zum RSA zu erörtern. Hat er da nicht etwas den Adressaten seiner Botschaft – nämlich das BMG und die Bundespolitik – verwechselt?
Der Wissenschaftliche Beirat hatte, wie Sie zu Recht sagen, den Auftrag, die Wirkungen des Morbi-RSA zu prüfen sowie die Folgen relevanter Veränderungen des Verfahrens empirisch abzuschätzen. Eine grundsätzliche Bewertung der Wettbewerbsordnung im Gesundheitswesen wurde tatsächlich nicht erwartet. Nichtsdestotrotz hat sich das Beratungsgremium durchaus mit der Wettbewerbsordnung in solchen Bereichen befasst, die den RSA unmittelbar betreffen und entsprechende Empfehlungen abgegeben.

Zum Beispiel?
Die Notwendigkeit eines Risikostrukturausgleichs besteht in jedem wettbewerblichen Krankenversicherungssystem, das einen Kontrahierungszwang sowie risikounabhängige Beiträge aufweist. Ohne einen Risikostrukturausgleich besitzen die konkurrierenden Krankenkassen Anreize, sich auf die Attrahierung von guten Risiken, also von Versicherten, die – salopp gesagt – die Krankenkasse weniger kosten
als sie an Einnahmen einbringen, zu konzentrieren. Ein solcher Wettbewerb, bei dem die Risikoselektion dominiert, verursacht aus normativer gesamtwirtschaftlicher Sicht aber lediglich Kosten, ohne dabei einen positiven Beitrag zur Gesundheitsversorgung und somit zum Nutzen der Versicherten und Patienten zu leisten. Auch der Wissenschaftliche Beirat betont, dass die Vermeidung der Risikoselektion das zentrale Ziel des Risikostrukturausgleichs darstellt. Der RSA soll die Grundlage für einen Krankenkassenwettbewerb ermöglichen, indem er verhindert, dass Krankenkassen bei der Neukundenakquise „Rosinenpicken“ betreiben oder „schlechte“ Risiken – etwa durch eine restriktive Leistungsgewährung – in die Arme von Konkurrenten drängt. Die kritisierten Kennzahlen weisen aus, wie zielgenau die Zuweisungen des RSA sind. Je zielgenauer,
desto geringer sind die durchschnittlichen Über- und Unter-
deckungen von Versicherten. Dies führt wiederum zur Minderung der Risikoselektionsanreize für Krankenkassen. Daher ist es vollkommen richtig, dass der Beirat Reformoptionen anhand dieser
Parameter bewertet hat. Aber um dies klarzustellen: Die empirischen Analysen des Beirats beschränken sich nicht nur auf den Aspekt der Risikoselektion, sondern beinhalten immer auch einen Blick auf die Deckungssituation der Krankenkassen. Die potenziellen Auswirkungen von Änderungen am RSA auf die Krankenkassenlandschaft wurden damit berücksichtigt.  
Könnten Sie sich denn, auch wenn das nicht Ihre Aufgabe ist, prinzipielle Alternativen zum RSA vorstellen?
Solange wir in der GKV einen Wettbewerb zwischen Krankenkassen in Verbindung mit dem Krankenkassenwahlrecht, Kontrahierungszwang für die Krankenkassen und einen einheitlichen, nicht risikoadjustierten Beitragssatz haben, benötigen wir einen Ausgleichsmechanismus zwischen den Krankenkassen. Ansonsten würde die Gefahr bestehen, aus Gesellschaftssicht unerwünschte Entwicklungen in Kauf zu nehmen. So würde ein Wettbewerb um „günstige“ Versicherte das Solidarprinzip unterlaufen, indem Krankenkassen zum Beispiel durch Weglassen von Versorgungsangeboten für chronisch Kranke diese kranken Versicherten „weglocken“. Solange Versicherte ihre Beiträge unabhängig ihres Gesundheitszustandes entrichten, wird ein Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen zur Simulierung risikoäquivalenter Prämien definitiv benötigt.

Durch die von Knieps so bemängelte technischen Kennziffern zur Prognosequalität und Zielgenauigkeit kann die Prognosequalität des Morbi-RSA-Modells gemessen mit den versichertenindividuellen Kriterien R2 und CPM weiter verbessert werden, wie das auch schon die Auswertung der bisher durchgeführten sieben Jahresausgleiche gezeigt hat. Wie genau kann denn die Prognosequalität des M-RSA überhaupt werden? Und: Wo stehen wir heute?
Der RSA wird kontinuierlich vom BVA weiterentwickelt. Hierbei wird mein Haus vom Wissenschaftlichen Beirat beraten. Die Kennzahl R² hat mittlerweile einen Wert zwischen 22,7% und 25,8% erreicht, was im internationalen Vergleich ein herausragendes Ergebnis ist. Im Sondergutachten wird aufgezeigt, dass sich die Prognosegüte des Morbi-RSA noch weiter verbessern ließe, so etwa durch die bessere Berücksichtigung von Multimorbidität im System. Wir sind daher noch nicht am Ende der Entwicklung angelangt. Vielmehr müssen wir dafür Sorge tragen, den Morbi-RSA weiterhin kontinuierlich zu verbessern, nicht zuletzt, um so auf sich wandelnde Umstände zu reagieren und so die erreichte Prognosequalität zu wahren.

„Die Vermeidung von Risikoselektion stellt die zentrale Funktion des Morbi-RSA dar“, schreibt der Wissenschaftliche Beirat im Vorwort des ersten (von zwei) Sondergutachten zur M-RSA-Weiterentwicklung, und erklärt dass, „die Vermeidung von Risikoselektion eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung“ sei, da die Aufgabe der Schaffung fairer Chancen im Wettbewerb der Krankenkassen eine entsprechende wettbewerbliche Rahmenordnung erfordere. Weiter sagt der Beirat, dass „Wettbewerb (im Gesundheitswesen) für sich betrachtet keinen Zielcharakter“ habe, sondern „instrumental der Verbesserung der gesundheitlichen Ergebnisse, d.h. der Erhöhung von Lebenserwartung“ dienen solle, doch sei es „bisher nur unzureichend gelungen“, einen Wettbewerb zur Verbesserung der Versorgungsqualität zu stimulieren; vielmehr hätte der Wettbewerb um möglichst geringe bzw. keine (Zusatz-)Beiträge dominiert. Was kann der BVA hier tun?
Das BVA kann keinen expliziten Versorgungsqualitätswettbe-
werb zwischen den Krankenkassen stimulieren, das ist auch nicht unsere Aufgabe, weder als Aufsichtsbehörde noch als RSA-Durchführungsstelle. Aber wir können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass alle Krankenkassen unter den gleichen Rahmenbedingungen agieren. Zu Ihrer Frage, inwieweit wir die Daten des Morbi-RSA heranziehen können, um einen Qualitätswettbewerb zu fördern: Bei den RSA-Daten handelt es sich vor allem um gesundheitsbezogene Daten der GKV-Versicherten und damit um sensible und schutzbedürftige Sozialdaten. Bei der Nutzung der Daten müssen wir immer deren Verwendungszweck berücksichtigen, der darin besteht, den Risikostrukturausgleich durchzuführen und weiterzuentwickeln.

Wo bleibt dabei die Versorgungsforschung?
Versorgungsforschung ist zwar nicht primärer Zweck, aber ich bin der Meinung, dass die vorhandenen Daten auch im Sinne der Versorgungsforschung genutzt werden sollten. Hierfür stellt mein Amt die Daten dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information im Rahmen der Datentransparenzverordnung zur Verfügung, das die Aufgabe hat, die Daten so anzupassen, dass damit sogar längsschnittliche Analysen möglich sind.

Aber mit welchem Zeitverzug?
Das DIMDI hat die Erfahrungen der ersten zwei Jahre in einem Evaluationsbericht ausgewertet und u.a. auch den Zeitverzug zwischen dem Berichtsjahr und der Verfügbarkeit untersucht. Diese Erkenntnisse sind in die Überarbeitung der Datentransparenzverordnung eingeflossen. Bisher erfolgen die Datenmeldungen durch das BVA erst nach Abschluss der Korrektur eines Jahresausgleichs. Diese zeitliche Einschränkung soll zukünftig entfallen, so dass sich die Aktualität des Datenangebots deutlich erhöhen wird.

Was sagen Sie zum Thema Regionalisierung?
Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass sich die Leistungsausgaben bei gleichen Risikomerkmalen regional unterscheiden. Sowohl für die Versorgungsforschung als auch für den RSA ergibt sich daher die Frage, welche Einflussgrößen dafür verantwortlich sind und welche regionalen Verteilungen diese bewirken. Diese Fragen sind Gegenstand eines weiteren Gutachtens, mit dem der Wissenschaftliche Beirat beauftragt wurde und das derzeit von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle im BVA vorbereitet wird. Hier zeichnen sich noch keine eindeutigen Antworten ab. Denn einerseits könnten durch die Umverteilung von Finanzmitteln von Niedrigkosten- in Hochkostenregionen unerwünschte regionale Unterschiede in der Versorgungsdichte verfestigt werden. Wenn andererseits unterschiedliche Kostenniveaus von den Krankenkassen gar nicht beeinflusst werden können, entstehen ungleiche Wettbewerbsbedingungen. Es kommt daher auf die genaue Ausgestaltung an, weshalb ich hier dem Gutachten auch nicht vorgreifen will. Festgelegt bin ich allerdings bei der Ablehnung einer Regionalisierung der Beitragssätze, da dies nach meiner Auffassung einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungs-, Prüf- und Umsetzungsaufwand mit sich bringen würde.

Auf Krankenkassenartenebene zeigt sich nach Ausführungen des Beirats im Sondergutachten, dass die AOKs (im Durchschnitt) und die Bundesknappschaft seit 2009 im Vergleich zu den anderen Krankenkassen(arten) ihre Risikostruktur verbessert haben, das heißt, die relative Krankheitslast bei ihnen gesunken ist, währenddessen sich die Risikostruktur bei Betriebskrankenkassen, Innungs- und Ersatzkassen (im Durchschnitt) relativ verschlechtert habe, das heißt, dass ihre relative Krankheitslast zugenommen hat. Liegt das denn am M-RSA?
Die Angleichung der Morbiditätslast ist ein Ergebnis des Kassenwettbewerbs in Verbindung mit dem Kassenwahlrecht der Versicherten. Die sich angleichenden Risikostrukturen der Krankenkassen sind durchaus als ein positives Zeichen für die Wirkung des Risikostrukturausgleichs zu werten, da die Morbidität einer Krankenkasse nicht mehr maßgeblich den (Zusatz-)Beitragssatz und damit die Attraktivität der Krankenkasse für Neuversicherte beeinflusst. Abgesehen davon wird mein Haus selbstverständlich bei jeder einzelnen Krankenkasse prüfen, inwieweit sich aus diesen Ergebnissen des Beirats Auffälligkeiten ergeben, denen wir konsequent und lückenlos nachgehen.

Das BVA führt im Auftrag der Bundesregierung die Aufsicht über die Träger und Einrichtungen der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung, deren Zuständigkeitsbereich sich über mehr als drei Bundesländer erstreckt. Würden Sie dafür plädieren, dass Ihre Zuständigkeit durch die Politik auf alle Kassen erweitert werden müsste, damit die Aufsicht überall gleich ausgeübt werden kann?
Eine alleinige Aufsichtszuständigkeit des BVA würde eine ein-heitliche Aufsichtsführung gegenüber allen gesetzlichen Krankenkassen gewährleisten. Sie ist aber politisch kaum umsetzbar und damit wohl unrealistisch. Denn zur Änderung der derzeitigen Aufteilung der Aufsichtszuständigkeit zwischen Bund und Ländern wäre eine Grundgesetzänderung notwendig. Die hierfür erforderliche Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erscheint insbesondere im Bundesrat politisch nicht realisierbar.

Zumindest aus Sicht des Wissenschaftlichen Beirats – ebenfalls im Sondergutachten nachzulesen – sei es „unerlässlich, dass die Aufsichtsbehörden von Bund und Ländern bei der Umsetzung der durch das HHVG geschaffenen Neuregelungen einheitlich handeln“. Was wären denn die zu erwartenden Vor-, was mögliche Nachteile?
Mit den durch das HHVG eingeführten Neuregelungen will der Gesetzgeber Manipulationen im RSA verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen zu vermeiden, ist es erforderlich, dass alle Aufsichtsbehörden an einem Strang ziehen und durch eine einheitliche, strenge Aufsichtsführung dafür sorgen, dass keine Beeinflussung der ärztlichen Diagnosekodierung erfolgt.

Herr Plate, danke für das Gespräch. <<

Das Interview führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier.

Zitationshinweis : Stegmaier, P.: „Noch nicht am Ende der Entwicklung angelangt“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (02/18), S. 6-10; doi: 10.24945/MVF.02.18.1866-0533.2068

Ausgabe 02 / 2018

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

Gemeinsamer Priorisierungskatalog

« Dezember 2022 »
Dezember
MoDiMiDoFrSaSo
1234
567891011
12131415161718
19202122232425
262728293031