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Cochrane Collaboration in der Governance-Krise

04.04.2019 14:00
„Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Cochrane als Organisation mit solchen Mitgliedern umgeht“, schrieb Prof. Dr. Gerd Antes, der auf eine fast 25-jährige Erfahrung als Mitglied der Cochrane Organisation (u. a. Mitglied in der Steering Group und bis 2018 Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums) zurückblickt in einem Blog1: Anlass seines Einschreitens war die Entlassung von Dr. Peter C. Gøtzsche, seines Zeichens einer der Gründungsmitglieder der Collaboration und nicht nur langjähriger Leiter des Nordic Cochrane Centers in Kopenhagen, sondern laut Antes auch einer der Cochrane-Autoren mit einer wahren „Fülle von Artikeln und Büchern sowie Analysen zu vielen brisanten Themen der heutigen Gesundheitsforschung und -versorgung“.

http://doi.org/10.24945/MVF.04.19.1866-0533.2157

>> Als Grund für Gøtzsches Entfernung aus dem Leitungsgremium und obendrein für dessen Ausschluss aus der gesamten Collaboration, nennt das Cochrane Governing Board auf seiner Webseite „fortgesetztes schlechtes Benehmen, welches nicht mit den Prinzipien und der Steuerung von Cochrane vereinbar sei“.2 Dieses Vorgehen, das Antes angesichts der über 25-jährigen Vorgeschichte, in der Cochrane sich mit Gøtzsche arrangiert hat, „unangemessen“ erscheint, führte Ende letzten Jahres in der Folge dazu, dass vier weitere Board-Mitglieder – Prof. PD Dr. Gerald Gartlehner MPH, David Hammerstein, Dr. Jörg Meer-pohl und Ass.Prof. Dr. Nancy Santesso – ihre Demission einreichten. „Der Rücktritt der vier Mitglieder erscheint vor diesem Hintergrund aus meiner persönlichen Sicht heraus nicht nur als gut begründete Kann-Entscheidung, sondern als klares Bekenntnis zu Grundprinzipien von Cochrane und daher geradezu zwingend“, erklärte Antes1 dazu.
Entscheidende Richtschnur für die Bewertung muss nach Antes die strikte Orientierung an den Zielen und Grundprinzipien von Cochrane sein: Wissenschaftliche Rigorosität, Erkenntnisse mit minimalen Bias bzw. maximalem Vertrauen und die konsequente Abwehr von interessengesteuertem Einfluss auf die Aussagen „müssen weiterhin über allem stehen“.
Genau hier sind die Gründe für Gøtzsches Entlassung zu suchen. Der Däne, nach Meinung der australischen Medizinjournalistin Dr. Maryanne Demasi3 „bekannt für seine scharfe Kritik an den Schäden von Brustkrebsvorsorgeprogrammen und dem übermäßigen Konsum von Psychopharmaka“, habe in seinem jüngsten Artikel scharfe Kritik an der Qualität und Methodik des HPV-Impfstoff-Reviews von Cochrane4 geübt.
Cochrane-Chefredakteur, David Tovey, und seine Stellvertreterin, Karla Soares-Weiser, hielten die Kritik ihrerseits für ungerechtfertigt und behaupteten im Gegenzug, die „HPV-Impfstoffüberprüfung sei erheblich übertrieben, ungenau und sensationell“5 gewesen.  Gøtzsche indes ist der Ansicht, dass diese Erwiderung nicht „auf unsere wichtigste Sorge“ eingegangen sei, dass „die Schäden durch den HPV-Impfstoff stark unterschätzt wurden und ein Großteil der klinischen Daten nicht in die Überprüfung einfließen“ würde.
Um künftig auf derartige Unstände außerhalb von Cochrane hinweisen zu können, hat Gøtzsche im März dieses Jahres das Institute for Scientific Freedom6 gegründet. Dies mit folgender Vision:
• Die Wissenschaft sollte sich bemühen, frei von finanziellen Interessenkonflikten zu sein.
• Die gesamte Wissenschaft sollte so bald wie möglich veröffentlicht und frei zugänglich gemacht werden.
• Alle wissenschaftlichen Daten, einschließlich der Studienprotokolle, sollten frei zugänglich sein, damit andere ihre eigenen Analysen durchführen können.

Nun seien laut Antes aus deutscher Sicht entscheidende Fragen zu beantworten: Werden die gegenwärtigen Konflikte langfristig Konsequenzen haben und werden sie kurz- und mittelfristig Einfluss auf die nationale und lokale Arbeit haben? Ersteres werde sich daran entscheiden, wie die gegenwärtige Situation aufgelöst werde, denn die Frage „Cochrane in der Krise?“ müsse mit der Feststellung beantwortet werden, dass Cochrane eine Governance-Krise habe. Doch diese sei bei dem rapiden Wachstum von der Gründung im Jahre 1993 bis heute nicht wirklich überraschend. Antes: „Das Ziel muss jetzt sein, die Ereignisse als evolutionären Schritt anzusehen, durch den Cochrane mit größtmöglicher Transparenz für die Öffentlichkeit weiterentwickelt wird. So wird die gegenwärtige Aufregung im Rückblick als vielleicht schmerzhafter, auf jeden Fall aber notwendiger Impuls für die fruchtbare Weiterentwicklung betrachtet werden können.“
Trotz all dieser Probleme, seien nach Antes jedoch kurz- und mittelfristig keine unmittelbaren Auswirkungen für die Arbeit in Deutschland zu erwarten. Im Gegenteil, die Aktivitäten von Cochrane Deutschland seien durch die erfolgreichen Bemühungen des BMG um eine nachhaltige Förderung der Cochrane Deutschland Stiftung und durch die Gründung des Instituts für Evidenz in der Medizin an der medizinischen Fakultät der Universität Freiburg gerade in ein neues Zeitalter eingetreten. Zudem werde die neue Leitung durch die in Kürze besetzte W3-Professur der nächste Schritt sein, mit dem sich die Arbeitssituation für Cochrane in Deutschland entscheidend verbessere. Antes: „Damit ist Cochrane Deutschland auch im weltweiten Vergleich in einer komfortablen Situation, die es ermöglichen wird, die Entwicklung von Cochrane International aktiv zu unterstützen und damit auch die gegenwärtige Irritation zu überwinden.“ <<

Kommentar


Cochrane ist seit einem Vierteljahrhundert nicht nur eine feste Größe der EBM, sondern eine wich-tige Institution wahrhafter Wissenschaft. Gøtzsches Ausschluss ist ein Zeichen dafür, dass die wissenschaftliche, offene und faire Diskussionskultur einen gewissen Nachholbedarf zu haben scheint. Doch nicht nur sie. Die gesamte Wissenschaft muss sich – und hier ist Gøtzsches Vision für sein neues Institute for Scientific Freedom wegweisend – mehr denn je darum bemühen, transparent, offen zugänglich und möglichst frei von finanziellen Interessenkonflikten zu sein. Mailen Sie mir Ihre Meinung dazu, treten Sie in Dialog:

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Zitationshinweis:

Stegmaier, P.: „Cochrane Collaboration in der Governance-Krise“ in „Monitor Versorgungsforschung“ (04/19), S. 22; doi: 10.24945/MVF.04.19.1866-0533.2157

Ausgabe 04 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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