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Wie man vom „volume“ zum „value“ kommt

29.11.2021 12:00
Beim Hybrid-Kongress mit dem Titel „Das Ergebnis zählt! Impulse für mehr Outcome-Orientierung und Patientennutzen im Gesundheitssystem“ im Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin, gab nach der Begrüßung durch die beiden Veranstalter – Prof. Dr. Alexander Schachtrupp, Geschäftsführer der B. Braun-Stiftung, und Dr. h.c. Helmut Hildebrandt, Vorstandsvorsitzender der OptiMedis AG, – Prof. Dr. Reinhold Busse (TU Berlin), den wichigsten Impuls. Sein Vortrag mit dem Titel „Von einem ,volume’- hin zu einem ,value’-basierten Gesundheitssystem“ machte den Beginn eines vierteiligen parallelen Workshop-Erlebnisses, das in der Podiumsdiskussion „Von volume zu value“ gipfelte, aber dann doch noch vom Finale einer gemeinsamen Erarbeitung der vorbereiteten Diskussionsgrundlage eines „Berliner Aufrufs“ für „mehr Outcome-Orientierung und Patientennutzen im Gesundheitssystem“ übertrumpft wurde.

http://doi.org/10.24945/MVF.06.21.1866-0533.2353

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>> Mit dem „Berliner Aufruf für mehr Patientennutzen im Gesundheitswesen“ wenden sich die B. Braun-Stiftung, OptiMedis sowie weitere Experten aus dem Gesundheitswesen und viele Mitunterzeichnende vor allem an jene Politiker, die gerade die Koalitionsvereinbarung der kommenden Legislatur erarbeiten. Initiatoren wie Unterzeichner gehen nicht nur davon aus, dass die von ihnen intendierte Neuausrichtung des Gesundheitswesens einen entscheidenden Beitrag dazu leisten wird, das Gesundheitswesen für die nächsten Jahrzehnte patientenzentrierter, finanzierbar, solidarisch und offen für Innovationen zu halten, sondern werden sich auch in ihren Organisationen genau dafür einsetzen.
Gefordert wird unter anderem eine sehr viel stärkere Fokussierung auf die Messung und Bewertung von Leistungen hinsichtlich ihres Nutzens für die Bevölkerung. Prof. Dr. Alexander Schachtrupp, Geschäftsführer der B. Braun-Stiftung, betonte: „Was im Gesundheitswesen zählt, ist doch das Ergebnis der Interventionen, also der Nutzen für den Patienten. Gemeinsam wollen wir daher erreichen, dass alle Akteure im Gesundheitswesen inklusive der Kostenträger diesen Nutzen auch nachweisen müssen.“ Es müssten Indikatoren entwickelt werden, die für den Patienten relevante und möglichst aggregierte Outcomes widerspiegeln, ergänzte Schachtrupp. Außerdem sollten auch die Patienten selbst ihre Erfahrungen und Präferenzen in einer national standardisierten Form einbringen können.
„Auf Grundlage dieser Daten können die knappen Ressourcen viel effizienter eingesetzt werden“, fügte Dr. h.c. Helmut Hildebrandt, Vorstandsvorsitzender der OptiMedis AG, hinzu: „Und nur so haben die verschiedenen Akteure im Gesundheitssystem den Anreiz, noch stärker für den Patientennutzen zusammenzuarbeiten und Prävention und Gesundheitsförderung zu fördern. Gleichzeitig werden durch eine Vergleichbarkeit und durch transparente Anforderungen auch die Grundlagen für langfristige und substanzielle Investitionen in Innovationen gegeben.“

Quantitativ hochtouriges System

„Was heißt es eigentlich, wenn wir von Volume reden?“ Mit dieser rhetorischen Frage begann Prof. Dr. Reinhold Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin, seinen Vortrag, der nicht nur den Weg „Von einem ,volume’- hin zu einem ,value’-basierten Gesundheitssystem“ aufzeigen, sondern auch eine internationale Perspektive einnehmen sollte. Seine Antwort: „Unser Gesundheitssystem läuft quantitativ hochtourig“; in Zahlen heißt das: rund 3 Millionen Arzt-Patienten-Kontakte, 2 Millionen abgegebene Packungen rezeptpflichtiger Arzneimittel zusätzlich 1,7 Millionen OTC-Arzneimittel sowie 380.000 stationäre Patienten im Krankenhaus (zuzüglich 120.000 leerer Betten) – alles pro Tag wohlgemerkt, aber vor Corona. Aber nur 700 stationär aufgenommene Schlaganfall und 500 stationär aufgenommene Herzinfarktpatienten. Jens Spahn, der noch amtierende Gesundheitsminister hätte einmal zu ihm gesagt: „Es kann doch gar nicht sein, dass wir das ganze System für diese rund 500 Patienten betreiben.“
Ist aber so. Wenn Deutschland die Krankenhausstruktur Dänemarks hätte (Anm. d. Red.: das ist jedoch ein Konjunktiv irrealis) – wären es statt 380.000 nur 160.000 stationäre Patienten im Krankenhaus. Selbst im internationalen Vergleich. Der EU-Durchschnitt liegt laut der von Busse zitierten Eurostat/OECD-Gesundheitsstatistik bei 172 Krankenhausfällen pro 1.000 Einwohner sowie im EU-Durchschnitt 7,5 Arztbesuche pro Person. Dänemark zum Beispiel hätte im Schnitt weniger ambulante und auch stationäre Fälle, während Deutschland sowohl eine hohe Beanspruchung stationärer (+50%) wie ambulanter (+33%) Leistungen hätte – und das, obwohl man doch denken würde, dass es eine Substitution der stationären durch ambulante Fälle geben müsste. Busse: „Das heißt auch, dass wir – wenn wir die Vor-Corona-Zahlen nehmen – rund 7 Millionen Krankenhausfälle haben, die nicht getrieben sind durch die Morbidität, wenn man den Schnitt anderer EU-Länder nehmen würde.“ Und das obwohl sowohl die Inzidenz beispielsweise bei Krebs oder bei Lebenserwartung im Durchschnitt der EU-Ländern läge – mal etwas mehr, mal etwas weniger.
Das alles kostet: Im Vergleich zu anderen EU-Ländern gibt Deutschland im Mittel laut OECD Health Statistics 2021 rund 19% mehr bei der ambulanten und 20% mehr bei der stationären Versorgung aus.
Busses zweite und dritte rhetorische Frage, die er natürlich gleich selbst beantwortet: „Warum ist das so? Und: „Warum gibt es bei uns so viele Leistungen? Seine Antwort: Weil es zu viele Leistungserbringer gibt, die bezahlt werden wollen und das auch noch nach reinen „volume“-Kriterien, wobei erschwerend dazu komme, dass die zumeist eingesetzten Vergütungsformen das auch noch anreizen und auch anheizen würden. Und vor allem, weil es keine weit verbreitete Forderung gäbe, dass statt „volume“ das erreichte Ergebnis „value“) im  Mittelpunkt stehen müsse. Busse: „Wir bezahlen im Wesentlichen die Leistungserbringer eben nach Leistung, und nicht dafür, dass sie herumsitzen und Däumchen drehen – damit sind wir beim ,volume-effect‘.“

Fiktion und Realität

Dies erklärt Busse anhand eines von ihm entwickelten Modells, das man benötige, um „Gesundheitssysteme zu verstehen und zu analysieren“. Dieses Modell bestehe aus Strukturen, zu messenden direkten Ergebnissen  sowie zwei Inputprozesse, eines davon die Bevölkerung mit einem gewissen Bedarf, der sie zu Patienten macht. Busse: Wir hoffen, dass Patienten etwas mit der Gesundheit der Bevölkerung zu tun haben.“ Doch sei es eine „Fiktion“ anzunehmen, dass „Patienten diejenigen sind, die krank sind und vom Gesundheitssystem profitieren“ könnten – „ob das so ist, ist die große Frage“.
Das wichtigste sei, nachdem der Kontakt mit dem Gesundheitssystem abgeschlossen sei, die Frage des Outcomes, wobei ein „attributabler Teil“ auf den oder die vorangegangenen Kontakt(e) mit dem Gesundheitssystem zurückzuführen sein müssten. Wobei darauf auch andere Einflüsse einwirken wie beispielsweise Umwelt, Lärmbelastung, Ernährung und andere Politikbereiche, die man berücksichtigen müsse. Aber auch die Rückkoppelung des Outcomes in den Bedarf sei zu beachten, was das Ganze methodisch schwierig mache.
Erst wenn man dieses modellhafte System verstehe, könne man die Frage des Outcomes als das „der Gesundheitsversorgung zuschreibbare Ergebnis“ zu beantworten versuchen, das da heißt: „Wie viel Gesundheit schafft das System wirklich?“ Erst wenn man die eingesetzten finanziellen Ressourcen in Beziehung setze zu den Humanressourcen, könne man quantifizieren, „wie viel Gesund-heit wir schaffen und in welchem Verhältnis
das Ergebnis zu den Ressourcen steht, die wir ins Gesundheitssystem stecken“. Eigentlich müsse die oberste Frage eines jeden Gesundheitsministers und ebenso die übergeordnete Frage im Koalitionsvertrag lauten: „Wie viel Gesundheit schaffe ich pro Euro, den mir die Bevölkerung gibt? Das sei der „value“ – das zuschreibbare Ergebnis der Gesundheitsversogung. Wenn denn, das sei die Gretchenfrage, einem bestimmten Patienten die richtige Indikation gestellt und er demzufolge den richtigen Prozess und die richtige Technologie erhalte. Es gehe nicht nur zum „doing the right thing“, sondern vor allem auch um „do the thing right“. Das sind Busses Worten zufolge zwei komplett unterschiedliche Dinge. Sein Beispiel: „Es kann geniale Chirurgen geben, die bei der Indikationsstellung super sind und die Patienten mit der richtigen Operationsform operieren, die für sie geeignet ist.“ Doch hilft das alles nichts, wenn dieser Super-Operateur jeden nichtindizierten Patienten operiert, was dann auch keine gute Qualität ergibt.“ Dies komplett auseinanderzudröseln, gleiche einem Dreisprung: „Wir müssen wissen, ob die Technologie, das Arzneimittel, die Medizintechnik oder das Operationsverfahren überhaupt potenziell gesundheitlichen Nutzen stiften kann. Wir müssen es zur richtigen Zeit am richtigen Patienten anwenden und obendrein auch noch gut durchführen können.“ Womit man bei der Frage von Erfahrungen und auch die der Mindestmengen angekommen sei.

Die Zahlen gibt es, aber nur anonymisiert

Und ebenso bei der Frage, was das alles bewirkt oder auch nicht bewirkt. Das könne man als Forscher mit Daten des Forschungsdatenzentrums nach einzelnen Krankenhäusern getrennt sehr genau analysieren – leider anonymisiert. Leider deshalb, weil es Qualitätsunterschiede“ gebe, „riesige“ setzt Busse dazu!
Als erstes Beispiel für diese harte Aussage nimmt Busse Gallenblasen-Operationen (Cholezystektomie), wobei die OPs in 5 Krankenhaus-Güteklassen aufgeteilt worden seien: in „gute“ (1) mit geringen bis hin zu „schlechten“ (5) mit hohen Re-Operationsraten. Busse: „Die schlechtesten Krankenhäuser haben bei Gallenblasen-Operationen 34-mal höhrere Re-Operationsraten als gute Krankenhäuser.“ Bei Herzschrittmacherimplantationen (Pacemaker Implantation) ist der Faktor immerhin noch 7,5, bei Hüftgelenksimplantationen (Hip Replacement) 12,2 und bei der Herzinfarktsterblichkeit (AMI) innerhalb von 30 Tagen 11.
Man müsse sich – lästert Busse – vorstellen, dass solche Krankenhäuser am Eingang Transparente aufhängen müssten, auf denen steht: „Achtung, unsere risikoadjustierte Sterblichkeit ist leider elfmal so hoch wie im Schnitt in Deutschland. Überlegen Sie es sich noch einmal, ob Sie hier reinkommen.“ Doch die (an sich mögliche) Zuordnung derartiger Qualitäts-Daten zu einzelnen Krankenhäusern geben die aktuellen IQTIG-Berichte allerdings nicht mehr her, wohl, weil das nach Busse „wahrscheinlich zu transparent war“.
Das alles und noch viel mehr wurde bei einer Podiumsdiskussion mit dem Untertitel „Wie können wir das Gesundheitssystem in dieser Legislatur auf Ergebnisorientierung ausrichten?“ erörtert. Mit dabei waren Dr. Siiri Ann Doka (BAG Selbsthilfe), Marco Walker (Asklepios Kliniken), Tim Rödiger (Die BrückenKöpfe), Dr. phil. Bernadette Klapper (DbfK) und Dr. h.c. Helmut Hildebrandt (OptiMedis AG) sowie die MdBs Mario Czaja (CDU), Lars Lindemann (FDP), Dr. Edgar Franke (SPD) und Johannes Wagner (Bündnis 90/Die Grünen). <<

 

Links

1) Link Video: https://www.youtube.com/watch?v=pGYbX1LlBsss
2) Link Aufruf: https://optimedis.de/berlineraufruf

Zitationshinweis:
Stegmaier, P.: „Wie man vom volume zum value kommt“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (06/21), S. 18-21. http://doi.org/10.24945/MVF.06.21.1866-0533.2353

Ausgabe 06 / 2021

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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