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Transaktionskostentheorie

22.07.2022 07:00
Das Thema der Gesundheitsversorgung gilt als abwechslungs- und facettenreich. Grund dafür sind nicht nur medizin- und pflegetechnische Entwicklungen, sondern auch sich verändernde Ansprüche aufseiten der Versicherten, die (natürlich!) auf die Behandlungs-, Therapie- und Pflegeregime bzw. die dahinterliegende Versorgungsbereitstellung und -finanzierung wirken. Damit steht nicht nur die Versorgung selbst, sondern auch ihr Entwicklungspotenzial im Fokus der Öffentlichkeit. Mit den Innovationen gehen neue oder aber veränderte Regelungen einher, die von Seiten der Leistungserbringer, aber auch der Kostenträger zu administrieren sind. Die Kosten dieser Administration werden als Transaktionskosten („transaction costs“) bezeichnet, sind in verschiedenen Arrangements einerseits, aber auch im Zeitverlauf andererseits veränderlich und gelten damit als beeinflussbar. Die entsprechenden Arrangements können marktlich, also von einem externen Dienstleister, (gegen Vergütung) abgerufen oder aber in eigener Hierarchie (hierarchisch, also im eigenen Unternehmen) ausgeführt werden. Im angelsächsischen Raum unterscheidet man zwischen „market transaction costs“ und „managerial transaction costs“. Die Transaktionskostentheorie selbst ist – ähnlich wie die Lehre rund um die Verfügungsrechte („property rights“) – ein bedeutender Teil der neuen Institutionenökonomik.

http://doi.org/10.24945/MVF.04.22.1866-0533.2423

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>> Lässt man einen Blick über die Regelungen des für die deutsche Gesundheitsversorgung maßgeblichen Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) schweifen, so wird man, ohne näher in die Detailregelungen hineinzulesen, rasch feststellen, dass viele der Paragrafen mit einem zusätzlichen Buchstaben versehen sind. Hier handelt es sich um Gesetzesregelungen, die im Nachgang in das SGB V aufgenommen wurden. Über diese Gesetzesänderungen, die im Zeitverlauf als gesundheitspolitisch relevant und damit zu ändern identifiziert wurden, kommen jedoch auch besondere Textstellen im Gesetz, an denen der Gesetzgeber definierte Veränderungen innerhalb der Versorgung zulässt. Hier sind bspw. die Regelungen rund um die Etablierung „Neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB)“ im Rahmen der akutstationären Versorgung oder aber die „selektivvertraglichen Regelungen (Modellvorhaben, Besondere Versorgung usw.)“ zu nennen. Solche Möglichkeiten erlauben es, Innovationen im Gesundheitssystem auf Basis von krankenkassenindividuellen Verträgen oder spezieller Verhandlungs- und Genehmigungsverfahren zu etablieren. Hier öffnen sich also für die Leistungserbringer- und die Kostenträgerschaft Türen, um bspw. qualitativ, aber auch wirtschaftlich interessante Verbesserungen innerhalb der Versorgung zu ermöglichen. Solche Ansätze können typischerweise auf die Verbesserung von Verfahrens-, Organisations-, Finanzierungs- und Vergütungsformen ausgerichtet sein. Doch solche Verbesserungen bedürfen eines sorgfältigen Auslotens, ob es für die Versorgung Anbieter und/oder Nachfrager gibt bzw. ob diese Versorgung auch wirklich mit qualitativ vergleichbaren oder aber sogar verbesserten Versorgungsergebnissen (unter gleichzeitiger Beachtung des damit verbundenen Versorgungskostenniveaus im Sinne einer gesundheitsökonomischen Evaluation) einhergeht und damit wirtschaftlich konkurrenzfähig ist. Dafür entstehen über die ohnehin von den Kostenträgern an die Leistungserbringer auszugleichenden Versorgungskosten hinaus auch Transaktionskosten.
Transaktionskosten
Allgemein werden unter dem Begriff der Transaktionskosten die Kosten subsumiert, die Tauschakte in einem Wirtschaftssystem ermöglichen und begleiten. Transaktionskosten entstehen bei der Übertragung und Durchsetzung von Verfügungsrechten. Sie halten ökonomische Systeme im Gang. Bereits in vorauslaufenden Ausgaben des „Monitor Versorgungsforschung“ wurden sie als Kosten der Anbahnung, der Vereinbarung, der späteren Kontrolle und der Anpassung der wechselseitigen Leistungsbeziehungen bezeichnet. Transaktionskosten können damit auch als „Opfer“ oder als „Einsatz“ für die in den Verträgen abgebildeten Wirtschafts- und Versorgungsabläufe interpretiert werden. Sie entstehen aufgrund menschlicher Transaktionen im Zeitverlauf von der Vorvertragsphase bis zum Zeitpunkt der finalen Abwicklung einer gekündigten Vereinbarung.
Der Begriff „Transaktionskosten“ geht auf die Wirtschaftswissenschaftler Coase und Williamson zurück, die beide eigene Theorien zur Existenz, Entstehung und Erklärung entwickelten. Coase sieht Transaktionskosten als Indikator für strukturelle Unterschiede. Bestimmte Leistungen können von Unternehmen zu anderen Konditionen bereitgestellt werden, als dies dem Markt (bzw. den Märkten) gelingt. Damit begründet er die Existenz von Unternehmen und verweist zugleich auf Unterschiede bei der Administration der konkreten Leistungserstellung. Williamson erweitert diesen Ansatz, wenn er die Existenz der Transaktionskosten auch mit Human- und Umweltfaktoren begründet, die er in einen eigenen Organisationsrahmen einbettet.
Bei den Administrationskosten kann zwischen laufenden oder aber bereits versunkenen (toten) Transaktionskosten differenziert werden. Die laufenden Transaktionskosten können intern (also im Unternehmen selbst), extern (sprich auf dem Markt) oder aber mediär (ergo in einem Kontinuum zwischen Unternehmen und Markt) entstehen. Alle genannten Arten von laufenden Transaktionskosten können sowohl als ex ante- oder aber als ex post-Kosten definiert werden (also bevor oder nachdem die Transaktion ausgeführt wird oder wurde). Die ex ante-Kosten bestehen aus den Arbeiten am Vertragsentwurf. Dazu gehören Such-, Informations-, Verhandlungs- und Absicherungskosten. Die ex post-Kosten entstehen bei der eigentlich Vertragsabwicklung im Rahmen der Durchsetzung, Überwachung, Anpassung und Schlichtung. Versunkene Transaktionskosten sind zu keinem Zeitpunkt mehr zurückzugewinnen und damit für immer verloren (vgl. Abb. 1).
Vergleich der unterschiedlichen Koordinationsformen
Das Transaktionskostenniveau verweist auf Unterschiede zwischen organisatorischen Arrangements. Solche Arrangements können nach Coase durch die jeweilige Koordinationsform einerseits „hierarchisch“ (also durch die selbst definierten/gesetzten Strukturen in einem Unternehmen) oder aber andererseits „marktlich“ (bereitgestellt von einem externen Dienstleister und sodann käuflich erworben vom Unternehmen) bestimmt werden. Damit können getroffene vertragliche Regeln auch anhand der Transaktionskosten in Frage gestellt werden, wenn die identifizierten Unterschiede die Überlegenheit eines der beiden Lösungsansätze ausdrücken und die beiden Arrangements untereinander substituierbar sind. Wichtig ist dabei zu erkennen, dass Transaktionskosten keine statischen Größen darstellen, sondern durchaus mit dem jeweiligen Stand der technischen und/oder politischen Entwicklungen variieren können. Sie verändern sich bspw. auch mit der Entwicklung oder aber der Erosion aufstrebender oder abzuwickelnder Märkte. Nicht zuletzt die disruptiven Kräfte der Digitalisierung werden dabei zukünftig immer mehr zu beachten sein.
Solche Unterschiede manifestieren sich, wenn bspw. hierarchische Koordinationen (also administrative, innerhalb eines Unternehmens betreute Prozesse) im Zeitverlauf (bspw. durch zunehmende Erfahrungen) zwar günstiger werden, sich dann aber doch marktliche Lösungen für solche Verwaltungsabläufe herausbilden, die sich in der Entwicklung noch kostengünstiger zeigen. In solchen Konstellationen wäre es ökonomisch nicht (mehr) sinnvoll, weiterhin an der unternehmerischen Koordinationsform festzuhalten, es sei denn, andere Gründe würden dies erfordern (strategische Unabhängigkeitsziele, Gründe des Datenschutzes, u. a.). Solche Unternehmen würden versuchen, ihr Transaktionskostenniveau entlang der opportunsten Operationslinie zu erlangen. Der Zeitpunkt des Umstiegs von der einen auf die andere Koordinationsform wird dann erreicht, wenn sich die Kosten der alternativen Koordination (abweichend) günstiger als zu einer zuvor präferierten entwickeln würden (vgl. Abb. 2).
Als ein Erlös-Beispiel für das Gesundheitswesen kann hier in einem systemanalytischen Kontext gesagt werden, dass sich die administrative Auskehr von Leistungsausgaben über eine zentrale Honorarstelle mit den innewohnenden, korporatistischen Absprachen nicht selten kostengünstiger gestalten wird, als eine im Unternehmen vorgenommene, rechnerisch-fachlich prüfende Administration solcher Leistungsausgaben auf Basis von Einzelrechnungen. Nachdem die Versicherten Leistungserbringer:innen in Anspruch genommen haben, wird dann in aller Regel auf Basis der Einzelrechnungen eine Kostenerstattung erfolgen, nach der die Versicherten eine Rückvergütung ihrer bezahlten Aufwendungen erhalten.
Die Operationslinien dürften sich hier unterscheiden. In gleicher Weise könnten sich jedoch auch marktliche Koordinationsformen bis zu einem gewissen Zeitpunkt als überlegen herauskristallisieren bis an diese Form dann hierarchische (unternehmerische) Koordinationsformen treten. Als zweites Beispiel könnte hier das fremdvergebene Erlös- und Forderungsmanagement eines Leistungserbringers genannt werden, das so lange durch einen Dienstleister sichergestellt wird, bis es sich dann doch (bspw. auf Grund eines erreichten Abrechnungsvolumens) lohnt, eine Stelle im eigenen Unternehmen für diese Vorgänge einzurichten. Letztlich handelt es sich also um ganz klassische Entscheidung rund um Eigen- und Fremdadministration (bzw. -produktion der benötigten Dienstleistung) und damit folglich um eine „make or buy-Entscheidung“ mit einem speziellen Fokus auf die Kosten der Bürokratie.
Organisatorischer Rahmen
für Transaktionskosten
Der Wirtschaftswissenschaftler Williamson erweitert diese Betrachtung um einen organisatorischen Rahmen, in dem sich die Transaktionen vollziehen. Er differenziert innerhalb dieses Rahmens zwischen Human- und Umweltfaktoren. Aufseiten der Humanfaktoren verweist er auf eine nur eingeschränkt vorhandene Rationalität, die es bei unvollkommener Information und mangelnder Prognosemöglichkeiten zukünftiger Marktereignisse zu beachten gilt. Dabei werden die Arrangements zumeist langfristig angelegt und geplant, so dass in einer entfernteren Zukunft die Unvollkommenheit bei der Vertragsgestaltung immer größer auszufallen droht. Hinzu kommt der Opportunismus, den alle Individuen innehaben und der natürlich auch auf die Koordinationsform wirkt. Hier können sich Eigeninteressen zeigen, die es zu beachten gilt.
Bei den Umweltfaktoren sieht er Defizite bei Einschätzungen über ggf. bestehende Einflussfaktoren, die auf die Koordination wirken (Komplexität). Unsicherheit besteht zudem darin, ob während der Transaktion alle Beteiligten noch immer den gleichen Elan an den Tag legen, wie das ggf. vor der Transaktion der Fall war. Zudem können sich Informationsdefizite aus einem Mangel an Kommunikation oder aber aufgrund verzerrter Berichte ergeben. Mit der Häufigkeit bzw. der Spezifität der Transaktionen verbunden ist das ggf. schon erworbene administrative Know-how im Rahmen der Abwicklung und damit eng verbunden die Anzahl der Transaktionen (bzw. für das Gesundheitswesen: die Fallzahlen). Elementar ist hier die Analyse des Auslastungsgrads der Administration.
Innovationen im nationalen Gesundheitssystem
Die Etablierung von Innovationen im deutschen Gesundheitswesen ist vielschichtig und gelingt nur unter Beachtung ausgesprochen spezieller Regeln, die darauf ausgerichtet sind, die solidarisch finanzierten Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung, als einer der wettbewerblich organisierten Zweige der nationalen Sozialversicherung, möglichst zielgerichtet und wirtschaftlich zu verwenden. Leistungserbringer:innen und Kostenträger sind gleichermaßen zur gesetzlich definierten Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots verpflichtet. Am Beispiel der „Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ (NUB, synonym für die Bemühungen vieler Leistungserbringer:innen) bzw. der „Selektivverträge“ (bsph. für Leistungserbringung und Kostenträger) soll hier verdeutlicht werden, wie stark das Niveau an Transaktionskosten die Umsetzung dieser Versorgungsansätze mit beeinflusst.
Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB)
Die Regeln für NUB entspringen dem § 6
Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG)
und sind der Sammelbegriff für Therapie-
formen, die in den Gesundheitsmarkt neu eingeführt werden sollen. Naturgemäß existieren für derart neue Leistungen keine Abrechnungsmöglichkeiten in Form einer Vergütung gemäß des jeweiligen Katalogs entsprechend der diagnosebasierten Fallgruppen (DRGs). Somit kann nicht über das retrospektiv angelegte aG-DRG-System abgerechnet werden, was dazu führt, dass eigene Bewertungs-/Abrechnungsmodalitäten zu konsentieren sind.
Für diese NUB-Verfahren werden u. a. neue Therapien, neue Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) bzw. neu zu vergütende Fallpauschalen und/oder Zusatzentgelte (testweise) berücksichtigt. Der gesamte Prozess erstreckt sich in aller Regel über einen Zeitraum von 3 Jahren und geht mit außerbudgetären, fallbezogenen NUB-Entgelten einher. Diese Entgelte werden somit für Leistungen vergütet, die noch nicht sachgerecht über die Fallpauschalen im DRG-Katalog berücksichtigt werden konnten bzw. können und nicht von einer Finanzierung ausgeschlossen sind. In der Probezeit gilt es, Leistungs- und Kostendaten (ggf. auch mit ergänzenden Datenerhebungen) zu dokumentieren. Leistungserbringenden Krankenhäusern und Kostenträgern ist es möglich, in den Verhandlungsrunden dafür eigene, temporär gültige Vergütungsabsprachen vorzusehen.
NUB-Entgelte sind Teil der Krankenhausbudgetverhandlung. Nicht selten werden die Anträge auf die NUBs nicht allein von den jeweiligen Krankenhäusern, was einer hierarchischen Koordination entspräche, sondern auch von den produzierenden Unternehmen betreut (marktliche Koordination). Die dazugehörigen Anträge sind auf ein Jahr befristet und damit jährlich neu einzureichen. Das späteste Einreichungsdatum ist der 31.10. eines jeden Jahres mit einer Wirkung für das Folgejahr, was rund um diesen Termin erhebliche Kräfte bei allen Beteiligten bündeln dürfte.

Selektivverträge
Im Gegensatz zu den kollektivvertraglichen erlauben die selektivvertraglichen Versorgungsverträge, die ohne jegliche gesetzliche Vorgabe zwischen einzelnen Leistungserbringern (und/oder deren Zusammenschlüsse) und einem (oder mehreren) Kostenträger(n) abzusprechen und zu vereinbaren sind, wesentlich mehr Freiheitsgrade. Typische Gesetzesregelungen stellen die Besondere Versorgung (§ 140a SGB V) sowie die Modellvorhaben (§§ 63ff. SGB V) dar. So attraktiv die erhaltenen Freiheitsgrade sind, so sehr gilt es diese auch sorgsam (mit erheblichem Aufwand) zu prüfen! Es drohen verbunden mit den einzelvertraglichen Vereinbarungen durchaus Fallstricke und damit verbunden ggf. Anreize, die die bestehenden Systemregeln unterlaufen und in dem Sinne nicht-intendiert sind.
Die Teilnahmequote der Versicherten ist dabei ein ebenfalls nicht zu unterschätzendes Datum. So vollziehen sich die Teilnahmen keineswegs automatisch, sondern die Versicherten müssen über die Bedingungen der Innovationsmodelle informiert werden. Beim Grundsatz der Freiwilligkeit der Versichertenteilnahme gilt es, die Gruppe von anvisierten Teilnehmenden aktiv anzusteuern.
Selektivverträge entstehen damit keineswegs aus dem Lameng, sondern bedürfen ganz im Gegenteil einer ausgesprochen sorgsamen Vorbereitung und Analyse der bestehenden Versorgungsmöglichkeiten. Zudem sind gesetzliche Anforderungen in Form der Bereinigung der kollektivvertraglich vereinbarten Budgets, in puncto des Nachweises der Wirtschaftlichkeit bzw. bei der Information ggü. den jeweiligen Landesaufsichten oder aber der Bundesaufsicht (Bundesamt für Soziale Sicherung, BAS), einzuhalten. Gerade die von einer Gemeinschaft von Leistungserbringer:innen oder aber von mehreren Krankenkassen vereinbarten Verträge erfordern nicht selten einen erheblichen Abstimmungsbedarf innerhalb der dazugehörigen Organisationen.
Dabei ist zu beobachten, dass gerade in diesem Versorgungsbereich der Selektivverträge auch externe Anbieter (gerade auf kleinere Einheiten von Leistungserbringer:innen und/oder Krankenkassen) zugehen, um ihre Dienstleistungen anzubieten. Entsprechende Dienste können sich um ein Potpourri von der Versorgungsanalyse, der Vertragsanbahnung, der Vertragspartnersuche bis hin zur späteren Vertragsabwicklung und/oder der Versichertenansprache bzw. der Vermarktung der Versorgungspiloten ranken.
Dilemma innovativer
Versorgungsansätze und
ihrer Koordinationsformen
Aus den Transaktionskostenunterschieden erwächst ein Dilemma für die jeweilige Gesundheitsversorgung. So gilt es, nicht nur die Suche nach erfolgreichen Innovationen zu starten, sondern auch mit Blick auf die spätere Umsetzung auf ein möglichst günstiges Transaktionskostenniveau zu achten. Da alle Versorgungspiloten unter strenger Beobachtung hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit stehen, gilt es beide Kostenarten (nämlich die Versorgungs- und die Transaktionskosten) in das Kalkül einzubeziehen. Hinzukommt eine Konkurrenz zur seit Jahren etablierten, nationalen Regelversorgung, die sich mit Blick auf die korporatistisch getroffenen Absprachen (mit historischem Vorlauf inklusive vieler Lernschleifen) über die Jahre sehr kostengünstig ausgestaltet hat. Dies führt dazu, dass das in der Abbildung 4 gezeigte Transaktionskostenniveau der Regelversorgung tendenziell eher weiter abnehmend zu diskutieren ist und sich damit auf einem relativ geringen Niveau bewegt. Viele, teilweise sehr spezielle Regelungen rund um Datentransfer und -austausch mit den innewohnenden, sektoral-aufgestellten Verfahren dazu begründen dies.
Wird nun ein neues Versorgungsmodell etabliert, so geht mit dieser Etablierung (häufig typischerweise) auch eine andere Koordinationsform als die der Regelversorgung einher. Zu Beginn werden die Transaktionskosten für diesen Versorgungsansatz tendenziell hoch ausfallen, da klassischerweise Informations-, Such- und Anbahnungskosten entstehen. Mit zunehmender Inanspruchnahme (Fallzahl) wird dieses Transaktionskostenniveau sinken. In den Fällen, in denen ggf. Konditionen neu verhandelt werden, wird das tendenziell sinkende Transaktionskostenniveau wieder einen punktuellen Anstieg erfahren. Es wird in der Folge Erfahrung (bzw. Zeit) benötigen, bis die Transaktionskosten des neuen Versorgungsansatzes auf dem Transaktionskostenniveau der Regelversorgung bzw. unterhalb eines solchen Werts fallen werden.
Damit ist als Ergebnis festzuhalten, dass eine der größten Konkurrenzen für die Versorgungspiloten aus dem Lager der kollektivvertraglich geregelten Versorgungen erwächst. Damit haben alle innovativen Versorgungsansätze, so gewünscht sie auch immer sein mögen, einen systembedingten Nachteil, den sie nur über die Zeit und Erfahrung aufholen können.
Zusammenfassung
Angebote von innovativen Versorgungsmodellen und die dahinterliegenden Transaktionen können durch zu hohe Administrationskosten nicht zustande kommen. Hohe Transaktionskosten können dabei das intendierte Zusammentreffen von Nachfragern und Anbietern soweit behindern, dass solche Offerten gänzlich unterminiert werden. Ggf. erklärt sich kein Anbieter bereit, in die Vorbereitung einer mit einem Innovationsschub verbundenen Transaktion zu investieren. In der Folge kann das dazu führen, dass später auch kein Nachfrager gewillt ist, die entstandenen Transaktionskosten mit einem entsprechend höheren Vergütungsanteil zu versehen. Dies nährt eine gesundheitspolitische Forderung nach einer eigenen Finanzierungsform für entsprechende Versorgungspiloten (häufig als „Anschubfinanzierung“ bezeichnet). Derzeit ist eine solche in Deutschland im Rahmen der aus dem Innovationsfonds bereitgestellten Mittel für Innovatoren:innen vorgesehen. Gäbe es einen solchen Finanzmitteltopf nicht, wären im Gesundheitssystem bestimmt weniger Innovationsbemühungen zu konstatieren. Zudem wird die digitale Ausgestaltung unseres Gesundheits- und Pflegewesens das Transaktionskostenniveau der Regelversorgung zukünftig noch weiter erodieren. Dies wird ggf. nachteilig auf die hohen Erwartungen der selektivvertraglichen Regelungen wirken. In diesem Segment steckt die technische Entwicklung sicherlich noch in ihren ersten Weichenstellungen. In diesem Feld gilt es, nicht nur die technischen, sondern auch die gesundheits- und pflegepolitischen Entwicklungen genau zu verfolgen. Die Administration, egal ob aufseiten der Leistungserbringung oder der Kostenträger, wird gut beraten sein, sich auf die zu prognostizierenden Entwicklungsschübe einzustellen und die Chancen und Risiken der jeweiligen Entwicklungen auch hinsichtlich ihrer Transaktionskostenrelevanz zu analysieren. <<

 

„In der Zeit, in der die nationale Gesundheitsversorgung fast ausschließlich kollektivvertraglich geregelt war und es eher abwegig denn geläufig war, sich mit wettbewerblich organisierten Selektivverträgen auseinanderzusetzen, wurde eher selten über die Transaktionskostentheorie nachgedacht und die Kosten der Bürokratie als gegeben hingenommen. Erst mit dem Erstarken der Einzelverträge sind die Transaktionskosten in den Fokus geraten. So gilt es, nicht nur auf die Konditionen der eigentlichen Versorgungsleistungen, sondern auch genau auf den damit einhergehenden Administrationsaufwand zu achten. Zu bürokratische Strukturen haben das Potenzial, mühsam erwirtschaftete Versorgungsvorteile zu unterminieren.“
Prof. Dr. rer. pol. Hans-R. Hartweg,
Professor im Fachbereich „Wiesbaden Business School“ der Hochschule RheinMain (HSRM)

 

 

Zitationshinweis: Hartweg, H.-R.: „Transaktionskostentheorie“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (04/22), S. 37-41. http://doi.org/10.24945/MVF.04.22.1866-0533.2423

Ausgabe 04 / 2022

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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