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Thesen zur patientenorientierten Weiterentwicklung

07.08.2021 09:20
Als Teil der 2018 gestarteten Initiative „Neustart! Reformwerkstatt für unser Gesundheitswesen“ der Robert Bosch Stiftung befasste sich ein Arbeitskreis ausgewiesener Fachleute mit der Fragestellung, wie die Sozialgesetzgebung, wesentlich das SGB V, weiterzuentwickeln ist für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung: Wie können die Sektoren aufgelöst werden und eine patientenorientiertere Gesundheitsversorgung gelingen? Wie erreicht man eine multiprofessionelle Leistungserbringung und neue verantwortliche Rollen in den Gesundheitsberufen? Wie können Regionen und Kommunen in ihrem Handeln für Gesundheit gestärkt werden? Die Publikation mit dem Titel „Neustart! für das Gesundheitsrecht“ bündelt die Ergebnisse des Arbeitskreises und beleuchtet wesentliche Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens. Sie soll Ansatzpunkte liefern, um notwendige Veränderungen einzuleiten und damit zu einem „Neustart!“ unseres Gesundheitssystems beitragen sowie – so der Untertitel der 116-seitigen, kostenlos als PDF zu beziehenden Aufsatzsammlung – einen Handlungskatalog für Politik und Selbstverwaltung liefern.

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>> „Unser Gesundheitssystem steht vor immensen Herausforderungen, von denen einige durch die Corona-Pandemie besondere Schärfe erfahren, andere durch die aktuell veränderte Prioritätensetzung aus dem Blick geraten, aber dennoch nicht gelöst sind.“ Das steht als Handlungsmaxime zu Beginn des Vorworts der Robert Bosch Stiftung zu den in der kürzlich erschienenen „Neustart!“-Publikation vorgelegten „Thesen
zur patientenorientierten Weiterentwicklung des Gesundheitswesens“.
So seien für den Fachkräftemangel, den voraussichtlich sprunghaften Anstieg von chronisch kranken Menschen und die Sicherung der Gesundheitsversorgung in strukturschwachen Räumen noch keine tragfähigen Lösungen gefunden worden. Zudem bleibe der Umgang mit der Digitalisierung und neuen, das Erbgut analysierenden und potenziell verändernden Technologien und mit den sich daraus ergebenden ethischen Fragestellungen „ausweichend, umständlich und zögerlich“.
Ebenso fielen Fragen der langfristigen Finanzierbarkeit und der Qualitätsverbesserung derzeit hinter der aktuellen Corona-Krisenbewältigung zurück. Auch machen die Autoren des Publikations-Vorworts keine allzu große Hoffnung auf schnelle Erfolge, wenn sie recht nüchtern schreiben: „Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte in der Steuerung unseres Gesundheitswesens zeigen, dass sich Reformbemühungen selten in großen Schritten zukunftsgerichteter Veränderungen niederschlagen, sondern angesichts der Pfadabhängigkeit – und nicht zuletzt der Beharrungskräfte – im Gesundheitswesen üblicherweise in nur kleinen Anpassungen erfolgen, die den Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht gerecht werden.“ <<


Die Thesen (Auszug)

• Der Staat ist verpflichtet – auch unter sich verändernden versorgungspolitischen Rahmenbedingungen – dem Menschenrecht auf Gesundheit Rechnung zu tragen. Vier Dimensionen sind dabei gemäß UN-Sozialpakt zentral: Erschwinglichkeit, Zugänglichkeit, Annehmbarkeit und Qualität der Gesundheitsversorgung.
• Den zentralen Wertentscheidungen für die Ausgestaltung des Gesundheitswesens liegen ethische Prinzipien zugrunde. ...  
• Die notwendige Weiterentwicklung der Governance-Strukturen und -Prozesse des Gesundheitswesens muss gemäß demokratischer Prinzipien – Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und Partizipation – erfolgen. Aufgaben, Funktionen und Verantwortlichkeiten auf den verschiedenen Ebenen Bund, Länder und Gebietskörperschaften sowie im Rahmen der Sozialversicherung müssen klar definiert und ordnungspolitische Zielkonflikte oder regulatorische Widersprüche abgemildert werden. ...
• Die künftige Gesundheitsversorgung muss so gestaltet sein, dass die vorhandenen fachlichen Ressourcen aller Gesundheitsberufe optimal zum Nutzen und zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung ausgeschöpft werden. Unabdingbare Vor-
aussetzung für eine qualitativ hochwertige Erbringung personaler Gesundheitsleistungen ist eine entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildung und Qualitätsentwicklung der an der Leistungserbringung beteiligten Gesundheitsberufe.
• Die Logik integrierter Versorgungsformen muss die überholte sektorale Versorgungslogik ersetzen und als Regelversorgung etabliert werden, gegenüber der sich sektorale Ausnahmen rechtfertigen müssen.
• Zur Minderung der auch durch unterschiedliche (sektorale und duale) Logiken ärztlicher Vergütung verursachten Versorgungsdefizite, insbesondere einer Unter- oder Überversorgung, ist es notwendig, eine gemeinsame Kalkulationsgrundlage für den Arztlohn zu fixieren. Ein anhand der allgemeinen Lohn-entwicklung fortentwickeltes durchschnittliches Oberarztgehalt ist hierfür die geeignete Grundlage.
• Um einen allgemeinen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, bedarf es einer grundlegenden und rechtssicheren Systemänderung hin zu mehr Entscheidungsverantwortung in Kommunen und einer stärkeren Einbeziehung der Interessen und Wünsche von Versicherten und Patienten in die Organisation der Gesundheitsversorgung. Hierzu ist eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. ...
• Zur Sicherstellung eines allgemeinen Zugangs zu einer flächendeckenden Grundversorgung kann die Etablierung kommunaler Gesundheitszentren einen wesentlichen Beitrag leisten. In diesen Zentren können hochqualifizierte, akademisch ausgebildete Pflegekräfte unter anderem die Grundversorgung sicherstellen.
• Notwendig zur Optimierung der bevölkerungsbezogenen gesundheitlichen Prävention ist eine Struktur, die auf örtlicher, betrieblicher, regionaler, Landes- und Bundesebene präsent und handlungsfähig sein kann, auf jeder Ebene fachlich aufgabengerecht ausgestattet und über ein gewisses Maß an fachlicher Unabhängigkeit und wissenschaftlicher Einbindung verfügt. Je nach Ausgestaltung der Kompe-tenzen ist hierzu eine Grundgesetzänderung analog Art. 91e GG ins Auge zu fassen.
• Eine Gesundheitsversorgung der Zukunft muss die nötige Sensibilität für die unterschiedlichen Ausstattungen und Fähigkeiten der Menschen sowie deren besondere Lebensumstände aufweisen. Eine Digitalisierung dieser Versorgung setzt voraus, dass Patientinnen und Patienten über die technischen Ressourcen, die notwendige Infrastruktur und die erforderlichen Kenntnisse verfügen beziehungsweise Möglichkeiten erhalten, diese zu entwickeln.
• Die Vielzahl der Zugriffs-, Verwendungs- und Verbreitungsmöglichkeiten von Gesundheitsdaten macht Menschen verletzlicher und damit auf eine neue Art schutzbedürftig. Deshalb müssen Maßnahmen zur Förderung digitaler Gesundheitskompetenz und konkrete Aufklärungsinstrumente Patienten in die Lage versetzen, sich über die Folgen einer Freigabe ihrer Daten hinreichend Klarheit zu verschaffen. Gleichzeitig haben die Datenschutzmaßnahmen diese besondere Verletzlichkeit zu berücksichtigen. Die Frage, wie viele Informationen in einer Solidargemeinschaft gleichwohl preisgegeben werden sollten, um medizinischen Fortschritt zu ermöglichen, sollte nur im Rahmen eines demokratischen Willensbildungsprozesses entschieden werden.
• Bei einer Weiterentwicklung des nationalen Gesundheitsdatenschutzrechts ist eine Defragmentierung und Harmonisierung anzustreben, die sich durch eine entsprechende Rahmengesetzgebung umsetzen ließe. Eine solche sollte auch die Anbindung an den Europäischen Gesundheitsdatenraum gewährleisten und die für diesen Raum gültigen Inhalte eines Code of Conduct einbeziehen.
• Die Sektorengrenzen im Gesundheitswesen stellen auch eine Hürde für den wissensgenerierenden Datenfluss im Dienste besserer patientenorientierter Versorgung dar. Sie könnten über die elektronische Patientenakte nach und nach zugunsten einer patientenzentrierten Standardversorgung aufgelöst werden. Für den Datenfluss bedeutet dies, dass die Patienten mit ihren Daten während des gesamten Versorgungsprozesses (Prävention und Gesundheits-förderung, Therapie, Rehabilitation und Nachsorge) wie an einem „roten Faden“ durch die Versorgungspfade des Gesundheitssystems geleitet werden.
• Um eine Modernisierung des GKV-Leistungsstandards auf dem Stand des aktuellen medizinischen Wissens zu gewährleisten, muss sich auch die dem Leistungskatalog zugrundeliegende Bewertungsmetho-dik kontinuierlich fortentwickeln. Dem sollte mit der Normierung einer generellen gesetzlichen Weiterentwicklungs- und Anpassungspflicht für die GKV-Methodik Rechnung getragen werden. <<

Ausgabe 04 / 2021

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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