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„Eine Führungsrolle bei der Ambulantisierung der Medizin“

29.01.2022 08:00
Im Jahresauftakt-Titelinterview mit „Monitor Versorgungsforschung“ ordnet Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Wolfgang Holzgreve, MBA, die Aufgabe und Bedeutung von Universitätskliniken für die Versorgung, speziell auch bei Corona, ein. 1.000 Covid-19-Patienten hat die UKB bisher insgesamt behandelt, aktuell sind es 40. Doch gibt der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Bonn (UKB) Entwarnung: „Auch wenn die augenblickliche Situation ein tägliches anstrengendes Betten- und OP-Management erfordert, ist dies für uns Alltag und als Maximalversorger eine ständige Aufgabe.“ Trotz allem konnte die UKB selbst im Corona-Jahr 2020 als einzige der 35 Universitätskliniken Deutschlands einen Leistungszuwachs und damit ein Umsatzplus verbuchen.

http://doi.org/10.24945/MVF.01.22.1866-0533.2363

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>> Gibt es Befürchtungen Ihrerseits, dass – wie in Publikumsmedien oft zu lesen ist – am Universitätsklinikum Bonn (UKB) beschäftigte Ärzt:innen oder Pfleger:innen massenhaft kündigen werden, falls eine einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen werden sollte?
Wir haben bei uns am UKB eine Impfquote von über 95 Prozent. Es gibt sicherlich einige Mitarbeiter:innen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht impfen lassen wollen oder können. Mit denen sprechen wir intensiv, heben dadurch die Impfquote weiter an und entscheiden schließlich, wo Ungeimpfte, die sich natürlich täglich testen lassen müssen, eingesetzt werden können und wo nicht. Generell gilt es bei einer einrichtungsbezogenen oder auch allgemeinen Impfpflicht zwischen zwei gleich hohen Gütern auf beiden Seiten der Waagschale abzuwägen: auf der einen die Freiheit der körperlichen Selbstbestimmung, auf der anderen der Schutz der Allgemeinheit. Ich denke, dass sich derzeit die Waagschale eher zur Impfpflicht senkt, doch wird das stark vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie hierzulande abhängen. Ebenso wird es sehr auf die dann ebenfalls zu beschließenden Ausführungsbestimmungen ankommen, die gut abgewogen und konsequent umgesetzt werden müssten.

Ist diese Angst nun real oder ein Narrativ, um ein Angstszenario hochzuhalten? Reine Angst ist doch meist ein schlechter Ratgeber.
Wegen der relativ hohen Prozentsätze derjenigen, die bei uns im UKB geimpft sind, habe ich keine größere Sorge, dass es durch eine Impfpflicht gleich welcher Art zu signifikan-ten Anstiegen bei Personal-Ausfällen kommen würde. Eher im Gegenteil: Es könnte ja durchaus sein, dass wir durch noch höhere Impfquoten weniger Ausfälle durch Quarantäne-Zeiten von Infizierten und Kontaktpersonen zu erwarten haben. Es ist allerdings insgesamt unbefriedigend, dass in Deutschland der Prozentsatz der Nicht-Geimpften höher ist als in anderen europäischen Ländern.

Die zweite Angst wird über Landkarten vermittelt – die immer mehr rot eingefärbt – nahelegen, dass es hierzulande bald keine freien Intensivbetten mehr gibt.
Wir haben in unseren eigenen Kliniken immerhin 135 Intensivplätze, die nahezu immer voll belegt sind, schon in der Zeit vor dem ersten SARS-CoV-2-Fall im Februar 2020 in Bonn. Gleiches gilt während der nun beinahe zwei „Corona-Jahre“ und sicher auch nach der erhofften Überwindung der Pandemie in diesem Jahr, weil wir bei unserem dritthöchsten durchschnittlichen Fallschweregrad in Deutschland – auch als Case Mix Index bezeichent – in allen Fächern immer überdurchschnittlich viele schwerkranke Patient:innen betreuen und deswegen in den letzten zwei Jahren auch kaum Eingriffe oder Behandlungen verschieben konnten – bis auf wenige sogenannte „elektive“.

Warum ist der Case-Mix-Index  am UKB derart hoch?
Unsere Bettenbelegung ist gleichzeitig mit unserem Case-Mix-Index in die Höhe gegangen, da wir offensichtlich im Bonner Ballungs-raum mit vielen guten Kliniken zu einem Überweisungshaus für besonders schwere Fälle geworden sind, was auch unserer Definition universitärer Aufgabe und enger Kooperation mit anderen Krankenhäusern entspricht. So hatten wir in der letzten Dekade den stärksten Anstieg des Case-Mix-Index in Deutschland, was auch unserer Strategie entsprach.

Wie kommt das?
Was viele nicht wissen ist, dass Bonn die höchste Krankenhausdichte vor München, Hamburg und Berlin hat, auch wenn Städte wie München oder Hamburg eine höhere Dichte von Praxisärzten haben.  Alle Krankenhäuser in der Region Bonn sind zudem von der Qualität her – so wie wir auch – sehr gut, so dass wir auch in verschiedenen Bereichen engste Zusammenarbeit mit verschiedenen Krankenhäusern in der Region pflegen – z.B. durch gemeinsame ärztliche Leistungen in der Kinderchirurgie, Austausch von ärztlichem Personal in der Geriatrie, Schulterschluss in der Onkologie etc., um Synergismen zu heben und regionale Effizienz zu verbessern.

Prof. Busse würde sagen: 40 Prozent der Krankenhäuser kann man ohne Qualitätsverlust schließen.
Selbst wenn 40 Prozent sehr viel klingt, haben wir in Deutschland nun einmal unzweifelhaft – durch aktuelle OECD-Statistiken bestätigt – eine im internationalen Vergleich hohe Zahl von Krankenhausbetten pro Kopf der Bevölkerung. Die Frage wird sein, welche Krankenhäuser man schließen müsste, ohne Versorgungslücken zu riskieren. Das werden jedoch sicher nicht die Universitätskliniken sein, die gerade in der Corona-Epidemie gezeigt haben, wie wichtig sie für die Versorgung sind, indem sie pragmatisch auch bei dieser Herausforderung viele Aufgaben übernommen und Koordinierungsleistungen erbracht haben.

Zur Zeit sind in Deutschland etwa 15 Prozent der bundesweit zu belegenden Betten frei – von den belegten Intensivbetten entfallen etwa 20 Prozent auf Corona-Patient:innen. Wie sieht es am UKB aus?
Mit mittlerweile über 1.000 Patient:innen bis Januar 2022 ist unser Haus einer der größten Corona-Behandler in NRW und sogar ganz Deutschland. Zudem haben wir trotz der normalen Versorgung unserer über 400.000 Patient:innen pro Jahr noch keinen einzigen Fall mit SARS-CoV-2-Indikation abgelehnt. Solange dies Fakt ist – und das wollen wir so beibehalten – müssen wir auch keine anderen Patient:innen mit z.B. Krebs-, Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Indikationen durch verzögerte Diagnose- oder Behandlungsmaßnahmen gegenüber Covid-19-Patient:innen benachteiligen. Dies entspricht auch unserem ethischen Prinzip der Gleichbehandlung der uns anvertrauten Patient:innen. Wir haben auch bei der Flutkatastrophe im benachbarten Ahrtal vor wenigen Monaten zusätzlich über 200 verletzte Patient:innen aus dem Überschwemmungsgebiet betreut und mussten sogar auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle wegen Fundes einer Fliegerbombe bei Bauarbeiten auf unserem Gelände über 180 Patient:innen von Intensiv- und Normalstationen innerhalb eines halben Tages auf unserem Gelände anderweitig, zum Beispiel in einer rasch errichteten Intensivstation in einem OP-Bereich unter der Erde, bis zur Bomben-Entschärfung evakuieren. Der hervorragende Verlauf dieser Not-Maßnahme hat die Flexibilität unseres Hauses eindrucksvoll gezeigt.

1.000 Covid-19-Patienten insgesamt und aktuell 40: Ist das für ein großes Klinikum wie Ihres viel oder gar zu viel?
Nein. Auch wenn die augenblickliche Situation ein tägliches anstrengendes Betten- und OP-Management erfordert, ist dies für uns Alltag und als Maximalversorger eine ständige Aufgabe, die wir quasi als letzte Instanz meistern müssen. Wir haben auch im Hintergrund durch Ausdehnung bestehender und Schaffung neuer Intensivbereiche, den Kauf entsprechender zusätzlicher Beatmungsgeräte, die Ausbildung entsprechender Pflege-Fachkräfte etc. eine Erweiterung unserer Intensiv-Kapazität auf über 200 Plätze vorbereitet. Unser Motto ist: Gut auf Eventualitäten eingestellt sein, aber Panik und unnötige Verunsicherung vermeiden. Die Belastungen des Personals sind dennoch enorm. Deswegen sollte dies von der Bevölkerung auch maximal anerkannt werden, nicht nur durch Klatschen auf dem Balkon. Wir haben aber deshalb auch am UKB in den letzten 5 Jahren 1.259 neue Personalstellen – vor allem in der Pflege – geschaffen, was einem Anstieg von 25 Prozent, alleine von 2019 auf 2020 um 5 Prozent, entspricht.

Ein hoher Auslastungsgrad der Intensivstationen ist demnach ein Normalzustand für Sie?
Absolut. Es gibt in jeder Klinik – vor allem in großen wie unserer – eine Art Fließgleichgewicht zwischen Intensivstation, der Intermediate Care und der Normalstation. Durch Covid-19 kommen nun zusätzliche Patienten und haben sicher zu Beginn der Epidemie dieses Gleichgewicht auf die Probe gestellt. Wir müssen aber immer z.B. auch auf Massenanfälle von Verletzten jeder Art gefasst sein, wie beispielsweise nach einem Busunfall auf der Autobahn mit 30 bis 40 Schwerverletzten. Solche Situationen üben wir darum regelmäßig mit Schauspieler:innen und anschließender Analyse der Abläufe. Damit kann und muss jedes große Klinikum mit seinen Informationsketten, den interdisziplinären Notfall-Zentren, den Intensivstationen etc. umgehen können. Dann werden eben kurzfristig Verlegungen in die nächstniedrigere Care-Stufe vorgenommen, elektive Eingriffe verschoben und so weiter. Das ist ganz normales Klinikmanagement, und die jetzige – hoffentlich vorübergehende – Corona-Belastung ist eine solche zusätzliche, wo wir uns nicht der Verantwortung entziehen können und wollen.

Sie beschreiben damit ein höchst plausibles, wenn auch sensibles System, das natürlich gedeckelt ist von vorhandenen Technik- und Humanressourcen. Warum wird Ihrer Meinung nach die Hospitalisierungsrate als einer der Hauptquoten instrumentalisiert, um die Ernsthaftigkeit der Virus-Bedrohung zu visualisieren?
Wenn im Moment zum Beispiel nur noch 15 Prozent aller Intensivbetten in Deutschland frei sind, kann – abhängig von der weiteren Entwicklung mit womöglich noch höheren Ansteckungsraten und demzufolge steigenden Hospitalisierungen – durchaus der Druck noch höher werden. Bis dann eines Tages die Ressourcen, von denen es in Deutschland viel mehr als in vielen anderen Ländern gibt, überall im Land knapp werden. Allerdings: Wenn bei der Virus-Variante Omikron zwar die Hospitalisierungsquote um 50 Prozent geringer wäre, aber mehr als 50 Prozent Anstieg der Infizierten auftreten würde, könnte der Druck auf die Krankenhäuser durchaus wieder steigen. Vor diesem Szenario haben viele Angst; sicher auch, weil viele Menschen noch die Bilder vor Augen haben, die zu Beginn des Jahres 2020 zu sehen waren: aus Bergamo, aus dem Elsass, den USA, Brasilien etc. Dort waren die Intensivstationen wirklich passager überfordert und gerade in Norditalien haben dann viele Patienten auf dem Flur statt in den Zimmern der Intensivstationen gelegen. Der Grund war eine temporäre hoffnungslose Überforderung der Intensivkapazitäten, begleitet von einer hohen Infektionsrate des Personals.

Man sollte jedoch wissen, dass sowohl in Norditalien als auch im französischen Grand Est die Rate an Intensivbetten pro Bevölkerung viel geringer ist als bei uns.

Das heißt: Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu solchen Situationen gekommen wäre, war und ist bei uns a priori geringer. Natürlich konnten wir auch besser vorbereitet sein, weil wir zu Beginn der Corona-Epidemie im eigenen Land eine gewisse zeitliche Vorlauf- und damit bessere Vorbereitungszeit hatten.

Und begonnen haben, übergreifend zu denken und Intensivkapazitäten überregional zu managen.
Das DIVI-Register hat tagesaktuell nützliche Daten geliefert. Auch ist das hierzulande eingeführte Kleeblatt-Prinzip der gegenseitigen Hilfe unter verschiedenen Regionen hilfreich und musste bekanntlich schon aktiviert werden. Wir hatten und haben zum Beispiel im UKB Covid-19-Patient:innen aus Sachsen, genauso wie aus den Niederlanden, Belgien, Italien und Frankreich stationär behandelt.

Womit sich zeigt, dass Europa doch funktioniert.

Das ist für mich ein Akt europäischer Loyalität, den man unkompliziert auf telefonische Anfrage hin und selbstverständlich wechselseitig leisten sollte, wenn man die europäischen Werte ernst nimmt.

Kann man sich diese Loyalität leisten?
Nach meiner festen Überzeugung kann man das. Man muss sich klarmachen, dass diese Art von Flexibilität nicht von allen Kliniken geleistet werden kann, aber Maximalversorger wie wir müssen sich solchen akuten Nöten stellen. Natürlich sind die Vorhaltekosten für solche Sonder-Situationen erheblich und leider nur unvollständig in unseren Notfall-Vergütungssystemen und in den DRG-Pauschalen abgegolten.

Was passiert, wenn – wie derzeit – die Corona-Zahlen durch Omikron oder einer darauf folgenden Mutante explodieren?
Seit dem ersten SARS-CoV-2-Fall im nordrhein-westfälischen Heinsberg haben wir uns auf alle Eventualitäten vorbereitet. Dadurch, dass Christian Drosten in seiner zehnjährigen Zeit als Direktor unseres Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn schon bei SARS-CoV-1 wesentliche Beiträge zur Aufklärung geleistet hatte und sein Nachfolger in dieser Position, Hendrik Streeck, bei uns am UKB mit der Heinsberg-Studie früh wichtige Beiträge zum Verständnis von SARS-CoV-2 geleistet hat, waren wir am UKB gut positioniert und haben uns auch in der Politikberatung und Aufklärung der Bevölkerung von Anfang an intensiv engagiert und immer wieder die neuen Daten ausgewertet. Wir müssen uns nun auf verschiedene Szenarien einstellen, wie bereits für Omikron erwähnt. Wir müssen neben der konsequenten und maximalen Förderung der Verhaltensregeln, der Impfungen und Testungen die neuen Möglichkeiten der zeitgerechten Behandlungen mit Antikörpern, den bereits verfügbaren und bei uns eingesetzten intervenösen, als auch neuen oralen Pharmaka rasch entwickeln und die für die Behandlungen besten Zeitfenster und Schemata herausarbeiten. Wir haben dafür am UKB gerade eine spezialisierte Sprechstunde in der Inneren Medizin unter der Leitung von PD Dr. Boesecke eingerichtet

Wie sieht es mit Ihrer Bilanz aus?
Selbst im Corona-Jahr 2020 konnte die UKB als einzige der 35 Universitätskliniken Deutschlands einen Leistungszuwachs insgesamt verbuchen und hatte im 6. Jahr in Folge einen Überschuss.

Indes einen kleineren als in den Jahren davor. Doch bilanzierten Sie selbst im Corona-Jahr ein Plus von rund 800.000 Euro.
Die trotz der schwierigen Umstände positive Bilanz zeigt uns, dass unsere Strategie auch in dieser Hinsicht richtig gewesen sein muss. Obwohl wir – wie alle anderen Uni-Klinika und in vorderster Front auch unser Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) – wegen der vielen speziellen Belastungen der Universitätsklinika für eine höhere Sonder-Vergütung der UKs in Deutschland eintreten. Dennoch wollen wir in der Istzeit – wie ich das in meinen 14 Jahren in der Schweiz als zielführend kennengelernt habe – immer versuchen, mit den von den Krankenkassen und Steuerzahler:innen bereitgestellten Mitteln auszukommen, was manchmal eine echte Herkules-Managementherausforderung ist.

Wie haben Sie sich diesen Alleinstellungsstatus erarbeitet?

Vorplanung. Immer wieder aktualisierte, kreative, strategische und operative Entscheidungen sind der Schlüssel für ein erfolgreiches Management. Auch haben natürlich die Corona-Hilfen dazu beigetragen, wobei wir natürlich wegen unserer hohen Auslastung und unseres hohen Case-Mix-Index Freihalte-Pauschalen weniger als andere Kliniken in Anspruch nehmen konnten.

Damit sind wir beim Koalitionsvertrag, in dem die Hochschulmedizin erstmals erwähnt worden ist. Wo drückt Sie denn der Schuh als Chef eines der größten Universitätskliniken in Deutschland mit ihren über 1.300 Betten, über 8.000 Mitarbeiter:innen und einer Bilanzsumme von 1,3 Milliarden Euro pro Jahr?
Ein Hauptproblem ist, dass in Deutschland bislang in allen stationären Versorgungsgattungen das gleiche gedeckelte Vergütungssystem gilt – das DRG-System. Damit werden Sonderbelastungen der Hochschulmedizin nicht ausreichend vergütet, wie beispielsweise die viel höhere Zahl von Notfallpatienten, die in der Regel ein Defizitbereich für jede Klinik sind. Nur um die Größenordnung zu nennen: Wir haben in Bonn über 40.000 Notfallpatienten pro Jahr, die nach einer zu geringen Pauschale vergütet werden. Dazu kommt ein Bereich, bei dem alle Universitätsklinika im Durchschnitt stärker belastet sind als andere: Das sind Extremkostenfälle, die im DRG-System – eben weil es auf einem Durchschnitt basiert – unterrepräsentiert sind. Doch bekommen von diesen Extremfällen gerade die Unikliniken – so auch unsere – immer den größten Anteil. Auch Zentren wie die für Seltene Erkrankungen, in denen oft nach langer Vorgeschichte von interdisziplinär arbeitenden Experten die richtigen Diagnosen klinisch oder durch DNA-Untersuchungen gestellt werden, sind an vielen Universitätsklinika ein sehr sinnvoller Teil der spezialisierten Gesundheitsversorgung, aber eben durch den hohen Aufwand teuer. Last but not least gibt es die Ausbildungs- und Weiterbildungsproblematik, die alle Häuser belasten, welche Facharztweiterbildungen leisten, aber Universitätsklinika. Zudem beschäftigen neben den Medizinstudierenden mehr Ärzt:innen in Facharztweiterbildungen als andere Krankenhäuser. Vieles ist eben eine Dosis-Frage, und wir müssen dringend Lösungen finden.

Schon vor Covid-19 konnten nur 7 Prozent der deutschen Universitätskliniken ein Plus von mehr einer als 1 Million Euro erwirtschaften. Zur Zeit liegt das kollektive Defizit aller Universitätskliniken in Deutschland bei über 500 Millionen Euro, alleine in Nordrhein-Westfalen über 300 Millionen Euro. Covid-19 hat den Trend doch nur noch verstärkt. Nur: Wie haben Sie Ihr Plus über die Jahre hinweg immer wieder geschafft und das sogar 2020?
Wir haben die gleichen Bedingungen wie alle anderen, sicher keine besseren Bedingungen, in manchen Haushaltstiteln  sind unsere Fördermittel sogar aus historischen Gründen im Vergleich geringer. Unsere Bausubstanz z.B. stammt zum Teil noch aus den 40er-Jahren, was hohe Investitionen für Instandhaltungen, Sanierungen, Neubauten erfordert, die wir häufig aus Eigenmitteln erbringen müssen. Nur unser Einsatz für maximale Effizienz und ständige Strukturanpassungen haben uns die positiven Bilanzen der letzten sechs Jahre ermöglicht, nachdem wir 2014 noch ein Defizit von 20 Millionen Euro hatten. Wir arbeiten hart daran, dass wir jedes Jahr wieder eine positive Bilanz schaffen wollen, obwohl das unter den jetzigen Bedingungen wirklich schwer ist.

Woher kommen die Mittel, mit denen Sie arbeiten?
Das sind bei einem Universitätsklinikum drei Hauptquellen: Die eine ist für die Forschung und Lehre. Hierfür bekommen wir einen  Zuführungsbetrag von etwa 140 Millionen Euro pro Jahr, mit denen die Professuren sowie die Grundausstattung für Forschung und Lehre bezahlt werden. Das ist aber im Prinzip ein reiner Durchlaufposten, weil 100 Prozent davon in die eben genannten Zwecke fließen. Die zweite viel größere Finanzierungsquelle sind für den klinischen Betrieb die Leistungen der Krankenkassen, über die wir uns täglich – wie jedes andere Krankenhaus auch – finanzieren müssen, wobei die DRG-geleiteten Vergütungen pro Leistung in der stationären Versorgung nicht höher sind bei jedem anderen Krankenhaus der unterschiedlichen Versorgungsstufen.

Das heißt: Es zählt die schiere Leistungsmenge!
Natürlich spielt die Leistungsmenge, die ja auch wesentlich mit der Reputation eines Krankenhauses zusammenhängt, eine bedeutende Rolle. Wir behandeln pro Jahr etwa 50.000 stationäre, darüber hinaus jedoch mehr als 350.000 ambulante Patient:innen. Letzteres freut uns natürlich, weil in Deutschland die Medizin im ambulanten Bereich zugunsten des stationären noch zulegen kann, wofür allerdings wieder gute Finanzierungsmodelle existieren müssen. Wir wollen bei der Ambulantisierung der Medizin in Deutschland eine Führungsrolle übernehmen, u.a. weil unser vergleichsweise insgesamt gutes Gesundheitssystem in Deutschland erhalten und immer wieder neu zukunftsfähig umgestaltet werden muss, was nur mit mutigen Reformen und konsequenten Weiterentwicklungen möglich sein wird.

Was erwarten Sie von der neuen Regierung?

Wir freuen uns natürlich, dass Universitätskliniken im Koalitionsvertrag als fünfte Versorgungsstufe anerkannt werden, was irgendwann vielleicht in eine Abstufung, z.B. der DRG-Vergütung, münden sollte. Bis solche Änderungen durch alle Gremien hindurch konsentiert und umgesetzt werden können, müssen wir zunächst immer weiter versuchen, mit dem auszukommen, was wir haben, weil die Krankenkassenzahler, insbesondere die hart arbeitenden Mitbürger:innen mit niedrigen Einkommen, durch die Lohnnebenkosten schon jetzt stark belastet sind. Wir konnten der uns selbst gestellten harten Anforderung der Auskömmlichkeit nur deshalb erfolgreich nachkommen, weil alle – von den Klinikdirektoraten über das Pflege- bis zum Verwaltungspersonal – diese Philosophie teilen. Wir können hier wirklich auf ein großes Engagement bauen – die Beschäftigten sind motiviert, auch in Zukunft Defizite zu vermeiden, was ich für eine gegenüber der Allgemeinheit wichtige Grundeinstellung halte. Übrigens ist unseren Mitarbeitenden auch das Thema Nachhaltigkeit besonders wichtig, wir investieren dafür sehr viel. Ebenso haben unsere Mitarbeitenden immer wieder neue Ideen, um Verschwendung zu vermeiden und eine schöne Umwelt auf dem Campus zu erhalten.


Wie steht es bei Ihnen bezüglich der Digitalisierung?

Wir haben seit langem eine eigene elektronische Krankenakte, die ja auch heute in Deutschland leider noch nicht selbstverständlich ist und erst in der Minderheit der Kliniken existiert. Ebenso setzen wir ein Patientendaten-Managementsystem (PDMS), mit dem wir auf unseren Intensivstationen alle Daten elektronisch erfassen und auswerten sowie ins Abrechnungssystem übertragen können. In der Verwaltung nutzen wir eine Software namens PEGA, die die unterschiedlichen Verwaltungsabläufe im Personalmanagement und anderen Bereichen elektronisch abbildet. Noch wichtiger ist aber, dass IT im besten Falle dabei hilft, die Lebensqualität von Patient:innen zu verbessern. Dafür haben wir schöne Beispiele, bei denen spezielle Apps entwickelt worden sind, die wirklich die Lebensqualität von Patient:innen verbessern.

Patienten-Apps?
Die halte ich für sehr wichtig. Zum Beispiel im Bereich der Hämophiliebehandlung, wo wir das größte Zentrum für Bluterkranke in Europa und wahrscheinlich sogar weltweit betreiben. Da betreuen wir Patient:innen, die – als ich studierte – noch starke Einschränkungen hatten, bis hin zu einer reduzierten Lebenserwartung. Bis der medizinische Durchbruch kam, der es erlaubte, den bei diesen Patient:innen fehlenden Faktor 8 zu ersetzen. Sie mussten jedoch sehr häufig zur Ambulanz kommen, was durchaus lästig und zeitaufwändig war. Nun haben sich die Behandlungsmöglichkeiten durch Forschung und Entwicklung stufenweise signifikant verbessert, und unser Institutsdirektor Prof. Oldenburg und sein Oberarzt Goldmann haben eine App entwickelt, die – natürlich nach Zustimmung der Patient:innen – praktisch alle für die Behandlung der Hämophilie wichtigen Parameter im täglichen Leben erfasst. Wenn diese z.B. einen blauen Flecken entdecken, nehmen sie den mit der Kamera auf und schicken uns sofort das Bild, sportliche Aktivitäten werden erfasst etc. Ein Algorithmus erkennt dann, welche Maßnahmen, z.B. ein Besuch in der Ambulanz, eine Änderung der Faktoren-Menge oder sogar ein Präparatewechsel wegen Antikörper-Bildung nötig sind. Die mit dieser App einhergehende Telemedizin halten wir 24 Stunden 365 Tage im Jahr vor, und die Lebensqualität der Patient:innen ist alleine schon dadurch deutlich verbessert, dass sie weniger häufig zur Ambulanz kommen müssen.

Digitalisierung zum direkten Nutzen für die Patient:innen.
Das Beispiel der Hämophilie zeigt, dass durch die Digitalisierung die Heimbehandlung quasi als verlängerter Arm der spezialisierten Klinik-Abteilung bedeutet, dass die Patienten zu Hause nach der Medikamentenabgabe in unserer Apotheke gekoppelt mit ausführlicher Beratung nicht alleine gelassen werden, sondern sie haben zu den Zeitpunkten der Medikamentenabgaben und virtuell über die App ständig Kontakt mit Top-Spezialisten, was auch die Patientenorganisationen und Krankenkassen sehr schätzen. Das Ziel der Digitalisierung darf ja nicht Selbstzweck sein, sondern muss immer einen Nutzen, z.B. die Effizienz-Steigerung, Zeit- und Kostenersparnis, die bessere Online-Information etc. anstreben, und damit letztlich den Gewinn an Wohlbefinden und Zufriedenheit der Patient:innen erhöhen.

Aus Krankenhaussicht gefragt: Ist  es vom Income her sinnvoll, so etwas zu tun? Sie leben im Endeffekt doch immer noch vom Volume, nicht vom Value.
Mit beidem haben wir kein Problem. Gute Qualität zieht in der Regel durch den daraus resultierenden guten Ruf eine hohe Nachfrage nach sich, was sich bei uns mit kontinuierlichen Leistungssteigerungen im ambulanten und stationären Bereich – auch in den Corona-Jahren 2020 und 2021 – auswirkte. Das führt auch dazu, dass wir trotz unserer Bettenkapazität immer wieder an unsere Grenzen stoßen und dann doch Mühe haben, ein freies Bett zu finden. Das heißt aber auf der anderen Seite, dass wir eben nicht das Problem haben, unangemessene Fälle hospitalisiert halten zu müssen, die bei hoher Qualität auch anders – niederschwelliger und auch patienten-adäquater – versorgt werden können.

Das ist ein Blick in die Zukunft der Medizin: über Digitalisierung auf der einen Seite Prozessoptimierung zu ermöglichen, auf der anderen Seite valuebasierte Medizin anbieten zu können.
Das ist ein kontinuierlicher Prozess und Kernelement unserer Strategie. Zum Beispiel sind wir seit Ende 2021 durchdigitalisiert, was die Nutzung der elektronischen Patientenakte in all unseren Kliniken angeht. Mich überrascht oft, dass zwar viel davon gesprochen wird, aber nur weniger als 50 Prozent der Kliniken in Deutschland eine EPA wirklich flächendeckend haben. Auch hier sind Universitätskliniken wie wir Vorreiter und können sich dann auch mit anderen Krankenhäusern besser vernetzen, wie wir es gerade in der Onkologie mit dem Johanniter-Krankenhaus in Bonn tun, um besonders bei Studien eine noch größere Fallzahl mit einheitlicher Software auswerten zu können – zum Vorteil der internationalen Forschung.

Was sicher auch aus den hier geleisteten Forschungsaktivitäten gefördert wird.
Ganz sicher. Digitalisierung ist für uns im Forschungsbereich seit langem Alltag. Unter anderem betreiben wir in Bonn in Zusammenarbeit mit anderen Zentren im West German Genome Center eine der größten Sequenzierungs-Units in Deutschland. Das ist ein absolutes Big-Data-Geschäft mit sehr großen Datenmengen, bei dem auf Gen-Ebene bei bestimmtem Krankheiten Diagnosen, Assoziationen und Prädiktionen untersucht werden. Für die SARS-CoV-2-Diagnostik haben der aus Boston zum UKB zurückgekehrte Prof. Jonathan
Schmid-Burgk und sein Team gerade einen Massentest auf der Basis von Next Generation Sequencing entwickelt, der viel verlässlicher ist als der Antigen-Schnelltest, aber preisgünstiger als der Standard- PCR-Test ist. In diese Entwicklung ist viel IT eingefloßen, und nun möchten wir über eine ausgegründete GmbH diesen für sehr große regelmäßige Untersuchungsserien z.B. in Firmen verfügbar machen. Auch sind wird dank eines gemeinsamen Projekts mit der Telekom der erste 5G-Campus Deutschlands, wodurch wir via W-LAN an verschiedene Orte des Campus größte Datenmengen übertragen können, wo sie gerade gebraucht werden. Wie etwa für eine nötige operative Behandlung eines Kindes im Eltern-Kind-Krankenhaus mit auffälligen Bauchschmerzen, wozu für die Diagnose mehrere spezielle Bildgebungs-Sequenzen aus MRT-, CT-, PET- oder auch molekularbiologische Untersuchungen schnell beim symptomatischen Kind zusammengeführt werden. All diese Daten sind nun via 5G am Point of Care in Sekundenschnelle verfügbar. Auch das ist eine positive Anwendung von Digitalisierung zum Nutzen der Patient:innen.

Erwarten Sie damit auch, das Outcome verbessern zu können?
Davon bin ich überzeugt. Der Nutzen beginnt aber schon im Kleinen. Zum Beispiel bei den Medikamenten-Anordnungen während der Visite mit der EPA, wo ein Algorithmus erkennt, dass bestimmte Medikamente Interaktionen mit anderen haben, und auch das Entziffern unleserlicher Handschriften gehört damit der Vergangenheit an. Das erhöht die Patientensicherheit und verbessert das Behandlungsergebnis. Wir arbeiten aber auch intensiv an dem Einsatz von künstlicher Intelligenz, wo z. B. in der Neuroradiologie der Einsatz von Kontrastmitteln bei der Untersuchung von Hirn-Gefäßen bei Schlaganfällen reduziert werden kann.

Nun pflegen Sie diverse Kooperationen, unter anderen mit in Bonn ansässigen Kliniken, aber auch mit der Universität in Siegen. Was verbirgt sich dahinter?
Alle Städte auf der Welt mit Universitätsklinika sind nun einmal umgeben von anderen guten Kliniken in den Städten aber auch von ländlichen Räumen, manche mehr, manche weniger. Das ist auch in Nordrhein-Westfalen so. Wenn man die Karte von NRW betrachtet, sieht man enorme Ballungsräume im Ruhrgebiet und am Rhein von Düsseldorf bis Bonn. Die schon lange in Westfalen etablierte Uniklinik ist meine Alma mater in Münster, im Ruhrgebiet haben Essen und Bochum zentrale Funktionen als Universitätsklinik und in Nordrhein eben Aachen, Düsseldorf, Köln und Bonn, in der Onkologie auch als ABCD-Verbund bekannt. Aber Städte wie Bielefeld, wo ich mein PJ absolvieren durfte, und Minden in Ostwestfalen oder Siegen mit dem angrenzenden Sauerland, wo ich geboren wurde, haben ebenfalls gute Kliniken und hervorragende Universitäten. Die Universität Siegen hat z.B. einen Schwerpunkt im Bereich der Digitalisierung, was für uns interessante Möglichkeiten der Zusammenarbeit in Forschung und Lehre sowie in der Krankenversorgung bietet. Nun haben wir – das UKB und die Universität Siegen – mit Hilfe einer Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen eine gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung für digitale Medizin und Versorgungsforschung im ländlichen Raum ins Leben gerufen. Unser Ziel ist es, die Digitalisierung gerade im ländlichen Raum gemeinsam weiterzuentwickeln, um so noch mehr wirklich gut handhabbare und nutzwertige Programme zu entwickeln, wie am Beispiel der Hämophilie gezeigt, und diese auszuwerten.

Inklusive Datenaustausch untereinander.
Selbstredend. Man kann nur kollaborieren, wenn in bestimmten Bereichen Daten kontinuierlich und leicht übertragen werden, zum Beispiel von Praxen in ländlichen Räumen, in denen Patient:innen betreut werden, in unsere Universitätssysteme. Dafür braucht man sehr gutes Know-how, das in Siegen und Bonn über mehrere, zum Teil erst kürzlich neu besetzte Digitalisierungs-Professuren vorhanden ist.

Was haben die Siegener von der Kooperation?
Spezialist:innen von beiden Institutionen können eng sowie institutionalisiert zusammenarbeiten und von Siegen aus an unseren Systemen partizipieren. In der Lehre lernen Studierende beide Standorte kennen, und die regionale Attraktivität kann durch einen solchen Austausch gestärkt werden. Doch sollte man solche Kooperationen nicht rein quantitativ beurteilen. Gerade in der Forschung wird es immer wichtiger, mit möglichst vielen guten Kliniken institutionalisiert zusammenzuarbeiten, um möglichst eng verzahnt multiprofessionell arbeiten zu können und Studien an möglichst großen Kollektiven einheitlich mit Hilfe einer hoch-professionellen Studienzentrale zu steuern. International ist eine solche Zusammenarbeit zwischen Universitäsklinika und anderen guten Krankenhäusern gang und gäbe, wie etwa in Schweden mit dem Karolinska-Institut, in Großbritannien mit dem Imperial College oder in Belgien mit dem Universitätskrankenhaus in Leuven. Derartige Academic Medical Centers mit zum Teil sehr großen Netzwerken sind die Zukunft der Forschung. Dazu braucht es allerdings statt wechselseitiger Eitelkeiten den gemeinsamen starken Willen zur Zusammenarbeit, gegenseitigem Respekt und die immer nötige Dosis Demut.

Wobei im Hintergrund immer das Wohl der Patient:innen stehen sollte.
Das muss unser aller Leitschnur sein, letztlich nicht nur in der Krankenversorgung, sondern auch in Forschung und Lehre.

Wie kann man das in einem System geschehen, in dem so vieles rein leistungsorientiert funktioniert und nicht wertebasiert?
Wir sind gerade in der Universitätsmedizin teilweise schon einen Schritt weiter, weil wir die Zentrumsbildung vorangetrieben haben, wie etwa mit der Bildung von Herzzentren, onkologischen Zentren, Traumazentren, Schlaganfall- und Neurovaskuläre Zentren und noch vielen anderen mehr. Für all diese Zentren hat der G-BA diverse Regelungen zur Konkretisierung der besonderen Aufgaben sowie der nötigen Qualitätsanforderungen für die Erfüllung dieser Aufgaben definiert. Das Regelwerk gemäß § 136c Absatz 5 SGB V legt bundesweit fest, was beispielsweise ein Herzzentrum vorhalten muss, um eine Zentrums-anerkennung zu erhalten. Das wiederum wird belohnt, in dem der sogenannte Fixkostendegressionsabschlag – der sehr belastend ist für ein Haus wie unserem mit hohem Case-Mix-Index – ausgesetzt ist und Zentrumszuschläge von den Kostenträgern gezahlt werden. Dies geht natürlich nur, wenn die abgelieferte Qualität gut genug ist, wofür der G-BA wiederum eigene Kriterien festgelegt hat. Will heißen: In Deutschland wird sehr wohl bereits jetzt „Value“ belohnt, man sollte das System jedoch weiter ausbauen.

Werden diese Zentren, die Sie auch in Bonn haben, entsprechend gefördert?
Nordrhein-Westfalen war relativ spät dran mit der Definition von Zentren, aber Minister Laumann und seine sehr kompetenten Mit-arbeiter:innen machen jetzt positiven Druck generell in der Krankenhausplanung, und dies immer in guter Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft.

Eine letzte Zahl zum UKB: Im Jahr 2020 konnten Sie in NRW bei der leistungsorientierten Mittelvergabe wieder mal den ersten Platz belegen. Was führt dazu, dass Forschung in Bonn anscheinend ein Erfolgskonzept ist?
Das ist Teil unserer generellen Strategie. Für uns heißt Universitätsklinik, dass wir in drei Kernbereichen Exzellenz anstreben: Erstens Krankenversorgung auf höchstem Niveau, zweitens Forschung und drittens Lehre ebenso mit Exzellenz-Anspruch. Alle profitieren im höchsten Maße voneinander: die Lehre von Versorgung und Forschung, die Krankenversorgung. Und die Forschung sowie Entwicklung müssen ihre Impulse wiederum aus den ungelösten Fragen der Krankenversorgung beziehen. Der Idealzustand ist meines Erachtens dann erreicht, wenn alle drei Kernbereiche auf dem gleich hohen, womöglich sogar höchsten Niveau austariert sind und ohne gegenseitige  Konkurrenz zum besten des Patientenwohls zusammenarbeiten. Die Krankenversorgung ist am schwersten zu bewerten. Man nähert sich diesem Thema beispielsweise durch Auswertung von Routinedaten, Befragungen von Patient:innen und Ärzt:innen an. Und obwohl man Bewertungslisten wie des jährlichen Rankings in der Zeitschrift „Focus“ kritisieren kann, gibt es vielbeachtete ähnliche Ranglisten in vielen vergleichbaren Ländern, wie etwa der in der amerikanischen Zeitschrift „US News and World Report“.

Wo steht das UKB?
Im „Focus“-Ranking in diesem Jahr auf Platz 1 in Nordrhein-Westfalen. Uns freut ebenso die Auswertung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft in NRW im Rahmen der Leistungsorientierten Mittelvergabe, bei der die Drittmittel und die Publikationsbewertungen einfließen. Auch hier stehen wir seit Jahren vorne. Dies bestätigt den engen Schulterschluss des Universitätsklinikums mit der medizinischen Fakultät an unserem Standort. Auch rangiert die Universität Bonn bei der letzten Exzellenz-Initiative mit der größten Zahl von bewilligten Exzellenzclustern auf dem ersten Platz in Deutschland, so dass das UKB hier natürlich in Forschung und Lehre in der Universität ausgezeichnete Partner in vielen Fächern hat.

Wie steht es um die Versorgungsforschung?
Wir haben bereits seit 2016 eine Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung, in der schwerpunktmäßig Studien zur Versorgungsqualität von Menschen mit onkologischen oder psychischen Erkrankungen durchgeführt werden. Diese Studien werden u.a. von der Deutschen Krebshilfe, dem Innovationsausschuss des G-BA, der Deutschen Rentenversicherung oder dem Bundesministerium für Gesundheit gefördert. Ich möchte aber auch den vor vier Jahren eingeführten sehr erfolgreichen Masterstudiengang Global Health erwähnen, der hervorragend zum Standort Bonn passt, weil hier viele internationale und international tätige Organisationen ansässig sind, wie etwa das GIZ, das Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, verschiedene Bundes-Ministerien mit Haupt- oder Nebensitz in Bonn und nicht zuletzt 20 Agencies mit über 1.000 Mitarbeiter:innen der United Nations sowie die United Nations University im Langen Eugen. Mit all diesen Organisationen haben wir gemeinsam ein Weiterbildungs-Masterprogramm für Global Health aufgelegt, zu dem Studierende aus aller Welt kommen und bei dem es uns vorrangig um die Verbesserung von Versorgungsstrukturen durch Forschung, Implementierungen und Evaluierungen international geht.

Wie wäre es mit einer eigenen Abteilung für Versorgungsforschung?
Da läuft gerade die Berufung für eine W3-Professur. Auf Platz eins rangiert Frau Professor Nicole Ernstmann, welche die im April 2016 gegründete Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung leitet. Wir hatten übrigens schon vor sechs Jahren in Bonn die erste Professur in Deutschland für Patientensicherheit in Zusammenarbeit mit dem Bündnis Aktion Patientensicherheit gegründet, um zentrale Fragen der Qualität und Sicherheit der Patientensicherheit bearbeiten zu können, die wir im UKB für besonders wichtig halten.

Herr Prof. Holzgreve, danke für das Interview. <<


Das Gespräch führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier.

 

Zitationshinweis:
Holzgreve, W., Stegmaier, P.: „Eine Führungsrolle bei der Ambulantisierung der Medizin“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (01/22), S. 6-12. http://doi.org/10.24945/MVF.01.22.1866-0533.2363

 

Vita

Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Wolfgang Holzgreve, MBA
studierte Medizin in Münster und erwarb zusätzlich 1976 an der UC Berkeley einen Master in Public Health. Nach Staatsexamen, Approbation und Promotion 1979 absolvierte er eine Facharztausbildung in Geburtshilfe und Frauenheilkunde sowie ein Fellowship in Reproduktionsgenetik an der UC San Francisco. Nach Habilitation 1986 wurde er 1991 Professor in Münster. Von 1995 bis 2008 war er Ordinarius für Frauenheilkunde sowie Vorsteher der Universitäts-Frauenklinik Basel und erwarb 2007 einen MBA. Seit Januar 2012 ist er Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender am Universitätsklinikum Bonn.

Ausgabe 01 / 2022

Editorial

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