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Kulturwandel zum Wohl aller Patient:innen

21.09.2022 06:15
Einen Tag vor dem, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgerufenen, weltweiten Tags der Patientensicherheit wurde am 16. September 2022 das neue nationale Gesundheitsziel „Patientensicherheit“ in Berlin in einer Dialogveranstaltung in der Berliner Landesvertretung Sachsen-Anhalt vorgestellt. Entwickelt wurde die Publikation von der Arbeitsgruppe Patientensicherheit des Kooperationsverbundes Gesundheitsziele (GVG). Mit dem neuen Nationalen Gesundheitsziel „Patientensicherheit“ haben über 140 Organisationen des Gesundheitswesens, aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam Ziele und Maßnahmen definiert, um die Patientensicherheit in Deutschland voranzubringen. Das Gesundheitsziel stellt dabei zwei Ziele – Patientensicherheitskultur und Patientensicherheitskompetenz – in den Vordergrund, wobei diesen beiden Hauptzielen wiederum weitere Teilziele zugeordnet sind.

http://doi.org/10.24945/MVF.05.22.1866-0533.2449

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>> „Kultur ist, was man macht, wenn niemand hinschaut.“ Mit diesen einfachen, wie wahren Worten fasste Hon.-Prof. (DPU) Dr. med. Günther Jonitz, einer der Mitbegründer des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Patientensicherheit beim Kooperationsverbund gesundheitsziele.de, zusammen, was das neue Gesundheitsziel „Patientensicherheit“ erreichen möchte: nichts weniger als einen Wandel in der Patientensicherheitskultur (Ziel 1). Denn, so Jonitz: „Patientensicherheit lohnt sich für alle und es geht uns alle an. Es muss daher als gemeinschaftliche Aufgabe gelöst werden.“
In dem Thema Patientensicherheit, so Jonitz weiter, stecke ungemein viel Potenzial. Die gestiegene Leistungsfähigkeit der Medizin ermögliche vielen Menschen den Zugang zu einer qualitativ hochwertigen medizinischen und pflegerischen Versorgung; im Krankheits- oder Pflegefall vertrauten wir alle darauf, sicher und gut versorgt zu werden. Doch sei das leider aus verschiedenen Gründen nicht immer der Fall.  
Die Relevanz des Themas ist den Worten von Jonitz zufolge erfreulicherweise auch auf internationaler Ebene erkannt worden. Das Gesundheitsziel Patientensicherheit leiste mit seinen Maßnahmen- und Handlungsempfehlungen einen Beitrag zur Umsetzung des „Globalen Aktionsplans 2021-2030“ der WHO für das deutsche Gesundheitssystem. Die WHO habe wiederum 2017 zumindest wesentliche Teile der Strategie aus Deutschland übernommen: „Suchen und Schaffen von Lösungen, Zusammenarbeit und respektvoller Umgang.“
Mit dem Gesundheitsziel Patientensicherheit soll ein Instrument vorgestellt werden, welches die Qualität der Versorgung stärken werde und zur Abstimmung von Maßnahmen im komplexen Gesundheitswesen diene. Zudem stelle die Veröffentlichung „eine wichtige Richtschnur für Public-Health-Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen“ dar.
Für Jonitz ist Patientensicherheit jedoch auch weit mehr als „nur“ Sicherheit für Patient:innen. Richtig umgesetzt bewirke sie auch höhere Qualität und Sicherheit, höhere Effizienz und höhere Arbeitszufriedenheit der Gesundheitsberufe. „Wir können eine Win-win-win-Situation erwarten“, sagt Jonitz, dies aber nur, wenn ein paar Voraussetzungen gegeben seien. Dies liege vor allem an der Multiprofessionalität: Es seien nicht nur
die einzelnen Ärzt:innen oder Krankenpflegekräfte, die an der Patientensicherheit beteiligt und für Sicherheit verantwortlich seien, sondern viele verschiedene Gruppen: Apotheker:innen, die pflegerischen Berufe bis hin zu Reinigungskräfen. Aber auch die Patient:innen selbst und ihre Angehörigen könnten ihren Beitrag zur Patientensicherheit leisten. Um das zu erreichen, müsse auf der strukturellen Ebene angesetzt werden. Jonitz: „Wir müssen im Blick haben, wie Prozesse im Gesundheitswesen so organisiert werden können, dass mehr Patientensicherheit ermöglicht wird.“ Ebenso brauche es bessere Rahmenbedingungen und auch die Unterstützung durch die Patient:innen. Er zitiert hier den Doyen der Patientensicherheit, Don Berwick aus den USA, der einmal sagte:  „We have good people in bad systems and good people in bad systems will fail.“
Um ein besseres System und eine Steigerung der Patientensicherheit zu erreichen, werden darum im neuen Gesundheitsziel zwei Aspekte als zentral definiert: Das sei zum einen die Förderung von Patientensicherheitskultur und zum anderen die Förderung von Patientensicherheitskompetenz – dies sowohl bei den Patient:innen als auch bei den Akteuren der Gesundheitsversorgung.
Das neue Gesundheitsziel greife diese zwei Grundvoraussetzungen für Patientensicherheit systematisch auf. Zu den beiden Hauptzielen, Patientensicherheitskultur und -kompetenz, gebe es – so Jonitz – jeweils nachgelagerte Teilziele, in denen genauer auf die einzelnen Aspekte eingegangen wird, die als kritische Erfolgsfaktoren zur Steigerung der Patientensicherheitskultur und Patientensicherheitskompetenz zu verstehen sind. Jonitz: „Unser Anspruch war es, konkrete Handlungsmaßnahmen zu formulieren und explizit Akteur:innen zu benennen, die diese Handlungsmaßnahmen umsetzen können.“
Dabei lege die Arbeitsgruppe des Kooperationsverbunds den Fokus auf die Proaktivität und verfolge einen präventiven Ansatz. Zudem werde dafür plädiert, da, wo es sinnvoll ist, möglichst sektorenübergreifend, multiprofessionell und interdisziplinär zu denken.
Besonders am Herzen liegt Jonitz das Hauptziel der Patientensicherheitskultur, weil dieses die Systemperspektive in den Blick nehme. „Es geht darum, wie wir mit Fehlern und unerwünschten Ereignissen umgehen und mit den Personen, die diese offen darlegen. Wir müssen Dankbarkeit zeigen für diejenigen, die Verantwortung übernehmen und die Möglichkeit nutzen, aus deren Fehlern zu lernen.“ Konkret heiße das: Es gehe um die Einstellungen und Handlungen, die auf die nachhaltige Prävention von Fehlern sowie kritischen und unerwünschten Ereignissen hinwirkten. Wichtig sei dabei eine Zusammenarbeit, die immer das Wohl der Patient:innen im Blick behalte und dabei die verschiedenen Perspektiven der Beteiligten einbeziehe. Denn es sei erwiesen, dass eine derartige Kultur positiv mit besseren patientenrelevanten Outcomes assoziiert ist. Hier zitiert er wieder Don Berwick, der ebenfalls einmal sagte: „You must choose between fear or safety“. <<

von: MVF-Chefr. Peter Stegmaier

Zitationshinweis: Stegmaier, P.: „Kulturwandel zum Wohl aller Patient:innen“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (05/22), S. 38-39. http://doi.org/10.24945/MVF.05.22.1866-0533.2449

Ziel 1: Die Patientensicherheitskultur wird auf allen Ebenen des Gesundheitswesens aktiv gefördert

Teilziel 1.1
Patientensicherheitskultur ist das Fundament für eine sichere  Patientenversorgung. Patientensicherheitskultur wird von den Beschäftigten und Einrichtungen im Gesundheitswesen gelebt.
Teilziel 1.2
Patientensicherheitskultur ist in das Gesundheitssystem sowie in das gesellschaftliche System eingebettet. Die Rahmenbedingungen für Patientensicherheitskultur werden kontinuierlich verbessert.
Teilziel 1.3
Patientensicherheitskultur wird kontinuierlich weiterentwickelt und evaluiert. Instrumente zur Stärkung der Patientensicherheitskultur werden in allen Bereichen des Gesundheitswesens eingesetzt. Die Erkenntnisse der Evaluation werden für die kontinuierliche Verbesserung der Patientensicherheitskultur genutzt.
Teilziel 1.4
Lern- und Feedbackkultur ist im Gesundheitswesen verankert. Das Prinzip der lernenden Organisation wird im Gesundheitswesen gelebt.
Teilziel 1.5
Patient:innen tragen aktiv zur Patientensicherheit bei. Sie und ihre Angehörigen sind informiert und werden ermutigt, sich aktiv einzubringen und nachzufragen.
Teilziel 1.6
Kooperation ist ein integraler Baustein von Patientensicherheitskultur. Dazu gehört auch, dass sich die Kommunikation und Informationsübermittlung in den Einrichtungen im Gesundheitswesen sowohl intern als auch extern und ggf. sektorenübergreifend, zuallererst an der Sicherheit der Patient:innen an der Prävention von fehlerhaften Prozessen ausrichtet.

 

Ziel 2: Die Patientensicherheitskompetenz wird bei allen Beteiligten im Gesundheitswesen aktiv ausgebaut

Teilziel 2.1
Eine gute Gesundheitskompetenz, einschließlich Patientensicherheitskompetenz, ist in der Bevölkerung verbreitet. Wissen über Patientenrechte und gute Gesundheitsinformationen (einschließlich Patientensicherheit) ist einfach zugänglich.
Teilziel 2.2
Alle Bevölkerungsgruppen werden in geeigneter Form angesprochen. Vulnerable Patientengruppen werden besonders berücksichtigt. Spezielle Risiken verschiedener Bevölkerungsgruppen sind bekannt.
Teilziel 2.3
Patient:innen und ihre Angehörigen beteiligen sich aktiv an der Entwicklung von Maßnahmen zur Verbesserung der
Patientensicherheitskompetenz. Notwendige Unterstützung ist vorhanden.
Teilziel 2.4
Der Erwerb der Patientensicherheitskompetenz wird in der Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Beschäftigten im Gesundheitswesen gewährleistet. Die Gesundheitseinrichtungen fördern die Vermittlung von Patientensicherheitskompetenz.
Teilziel 2.5
Patient:innen kennen die Möglichkeiten, um Anregungen, Rückmeldungen und Beschwerden zu äußern. Diese Meldungen sind einfach und barrierefrei möglich und werden von den Beschäftigten im Gesundheitswesen unterstützt.
Teilziel 2.6
Kritische Ereignisse werden ernst genommen und ausgewertet. Aus Fehlern wird gelernt. Erkenntnisse werden für Verbesserungen der Patientensicherheit im Gesundheitswesen genutzt.

 

Nationale Gesundheitsziele

gesundheitsziele.de ist ein Kooperationsverbund, der einen breiten gesamtgesellschaftlichen Ansatz nach dem Grundsatz von „Health in All Policies“ verfolgt. Das Netzwerk mit mehr als 140 Organisationen des deutschen Gesundheitswesens leistet einen wichtigen Beitrag zur Formulierung von pluralistisch entwickelten Gesundheitszielen in Deutschland. Das Projekt gesundheitsziele.de entstand im Jahr 2000 aus dem GVG-Ausschuss „Medizinische Orientierung im Gesundheitswesen“ und begann zunächst als Modellprojekt des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). 2006 wurde es in eine Trägerschaft durch Organisationen des Gesundheitswesens und der Sozialversicherung überführt. Seit dem Jahr 2000 sind zehn Nationale Gesundheitsziele entwickelt, teilweise bereits aktualisiert und publiziert worden.
1) Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln* (2003)
2) Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen* (2003)
3) Tabakkonsum reduzieren* (2003, Aktualisierung 2015)
4) Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung* (2003, Aktualisierung 2010)
5) Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patient:innensouveränität stärken* (2003, Aktualisierung 2011)
6) Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln* (2006)
7) Gesund älter werden (2012) (wurde 2015 in das Präventionsgesetz (§ 20 SGB V) aufgenommen)
8) Alkoholkonsum reduzieren* (2015)
9) Gesundheit rund um die Geburt (2017)
10) Adipositas (2022)

Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V.

Nach Ende des 2. Weltkriegs 1945 glich auch das deutsche Versicherungswesen einer Trümmerlandschaft. Die vielfach zersplitterten Institutionen der Sozial- und Privatversicherung verfolgten unter den unterschiedlichen Bedingungen der alliierten Militärverwaltungen hermetisch getrennt voneinander ihre jeweils eigenen Ziele. Zugleich gab es Bestrebungen, die deutsche Sozialversicherung zu retten und zu stärken.
Zwei Richtungen für den Wiederaufbau der deutschen Sozialversicherung zeichneten sich damals ab: Wiederaufbau auf den alten Fundamenten und Erhalt einer gegliederten Sozialversicherung oder eine zentralisierte Einheitsversicherung.
Vor dem Hintergrund dieser von Unsicherheit geprägten Situation entstand die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung.
Am 9. Mai 1947 fand in Hamburg die Gründungsveranstaltung statt. Vertreter der Sozialversicherung, der Privatversicherung, der Wirtschaft, des Handwerks, der Ärzteschaft sowie einzelne Wissenschaftler nahmen daran teil. Wirkungsbereich und Mitgliederbestand blieben zunächst auf die britische Besatzungszone beschränkt.
Schon im Gründungsjahr 1947 sprachen sich die GVG-Akteure für eine gegliederte Sozialversicherung aus. Diesem in der sogenannten „Bielefelder Entschließung“ gesetzten Ziel gelang letztlich – auch dank der GVG – der Durchbruch. Ziel war es, sowohl die soziale Kranken- als auch die soziale Rentenversicherung zu reformieren und zugleich die Gemeinsamkeit der Aufgaben von privater und sozialer Versicherung zu betonen.

Ausgabe 05 / 2022

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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