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Und wann kommt die Regelversorgung? Rechtsansprüche auf Verstetigung von neuen Versorgungsformen und Versorgungsforschungsprojekten

28.01.2022 10:20
Die weltweite Einführung strenger Vorschriften zur Eindämmung der Pandemie der Coronavirus-Erkrankung (SARS-CoV-2, Covid-19) hatte spürbare Folgen für das soziale Leben. Maßnahmen wie die Verringerung von Sitzplätzen in Innenräumen, soziale Distanz, die obligatorische Verwendung von Masken und „Bleib zu Hause“-Kampagnen haben die Interaktionen zwischen Menschen drastisch reduziert. Diese Maßnahmen erwiesen sich als wirksam, um die Covid-19-Infektionsraten zu senken und damit die Ausbreitung des Virus zu verhindern (1,2). Verschiedene andere Krankheitserreger, Viren und Bakterien, werden jedoch auf ähnliche Weise von Mensch zu Mensch übertragen (3,4). Dies gilt beispielsweise für viele Erreger, die Infektionen der Atemwege und des Darms verursachen (5). Während der Covid-19-Pandemie wurden einige nicht ansteckende akute Erkrankungen wie Schlaganfall und Myokardinfarkt seltener dokumentiert. Die Verhaltensänderung, die sich aus der Umsetzung strenger Hygieneregeln ergab, könnte auch zu einem „echten“ Rückgang der Raten von Nicht-Covid-19-Infektionskrankheiten geführt haben (5,6). Mit anderen Worten: Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie könnten auch die Ausbreitung anderer Keime beeinflusst haben, die Atemwegsinfektionen (AI) und gastrointestinale Infektionen (GI) verursachen. Aus diesem Grund wollten die Autoren in der vorliegenden Studie die Häufigkeit dieser AI und GI während der Covid-19-Pandemie anhand von Daten aus einer großen Datenbank untersuchen, in die anonymisierte Behandlungsinformationen von Haus- sowie von Kinder- und Jugendärzten in Deutschland einfließen.

doi: http://doi.org/10.24945/MVF.01.22.1866-0533.2377

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Abstract

Der Innovationsfonds gem. § 92a SGB V fördert seit 2016 – und noch bis 2024 – Projekte der neuen Versorgungsformen und der Versorgungsforschung im Gesamtumfang von zwei Milliarden Euro. Immer mehr Projekte werden abgeschlossen, Wissenschaftler und Patienten hoffen nach positiver Evaluation der Versorgungskonzepte auf eine Überführung in die Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Doch: Ist diese Hoffnung rechtlich überhaupt haltbar? Und wenn ja, durch welche gesetzlichen Vorgaben?

When will research projects be transferred to the standard care of the German statutory health insurance? Legal claims to the continuation of new forms of care and care research projects

Aim: It was explored whether involved persons in research projects, in particular those funded by the Innovation Fund (an authority of the German statutory health insurance), are entitled to transfer standard care into the German statutory health insurance.
Methods: The legal interpretation methods were applied and case law was evaluated.
Results: There is neither legal protection against negative recommendations by the Innovation Committee nor against insufficient implementation after a positive recommendation. There is also no legal right to perpetuation apart from innovation fund projects.
Conclusion: The transition from research projects to standard care is not subject to any effective legal protection.

Keywords
Innovation Fund (German statutory health insurance), Federal Joint Committee (German statutory health insurance), Medical Law, Standard Care, New Examination and Treatment Methods, Basic Law (German constitution), German Social Security Code

Dr. jur. Dr. rer. med. Thomas Ruppel / Prof. Dr. rer. med. habil. Neeltje van den Berg

Literatur
Bleckmann, A (2002): Zu den Methoden der Gesetzesauslegung in der Rechtsprechung des BVerfG. JuS 2002, 42, 10, 942 – 947
Bydlinski, F (1991): Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff. Wien: Springer
Epping, V/Hillgruber, C (Hrsg.) (2021, 48. Edition): BeckOK Grundgesetz. München: C.H. Beck
Hart, D (1998): Ärztliche Leitlinien – Definitionen, Funktionen, rechtliche Bewertungen. In: MedR 1998, 16, 1, 8 – 16
Kirchhof, F (1998): Rechtliche Grundsätze der Universitätsfinanzierung: Staatliche Zuweisungen und autonome Binnenfinanzierung. In: JZ 1998, 53, 13, 275 – 282
Kramer, E (2019): Juristische Methodenlehre. München: C.H. Beck
Maunz, T/Dürig, G/Herzog, R/Herdegen, M/Scholz, R/Klein, H (2021): Grundgesetz. München: C.H. Beck
Sachs, M (Hrsg.). (2021): Grundgesetz. München: C.H. Beck
Seifert, W (2018): Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, in: ZMGR 2018, 15, 2: 91 – 101
Schlegel, R/Voelzke, T (Gesamtherausgeber) (2020): juris PraxisKommentar SGB V. Saarbrücken: Juris
Ströttchen, J (2019): Verfassungsrechtliche Ansprüche auf konkrete medizinische Leistungen. Baden-Baden: Nomos

 

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Zitationshinweis: Ruppel, T., van den Berg, N.: „Und wann kommt die Regelversorgung? Rechtsansprüche auf Verstetigung von neuen Versorgungsformen und Versorgungsforschungsprojekten“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (01/22), S. 72-76. http://doi.org/10.24945/MVF.01.22.1866-0533.2377

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Plain-Text:

Und wann kommt die Regelversorgung? Rechtsansprüche auf Verstetigung von neuen Versorgungsformen und Versorgungsforschungsprojekten

Der Innovationsfonds gem. § 92a SGB V fördert seit 2016 – und noch bis 2024 – Projekte der neuen Versorgungsformen und der Versorgungsforschung im Gesamtumfang von zwei Milliarden Euro. Immer mehr Projekte werden abgeschlossen, Wissenschaftler und Patienten hoffen nach positiver Evaluation der Versorgungskonzepte auf eine Überführung in die Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Doch: Ist diese Hoffnung rechtlich überhaupt haltbar? Und wenn ja, durch welche gesetzlichen Vorgaben?

>> Das vom Bundesgesetzgeber geschaffene rechtliche Instrument zur Überführung von Innovationsfondsprojekten in die Regelversorgung findet sich in § 92b Abs. 3 SGB V (in der Fassung des Digitale-Versorgung-Gesetzes; Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019 Teil I Nr. 49, 2568). Demnach hat der Innovationsausschuss innerhalb von drei Monaten nach Eingang des Evaluationsberichtes eine positive oder negative Empfehlung zur Überführung der neuen Versorgungsform bzw. des Versorgungsforschungsprojektes in die Regelversorgung auszusprechen.
1. Einleitung
Der Innovationsausschuss muss bei einer positiven Empfehlung konkretisieren, wie die Überführung in die Regelversorgung erfolgen soll und welche Behörde im Krankenversicherungsrecht dafür zuständig ist. Soweit die Umsetzung im Kompetenzbereich des G-BA liegt, muss dieser innerhalb eines Jahres nach der Empfehlung die rechtsverbindliche Umsetzung in die Regelversorgung, etwa durch seine Richtlinien, vornehmen. Hieraus ergeben sich mehrere Fragen:
• Kann man sich gegen eine negative Empfehlung des Innovationsausschusses wehren?
• Was geschieht, wenn die Überführung in die Regelversorgung bei einem positiv evaluierten Projekt nicht (rechtzeitig) umgesetzt wird?
• Haben Forschungsprojekte außerhalb des Innovationsfonds einen Anspruch auf Überführung in die Regelversorgung?
2. Methodik
Zunächst wurde der Inhalt des § 92b Abs. 3 SGB V als maßgebliche Vorschrift mittels der juristischen Auslegungsmethoden, insbesondere nach dem Wortlaut1 , der teleologischen2 – die nach dem Sinn und Zweck einer Vorschrift fragt – und der historischen3 – die sowohl fragt, was der „historische“ Gesetzgeber wollte als auch, was er in Kenntnis der heutigen Sachlage gewollt hätte – Auslegung ermittelt. Sodann wurden einfach-rechtliche Regelungen (insb. § 135 SGB V, NUB-Richtlinie des G-BA) und die einschlägigen Grundrechte (insb. Art. 2 Abs. 1, 2 Abs. 2 S. 1 GG, 5 Abs. 3 S. 1 Var. 2, 3 GG, 20 Abs. 1 GG) für die Frage nach einem Anspruch auf Überführung in die Regelversorgung identifiziert. Hiernach wurden Fachliteratur und die Rechtsprechung zu einem möglichen Anspruch auf Überführung in die Regelversorgung ausgewertet.
3. Ergebnisse
3.1. Kein Rechtsschutz gegen Empfehlungen des Innovationsausschusses
Das deutsche (Sozial)verwaltungsrecht hat einen begrenzenden Faktor, der in anderen Ländern völlig unbekannt ist: das sogenannte subjektiv-öffentliche Recht. Dies ist die dem Einzelnen verliehene Rechtsmacht vom Staat – also auch den verschiedensten Sozialversicherungsbehörden als Teil der mittelbaren (Bundes)verwaltung – zur Verfolgung eigener Interessen ein bestimmtes Verhalten verlangen zu können (Sachs 2021: Art. 19, Rn. 126, 127). Die mögliche Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts ist auch Voraussetzung für die Erlaubnis, ein Verwaltungsgericht, dazu gehören auch die Sozialgerichte als besondere Verwaltungsgerichte (§ 1 SGG), um Rechtsschutz ersuchen zu können, die sog. Klagebefugnis (§§ 54 SGG, 42 VwGO). Folge dieses Instruments ist es, dass nicht jedermann eine Rechtsverletzung rügen kann und damit vor den Gerichten Gehör finden würde. Vielmehr ist es notwendig, dass ihm dieses subjektiv-öffentliche Recht zukommt (Sachs 2021: Art. 19, Rn. 128). So kann etwa nicht jeder Bewohner einer Gemeinde, in der ein Haus offensichtlich baurechtswidrig im Naturschutzgebiet errichtet wurde, diesen Missstand gerichtlich angreifen – das öffentliche Recht kennt eine solche Rechtsposition nur für den „Nachbarn“.
Dieses subjektiv-öffentliche Recht muss durch den Gesetzgeber geschaffen werden (Sachs 2021: Art. 19, Rn. 130).
Aus dem Wortlaut von § 92b Abs. 3 SGB V lässt sich ein solches subjektiv-öffentliches Recht zu Gunsten von Forschenden oder Patienten nicht entnehmen. Auch hat der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung und den Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung der Vorschrift (BT-Drs. 19/13438, 54; ebenfalls unergiebig etwa BT-Drs. 19/13548; BT-Drs. 19/14867) keinen Hinweis darauf gegeben, die Vorschrift entsprechend auszuprägen.
Auch eine systematische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis: § 92b Abs. 8 SGB V, der eine besondere gerichtliche Zuständigkeit für Entscheidungen des Innovationsausschusses vorsieht, bezieht sich nur auf die Förderbescheide, nicht auf die Empfehlungen zur Überführung in die Regelversorgung (Seifert, 2018: 91; LSG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 13.09.2019, Az. L 9 KR 293/17 KL).
In der Konzeption des Gesetzgebers entfaltet daher weder eine abschlägige Empfehlung des Innovationsausschusses noch eine verzögerte, verlangsamte oder im Rahmen der politisch-medizinischen Mühlen der Selbstverwaltung bis zur Unkenntlichkeit veränderte Umsetzung des positiv evaluierten Forschungsprojektes eine individual-schützende Wirkung. Weder die Forschenden noch Patienten oder andere Beteiligte können sich daher rechtlich gegen diese Entscheidungen wehren oder eine (andere) Entscheidung erzwingen.

3.2. Anspruch auf Überführung in die Regelversorgung außerhalb des Innovationsfonds?
Dies führt zur Frage, ob und unter welchen Umständen außerhalb des Innovationsfonds ein Anspruch auf Überführung von medizinisch-wissenschaftlichen Forschungsprojekten in die Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung existieren könnte.
Hierfür braucht es, wie dargestellt, eines subjektiv-öffentlichen Rechts. Träger dieses Rechts könnten Wissenschaftler, Patienten oder die im GKV-System tätigen Leistungserbringer (Ärzte, Krankenhäuser, sonstige Gesundheitsberufe und -einrichtungen) sein. Vor allem die potenziellen Rechte der Patienten sollen nachfolgend untersucht werden.
3.2.1. Verstetigungsanspruch nach Regelungen des SGB V?
Im Leistungsrecht des SGB V – dem dritten Kapitel – finden sich eine Vielzahl von Vorschriften, die vermeintlich einen Anspruch gewähren. So ist in § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V vom „Anspruch auf Krankenbehandlung“ des Versicherten die Rede, der in § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1-6 z.B. hinsichtlich ärztlicher Behandlung, Krankenhausbehandlung, Krankenpflege usw. näher bestimmt wird. § 11 Abs. 4 S. 1 SGB V gibt zum Beispiel einen Anspruch auf „Versorgungsmanagement“. Dies scheinen eben jene notwendigen subjektiv-öffentlichen Rechte zu sein, die auch gerichtlich durchgesetzt werden könnten, etwa für die Überführung von Care- und Casemanagementprojekten in die Regelversorgung.
Im vierten Kapitel des SGB V werden die Rechtsbeziehungen zwischen Leistungserbringern (Vertragsärzten, Krankenhäusern, Heil-
und Hilfsmittelerbringern usw.) zu den Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen bestimmt (Leistungserbringungsrecht). Während die frühere Rechtsprechung davon ausging, dass bei Leistungsansprüchen der Versicherten nach dem dritten Kapitel diese durch die Beteiligten des vierten Kapitels nachvollzogen werden müssten, diese also aus dem dritten Kapitel heraus einklagbar wären, stellte das Bundessozialgericht (BSG) dieses Verhältnis vollständig auf den Kopf. Es argumentierte in seinem Rechtskonkretisierungskonzept zutreffend, dass im Leistungserbringungsrecht, das auch Basis für den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM), den BEMA-Z, die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses usw. ist, bis ins Detail mittels inhaltlicher Regelungen und Verfahren bestimmt sei, was alles zum Leistungskatalog der GKV gehört; die vermeintlichen Ansprüche des Versicherten nach dem dritten Kapitel sind daher nunmehr ein „Rahmenrecht“ (BSG, Urteil vom 16.12.1993, Az. 4 RK 5/92; BSG, Urteil vom 20.03.1996, Az. 6 RKa 62/94; BSG, Urteil vom 16.09.1997, Az. 1 RK 28/95), welches – so das Rechtskonkretisierungskonzept – durch die Vorschriften des vierten Kapitels konkretisiert werden müsste.
Damit dreht sich die Sache indes im Kreis: Der eingangs genannte § 92b Abs. 3 SGB V, in dem die Empfehlungen mit dem Umgang der Evaluation der Innovationsfondsprojekte geregelt sind, ist gerade eine solche Vorschrift aus dem Leistungserbringungsrecht. Andere Aspekte aus dem dritten Kapitel – etwa der Anspruch auf Versorgungsmanagement aus § 11 Abs. 4 S. 1 SGB V – werden im vierten Kapitel erst gar nicht umgesetzt, laufen also vollständig leer. Da es keine Umsetzung im vierten Kapitel des SGB V gibt, gibt es auch grundsätzlich keine durch den Patienten durchsetzbaren Ansprüche. Indes kennt auch das Leistungserbringungsrecht durchaus Regelungen zur Erzwingung der Aufnahme von Leistungen in die Gesetzliche Krankenversicherung: Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung (§ 135 SGB V). Neu ist eine Methode, wenn sie bislang noch nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung gehört hat; es kommt nicht darauf an, wann sie entwickelt wurde (BSG, Urteil vom 16.12.2008, Az. B 1 KR 11/08 R, Rn. 14). Gleiches gilt auch, soweit es sich nicht um neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung handelt, sondern etwa nur um neue Heilmittel. Auch diese dürfen gem. § 138 SGB V nur verordnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss ihren therapeutischen Nutzen anerkannt hat.
Hierzu hat sich eine Fehlerquellenlehre herausgebildet: Der G-BA hat eine Beobachtungspflicht, gerade hinsichtlich Neuerungen; er handelt auch fehlerhaft, wenn er eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode – sei es in der vertragsärztlichen Versorgung, sei es bei Heilmitteln (Ströttchen, 2019: 213 mwN aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts) – unsachgemäß oder nicht zeitgerecht behandelt (BSG, Urteil vom 11.07.2017, Az. B 1 KR 30/16 R, Rn 15; Ströttchen, 2019: 201–203). Kommt noch hinzu, dass die fragliche Behandlungsmethode, der der G-BA die Aufnahme in die Regelversorgung verweigert, nach gerichtlicher Einschätzung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (Helbig, in: Schlegel/Voelzke 2020: § 13 SGB V, Rn. 55), können Versicherte sich die Leistung selbst beschaffen und im Wege der Kostenerstattung von ihrer Krankenkasse die aufgewendeten Leistungen ersetzt verlangen, § 13 Abs. 3 SGB V) (BSG, Urteil vom 16.09.1997, Az. 1 RK 28/95, Leitsatz 2). Das Gericht muss also von der Wirksamkeit der Methode überzeugt sein (BSG, Urteil vom 16.09.1997, Az. 1 RK 28/95, Rn. 37).
Ein Anspruch auf Überführung von Forschungsprojekten in die Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung ergibt sich folglich, wenn im Rahmen eines Forschungsprojektes ein medizinischer Standard gesetzt wurde, der nicht (rechtzeitig) Eingang in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung gefunden hat.
Die Bestimmung, ob ein Standard gesetzt wurde, erfolgt dabei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf eigentümliche Weise. Es gäbe, so das Gericht, hierfür zwei Ansätze:
„Entweder die Gerichte setzen sich mit der medizinisch-wissenschaftlichen Qualität der in Rede stehenden Methoden inhaltlich auseinander, um eine bisher nicht zustande gekommene Entscheidung des Bundesausschusses vorwegzunehmen bzw. zu ersetzen, oder sie beschränken sich auf die Prüfung, ob der neuen Methode in der medizinischen Fachdiskussion bereits ein solches Gewicht zukommt, daß eine Überprüfung und Entscheidung durch den Bundesausschuss veranlaßt gewesen wäre. Das richtet sich nicht nach medizinischen Kriterien (Wirksamkeit, Plausibilität, Erfolg im Einzelfall usw), sondern nach der tatsächlichen Verbreitung in der Praxis und in der fachlichen Diskussion.“
(BSG, Urteil vom 16.09.1997, Az. 1 RK 28/95, Rn. 41)

Das Gericht entschied sich nicht etwa für die erste, sondern für die zweite Variante (BSG, Urteil vom 16.09.1997, Az. 1 RK 28/95, Rn. 42). Als Begründung nahm es an, dass es „nicht Sinn eines Gerichtsverfahrens sei, die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen“ (BSG, Urteil vom 16.09.1997, Az. 1 RK 28/95, Rn. 42). Deshalb, so das Bundessozialgericht, sei
„nicht auf medizinische Kriterien, sondern allein darauf abzustellen, ob sich die Methode in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn sie in der medizinischen Fachdiskussion eine breite Resonanz gefunden hat und von einer erheblichen Zahl von Ärzten angewandt wird. Zwar müssen die Gerichte dann über die Kostenerstattung für eine neue Therapie nach anderen Voraussetzungen entscheiden als der Bundesausschuss über deren Anerkennung; das ist jedoch als Folge des Systemmangels hinzunehmen“
(BSG, Urteil vom 16.09.1997, Az. 1 RK 28/95, Rn. 45)

Eben diese Durchsetzung in der medizinischen Fachöffentlichkeit bleibt Forschungsprojekten, die ja gerade erst vor der Einführung in die Regelversorgung stehen und diese begehren, verwehrt. Dies gilt gerade im Bereich der ambulanten Versorgung, in der ja nur solche Teil des Leistungskataloges der GKV sind und damit vom Patienten beansprucht werden können (vgl. oben zum Rechtskonkretisierungskonzept), die ausdrücklich erlaubt wurden (anders in der stationären Versorgung) (Ströttchen 2019: 33f). Mangels Erbringbarkeit durch ambulante Leistungserbringer kann sich eine solche Methode nicht durchsetzen – ein Zirkelschluss und Kreislauf, der entsteht.
Medizinisch und versorgungswissenschaftlich berührt dies die bereits 1998 von Hart aufgeworfenen Fragen, ob es erstens des Standards wissenschaftlicher Erkenntnisse im Sinne einer evidenzbasierten Medizin bedarf, oder ob ärztliche Erfahrung und Bewährung ausreiche und zweitens, ob Akzeptanz im Sinne einer Einheitlichkeit der ärztlichen Meinung oder einer Anerkennung durch professionelle Institutionen (Kammern, Fachgesellschaften) gemeint sei (Hart, 1998: 8). Das Bundessozialgericht stellt bei der Feststellung der Insuffizienz der Tätigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses weder auf evidenzbasierte Medizin noch auf die Ansichten der Kammern und Verbände ab.
Der arzthaftungsrechtliche, mithin zivilrechtliche, Standardbegriff spielt dementsprechend keine Rolle.
Soweit es keine Standardbehandlung im eben genannten Sinne gibt, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit dem sogenannten Nikolausbeschluss (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98) und der Gesetzgeber mit Schaffung des § 2 Abs. 1a SGB V eine Durchbrechung der oben genannten Prinzipien geschaffen. Demnach haben Versicherte bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlichen oder vergleichbaren Erkrankung einen Anspruch auf Erstattung der Heilbehandlungskosten auch außerhalb des Leistungskataloges der GKV, den Leistungen nach dem vierten Kapitel (vgl. oben zum Rechtskonkretisierungskonzept), wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht. Der Nikolausbeschluss basiert zunächst auf einer strengen, patientenorientierten Einzelfallbetrachtung (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98, Rn. 55, 62, 66). Ansprüche auf Überführung von Methoden in die Regelversorgung können hieraus nicht abgeleitet werden. Soweit Forschungsprojekte im Einzelfall die genannten Krankheitsbilder adressieren und keine Regelversorgung zur Verfügung steht, können einzelne Patienten indes auch nach Ablauf des Förderzeitraumes die Versorgung hiermit begehren. Die Krankenkassen wären zur Finanzierung der Versorgung verpflichtet. Für die Forschenden und ihre Kooperationspartner ergäbe sich aber keine Verpflichtung, das Projekt weiterzuführen, wenn dies etwa wegen der geringen Anzahl der durch die Krankenkassen finanzierten Patienten nicht darstellbar wäre. Anderen Patienten stünde dieser Weg ohnehin nicht zur Verfügung.
Die einfach-rechtlichen Regelungen des SGB V und der NUB-Richtlinie des G-BA gewähren keinen Anspruch auf Verstetigung; zu untersuchen ist daher, ob dieser aus dem Verfassungsrecht gewährt werden könnte:

3.2.2. Medizinische Leistungen als Gegenleistung zu Pflichtmitgliedschaft und Beitragspflicht – Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG
Verfassungsrechtliche Ansprüche können sich auf die Abwehr ungerechtfertigter staatlicher Eingriffe – der klassischen Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat (Sachs 2021: Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 42) und damit auch gegen die Gesetzliche Krankenversicherung richten. In Deutschland sind ca. 88% der Bevölkerung in der Gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Sie müssen – insbesondere durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zum Gehalt – einen erheblichen Teil ihres Arbeitseinkommens hierfür aufwenden. Im Gegenzug zu dieser Pflichtmitgliedschaft und der Beitragspflicht, die beide in das Grundrecht der Allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG eingreifen, stehen ihnen auch Leistungen zu. Eine Inadäquanz von Leistung und Gegenleistung, gerade bei solchen Versicherten, die deutlich mehr Beiträge zahlen als sie summenmäßig als Leistungen beanspruchen, vermochte indes insbesondere das Bundesverfassungsgericht noch nicht festzustellen (Ströttchen 2019: 190).
Ein Verstoß hiergegen und damit eine Verletzung der Grundrechte von versicherten Patienten durch die fehlende Verstetigung von Forschungsprojekten erscheint fernliegend.

3.2.3. Verfassungsunmittelbare Ansprüche auf medizinische Leistungen – Art. 2 Abs. 2 S. 1GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG
Eine weitere Funktion der Grundrechte ist die als originäre oder derivative – dann in Verbindung mit dem Allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG – Leistungsrechte (Kischel, in: Epping/Hillgruber 2021: Art. 3 Rn. 88). Allgemein wird angenommen, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG es dem Staat zur Pflicht mache, ein funktionsfähiges Gesundheitssystem zu errichten (Rixen, in Sachs 2021: Art. 2, Rn. 225). Dem Gesetzgeber kommt dabei indes nach ständiger Rechtsprechung ein derart großer Beurteilungsspielraum zu (BVerfGE 115, 25, 44; BVerfG [K] NJW 1998, 1775, 1776; BVerfG [K] NJW 1997, 3085), dass sich konkrete medizinische Leistungen – und damit auch die Umsetzung von medizinisch-wissenschaftlichen Forschungsprojekten in die Regelversorgung – nicht aus dem Verfassungsrecht ableiten lassen (Di Fabio, in: Maunz/Dürig 2021: Art. 2, Rn. 45). Der sich aus dem Verfassungsrecht ergebende Anspruch bleibt daher – dann aus Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG mit dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet (Rixen, in Sachs 2021: Art. 2, Rn. 224) – auf die Existenzsicherung beschränkt (Di Fabio, in: Maunz/Dürig 2021: Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Rn. 45 mwN).
Keines der vom Innovationsfonds geförderten Projekte ist notwendig, um die medizinische Existenz im Sinne einer Mindestabsicherung sicherzustellen.

3.2.4. Wissenschafts- und Forschungsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
Der Wissenschaftsfreiheit kommt neben ihrem abwehrrechtlichen Gehalt, sich gegen staatliche Einflussnahmen zu wehren, auch ein Teilhabecharakter zu (Bethge, in: Sachs 2021: Art. 5, Rn. 217c). Es ist offensichtlich, dass die Wissenschaftsfreiheit und die Unabhängigkeit der Wissenschaft leer laufen würde, würde man Versorgungsforschern oder kurativ tätigen Medizinprofessoren allein ihre Stelle und einen rudimentär ausgestatteten Personalapparat bezahlen, ihnen jedoch keine Forschungsvorhaben finanzieren (BVerfG NJW 1973, 1176, 1177).
Aus dem Verfassungsrecht ableitbar ist daher ein Anspruch – zumindest des an Universitäten Forschenden – auf eine personelle und sachliche Grundausstattung (BVerfG NVwZ-RR 1998, 175; Kempen, in: Epping/Hillgruber 2021: Art. 5 Rn. 197). Indes besteht kein Anspruch auf einen selbstbestimmten Bedarf (Kirchhoff 1998: 277; Kempen, in: Epping/Hillgruber 2021: Art. 5 Rn. 197).
Die Wissenschaftsfreiheit kennt damit de lege lata weder einen Anspruch auf dauerhafte Projektfinanzierung noch auf Überführung aus einem Projektstadium in die außer-universitäre Sphäre.
4. Diskussion
Ein subjektiv-öffentliches Recht, d. h. ein Anspruch auf Überführung von Forschungsprojekten in die Regelversorgung, ist dem deutschen Recht nicht bekannt. Auch die für Innovationsfondsprojekte geschaffenen Regelungen haben hieran nichts geändert. Einzelne Patienten können im Ausnahmefall einen Anspruch auf Verstetigung der projektbezogenen Versorgung haben, wenn sie an lebensbedrohlichen oder vergleichbaren Erkrankungen leiden, für die keine Regelversorgung zur Verfügung steht.
Eine gewisse Möglichkeit der Umgehung dieser strengen Regeln bietet § 13 Abs. 3a SGB V. Demnach besteht ein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten auf eine Leistung auch dann, wenn die Krankenkasse nicht innerhalb weniger Wochen, die im Gesetz genauer bestimmt sind, eine Leistung genehmigt oder ablehnt. Dieser Kostenerstattungsanspruch umfasst – und dies ist der Unterschied zu § 13 Abs. 3 SGB V – auch solche Leistungen, die außerhalb des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung liegen (Helbig, in: Schlegel/Voelzke 2020: § 13 SGB V, Rn. 136.1). Dem Versicherten, dessen Krankenkasse nicht reagiert, soll nicht noch zugemutet werden, die detaillierten und komplexen Regelungen des Leistungserbringungsrechts zu kennen. Solange der Versicherte gutgläubig hinsichtlich des Bestehens eines materiellen Leistungsanspruches ist (BSG, Urteil vom 26.05.2020, Az. B 1 KR 9/18 R), kann er also auch die Kosten solcher Leistungen ersetzt verlangen, die außerhalb des Leistungskataloges liegen.
Außerhalb der aktuellen Gesetzeslage und der Rechtsprechung kann man durchaus diskutieren, ob es richtig und verantwortlich ist, positiv evaluierte Versorgungskonzepte, in die viel Geld der Krankenkassen sowie Zeit, Wissen und Energie der Wissenschaftler:innen, Leistungserbringer und weiteren Beteiligter geflossen ist, in die Schublade zu stecken und verstauben zu lassen. <<

Ausgabe 01 / 2022

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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