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Zielgerichtete Therapie des Lungenkarzinoms

04.10.2019 14:00
Seit vielen Jahrzehnten basiert die Therapie des Lungenkarzinoms auf dem klassischen Behandlungskonzept, das Operation, Chemo- und Strahlentherapie umfasst. Auch die Einteilung in die beiden Diagnosen kleinzelliges und nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom hat bis heute Bestand, molekularbiologische Methoden sorgen aber für eine zunehmende genetische Differenzierung. Und so kommen für etwa jeden 10. Patienten mit bestimmten Zielstrukturen auf oder in den Tumorzellen beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom neuartige zielgerichtete Therapien in Frage. Diese geben ein eindrückliches Beispiel der Entwicklung in der modernen Onkologie.

http://doi.org/10.24945/MVF.06.19.1866-0533.2181

>> Bösartige Neubildungen der Bronchien und der Lunge zählen weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Trotz der Fortschritte in der Dia-gnostik und Therapie ist das Lungenkarzinom bei Männern die zweithäufigste, bei Frauen die dritthäufigste Krebserkrankung. Die Inzidenz beträgt in Deutschland derzeit etwa 53.900 Neuerkrankungen jährlich (vgl. Krebsinformationsdienst). Die meisten Lungenkrebserkrankungen werden durch Rauchen ausgelöst. Während die Neuerkrankungsrate bei Männern seit Ende der 1980er Jahre nur noch langsam steigt, nimmt sie bei Frauen weiterhin kontinuierlich und stark zu (vgl. Deutsche Krebsgesellschaft). Einerseits wirkt sich ein insgesamt sinkender Raucheranteil positiv auf die Erkrankungszahlen aus. Anderseits ist die zunehmende durchschnittliche Lebenserwartung mit einem höheren Risiko an Lungenkrebs zu erkranken verbunden (vgl. Lungenkrebs und höheres Lebensalter, 2016).
Etwa 85% der Lungenkarzinome sind nicht-kleinzellig

Zu Beginn einer Lungenkrebserkrankung sind die Symptome sehr allgemein und uncha-rakteristisch, sodass diese oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert werden kann. Zu den Beschwerden zählen hartnäckiger oder chronischer Husten, blutiger und unblutiger Auswurf, Atemnot und Brustschmerzen, Gewichtsverlust, Lymphknotenschwellungen und Knochenschmerzen, wobei Ausprägung und Dauer von prognostischer Bedeutung sind (vgl. Diagnostik des Lungenkarzinoms, 2014). Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Lungenkrebs unterscheiden. Die häufigste Form ist das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (non small cell lung carcinoma, NSCLC), das etwa 85% der Fälle be-trifft. Weitaus seltener mit etwa 12-15% kommt das kleinzellige Lungenkarzinom vor, das sehr schnell wächst und oft schon früh Metastasen in anderen Organen bildet (vgl. MSD Manual Bronchialkarzinom, 2018). Heute wird das Lungenkarzinom in mindestens zwei Dutzend biologisch unterschiedlicher Entitäten unterteilt, die eine zielgerichtete Therapie möglich machen (vgl. Onkopedia-Leitlinie NSCLC, Okt. 2019).
Zielgerichtete Therapie bei NSCLC
Nachdem bis etwa 1995 alleinig die konventionelle Chemotherapie zur Verfügung stand und diese bei fehlendem Nachweis einer Treibermutation weiterhin die Therapie der ersten Wahl ist, gibt es mittlerweile individuell auf den Patienten zugeschnittene Behandlungsoptionen. So wird schon vor Beginn der Erstlinien-Therapie getes-tet, ob bestimmte Genmutationen vorliegen und diese auf eine zielgerichtete Therapie ansprechen. Damit steigen neben der Anzahl von molekular, histologisch oder klinisch definierten Patientensubgruppen die diagnostischen Anforderungen bei einer Krebsart, die bereits im Allgemeinen durch eine hohe Anzahl genomischer Veränderungen gekennzeichnet ist. Derzeit stehen für mindestens drei dieser klinisch relevanten Alterationen zugelassene Therapieoptionen zur Verfügung. Die medikamentöse Blockade im Epidermal Growth Factor Receptor (EGFR)-Gen, konstitutionelle Aktivierungen der Anaplastischen Lymphomkinase (ALK) sowie aktivierende Translokationen der ROS1 (c-ros oncogene 1)-Rezeptortyrosinkinase führen häufig zu einem signifikant längeren Tumor-
ansprechen im Vergleich zur Chemotherapie (vgl. Aktualisierte Therapieempfehlung metastasiertes nicht kleinzelliges Lungenkarzinom, 2017). Eingesetzt werden überwiegend Tyrosinkinase-Inhibitoren, Angiogenesehemmer und Checkpoint-Inhibitoren (vgl. Tab. 1).
Innovation Immunonkologie
Seit spätestens 1890 ist bekannt, dass das körpereigene Immunsystem Krebszellen zerstören kann (vgl. Spektrum Kompakt, 2018). Aber erst in den letzten Jahren machte die Krebsbehandlung durch die Immuntherapie entscheidende Fortschritte. Allerdings profitieren davon nur bestimmte Patientengruppen – unter den Lungenkrebspatienten sind dies etwa 15 bis 20% (vgl. Krebsinformationsdienst, 2018). Dabei haben in der NSCLC-Therapie die Checkpoint-Inhibitoren mit 77,3% Verordnungsanteil die höchste Relevanz bezogen auf den GKV-Markt (vgl. Abb. 1). Checkpoint-Inhibitoren heben im-
munsupprimierende Signale auf, sodass das körpereigene Immunsystem kranke Zellen erkennen und bekämpfen kann. Für das metastasierte nicht-kleinzellige Lungenkarzinom können Checkpoint-Inhibitoren eine nebenwirkungsreiche Chemotherapie ersetzen, teilweise sogar übertreffen (vgl. Immuntherapie bei Lungenkrebs, 2016). Beispielhaft erwähnt sei Prembrolizumab. Der Antikörper erhielt im Jahr 2015 in der EU ursprünglich nur die Zulassung für die Therapie des fortgeschrittenen Melanoms. Bis heute erfolgt eine erhebliche Indikationserweiterung. In den USA ist Prembrolizumab sogar als drittes gewebeunspezifisches Krebsmittel zugelassen. So kann das Arzneimittel bei verschiedenen Krebsarten eingesetzt werden, solange eine bestimmte Mutation vorliegt (vgl. Pharmazeutische Zeitung, 2019). In Deutschland hingegen ist der Wirkstoff für bestimmte Krebsarten zugelassen, unter anderem auch für die Therapie des NSCLC. Im September dieses Jahres erhielt Prembrolizumab für Erkrankte mit metastasierendem NSCLC mit PD-L1 exprimierenden Tumoren ohne aktivierende EGFR- und ALK-Mutationen als Erstlinientherapie die Zulassung. In der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V konnte der Arzneistoff für die Patientengruppe einen erheblichen Zusatznutzen nachweisen: Sowohl das progressionsfreie Überleben als auch das Gesamtüberleben wurde im Vergleich zur Chemotherapie verbessert. Allerdings liegen Wirkung und Nebenwirkung auch bei der Immuntherapie nah beieinander. So können Checkpoint-Inhibitoren autoimmune Nebenwirkungen induzieren, die jedes Organsystem betreffen können (vgl. Deutsches Ärzteblatt, 2019).
Nintedanib mit höchstem
Verordnungsanteil
Insgesamt stehen mit Anfang November 2019 achtzehn Wirkstoffe zur NSCLC-Therapie zur Verfügung. Während elf davon ausschließlich für NSCLC zugelassen sind, werden die restlichen sieben auch für die Behandlung von weiteren Krebsarten angewandt (vgl. Tab. 1). Mit Blick auf die elf Arzneimittel, die alleinig zur Therapie des NSCLC zugelassen sind, lässt Abbildung 1 sehr deutlich die vier verordnungsstärksten Wirkstoffe erkennen. So teilen sich Nintedanib, Durvalumab, Osimertinib und Afatinib 86,5% der GKV-Verordnungen. Nintedanib ist ein seit 2014 zugelassener Angiogenesehemmer, der für eine Minderdurchblutung und damit Unterversorgung von Tumorgewebe sorgt. Der Antikörper Durvalumab ist seit Oktober 2018 auf dem deutschen Markt und gehört zur Klasse der Checkpoint-Inhibitoren. Die beiden EGFR-spezifischen Tyrosinkinase-Inhibitoren Osimertinib und Afatinib haben seit 2016 bzw. 2013 die Zulassung und hemmen die EGFR-Aktivität und damit die Tumorprogression (vgl. Krebsinformationsdienst, 2018).
Ausblick
Dass die Krebsforschung komplex ist und immer wieder neue Herausforderungen bringt, zeigen auch Zahlen des vfa. Demnach wurden im Bereich Lungenkrebs zwischen 1998 und 2014 zehn neue Medikamente eingeführt. Im gleichen Zeitraum mussten allerdings 167 Studienprogramme abgebrochen werden. Und doch stehen mittlerweile zahlreiche innovative Arzneimittel zur Verfügung oder befinden sich auf dem Weg in den Markt. So hat der G-BA Ende November das Nutzenbewertungsergebnis für den ALK-Tyrosinkinase-Inhibitor Lorlatinib veröffentlicht. Und für den Tropomyosin-Rezeptorkinase-Inhibitor Larotrectinib wird die Bewertung im April 2020 abgeschlossen sein. Es ist das erste in der EU zugelassene präzisionsonkologische Arzneimittel, das tumorunabhängig eingesetzt werden kann. In einer Basket-Studie, bei deren Konzept Patienten mit unterschiedlichen Tumorentitäten in einem gemeinsamen Protokoll mit Larotrectinib therapiert werden, wurden langfristige Remissio-nen bei 17 verschiedenen Krebserkrankungen, darunter auch das Lungenkarzinom, erzielt. Die als Therapietarget für Larotrectinib relevanten NTRK-Fusionsgene wurden bisher bei mehr als 20 Krebserkrankungen gefunden, allerdings bei weniger als 1% der Patienten (vgl. Deutsches Ärzteblatt, 2018). Bei einer zunehmenden Bedeutung der stratifizierten Therapie von Tumor-erkrankungen könnte Larotrectinib den nächs-ten Meilenstein in der modernen Onkologie setzen. Mit einem PRIME-Status und einem im Januar 2019 eingereichten EU-Zulassungsantrag ist mit Entrectinib voraussichtlich ein weiterer Tyrosinkinase-Inhibitor zur Therapie solider, gewebeunspezifischer Tumore sowie NSCLC auf dem deutschen Markt verfügbar (vgl. Neue Krebsmedikamente im EU-Zulassungsverfahren, vfa, Oktober 2019).  Als erste gen- statt organbezogene Krebstherapie werden diese Wirkstoffe als Sprunginnovationen gehandelt. Eine Krebsbehandlung über Krankheitsgrenzen hinweg und die Fokussierung auf molekulargenetische Verfahren könnten so zukünftig wirksame Behandlungsoptionen für eine zunehmende Anzahl und Differenzierung an Patientensubgruppen schaffen. <<
Autorinnen:
Sarah Meyer, Kathrin Pieloth*

Zitationshinweis:

Meyer, S., Pieloth, K.: „Zielgerichtete Therapie des Lun-
genkarzinoms“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (06/19), 10-11.; doi: 10.24945/MVF.06.19.1866-0533.2181

Ausgabe 06 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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