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Auf dem Weg zu Theorien von Lotsenprojekten

22.09.2021 11:10
Sie heißen Case Manager, Patientennavigatoren, Pflegekoordinatoren, Pflegemanager, Gesundheitscoaches, Koordinatoren für die medizinische Versorgung zu Hause, klinische Pflegekoordinatoren, Lotsen oder schlichtweg Kümmerer. „Obwohl diese Rollen in der Vergangenheit unterschiedliche Zuständigkeiten hatten, werden die Begriffe in der Literatur heute austauschbar verwendet“, schrieben Dr. Katherine J. Kelly, Prof. Dr. Shelley Doucet und Dr. Alison Luke von der kanadischen University of New Brunswick Saint John in ihrer 2019 bei Elsevier erschienenen Übersichtsarbeit (1). Es werde, so die Autoren, „oft beschrieben, dass sich die Funktionen der jeweiligen Rollen überschneiden“, was zu „einem Mangel an Klarheit hinsichtlich der genauen Funktionen“ geführt habe. Genau das wollen „Monitor Versorgungsforschung“ (MVF) und der Bundesverband Managed Care (BMC) ändern. Und zwar mit einer Umfrage zur Selbsteinschätzung, in der sich die Verantwortlichen von Lotsen-/Management-Care-Projekten mit ihren jeweiligen Rollen und Funktionen einordnen sollen.

http://doi.org/10.24945/MVF.05.21.1866-0533.2342

PDF

>> Nachdem das Autorinnen-Trio für seinen Review „Exploring the roles, functions and background of patient navigators and case managers“ 10.523 Artikel identifiziert hatte, blieben nach Anwendung der von ihnen definierten Zulassungskriterien (zum Beispiel haben sie nur englischsprachige Arbeiten ausgewertet) insgesamt 160 Artikel über. Diese untersuchten die Autorinnen nach extrahierbaren Daten und Informationen über Patientennavigatoren und/oder Case Manager in Bezug auf ihren Hintergrund, ihre Ausbildung und/oder ihr Wissen, ihre Rolle und/oder ihre spezifischen Funktionen, ihr klinisches Umfeld und die Art der Zielerkrankung. Dabei wurde von ihnen folgende Forschungsfrage identifiziert, um damit eine Lücke in der Literatur zu schließen: „Wie unterscheiden sich die Rollen, Funktionen und Hintergründe von Patientennavigatoren und Case Managern im Kontext der Gesundheitsversorgung?“
In ihrem Review werden die Begriffe „Rolle“ und „Funktion“ in Anlehnung an Tahan und Campagna (2010) definiert: Rolle als Begriff, der sich auf eine Reihe von Verhaltensweisen bezieht, die mit einer Position in einer sozialen Struktur verbunden sind; Funktion als eine „Gruppierung spezifischer Aktivitäten, die von einer Rolle abgeleitet sind“. Durch ihre Arbeit konnten die drei kanadischen Forscherinnen die Funktionen von Patientennavigatoren und Case Managern in neun Kategorien einteilen:
(1) Interessenvertretung;
(2) Koordination der Versorgung;
(3) Fallüberwachung und Bedarfsermittlung;
(4) Engagement in der Gemeinschaft;
(5) Bildung;
(6) Verwaltung und Forschungsaktivitäten;
(7) psychosoziale Unterstützung;
(8) Navigation zu Dienstleistungen; und
(9) Abbau von Barrieren

In der Literatur gebe es Diskussionen darüber, wie Patientennavigation definiert werden sollte, was zum Teil auf die unterschiedlichen Arbeitsumgebungen und Hintergründe der Navigatoren zurückzuführen sei. Generell hängt nach Meinung des Autorinnen-Trios die Definition eines Patientennavigators von drei entscheidenden Komponenten ab:
(a) der Art des Navigators (z. B. Fachmann vs. Laie),
(b) dem klinischen Kontext (z. B. Krebs) und
(c) dem organisatorischen Umfeld (z. B. Gemeinde vs. Krankenhaus)  

Das typische Umfeld von Patientennavigatoren und Case Managern ist, so schreiben die Drei, sehr unterschiedlich: Patientennavigatoren können von Krankenhäusern und anderen Gesundheitszentren, gemeindebasierten Organisationen, Versicherungsgesellschaften und als unabhängige Berater beschäftigt werden. Ebenso seien Case Manager in vielen Bereichen anzutreffen, z. B. in der häuslichen Pflege, in Krankenhäusern, Rehabilitations- und Langzeitpflegeeinrichtungen, aber auch in gemeindenahen und unabhängigen Pflegeeinrichtungen. Case Manager würden aber manchmal auch von Versicherungsgesellschaften und staatlichen Stellen beschäftigt.
Der Zeitpunkt, zu dem Patientennavigatoren und Case Manager in die Versorgung eines Patienten einbezogen werden (z. B. vom Screening bis zur Entlassung und darüber hinaus), könne variieren, je nach Programm. Patientennavigationsdienste würden in allen Phasen der Krebsversorgung (z. B. Prävention, Screening, Behandlung und Überleben) eingesetzt, aber auch an bestimmten Punkten der Versorgung, an denen Patienten erhebliche Unterstützung und Anleitung benötigen (z. B. bei der Diagnose). Ebenso arbeiteten
Case Manager an verschiedenen Punkten
des Gesundheitskontinuums, wie z. B. in palliativen und terminalen Phasen von Krankheiten. Case-Management-Dienste können indes auch auf Patienten beschränkt sein, die bestimmte Kriterien erfüllen, die durch eine erste Beurteilung ermittelt werden.
Die Beziehung zwischen Case Managern und Patienten sei zudem in der Regel langfristig und erstrecke sich manchmal über mehrere Jahre. Case Manager würden oft innerhalb der ersten 24 Stunden nach einer kritischen Verletzung oder Diagnose hinzugezogen und bauten eine erste Beziehung bei der Aufnahme auf. In einigen Navigationsmodellen dienen Patientennavigatoren  wiederum als ständiger Ansprechpartner für die Patienten während ihrer gesamten Behandlungsdauer.
Sowohl Patientennavigatoren als auch Case Manager arbeiten in der Regel mit bestimmten Patientengruppen, die zusätzliche Unterstützung benötigen. Navigatoren richten sich in der Regel an Personen, bei denen eine bestimmte Krankheit oder ein bestimmter Zustand diagnostiziert wurde, z. B. Krebs, psychische Gesundheit und andere chronische Krankheiten.

Umfrage

Unsere Bitte an alle Verantwortlichen, die ein öffentlich gefördertes Projekt ins Leben gerufen haben oder betreuen, das Lotsen-/Case Management-, Navigatoren- oder Kümmerer-Elemente beinhaltet: Ordnen Sie bitte
Ihr Projekt ein! Und zwar, indem Sie zuerst gedanklich Ihr Projekt im rechts abgebildeten Nonagon einer oder auch mehreren Kategorien zuordnen. Es werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehrere Kategorien sein, bei denen Sie jeweils den Grad der tatsächlichen Zielerfüllung eintragen sollen (von 0-100%).
Nun rufen Sie bitte die Onlineseite von „Monitor Versorgungsforschung“ auf, auf der Sie zu dieser Umfrage ein tabellenbasiertes Abfrageformular (https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Lotsenumfrage_2021 oder QR-Code) finden, in der Sie dann bitte Ihre Selbsteinschätzungen inklusive der Zielerreichung eintragen.
Die hiermit gestartete Umfrage (die Auswertung erfolgt durch das IMVR, Köln) wird vom BMC an alle Mitglieder seiner AG Lotsen per eMail versandt, um diese direkt anzusprechen. Ebenso angeschrieben werden
alle Konsortialführer von Lotsen- und „lotsenähnlichen“ Projekten, die vom Innovationsfonds gefördert werden. Da es aber auch andere (auch regionale) Fördertöpfe gibt, die wir vielleicht nicht alle im Blick haben, wählen wir diesen dualen Weg der Ansprache: medial und online über MVF, per eMail seitens des BMC.
Wir bitten um rege Beteiligung. Denn nur so wird eine Morphologie der Lotsen-Landschaft in Deutschland entstehen. Wobei es – was vorherzusehen ist – eindeutige Schwerpunkte geben wird. Aber eben auch Ausprägungen und Verbindungen, die wir (mangels Erkenntnissen) bisher noch gar nicht geahnt haben.
Wenn es uns dann noch gelingen sollte, die Projekte, die sich an dieser Umfrage beteiligt haben, zu klassifizieren, kommen wir dem Ziel des Dezember-Kongresses von MVF in Kooperation mit dem BMC ein Stück näher: sich der grundlegenden Theorien (Logikmodelle) der Lotsenprojekte und darüber auch jener der Versorgungsforschung zu nähern.
Denn die gibt es noch nicht. Was aber wichtig ist, wie Prof. Dr. Holger Pfaff, Kongresspräsident des 20. Deutschen Kongresses für Versorgungsforschung, im Interview mit MVF (04/21) erklärte: „Irgendwann wird man den Punkt des schwer Erklärbaren oder bei ganz neuen Ereignissen wie Covid-19 den Punkt des noch nicht Erklärbaren erreichen: Spätestens dann braucht man Theorie.“
Und wie sieht das bei Lotsen aus? Hier sagt Pfaff ganz deutlich, dass man für fast jede Funktion einer Versorgungsstruktur – wie eben auch dem Lotsen – „normalerweise eine separate Theorie“ benötige. Ein Lotse könne beispielsweise in erster Linie eine unterstützende Funktion haben und zur Erklärung dieser Funktion dann die Theorie der sozialen Unterstützung heranziehen. Ist der Lotse hingegen in erster Linie ein Koordinator, müsste man eine Koordinationstheorie heranziehen, wie zum Beispiel die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas. Ein Lotse kann und wird nach Pfaff jedoch in der Regel „verschiedene Funktionen gleichzeitig wahrnehmen, was das Ganze selbstredend komplexer macht“.
Aber: Wenn Sie bei dieser Umfrage mithelfen, das Ganze ein wenig transparenter und zu machen, hat das einen eindeutigen Nutzeneffekt für jeden; denn wie Pfaff im bereits zitierten Interview sagt: „Wer den Kontext verstehen will, braucht eine Theorie über den Kontext. Wer Praxistransfer befördern will, braucht auch eine Theorie über die Praxis.“ <<
von: MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier


Literatur

1: https://doi.org/10.1016/j.ijnurstu.2019.05.016

 

Zitationshinweis:
Stegmaier, P.: „Auf dem Weg zu Theorien von Lotsenprojekten“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (05/21), S. 35-37. http://doi.org/10.24945/MVF.05.21.1866-0533.2342

Ausgabe 05 / 2021

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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