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Arzneimittelrabattverträge: Kostensenkung mit Risiken und Nebenwirkungen

04.10.2019 14:00
Im August 2019 ist das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes ist es, die Qualität und die Sicherheit der Arzneimittelversorgung zu verbessern. Neben weiteren arzneimittelmarktrelevanten Themen werden in diesem Gesetz auch Regularien festgeschrieben, die den Biosimilarmarkt in der GKV betreffen. Mit dem GSAV werden einerseits bestimmte Neuregelungen bereits unmittelbar geschaffen, zusätzlich aber auch weitere Veränderungen nach Ablauf einer Frist von drei Jahren in Aussicht gestellt. Letztere betreffen nicht zuletzt die Austauschbarkeit von Biosimilars in der Apotheke.

http://doi.org/10.24945/MVF.06.19.1866-0533.2190

>> Faktisch wird durch diese Regelung der Weg für die Einführung exklusiver Rabattverträge im Biosimilar-Markt geebnet.
Diese bis auf Weiteres als absehbar anzusehende pharmapolitische Entwicklung gibt Anlass dazu, einige Erfahrungen und Erkenntnisse, die (insbesondere) mit exklusiven Rabattverträgen in den zurückliegenden Jahren im Generikamarkt gewonnen wurden, kritisch zu würdigen. Rabattvereinbarungen können und müssen dabei aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Zum einen sind die Krankenkassen aus finanziellen Gründen gezwungen und auch sozialrechtlich verpflichtet, die Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Versorgung sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund werden Rabattvereinbarungen in den zurückliegenden Jahren als eines der erfolgreichsten Instrumente zur Senkung der Arzneimittelausgaben der GKV angesehen. So konnten die Krankenkassen Dank der Rabattverträge in Deutschland bislang pro Jahr bis zu vier Milliarden Euro einsparen [1].
Andererseits liegt es im Wesen der Rabattverträge, wiederholte Medikamentenwechsel zu induzieren, die nicht auf medizinischen Gründen beruhen. Für die Mehrheit der Patienten hatte ein solcher Wechsel keine negativen Folgen. Sie waren weder durch die andersartige Verpackung oder das Aussehen der Tabletten verunsichert, noch verspürten sie Nebenwirkungen oder eine mangelnde Wirkung, wenn sie das rabattierte Arzneimittel einnahmen. Für viele andere betroffene Patienten hatte dieser medizinisch nicht notwendige Wechsel jedoch schwerwiegende Konsequenzen.
In einer unserer Studien stellten wir fest, dass das Risiko einer Krankenhauseinweisung bei Depressionspatienten, die auf ein rabattiertes Arzneimittel umgestellt hatten, um 57% höher war als bei Patienten, bei denen kein Wechsel stattfand. Hochgerechnet auf die nationale Ebene entsprach dies allein in Deutschland circa 35.000 zusätzlichen Krankenhauspatienten und direkten stationären Kosten von mehr als 350 Millionen Euro pro Jahr [2]. Diese Kosten sind deutlich niedriger als die Summe, die die Krankenkassen aufgrund der Rabattvereinbarungen eingespart haben, sodass ein direkter Kostenvergleich keinen Sinn ergibt. Diese Angelegenheit betrifft jedoch das Leiden vieler Patienten, und dieses Leiden kann nicht in Form von Euro ausgedrückt werden.
Eine andere, von uns durchgeführte Analyse unterstreicht den Zusammenhang zwischen der Einführung von Rabattverträgen und einer negativen Auswirkung auf die Compliance von Brustkrebspatientinnen, die sich einer adjuvanten Hormontherapie unterzogen. Die Analysen ergaben eine signifikante Risikoerhöhung von etwa 27% für einen Behandlungsabbruch bei Patienten, die auf ein rabattiertes Arzneimittel umgestellt wurden, im Vergleich zu Patienten, bei denen kein solcher Wechsel stattfand [3].
Die aktuelle Studie zeigte, dass bei zuvor anfallsfreien Patienten  ein rabattvertragsbedingter Präparatewechsel der von ihnen eingenommenen Antiepileptika mit einem höheren Risiko für ein Wiederauftreten der Krampfanfälle verbunden war [4]. Basierend auf den Ergebnissen dieser Publikation hat die Schweizerische Epilepsie-Liga eine Warnung bezüglich Arzneimittelwechseln herausgegeben. Diese Warnung appelliert an Entscheidungsträger im Gesundheitswesen, Neurologen, Neuropädiater und Apotheker, unnötige Arzneimittelwechsel bei der Behandlung von Epilepsie zu vermeiden.
Das Problem von Arzneimittelwechseln ohne medizinischen Grund tritt jedoch auch unabhängig von Rabattvereinbarungen auf. Wir untersuchten die Verordnungsdaten von Patienten, die zwischen 2015 und 2017 mit bestimmten TNF-Blockern gegen schwere Autoimmunerkrankungen behandelt wurden. Innerhalb eines Jahres wechselten 30 Prozent der Patienten, die von einem Originalprodukt auf ein Biosimilar umgestellt worden waren, zum Original zurück [5]. Dieses Ergebnis ist wohl nicht auf die mangelnde Wirksamkeit des neuen Arzneimittels zurückzuführen, sondern auf die Verunsicherung der Patienten, die zu einem solchen Wechsel veranlasst wurden. Wenn Patienten Informationen über ein Produkt haben, die ihnen nicht zusagen, und ihnen dann das betreffende Produkt verordnet wird, können sie unter Umständen von ihnen als unerwünschte Wirkungen wahrgenommene Effekte beobachten. Ob die ausgetauschten Arzneimittel tatsächlich relevante und objektivierbare Unterschiede auf medizinischer und pharmazeutischer Ebene aufweisen oder ob die Compliance-Probleme der Patienten ratio-nal nachvollziehbar sind, spielt bei der Bewertung der durch die Rabattvereinbarungen ausgelösten Therapiewechsel keine Rolle. Wichtig ist, was die Therapie der Patienten unter realen Bedingungen beeinflusst und welche Konsequenzen dies hat.
Rabattvereinbarungen im Generika-Markt können auch wettbewerbspolitisch bedenklich sein. So treten beispielsweise im deutschen Markt zunehmend Lieferengpässe auf. Diese können ein Hinweis darauf sein, dass bereits wirtschaftliche Fehlentwicklungen und Konzentra-tionsprozesse stattgefunden haben. Die derzeit verfügbaren Daten sind jedoch letztendlich nicht ausreichend, um einen wissenschaftlichen Beweis zu liefern.
Wie eingangs skizziert, ist derzeit auch die Einführung von exklusiven Rabattverträgen im Biosimilar-Markt nicht unwahrscheinlich.  Unterdessen unterscheiden sich hier aber die wirtschaftlichen Ausgangs- und Marktbedingungen deutlich von denen im Generika-Markt. Exklusive Ausschreibungen (Rabattverträge/-angebote) sind im Biosimilar-Markt problematisch, da sie den Markteintritt neuer Anbieter erschweren oder sogar unmöglich machen und so einem nachhaltigen Wettbewerb in diesem Marktsegment entgegenstehen können [6-8]. Daher ist die Tatsache, dass die deutsche Gesetzgebung durch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), das die Umsetzung von Rabattvereinbarungen fördert, derzeit die Türen für die Aut-idem-Regelung bei Biosimilars in Apotheken geöffnet hat, kritisch zu sehen. Apotheker müssen dann, wie bei verschreibungspflichtigen Generika, das jeweils rabattierte Biosimilar abgeben. Wir haben an der Hochschule Fresenius eine Expertenbefragung durchgeführt und sind unter anderem zu dem Ergebnis gekommen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, insbesondere im Hinblick auf die Einführung von Rabattverträgen, in ganz Europa einen negativen Anreiz für die Markteinführung von Biosimilars darstellen [6].
Bei der Bewertung von Einsparungen auf der Grundlage von Rabattvereinbarungen müssen alle gesundheitsökonomischen Auswirkungen berücksichtigt werden. Die Berechnung der Einsparungen anhand eines reinen Preisvergleichs der Aut-idem-Produkte ist unzureichend. Ein erweiterter Ansatz muss alle gesellschaftlich relevanten Faktoren sowie alle Faktoren mit direkter oder indirekter Auswirkung auf das Gesundheitssystem umfassen. Im Zuge dessen ist nicht nur mit einer Relativierung des angenommenen Einsparpotenzials zu rechnen, sondern es wird bei einigen Indikationen sogar ein Mehraufwand in Verbindung mit einer abnehmenden Versorgungsqualität zu erwarten sein.
Nicht zuletzt ist zu fordern, dass die Auswirkungen exklusiver Rabattverträge im Biosimilarmarkt auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit des Versorgungsgeschehens nicht nur unter kurzfristigen Kosten-
dämpfungsaspekten, sondern auch im Sinne eines nachhaltig wirkenden Wettbewerbsrahmens bewertet werden. <<

Zitationshinweis:

May, U., Bauer, C., Kostev, K.: „Arzneimittelrabattverträge: Kostensenkung mit
Risiken und Nebenwirkungen“ (06/19), S. 45-46, doi: 10.24945/MVF.06.19.1866-0533.2190

 

Literatur
1 Rücker D. Rabattverträge entlasten Kassen. Pharmazeutische Zeitung. 2019. Accessed at https://www.pharmazeutische-zeitung.de/rabattvertraege-entlasten-kassen/
2 Kostev K., May U, Ott C, Paul M, Schetschok K, Tingelhoff M, Claus C, Waehlert L. Frequency of hospitalizations prior to and after conversion to a rebate pharmaceutical in depression patients in Germany. Int J Clin Pharmacol Ther. 2013 May;51(5):416-22. doi: 10.5414/CP201912.
3 Kostev K, May U, Hog D, Eisel J, Kremmers T, Kosteic M, Waehlert L, Hadji P. Adherence in tamoxifen therapy after conversion to a rebate pharmaceutical in breast cancer patients in Germany. Int J Clin Pharmacol Ther. 2013 Dec;51(12):969-75. doi: 10.5414/CP201969.
4 Lang JD, Kostev K, Onugoren MD, Gollwitzer S, Graf W, Müller T, Olmes DG, Hamer HM. Switching the manufacturer of antiepileptic drugs is associated with higher risk of seizures: A nationwide study of prescription data in Germany. Ann Neurol. 2018 Dec;84(6):918-925. doi: 10.1002/ana.25353. Epub 2018 Nov 8.
5 Reuber K, Kostev K. Prevalence of switching from two anti-TNF biosimilars back to biologic reference products in Germany. Int J Clin Pharmacol Ther. 2019 Apr 16. doi: 10.5414/CP203474. [Epub ahead of print]
6 Kramer N, Ziebe A, May U. Unternehmenserwartungen und Strategien im Biosimilarmarkt Ergebnisse einer Befragung vor dem Hintergrund der aktuellen Regulierungsdiskussion. Pharm. Ind. 2017; 79 (12): 1–7
7 Bauer C, May U, Ziebe A. Wettbewerbsanalyse biosimilarfähiger Märkte im Kontext von Regulierung und adäquater Preisbildung. 2018. Accessed at https://www.wiwi.uni-due.de/fileadmin/fileupload/WIWI/Forschung/IBES_Diskussionbeitraege/IBES_2018_Nr224.pdf
8 Altin S, Bauer C, May U, Walendzik A, Wasem J, Ziebe A. Regulierung und adäquate Preisbildung im Markt der Biosimilars. 2017. Accessed at https://www.wiwi.uni-due.de/fileadmin/fileupload/WIWI/pdf/Veranstaltungen/IBES_2017_nr220.pdf

Ausgabe 06 / 2019

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